#2018 – Das Jahr der Livestreaming-Projekte: Es zählt der Augenblick und nicht die Inszenierung #MediaCampNRW @digitalnaiv @MediaLabNRW @tknuewer

Folgt man den Prognosen von Thomas Knüwer, so erlebten wir in diesem Jahr einen Niedergang der Videobegeisterung und des Livestreamings:

„Auch hier würde ich mir einen Punkt geben. Nur mein Ex-Arbeitgeber ‚Handelsblatt‘ strunzt noch mit seinem neuen Videostudio. Ansonsten aber scheinen mir die Bewegtbildaktivitäten der Verlage bestenfalls zu stagnieren, eher rückläufig zu sein. Und Live-Streaming – gibt es das eigentlich noch? In der Welt des Marketing werden weiterhin Videos produziert, doch auch hier scheint mir die Quantität deutlich gesunken zu sein. Marken realisieren, dass sie angesichts der insgesamt hohen Webvideo-Qualität nur mit wirklich guten Ideen eine Chance haben, im Web Zuschauer zu finden.“

Ich weiß nicht, auf welcher Datenbasis diese Aussage beruht. In dieser apodiktischen Form sind die Aussagen aber falsch. Nur noch das Handelsblatt strunzt mit einem neuen Videostudio? Quatsch. Die taz investiert kräftig in Videoformate und hier vor allem in Livestreaming („gibt es das eigentlich noch?“): „Wir stellen in der Redaktion fest, dass wir durch unsere Live-Berichte neue Leserinnen und Zuschauer gewinnen, die sich zuvor nicht für die taz interessierten und die nun mit Leidenschaft das Projekt der taz unterstützen“, schreibt taz-Reporter Martin Kaul in einem Gastbeitrag für das djv-Magazin „journalist“.

Es sind keine mit großem Budget produzierten Sendungen, keine aseptischen Studio-Aufsager, sondern Berichte mit dem Smartphone: Unformatiertes und rohe Zeugnisse der Geschehnisse. Es zählt der Augenblick und nicht die Inszenierung.

Das ist für den Journalismus essentiell und auch für die Unternehmenskommunikation. Es gehe darum, so Kaul, etwas Relevantes, das geschieht, zu begleiten und sofort zu zeigen. „Das heißt: die Bilder des Geschehens auszuwählen, die Protagonisten, die Stimmung, die vermeintlichen Nebensächlichkeiten, die aber doch für etwas stehen.

Das muss nicht immer die Weltsensation sein, eine Katastrophe oder Überraschung. Es können auch weniger spektakuläre Ereignisse genutzt werden, um das Live-Geschehen zu transportieren. Das gilt für Kongresse, Konferenzen, Messen, Workshops, Ausstellungen, Podiumsdiskussionen, Interview oder Talk-Runden. Charmant sei dabei, etwa via Periscope, eine direkte Kommunikation mit den Zuschauern zu ermöglichen, schreibt Kaul. Das ist nicht nur charmant, das ist die Essenz der Live-Berichte. Die unverfälschte Interaktion mit der Netzöffentlichkeit, die Möglichkeit zur Live-Diskussion über Chats oder sonstige Kommentarfunktionen ohne Freigabeschleifen. Einen weiteren Pluspunkt sehe ich in Möglichkeiten, hinter die Kulissen schauen zu können. Kaul sieht es gar als Chance, ein besseres Verständnis für die Produktionsweisen des Mediengeschäftes zu vermitteln und Vertrauen in den Journalismus wiederherzustellen. Das sei einer der Gründe, weshalb die taz die Live-Formate für interessant und ausbaufähig einstuft. Und das gelte nicht nur für Demonstrationen, Großveranstaltungen und politische Auseinandersetzungen. Live-Formate haben generell das Potenzial, die Welt authentisch zu zeigen und mit Zuschauerinnen und Zuschauern in direkten Kontakt zu treten.

Man könne ungeschnitten am Ort des Geschehens sein, so Kaul. Und da sei auch ok, wenn es mal wackelt:

„Im Leben, lehrt uns das Leben, wackelt es ja auch“, resümiert Kaul.


