Google Glass: Stasi-Brille oder nützlicher Assistent? Ausblick auf meine morgige Kolumne

Feldtest auf der #rp13

Noch ist die Datenbrille „Google Glass“ nicht auf dem Markt, da erklingen in Deutschland schon die Alarmglocken. Die staatlichen Datenschützer bringen sich in Position und warnen vor dem so genannten „Lifelogging“, also dem unbemerkten Aufzeichnen von vertraulichen Gesprächen. Das Rechtssystem sei auf das Ausspähen der Umgebung nicht vorbereitet.

Selbst auf der Berliner Digitalkonferenz re:publica, die sich für neue technologische Entwicklungen zu begeistern pflegt, stößt das smarte Brillengestell des Suchmaschinen-Giganten auf Skepsis, wie mein Bloggercamp-Kollege Hannes Schleeh in einem Feldtest feststellte.

Drei Tage beglückte er das Nerd-Treffen mit einem Replikat und provozierte nicht nur wohlwollende Kommentare. So fragte der Chef der Gastronomie erbost:

„Nimmst Du mich jetzt auf, oder was?“

Auf Twitter gab es eine Flut von Reaktionen. Hier nur drei Beispiele:

„Ob den Leuten, die ihre ‪#googleglass‬ aufm Kopf tragen, bewusst ist, wie bescheuert das aussieht?“

„Habe jemandem auf der ‪#rp13‬ die Brille aus dem Gesicht gerissen und zertreten. War leider gar kein Google Glass.“

„Irgendwie fühle ich immer ein Unbehagen, wenn mir jemand mit ‪#googleglass‬ entgegenkommt, wie auf der ‪#rp13‬, etwa als wäre es Röntgenbrille.“

Führte das Street View-Projekt von Google zu höchst bizarren Abwehrkämpfen von Hausfassaden, Gartenzwergen im Vorgarten und Verpixelungs-Initiativen zur Unkenntlichmachung von Jägerzäunen, wird die Brillenvariante zu einem noch größeren Sturm der Empörung beitragen: Schlagzeilen wie „Stasi-Brille belästigt Otto-Normal-Verbraucher“ oder „Spionage-Spielzeug für Stalker und Spanner“ sind vorprogrammiert.

Liebwerteste Gichtlinge der Bild-Zeitung, für diese Schlagzeilen beantrage ich übrigens Leistungsschutzrecht!

Aber selbst Google-Chairman Eric Schmidt und Google Ideas-Direktor Jared Cohen greifen in ihrem neuen Opus „Die Vernetzung der Welt“ zum Vokabular von billigen Agenten-Filmen, um den Nutzen der Wunder-Brille zu beschreiben. So könnte man in Kombination mit einer Armbanduhr frühzeitig Religionswächter oder Agenten der Geheimpolizei verorten. Kein Scherz, das haben die beiden Autoren so formuliert. Die Uhr kommuniziert über GPS-Daten den Standort ihres Trägers und die Datenbrille stellt fest, aus welcher Richtung ein Agent kommt. Mehr ist den Google-Topmanagern auf 441 Seiten nicht eingefallen. Kein Wunder, dass die Phantasie wuchert.

Damit der Nutzen von elektronischen Assistenten (ich wollte schon Agenten schreiben) nicht vollends vor die Hunde geht, sollten potenzielle Anwender von intelligenten Gadgets schon jetzt über neue Formen der Höflichkeit nachdenken, fordert der Blogger Gerhard Schröder im ichsagmal.com-Interview.

Wir können darauf warten, was der Gesetzgeber zu Google Glass sagt. Besser wäre es, als Zivilgesellschaft über freiwillige Regeln nachzudenken. Wer bei der Blogparade bis Ende Mai mitmachen möchte, findet hier die nötigen Infos: Glassiquette statt Glasshole.

Ausführlich ist das in meiner morgigen The European-Kolumne nachzulesen.

Weitere Hangout-Interviews mit Fachleuten sind in der Planung. Wer sich dazu äußern möchte, ist herzlich eingeladen.

Übrigens sind auch Skype-Chats anfällig für „Spionage“: Vorsicht beim Skypen – Microsoft liest mit.

Google Glass und die German Angst: Mit dem dritten Auge sieht man besser #rp13

republica-Feldexperiment

Bei technischen Innovationen gründen wir in Deutschland erst einmal Kommissionen, Arbeitskreise und wissenschaftliche Initiativen zur Technikfolgen-Abschätzung. So auch bei Google Glass. Was da so alles auf uns zukommt: Ständige Überwachung durch Brillenträger. Selbst beim Nerd-Klassentreffen namens re:publica gab es solche Reflexe, wie das Feldexperiment von Hannes Schleeh unter Beweis stellte.

„Er war das gefragteste Fotomotiv der re:publica und Gesprächsthema, wo er auftauchte: ‚Da ist einer mit der Google Glass!‘ Doch wer Hannes Schleeh ansprach, erfuhr die Wahrheit von ihm: Das Erlebnis ist unbezahlbar, die Brille aus dem 3D-Drucker hat 25 Euro gekostet“, schreibt die Rhein-Zeitung und führte mit Hannes ein Interview über seine Erfahrungen, drei Tage mit diesem Gerät in Berlin durch die Gegend zu laufen.

Müssen wir uns auf ein neues Spionage-Gadget einstellen und rechtzeitig über die alarmististischen Staats-Datenschützer neue Bollwerke zum Schutz der Privatsphäre errichten?

Hobby-Spione können sich im Online-Handel schon jetzt wesentlich wirksamer mit allen möglichen Geräten aufrüsten, um unbemerkt andere Menschen zu beobachten. Vom Schlüsselanhänger mit Camcorder, über SpyCam-Kugelschreiber bis zum Feuerzeug mit Webcam ist alles dabei und niemand scheint sich so richtig darüber zu echauffieren.