Für mich war 2018 jedenfalls DAS JAHR der Livestreaming-Projekte. Noch nie konnte ich so viele interessante Live-Formate für Kunden entwickeln: Für IBM (spannende Talks, Konferenzen, HR-Festival auf der re:publica und das Livestudio auf der Cebit), für die Bundeszentrale für politische Bildung (#StreamingKonferenz – größte Konferenz für politische Bildung, die je stattgefunden hat: 46 Sprecherinnen und Sprecher, 40 Konferenzschaltungen, 31 Standorte von Tiflis bis Berlin sowie Bonn, rund 20 Stunden Videomaterial, 12 Stunden Livestreaming mit Moderation, 4 Außenreportagen in Bonn und rund 30.000 Abrufe der Videos am Ende des Projekttages; dann das Festival Politik im freien Theater in München mit Talks, Theaterkritiken um Mitternacht, Blick hinter die Kulissen; Formate, mit denen man Akteure hautnah erleben und politische Botschaften direkt debattieren konnte), für die IHK-Koblenz, für die Fachmesse Zukunft Personal Europe mit Keynotes und dem Studio Z, für den Weiterbildungstag mit spannenden Einblicken in die Welt der Bildungsträger), für Colloquium European Societies in digital Age, für die Zukunftskonferenz in Essen, für die Next Economy Open als virtuelles Konferenzformat für wirtschaftswissenschaftliche Diskurse, für den Finanzdienstleister SKP auf der Caravan Messe in Düsseldorf mit einem elftägigen Livestreaming-Marathon und unterhaltsamen Interviews von Joey Kelly bis Manuel Andrack.

Die auf der Caravan-Messe gemachten Erfahrungen verarbeitete ich für meine monatliche Netzgedanken-Kolumne im prmagazin (Ausgabe Oktober 2018). Hier als kleiner Service die komplette Printversion:

Live ist live, so lautet das PR-Credo von Lars M. Heitmüller, Leiter Marketing und Kommunikation bei S-Kreditpartner in Berlin.

„Das Gefühl, live dabei zu sein und etwas just in dem Moment zu sehen, in dem es passiert, gibt dem Zuschauer ein ganz anderes Gefühl als sich mit zeitlichem Abstand geschnittenes Video-Material aus der Konserve anzuschauen.“ Es passt zur Dialogform in Echtzeit, die wir im Social Web immer mehr einfordern. Die Grundlage für seine Strategien zieht Heitmüller aus dem Cluetrain Manifest, dass schon 1999 das Ende der Geheimnisse proklamierte. „Die vernetzten Märkte wissen über die Produkte der Unternehmen mehr, als die Unternehmen selbst. Ob die Nachricht gut oder schlecht ist, sie wird weitergegeben.” Der Tod der One-Voice-Policy und wesentlicher Gatekeeper sei also keine neue Erkenntnis. „Aber Social Media und die Pluralität der Plattformen haben dazu beigetragen, dass dies offensichtlich wird. Das Live-Zeitalter lebt von der Pluralität der Perspektiven und Kompetenzen. Eine künstliche Verkürzung auf eine ‚regulierte‘ Stimme passt nicht mehr in die Zeit“, betont Heitmüller gegenüber dem prmagazin. Kunden seien zunehmend genervt, wenn sie primär als Rezipienten von Werbung verstanden werden. „Transparentes und dialogorientiertes Verhalten von Unternehmen wird hingegen geschätzt. Man will teilnehmen und mitwirken“, so der Kommunikationsexperte aus der Sparkassen-Finanzgruppe. Als ein Baustein sieht er Livestreaming-Formate.

Sie können können Unternehmen dabei unterstützen, Communities aufzubauen und eine Vertrauensbeziehung zu wichtigen Stakeholder zu entwickeln und zu pflegen. „Livestreaming senkt die Kommunikationsschwelle nicht nur in Richtung des Kunden, sondern auch nach innen. Wer bringt Dinge am besten auf den Punkt? Wer spricht am unterhaltsamsten? Live-Formate wecken ungeahnte Kommunikationstalente in allen Teilen des Unternehmens. Mitarbeiter bekommen eine Bühne und können sich als Markenbotschafter wirkungsvoll positionieren. Ideal für das Employee Empowerment wie für das Employer Branding: Es sollte die neue Lieblingsplattform aller Personalleiter sein. Schließlich hat Livestreaming die Kraft, die ganze heterogene Kraft eines Unternehmens sichtbar zu machen. Das stärkt die Kultur der Organisation“, meint Heitmüller.

Frei nach dem Motto: “Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß”: Unternehmen besitzen eine Vielzahl von bedeutenden Informationen und Kompetenzen, die im Alltag oft unter der Wahrnehmungsschwelle bleiben. Livestreaming könne einen Beitrag dazu leisten, diese zu heben und sichtbar zu machen, resümiert Heitmüller. 