Taucht in einem Produktnamen das Wort „Google“ auf, brennen in der öffentlichen Debatte schnell die Sicherungen durch. Insofern hat Sascha Lobo in seiner Spiegel Online-Kolumne sicherlich recht, wenn er Google vorwirft, nicht genügend über die Wirkung von Google Glass zu diskutieren.

„Die technosoziale Faszination ist so groß, dass der Verkauf selbst kaum mehr als eine Preisfrage sein wird. Google Glass braucht kein Marketing, sondern Aufklärung.“

Im April 2012 stellte Google den Prototyp „Project Glass“ vor. Eine Brille mit eingebautem Display über einem Auge, das Informationen übermittelt, über gesprochene Kommandos Nachrichten verwaltet und über eine eingebaute Kamera Bilder und Videos aufnehmen kann.

„In Zukunft wird die Zusammenstellung von tragbarer Technologie, Augmented Reality und P2P eine Kombination aus Sinneseindrücken, Information und sicherer Kommunikation bieten und einige nützliche Geräte hervorbringen“, schreiben Google Chairman Eric Schmidt und Google Ideas-Direktor Jared Cohen in ihrem Buch „Die Vernetzung der Welt“.

Das Schlagwort Augmented Reality bezeichnet die Verschmelzung der Welten, der digitalen mit der nichtdigitalen, so Lobo:

„Es handelt sich dabei um eine derzeit dramatisch unterschätzte Spielart der Technologie – insbesondere, was die Diskussion um die Wirkung angeht. Augmented Reality steht nämlich von außen betrachtet für das Gefühl, dem Internet nicht mehr ausweichen zu können, wenn man den Rechner zuklappt.“

Und Frank Schirrmacher wird wahrscheinlich der Erste sein, der für die kulturpessimistische Debatte das entsprechende Buch liefert. Das wäre schade. Selbst in den Ausführungen von Lobo taucht nicht ein einziges Beispiel auf, um die Sinnhaftigkeit bei der Kombination von realen und digitalen Wahrnehmungen zu untermauern.

Etwa bei Ferndiagnosen. Über das dritte Auge kann ein Tierarzt kontaktiert werden und einem Bauern, der mit der Netz-Brille das Tier untersucht, erste Hinweise über das Krankheitsbild geben.

Bei der Analyse eines Tatorts folgt das dritte Auge dem Sichtfeld des Inspekteurs und fängt Informationen ein, die dem Betrachter vielleicht gar nicht so richtig aufgefallen sind. Phänomen: Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Zudem können die Filmaufnahmen live übertragen und von weiteren Inspekteuren am Bildschirm verfolgt werden. Auch die nachträgliche Bearbeitung der Aufzeichnungen ergänzt die eigenen Sinneseindrücke, die von Störquellen beeinträchtigt sein können.

Gleiches gilt für die Wartung von Flugzeugen. Mit dem dritten Auge – gepaart mit Sprachsteuerung – hat man die Hände frei, muss nicht ständig seine Arbeit wegen Schreibarbeiten unterbrechen, protokolliert über Sprache die Arbeitsschritte und reduziert die Fehlerquellen.

In Kombination mit Minicomputer, die man als ständige Begleiter mit sich führt, werde die Sprachsteuerung erst voll zur Wirkung kommen, so die Überzeugung von Mind Business-Unternehmensberater und Smart Service-Blogger Bernhard Steimel:

„Erst dann kann man von einem elektronischen Assistenten sprechen, der meinen Alltag erleichtert, mich vor der Informationsüberflutung bewahrt und sich auf meine Bedürfnisse einstellt.“

Schon vor einigen Jahren entwickelte der Grazer Informatikprofessor und Science Fiction-Autor Hermann Maurer interessante Szenarien für Brillen, die mit Mikrofon, Kamera, Stereoton und GPS-System ausgestattet sind. Weitere Sensoren ermitteln die Kopfposition des Brillenträgers, inklusive Blickrichtung und Kopfneigung, so dass der Minicomputer stets weiß, wohin der Benutzer gerade sieht. Der „Brillen PC“ kombiniert Mobiltelefon, Fotoapparat sowie Videokamera und ist ständig mit dem Internet verbunden. Die Eingabe von Informationen über Tastatur und Mausklicks wird ersetzt durch Sprach- und Gestenerkennung.

Beim wearable computing geht es weniger darum, medienwirksame Cyborg-Phantasien oder Jacken mit eingebautem MP3-Player zu realisieren, sondern langfristig dem Menschen in persönlicher Weise zu dienen: Seinen Gesundheitszustand zu überwachen, seine Sinne zu schärfen und ihn mit Informationen zu versorgen.

Wer über die Risiken spricht, sollte also über den Nutzen nicht schweigen. Ich werde das Thema in den nächsten Wochen vertiefen: In meinen Kolumnen, in Video-Interviews und gemeinsam mit Hannes Schleeh in Bloggercamp-Hangout-Fachgesprächen. Dabei werden wir natürlich auch kritisch reflektieren, ob hier ein neuer Kulturkampf schlummert. Wer Interesse daran hat, sollte sich bei mir melden.

Auf der re:publica dominierten übrigens in der Begegnung mit Hannes Schleeh die positiven Reaktionen 🙂

Siehe auch:

Das Google Glass Experiment auf der re:publica #rpstory13

Die leeren Versprechen der App-Economy

Die App ist nicht tot, wie es das Digitale Quartett als These diskutierte, sie war wohl noch nie so richtig lebendig. Zu dieser Einschätzung neigt jedenfalls Bernd Stahl, Netzwerkspezialist von Nash Technologies in Stuttgart. Ein Versprechen habe die App-Economy bislang nicht eingelöst:

„Die Kombination von Apps zu größeren Applikationen. Da ist noch nichts passiert. Jede App ist autark und macht nicht viel mit anderen Diensten. Es gibt zwar einige einfache Kombinationen wie den Kalender auf dem iPhone. Aber so richtig begeistert hat mich das nicht. Man sieht nichts von komplexeren Software-Architekturen wie man das in der traditionellen Software-Entwicklung kennt. Da ist noch ziemlich viel Luft nach oben. Die Frage ist, ob die App-Anbieter sich überhaupt in diese Richtung bewegen“, so Stahl.

Es müsste möglich sein, ein größeres System in einem Framework aus vielen Applikationen zusammen zu bauen. Also die Überwindung der Software-Krise durch die Schaffung von einfach nutzbaren Apps.

„Irgendwie klappt es mit der Modularisierung von Apps nicht so, wie man sich das anfänglich vorgestellt hat“, sagt Stahl.

Es sei immer noch eine große Aufgabe, die komplexen Anwendungen nach den Grundsätzen der Vereinfachung für Massenanwendungen zu gestalten. Ein Aspekt, den Bernd Stahl beim virtuellen Blogger Camp am Mittwoch, den 28. November um 18,30 Uhr vortragen wird.

Abstürzende Applikationen, Fehlanzeige bei Service-Apps und überforderte Entwickler, die mit irgendwelchen Tools ihre Kunden in die mobile Welt heben wollen. Es gibt sehr viel Schrott auf dem Markt der mobilen Applikationen, kritisiert auch Ralf Rottmann vom Kölner Unternehmen Grandcetrix in Köln:

„Man sieht, wie sich die Entwicklungen der 80er und 90er Jahre wiederholen. Jeder kann leicht auf den App-Zug aufspringen und super leicht Entwickler werden. Wie man bei GeoCities damals blinkende einfache Webseiten gesehen hat, weil das eine einfach zugängliche Technologie war, sieht man es heute bei Apps.“

Da seien sehr viele Laienspieler am Werk. Gleichzeitig führe dieser vermeintliche Goldrausch auch dazu, dass jeder erst einmal auf den Zug aufspringt.

„Es werden oft irgendwelche Apps in den Store geschoben, in der Hoffnung den nächsten Millionen-Seller entdeckt zu haben. Die Erfahrung zeigt, dass das so nicht funktioniert. Es sind Softwareentwicklungsprojekte und es gelten die gleichen Mechaniken und Mechanismen wie bei der ganz normalen und klassischen Softwareentwicklung auch“, sagt Rottmann im ichsagmal-Interview.

Wenn es um anspruchsvolle Aufgaben für den Unternehmensalltag geht, bietet die App-Economy noch nicht sehr viel. Netzexperten sehen hier Änderungsbedarf. In Deutschland sieht es bei Apps für Transaktionen, After-Sales, Produktanfragen oder Möglichkeiten für Beschwerden noch düster aus.

Natürlich gebe es heutzutage viele Kundencenter-Apps, die Standardfunktionen aufweisen. In der Regel würden die Unternehmen in den Call Center-Strukturen mit wilden Prozessen operieren, die nicht ineinander greifen. Diese Kulturen könnten für mobile Anwendungen und soziale Netzwerke nichts leisten. Es wirke sich sogar kontraproduktiv aus, da die Missstände im Service jetzt öffentlich werden.

„Ich kenne selber viele Call Center, in denen es mittlerweile eine Twitter-Truppe gibt. Diese vier Mitarbeiter sind meisten nicht in den Prozess integriert, bedienen einen anderen Kanal und das heißt dann Multi Channel-Strategie. Die Serviceindustrie redet seit 20 Jahren über Multichannel und will die Kunden über verschiedene Touch Points abzuholen. Solange ich nicht den kulturellen Wandel im Unternehmen mache, nützt das nichts. Es wird nur eklatanter. Durch Social Media kann jeder heute sehr schnell sehr laut werden. Deshalb liest man mehr über Service, der nicht funktioniert und man bekommt es viel mehr mit. Wenn ich telefoniere, dann erzähle ich es nur meinem engen Netzwerk. Wenn es über Twitter läuft, dann erzähle ich es unter Umständen tausendfach“, erläutert der App-Experte von Grandcentrix.

Die Verschlafenheit in vielen Chefetagen liege wohl auch an der mentalen Verfassung der so genannten Digital Immigrants oder Digital Ignorants, moniert Heinrich Welter von Genesys:

„Nur wer sich selbst intensiv mit dem Möglichkeiten neuer Geräte wie dem iPhone oder iPad beschäftigt, kann verstehen, welche fundamentale Änderung durch die Multi-Modalität der Geräte in Verbindung mit Nutzerfreundlichkeit, Haptik, Interface und Spaßfaktor entsteht. Hier geht es nicht darum, bunte Alternativen zu bestehenden Services zu bieten, sondern Services vollständig neu zu erfinden.“

So eine Art Kundenversteher-App, die Ityx-Manager Andreas Klug beim ersten virtuellen Blogger Camp ins Spiel gebracht hat.

„Warum gibt es keine Smartphone-App ‚Ich will einen Stromanschluss haben’. Ich tippe den Dienst an und werde durch ein Menü geführt. Im Dialog mit der App wird sofort festgestellt, was ich als Kunde möchte. Einen Anschluss anmelden, kündigen oder ummelden, Kontodaten abgleichen, den Zählerstand fotografieren, einen Dauerauftrag einrichten, Umzug organisieren oder einen Anbieterwechsel vornehmen“, so Klug.

Das Ganze stehe gebündelt in einer virtuellen Akte jederzeit zur Verfügung und kann personalisiert verarbeitet werden.

„Es wird mir ein Preis vorgeschlagen und der Makler sorgt dafür, dass ich am nächsten Tag einen Stromanschluss habe. Mit Künstlicher Intelligenz kann man diese Daten auslesen und punktgenau bearbeiten wie bei der Anfertigung eines Maßanzuges. Das muss kein Servicemitarbeiter mehr machen. Ich bin sogar davon überzeugt, dass viele Mitarbeiter im Kundendienst solche Dinge schlechter bearbeiten als Maschinen. In der App-Economy könnte man den Kunden sehr viel mehr bieten, um das Warteschleifen-Syndrom vom Tisch zu fegen“, erklärte Klug in dem Live-Hangout mit Hannes Schleeh, Dirk Elsner, Frank Schulz, Andreas Prokop und Robert Redl.