Solche Live-Formate sind nicht nur für die Unternehmenswelt ein probates Mittel. Gleiches gilt für den Journalismus. Das machte Jay Rosen in einem Beitrag für die FAZ deutlich. „Brief an die deutschen Journalisten“ heißt das Opus:

„Ich werde derjenigen deutschen Redaktion eine Goldmedaille verleihen, die als erste ihre Schwerpunkte in der Berichterstattung öffentlich macht. Ich stelle mir eine Live-Funktion vor, die online frei zugänglich ist, ein redaktionelles Produkt, das wöchentlich oder bei wichtigen Ereignissen aktualisiert wird. Die Punkte auf dieser Prioritätenliste sollten das Ergebnis gründlicher Überlegungen und sorgfältiger Recherchen sein – und natürlich müssen sie die Realität spiegeln und bei den Bürgern ankommen. Wenn jemand in aggressivem Ton fragt: ‚Und was ist Ihre Agenda?‘, schicken Sie ihm einfach den Link. Wenn er nicht zufrieden ist, bitten Sie ihn um Verbesserungsvorschläge. Das böte unter anderem den Vorteil, dass die Notwendigkeit echter redaktioneller Vielfalt sofort sichtbar würde.“

Selbst Redaktionskonferenzen könnten ab und zu im Live-Modus mit Beteiligung der Leserschaft ablaufen. Auch das erhöht die Bindung. Soweit die Netzgedanken-Kolumne. Meine Erfahrungswelt widerspricht der Jahresprognose von Thomas Knüwer. Der Punkt geht definitiv an mich – so unbescheiden möchte ich das mal ausdrücken. Und die nächsten Aufträge für 2019 liegen schon vor. Es geht weiter mit Live-Formaten – hoffentlich auch im Journalismus.

Das ist übrigens dann auch mein Sessionvorschlag für das #MediaCampNRW am 12. Januar in Oberhausen: Ungeschnitten und direkt – Der diskrete Charme des Livestreamings.

Man hört, sieht und streamt sich 2019 . Ich wünsche Euch einen guten Rutsch ins Neue Jahr 🙂

Siehe auch: Das Ende der Videobegeisterung im Marketing und bei Medien, meint @TKnuewer

Update – Reaktionen im Netz:

„Enjoy Racism“ erhält 15.000 Euro dotierten Preis von der Bundeszentrale für politische Bildung #reich

Am 11. November ging die 10. Ausgabe von Politik im Freien Theater in München zu Ende. Die Jubiläumsausgabe des von der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb initiierten Festivals wurde in Kooperation mit den Münchner Kammerspielen und dem Spielmotor München e.V. / Spielart Festival ausgetragen. Es stand unter dem Motto „reich“.

Die Macher ziehen nach elf Festivaltagen eine positive Bilanz:

„Politische Bildung und Freies Theater sind eine produktive Allianz eingegangen und qualifizieren innovative Theaterformen als Kommunikationsräume öffentlicher Angelegenheiten“, so Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung.

Die knapp 140 Veranstaltungen im Haupt- und Rahmenprogramm erfreuten sich eines regen Publikumszuspruches. Die 14 Gastspiele aus der Freien Theaterszene waren fast ausnahmslos ausverkauft und boten dem Publikum die Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit dem Begriff des Politischen auf eine teilweise verstörende und gleichzeitig äußerst produktive Art und Weise.

„Es ist gelungen, ein aktuell brennendes politisches Thema auf der Bühne und in zahlreichen Veranstaltungen des Rahmenprogramms so aufzubereiten, dass es den Nerv des Publikums getroffen hat. Das freut uns sehr“, so Krüger.

Zum Abschluss wurde der mit 15.000 Euro dotierte Preis, der als Zuschuss für eine Gastspieltournee in Deutschland dient, an die Schweizer Gruppe Thom Truong vergeben. „Enjoy Racism“ ist eine Provokation, die selten zu erleben ist. Die Show führt vor, wie einer privilegierten Mehrheitsgesellschaft oft gänzlich das Verständnis dafür verschlossen bleibt, was Rassismus für die Betroffenen bedeutet und dadurch auch selbst Rassismus reproduziert.

„Diese Selbsterkenntnis ist bitter, aber ein erster Schritt zu einer konsequenten Auseinandersetzung mit Diskriminierung“, begründete die Preisjury bestehend aus der Autorin Katharina Adler, der Schauspielerin Julia Riedler und dem Regisseur Rudi Gaul ihre Wahl.