Gleiche Effekte erzeugt man mit der sozialen Intelligenz der vernetzten Kunden über Chats, selbsterklärende Youtube-Videos, öffentliche Dialogformen in Live-Hangouts, Foren, kompetente Facebook-Teams, Twitter-Nachrichten und smarte Web-Services. Unternehmen und Kunden sparen sich dann Zeit und Ärger.

Wie der Kundenservice vernetzt, intelligent und einfach auf die Beine gestellt werden kann und generell die Prinzipien der Vereinfachung bei der Bedienung von Produkten und Diensten beachtet werden, steht bei der ersten Session des Blogger Camps am 28. November um 18,30 Uhr im Vordergrund. Um 19,30 diskutieren wir dann über neue Konzepte der virtuellen Kommunikation. Man sieht und hört sich also spätestens in einer Woche.

Am Freitag gibt es von 15,30 bis 17,30 einen Live-Hangout vom Haus der Architektur in Kölle. Thema: Neue Medien in der Planung: Fluch und Segen – Offene Veranstaltung der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung NRW.

Auf Facebook hat sich übrigens spontan eine Initiative gebildet, um eine Qualitätsoffensive bei der App-Entwicklung anzustoßen. Vielleicht hat ja noch jemand, bei diesem Projekt mitzumachen.

Man freut sich ja schon über Kleinigkeiten in der App-Economy: Jetzt kann man den Beziehungsstatus auch über die Facebook-App ändern. Grandios.

Reaktion auf Twitter:

Über „Flachbildschirm-Rückseitenberater“ und „Schema F- und Kästchendenker-Bürosklaven“ #gforce

In einem Vortrag von Tieto-Manager Stefan Grünzner auf der G-Force-Konferenz in Barcelona wurde das obige Foto gezeigt. Es hat doch generell Symbolkraft für die Servicekommunkation – nicht nur in Deutschland. Als Titel finde ich die Formulierung von Gunter Dueck recht hübsch: „Flachbildschirm-Rückseitenberatung“. Wolfgang Messer hat das in einem anderen Zusammenhang erwähnt: Wer den Wandel meistert, kann die Demenz vergessen.

Andere Fotos, die ich auf der G-Force gemacht habe, dokumentieren auch recht eindrücklich, wo wir in der vernetzten Servicewelt stehen und wo die Reise hingeht.

Entsprechend lautet die Überschrift meiner heutigen Kolumne für Service Insiders: Netzintelligenz statt „Flachbildschirm-Rückseitenberatung“ – Die Lila-Laune-Kommunikation der Unternehmen versagt im Social Web.

In der Branche für Kundenkommunikation gibt es eine Menge Überlegungen, wie man vom Warteschleifen-Image runterkommt. Das zog sich jedenfalls wie ein roter Faden durch die Vorträge der Fachkonferenz G-Force in Barcelona. So kann man immer wiederkehrende Verbraucherfragen über gut gemachte Youtube-Videos abfangen. Fast jedes private oder berufliche Problem lässt sich dort lösen. Etwa zur Vorbereitung von Trainingseinheiten im Tischtennis, Auskünfte über die Feinheiten des Startens von Modellautos mit RC-Verbrenner oder der Frage, wie ich meine digitale Heimvernetzung optimieren kann. Häufig kommen die Filme gar nicht von professionellen Anbietern, sondern von so genannten Super-Usern, die sich einfach in bestimmten Feldern besser auskennen als jeder Verkäufer oder Agent im Call Center. Auch wenn es viele in der Servicewelt immer noch nicht kapiert haben, die Zeiten der „Flachbildschirm-Rückseitenberater“ und „Schema F- und Kästchendenker-Bürosklaven“ ist schon längst vorbei.

Die Weisheit der Vielen im Netz schlägt das skriptgesteuerte Wissensimperium des Call Center-Agenten um Längen. Der Smart Service-Blogger Bernhard Steimel erwähnt die Strategie des Elektronikkonzerns LG. In Analysen fand man heraus, dass 60 Prozent der Postings in den Social Media-Präsenzen des Unternehmens aus Serviceanfragen bestehen: Probleme mit der Technik, Fragen nach Reparaturmöglichkeiten, Inbetriebnahme von Geräten und vieles mehr.

„Management und Serviceabteilung setzten sich zusammen und bildeten eine Task Force, die damit begann, die Probleme abzuarbeiten. Drei Monate nach Gründung der Community wurde der Kunden-helfen-Kunden-Effekt immer prägnanter. Mittlerweile werden rund 70 Prozent der Serviceanfragen von Bloggern oder Community-Mitgliedern selbst beantwortet. Nur rund 30 Prozent werden von Mitarbeitern der Serviceabteilung bearbeitet. Mit nur wenigen Postings im Netz, die vom Unternehmen selbst kommen, gewinnt LG in den sozialen Netzwerken so eine vergleichsweise hohe Reichweite“, schreibt Steimel.

Das ist allerdings nur eine von vielen Möglichkeiten, Netzwerkeffekte im Kundenservice zu nutzen. Was fehlt, um vernetzte Services in der ganzen Bandbreite zu etablieren, ist eine tiefe Integration des Social Web in die Prozessorganisation der Anbieter.

Eine Facebook-Präsenz sollte nicht für Marketing-Trallala verschwendet werden. Wichtig wäre eher das Sichtbarmachen der fachlichen Expertise, um Kunden eine bessere Orientierung zu geben und mit ihnen keine Dialoge auf Kindergartenniveau zu führen. Wenn Marketingabteilungen mit ihren Social Media-Aktivitäten nur Berieselung betreiben und nach der Lila-Laune-Bärchen-Methode operieren, verspielen sie die Optionen der offenen Netzwerk-Kommunikation.

„Leider werden die sozialen Netzwerke von den meisten Unternehmen noch nicht für den Kundenservice genutzt. Marketingmanager blasen auch im Social Web nur ihre One-to-Many-Hochglanzbroschüren-Sprüche raus. Auf individuelle Fragen, Wünsche oder Probleme der Kunden wird nicht eingegangen“, kritisiert Heinrich Welter vom Software-Spezialisten Genesys auf der G-Force-Konferenz im Gespräch mit Service Insiders. Entsprechend genervt reagieren die Social Web-Nutzer.

(Ob sich jemand über meine Fluppe während des Interviews aufregt, ist mir übrigens egal. Das ist mein stiller Protest gegen die Anti-Raucher-Hysterie und meine Verneigung vor den Talkrunden in den 60er und 70er Jahren.)

Soweit die kleine Hommage ans Rauchen….

„Es führt kein Weg daran vorbei, Social Media in den Kundenservice zu integrieren. Das gilt auch für das Wissen, was auf den klassischen Kanälen mit Kunden ausgetauscht wird. Was per E-Mail beantwortet wurde, ist vielleicht nicht nur für einen Verbraucher nützlich, sondern auch für tausend andere. An dieser Stellschraube wird allerdings in vielen Unternehmen gearbeitet“, so Welter.

Unternehmen sollten nach Ansicht von Ityx-Vorstandschef Süleyman Arayan viel mehr mit der Erkennung und Verarbeitung von Inhalten der Kommunikation beschäftigen – und nicht alleine mit der Logistik von Kommunikation.

„Jahrelang wurden Kundenkontakte in telefonische oder virtuelle Warteschleifen verteilt. Moderne ‚lernfähige‘ Software in Service und Support kann das Verhalten von Kunden und Mitarbeitern bei der Informationsbewertung adaptieren und Inhalte verstehen. Unternehmen schaffen sich einen unschätzbaren Wettbewerbsvorteil, wenn sie automatisch das ‚Alltägliche‘ erkennen und lösen können und dadurch Raum für die Lösung individueller Fälle schaffen.“

Und die individuelle Beratung kann über Chat, Videotelefonie oder Apps erfolgen.

Seine Prognose: Die klassische Eins-zu-Eins-Kommunikation wird es in fünf Jahren kaum noch geben. Es wird Geschäftsprozess-Plattformen geben, die alle Kommunikationsformen und Geräte unterstützen. Die Infrastruktur für die Service-Kommunikation wandert dabei in die Computerwolke, so die Einschätzung von Genesys-Manager Heinrich Welter. Denn kaum noch ein Service-Anbieter könne mit der eigenen trägen Hardware auf die Veränderungen der Kundenkommunikation zeitnah reagieren. Über Cloud-Dienste steigt die Anpassungsfähigkeit und Schnelligkeit, um sich den Anforderungen der Echtzeitkommunikation im Social Web zu stellen. Zur Cloud-Kooperation zwischen Genesys und der Telekom folgt in der nächsten Woche noch ein Bericht – da kommt auch der virtuelle Concierge wieder vor 😉

Buch zum Thema der Kolumne (da habe ich ja – wie schon erwähnt – mitgewirkt. Also kaufet und lasst das Opus „Digitaler Dialog“ in ungeahnte Höhen auf der Sachbuch-Bestseller-Liste steigen – auf das Manfred Spitzer mit seiner digitalen Demenz vom Spitzenplatz verdrängt wird 🙂

SAVE THE WORLD FROM BAD CUSTOMER SERVICE! #gforce

Das Leitmotto der G-Force in Barcelona – Fachkonferenz des Software-Anbieters Genesys – passt eigentlich auch gut zu meiner heutigen The European-Kolumne über den Tod der Warteschleife. Bei meinem Beitrag ist natürlich in erster Linie der Wunsch Vater des Gedankens. Denn in der Service-Landschaft sind wir davon noch meilenweit entfernt. Obwohl es in der Technologieszene schon ein gewaltiges Umdenken gibt. Etwa die Kommunikationsdienste der Firmen verstärkt über die Cloud zu organisieren – ein entsprechendes Produkt für die Service-Kommunikation wurde heute von Genesys und der Telekom vorgestellt. „Die cloudbasierte Genesys Contact Center Suite unterstützt jeden Interaktionskanal. Dazu zählen u.a. Telefonie, Brief, Fax, E-Mail, SMS, Chat, Web und Social Media. Alle Funktionen sind unter einer einheitlichen Bedienoberfläche zusammengefasst und stehen den Agenten zusammen mit einer Kundenhistorie und weiteren Informationen zur Verfügung“, so die Presseverlautbarung von Genesys. Zur Call Center World Ende Februar 2013 soll das Ganze starten.

Als Turbolader für solche Dienste wirkt sich auch das veränderte Kommunikationsverhalten der Kunden aus, die sich immer mehr vom Telefon wegbewegen und sich über Chats, Social Web und mobile Applikationen äußern. Hier fällt es den Hardware-Firmen immer schwerer, ihre Kisten für die Kommunikationsinfrastruktur zu verkaufen. Auch die verstärkte Nutzung von Cloud-Diensten im privaten Umfeld beschleunigt die Durchsetzung bei Geschäftskunden. Entsprechende Interviews zu diesem Themenkomplex habe ich auf der G-Force in Barcelona geführt. Darüber werde ich in den nächsten Tagen noch berichten.

Im übrigen würde sich der Spruch „SAVE THE WORLD FROM BAD CUSTOMER SERVICE“ auch gut für Demos eignen. Auch das könnte mal ein Ansatz für netzpolitische Aktionen sein, damit die Unternehmen endlich ihre Service-Bürokratie beerdigen.

In meiner Kolumne erwähnte ich ja auch die Wundertüte Facebook, die im Kundenservice und auf anderen Feldern noch für Überraschungen sorgen wirkt – auch wenn das ein oder zwei Kommentatoren etwas anders sehen. Aber was Zucki-Boy so ankündigt, sorgt doch für Hochspannung.

Siehe auch das Interview mit Heinrich Welter von Genesys – zum Kundenservice!

Rotkäppchen und die moralische Verwerflichkeit der Staubsauger-Onanie

In meiner morgigen Kolumne für das Debattenmagazin „The European“ beschäftige ich mich noch einmal mit Nackedeis und der Notwendigkeit eines Wächteramtes für die Sicherstellung eines Cloud-Reinheitsgebots. Ihr erinnert Euch ja an den gestrigen Exkurs zu: Stand-by geschaltetes Kontrollgremium des Kleingedruckten.

Es geht noch einmal um Moral, Sitte, Anstand, Hygiene, Recht und Ordnung. Es sind ja nicht nur die abgelichteten Badeschönheiten auf Ibiza, die sich verführerisch an den Stränden tummeln und ihren blanken Busen der Weltöffentlichkeit darbieten, nein, es gibt eine Vielzahl von anstößigen Daten, die in den Cloud-Diensten des Netzes nichts zu suchen haben. Eine gewichtige Rolle in der The European-Geschichte spielen Rotkäppchen, Max und Moritz, Sherlock Holmes und natürlich der von mir hoch geschätzte Francois Rabelais.

Eigentlich sollte auch noch CCC-Legende Wau Holland eingebaut werden – aber man muss sich ja im Sommerloch etwas kürzer fassen. Aber die Hacker-Story über das Onanieren von Vorwerk-Staubsaugern darf eigentlich in keinem Cyber-Cloud-Hygiene-Verhaltenskodex fehlen. Denn der Fall dokumentiert das Netz ganz unten in seiner zerstörerischen Wirkung auf den Jugendschutz.

Und das sich sogar Doktoranden mit dieser absonderlichen Form der Penisverstümmelung beschäftigen, ist schon niederschmetternd genug. So etwas darf im Internet nicht toleriert werden. In Abwandlung einer berühmten Studie heißt es doch:

Traue keiner Cloud, die du nicht (er-)tragen kannst.

Aber was ist im Netz denn noch erträglich? Etwa die sympathischen Abmahnungen von Jack Daniels? Wenn das Ganze nichts kostet, ist das schon in Ordnung, denn wir wollen doch alle an der Okayheit des Netzes arbeiten, wie sie heute von Sascha Lobo beschrieben wurde.

Ob das Steve Ballmer auch noch okay findet, was ich morgen in meiner Kolumne verzapfe? Sascha verweist ja in seiner Kolumne auf das Buch „Der entfesselte Skandal“ des Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen und auf die anstrengende Seite des Netzes. Und die besteht eben auch aus Shitstorms, Skandalen, Sensationen:

„Die Verschmelzung des privaten Gesprächs mit einer digitalen Öffentlichkeit, die im Zweifel zur Weltöffentlichkeit werden kann, das ist eine neue Qualität des Internet“, so Sascha Lobo. Und das ist nun mal auch in meiner närrischen Kolumne der Fall. Der gute Ballmer wird das verstehen. Alles hat eine Kehrseite: Gute Webinare stehen blechernen Labereien gegenüber.

Und auch sprachgesteuerte Smartphones, die sich als digitale Assistenten bewähren sollen, können zu Nervensägen mutieren. Nachzulesen in meiner heutigen Service Insiders-Kolumne zum Thema: Der telautophonische und wolkige Alltagsberater: Über die Möglichkeiten von sprachgesteuerten Assistenzsystemen. Wird wohl irgendwann in den Abendstunden erscheinen.

Die dunklen Seiten von Facebook knöpft sich Ole Reißmann vor. Vom Aufruf zum Petzen bis zur automatischen Überwachung kommt da einiges zusammen. Unter diesem Syndrom leidet also nicht nur Microsoft.

In meinem Garten-Büro sitzt es sich übrigens recht angenehm und ich erfreue mich an der Blumenpracht, die so unschuldig und moralisch unbedenklich daherkommt.

Update: So, jetzt ist auch die Service Insiders-Kolumne abrufbar 🙂

Auf der Suche nach dem virtuellen Concierge

„Vor fünf Jahren hat Steve Ballmer den Erfolg des seinerzeit kurz vor der Veröffentlichung stehenden iPhone angezweifelt. Heute setzt Apple allein mit seinem Smartphone mehr um als der gesamte Microsoft-Konzern“, schreibt Wiwo-Redakteur Michael Kroker in seinem Blog.

Zum Potenzial des Apple-Smartphones sagte Ballmer Thomas Kuhn und Kroker folgendes:

Im Gegensatz zu Microsoft bewegt Apple schon mit einer bloßen Produktankündigung die Märkte, wie zuletzt beim iPhone.

„Geschenkt, dennoch ist das iPhone nur ein gewöhnliches Telefon…“, so Ballmer.

Was sei denn faszinierend an dem Gerät? Das Design?

„Es gibt viele gut designte Mobiltelefone, die nicht von Apple stammen.“

Kuhn/Kroker: „Vielleicht kommen wir hier dem Problem näher: Man muss nicht der Erste in einem Markt sein, benötigt dann aber ein Produkt, das die Menschen begeistert.“

Ballmer: „Außer der Marke hat Apple nichts in petto, was andere Anbieter nicht auch zu bieten hätten. Daher garantiere ich Ihnen, dass sich das iPhone nicht sonderlich verkaufen wird. Beim iPod war das anders, weil er auf einzigartige Weise mit einer Musikbox-Software und einem Online-Musikshop verknüpft war. Dieses integrierte Modell hat Apple als Erster eingeführt.“

Der Handymarkt war niemals derart integriert und könne es auch nicht sein.

„Es sind verschiedene Unternehmen, welche die Telefone produzieren und die Netze betreiben. Dadurch ist es von Natur aus ein Markt mit verschiedenen Teilnehmern. Apple verlangt 500 Dollar für ein durch einen Vertrag subventioniertes Gerät. Und nehmen wir an, Apple würde davon sogar eine Menge verkaufen – ich sage nicht, sie würden das nicht schaffen. Pro Jahr werden aber derzeit 1,2 Milliarden Handys verkauft. Bei einem derartigen Preis wird es Apple kaum gelingen, davon einen signifikanten Anteil zu erobern. Microsofts Anspruch mit Windows Mobile lautet dagegen, Hunderte Millionen Geräte jährlich zu verkaufen“, bemerkt Ballmer.

Tja, so kann man sich irren. Lachhaft ist das für Ballmer bestimmt nicht mehr.

Aber wie sehen nun die Zukunftschancen von Apple aus. Wer schafft es zuerst, Smartphones als persönlichen Assistenten zu etablieren, der mir perfekten Concierge-Service bietet?

Manja Baudis hat das gestern im Smart Service Blog thematisiert: Her mit den Sprachassistenten!

Gesucht wird ein persönlicher digitaler Assistent, der uns und unsere Bedürfnisse kennt, uns rund um die Uhr zur Seite steht, uns informiert, an Termine erinnert, uns weckt oder gekonnt an einem Stau vorbei manövriert – so lauten zumindest die Versprechungen von Apple, Samsung und Google.

„Mit der Erkennung der Spracheingabe gehen wohl alle Systeme mehr oder weniger gleich und mehr oder weniger gut um. Hinter Apples Siri steckt der Sprachtechnologie-Gigant Nuance, Samsung greift auf Vlingo zurück, das mittlerweile ebenfalls zu Nuance gehört, und Google arbeitet mit dem eigenen Erkenner. Dabei tut Google es jetzt auch offline und schickt nicht mehr alle Sprachdaten zur Verarbeitung auf die eigenen Server“, so Manja.

Wer macht nun das Rennen?

„IT-Analyst Gene Munster vom US-Analysedienst Piper Jaffray vergab in seinem Vergleichstest an Siri die Schulnote Vier. Google dagegen erhielt eine Zwei Plus: ‚Siri hängt Google gefühlte zwei Jahre hinterher‘, kommentierte Munster die Ergebnisse seiner Testreihe, bei der seine Assistenten und er auf den belebten Straßen der Innenstadt von Minneapolis Fragen an die digitalen Assistenten richteten und die Antworten auswerteten.“

Das ist wohl nur eine Momentaufnahme. Es damit der Wettlauf nun schon entschieden? Ich glaube nicht. Entscheidend wird sein, was sich unter der Haube der sprachgesteuerten Assistenten abspielt. Also die Kombinatorik mit Apps für Wetter, Kalender, Navigation, Kontakte, Notizen, GPS-Ortung und so weiter.

Da sehe ich Google noch nicht im Vorteil. Und Microsoft? Die müssen erst einmal im Mobile Business wieder auf die Füße kommen. Oder was meint Ihr? Ich möchte das in meiner Dienstagskolumne für Service Insiders vertiefen. Meinung gefragt bis Montagabend. Gern auch über Telefoninterviews.

Warum die Firmen-Chefetagen die App-Economy verpennen

In Vorbereitung meiner morgigen Kolumne für den Fachdienst Service Insiders habe ich ein Interview mit Professor Lutz Becker von der Karlshochschule über die App-Economy geführt:

Musikmanager, Tourismus-Anbieter, Videotheken-Besitzer, Verleger oder Taxizentralen behaupten solche Abwehrargumente nicht mehr: Die von Apple-Gründer Steve Jobs geschaffene App-Economy pflügt derzeitig eine Vielzahl von Branchen um. Der iPhone-Marktstart am 9. Januar 2007 wird nach Ansicht von Professor Lutz Becker als Beginn einer neuen disruptiven Innovationswelle in die Technologie-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte eingehen:

„Mit dem iPhone kamen die Apps. Glaubt man den Prognosen von Forrester Research, wird das kombinierte Geschäft für mobile Anwendungen, Services und Business-Management im Jahr 2015 ein Volumen von knapp 55 Milliarden US-Dollar erreichen“, schreibt Becker gemeinsam mit Friederike Schmitz in dem Sammelband Informationsmanagement 2.0 (im symposion-Verlag erschienen).

Das App-Prinzip wirbelt die Kräfteverhältnisse von etablierten Wirtschaftsgrößen kräftig durcheinander, etwa die Personenbeförderung:

„Drückt man einen Knopf auf meinem iPhone, fährt einige Minuten später ein Taxi vor – eine Entwicklung, diese Voraussage darf man wagen, die die Branche auf Dauer verändern und zu Konzentrationsprozessen führen wird“, erläutert Becker.

Entscheidend ist die Kombinatorik von unterschiedlichen Diensten, die der Kundenservice des analogen Zeitalters so nicht vornehmen konnte.

„GPS, Apps und andere Gadgets machen Geschäftsmodelle möglich, die die bestehenden Paradigmen nicht nur in Bezug auf Markt und Wettbewerb, sondern auch auf Wertketten und Organisation im Unternehmen über den Haufen werfen – und wir stehen erst ganz am Anfang“, betont Becker. Wichtig ist vor allen Dingen die Immaterialität, mit der bestehende Grenzen eingerissen werden. Warum soll ich denn noch in die Videothek marschieren, um mir eine DVD auszuleihen, wenn die Apple-TV-Box am Fernseher alles Nötige bietet und sogar über das bestehende Angebot hinaus geht – wie Vorschau, Suchfunktionen oder längere Mietzeit. Die App-Economy, so Becker, lässt traditionelle Industrieprodukte und Dienstleistungen smart werden.

In Blogs gab es schon Reaktionen auf das Becker-Interview. So schreibt Helfried Schmidt vom PT-Mittelstandsmagazin:

Was Becker im Gespräch mit Sohn erläutert, lässt sich so zusammenfassen: Die App-Ökonomie läutet eine weiteren Evolutionsstufe in der globalen kollaborativen Arbeitsteilung ein. Sie wirkt als Chancengenerator.

C. K. Prahalad und M. S. Krishnan hatten in ihrem 2009 erschienenen Buch „Die Revolution der Innovation. Wertschöpfung durch neue Formen in der globalen Zusammenarbeit“ die Entwicklung der globalen Ökonomie mit einer frappierend einfachen Formel beschrieben: N = 1 und R = G. Darin verbirgt sich ein neues Modell der Wertschöpfung, das dem des Industriezeitalters diametral entgegengesetzt ist. Der einzelne, mündige Mensch steht nunmehr im Mittelpunkt, nicht die anonyme Verbrauchermasse. N=1 bedeutet die Dominanz individueller Kundenerfahrung. R=G bedeutet, dass beim Umsetzen dieser Dominaz in Geschäftsmodelle die Ressourcen im Gegensatz zu früher globalisiert sind. Das ist exakt das Gegenteil von dem, was zu Zeiten von Henry Ford galt.

Die App-Ökonomie wird das Verhältnis von Stakeholdern und Shareholdern weiter umkehren. Künftig dominieren Menschen am Markt gegenüber dem Kapital. Wir gehen auf eine Möglichkeitsökonomie zu, in der der Kunde nicht mehr „betroffener“ Verbraucher ist (der vom Staat vor Willkür geschützt werden muss), sondern ein in seinen Möglichkeiten „entfalteter“ Bürger. Die App-Ökonomie fördert die Persönlichkeits- und Freiheitsentfaltung des Menschen wie nie zuvor.

Doch zuviel Freiheit macht Angst. Das geht nicht nur Tieren so, die nach einem Leben hinter Gittern trotz offener Käfigtür häufig den Zoo nicht verlassen. Das geht auch den Menschen und den Unternehmen so, für deren Marketingfachleute Social Media immer noch eher eine unbeeinflussbare Störgröße darstellt. Freiheit will eben gelernt sein.

Diese Entwicklung wird auch den Umgang mit Plänen, Planungen und Controllingillusionen verändern. Früher wurde versucht, bei Abweichungen vom Plan die Wirklichkeit neu zu bewerten und an den Plan anzupassen. Künftig werden Pläne als Instrumente begriffen, die Abweichungen produzieren, aus denen man lernen kann, meint Lutz Becker und fordert zum Umdenken auf: „Die meisten Unternehmen haben große RIsikomanagementabteilungen, aber kaum eines hat ein Chancenmanagement.“

Soweit Helfried Schmidt.

Und Marketingprofessorin Heike Simmet bringt einen Blogpost mit der Überschrift: Kundenservice auf dem Weg in das Outernet: Willkommen in der Augmented Reality.

Software kann heute Informationen semantisch verarbeiten. Sie versteht somit den Kontext einer Information. Kundenservice kann durch die Nutzung der Kontextinformation Ort, Zeit und Benutzerprofil für einen deutlich individuelleren Kundenservice sorgen, der nicht nur für Kundenzufriedenheit, sondern zu Kundenbegeisterung im Sinne des Customer Experience Managements (CEM) an allen Touchpoints des Kundenkontaktes führen kann. Ein Kundenbedürfnis nach Service lässt sich sogar bereits im Vorfeld erfassen. So ergibt die Information verspäteter Flug in Verbindung mit der Ticketbuchung und dem aktuellen Benutzerprofil die Chance, dem Kunden automatisch passende Informationen über alternative Verbindungen und Anschlüsse mit anderen Verkehrsmitteln auf das Smartphone zu übermitteln und auf diesem Wege zu einer individuellen Problemlösung für den Kunden beizutragen.

Und etwas später schreibt Simmet:

Die Verbreitung von Mobile Web Applikationen und die selbstverständliche Nutzung von Smartphones lassen in der neuen Web Economy umfassende Serviceleistungen, die jederzeit und an jedem Ort abrufbereit sind, in Zukunft zu einer Voraussetzung eines qualitativ hochwertigen Kundenservices werden. Gerade für die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen ist die konsequente Integration dieses Kommunikationskanals mittlerweile eine Basisvoraussetzung für das Zustandekommen von Kundendialogen.

Und Marketingfachmann Harald Henn gibt zu Protokoll:

Die Pferdedroschken Besitzer haben die Bedeutung des Automobils unterschätzt, die Maler die Bedeutung der Fotografie, die Drucker die Bedeutung des Internet, usw. Der jetzigen Generation an Management und IT-Verantwortlichen fehlt die Vorstellungskraft und der Mut, sich eine App-Welt zu denken. Im Weltbild einer zentral gesteuerten IT Landschaft haben Satelliten-Anwendungen, die sich verselbständigen – noch – wenig Platz.

Die Wirklichkeit im Markt und bei den Kunden schreitet viel schneller voran als die IT-Wirklichkeit in den Unternehmen. Das ist eine völlig ungewohnte Situation für die Unternehmen. Und dabei stehen wir erst am Anfang. Die Verbindung der unterschiedlichen technischen Möglichkeiten – augmented reality – eröffnet völlig neue Perspektiven. Und die Entwicklung wird exponentiell voranschreiten; so wie dies in anderen Märkten in der Vergangenheit auch bereits geschehen ist.

Weitere Meinungen zu den Thesen von Becker? Dann per Mail schicken an: gunnareriksohn@gmail.com. Oder die kleine Blogparade fortsetzen. Reaktionen benötige ich bis heute Abend. Kolumne werde ich heute abgeben, da ich morgen zum Social Commerce-Kongress nach Amsterdam fahre.

Siehe auch:

Laienspieler in der App-Economy: Warum Firmen ihre Kultur fürs Mobile Business ändern müssen.

Abstürzende Applikationen: Die Kehrseite der App-Economy – Chip Online startet Testreihe.

App-Economy: Marketinggeschwafel statt Kundendialog.