„Wir sind sehr erfreut über den großartigen Besuch des Festivals ‚Politik im Freien Theater‘. Umso mehr unterstreicht das die Notwendigkeit eines Produktionshauses für die freie Szene in München, wie es für das Kreativquartier in Planung ist. In den Nullerjahren hat sich das Freie Theater gleichberechtigt neben das Stadttheater gestellt. Jetzt geht es darum, dafür ein Netzwerk zu schaffen, das in allen großen Städten vertreten ist. Die eingeladenen Produktionen zeigen auch, dass es ein Angebot gibt, das es lohnt, gezeigt zu werden“, so so Matthias Lilienthal, Intendant der Münchner Kammerspiele.

Ein umfangreiches Jugend- und Schulprogramm sowie zahlreiche Rahmenveranstaltungen begleiteten die Theateraufführungen. So forschten z.B. im Rahmen des interdisziplinären Schulprojektes München XXL, gefördert durch die PwC-Stiftung, knapp 250 Kinder und Jugendliche bereits ab September zu Wert(en) und dem Leben in einer wohlhabenden Stadt.

Das Resümee von Festival-Kurator Christoph Gurk:

Preisverleihung:

Reichtum und Eliten:

Soziaethiker über Armut und die Rolle der Großkirchen

#FestivalFrühschicht mit Daniel Kraft:

Vorkaufsrecht oder Mietpreisbremse, Kapitalanlage oder Spekulationsobjekt: Die Mieten steigen unaufhörlich und der akute Mangel an Sozialwohnungen bringt viele Menschen in existentielle Bedrängnis. Vielerorts stehen Bund, Länder und Kommunen für eine verfehlte Wohnungspolitik. Wenn Wohnraum mehr und mehr zur Ware wird, müssen wir über alternative Modelle für die Zukunft nachdenken:

#FestivalUpdate Anne Paffenholz zum Jugend & Schulprogramm:

#FestivalUpdate Schnippelparty:

#FestivalUpdate mit Milena Mushak, Festivalleiterin:

#Weltbewusst – Konsumkritische Stadtführung

Drohnen-Fotografie:

Rechte Räume in München:

#FestivalUpdate Science Slam:

Unequal Scenes: Interview mit Johnny Miller #Photography:

#Reich – Über wirtschaftliche, kulturelle und soziale Ungleichheit: Ausblick auf das Festival „Politik im Freien Theater“

Am 1. November startet in München die 10. Ausgabe von „Politik im Freien Theater“. Das Festival, eine Kooperation der Bundeszentrale für politische Bildung mit den Münchner Kammerspielen und dem Spielmotor München e.V. / Spielart Festival, findet erstmals in Bayern statt.

Das Festival ist nach eigenen Angaben ein Spiegel der politischen und gesellschaftlichen Lage und bietet zugleich einen Überblick über aktuelle Theaterästhetiken. Unter dem Motto „reich“ haben Festivalbesucher die Möglichkeit sich in 14 Theatergastspielen und über 70 Rahmenveranstaltungen mit Fragen nach wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Ungleichheit auseinanderzusetzen – in München, Deutschland und der Welt.

So beschäftigt sich beispielsweise der in Brüssel ansässige Choreograf Michiel Vandevelde mit der Frage, was von der damaligen Aufbruchsstimmung der 68er Bewegung übrig geblieben und ob politisches Theater heute überhaupt noch möglich ist. Gemeinsam mit 13 Jugendlichen der belgischen Theatergruppe fABULEUS nimmt er die historische Performance „Paradise Now“ des Living Theatre zum Ausgangspunkt seiner Suche. Das Stück eröffnet das Festival am 1. November um 19.30 Uhr in Kammer 1 der Münchner Kammerspiele, und ist ebenfalls am 2. November um 19 Uhr zu sehen. 

Wo oder was ist der Balkan? Die Performer von God’s Entertainment (Wien) laden in ihr Dorf-Setting ein, durch das sich die Besucher frei bewegen können. Gemeinsam wird erforscht, was den Balkan ausmacht, diesen Zwischenort, an dem die islamische und europäische Welt aufeinanderprallen und unterschiedliche Ethnien und Religionen eng zusammenleben. „Convakatary Konak“ findet am 3. November um 21 Uhr, am 5. November um 20.30 Uhr und am 6. November um 19 Uhr statt, der Treffpunkt ist vor Kammer 1.

Die mexikanische Schauspielerin und Regisseurin Laura Uribe befasst sich in „Mare Nostrum“ mit der Situation der Migranten und Vertriebenen, die vor dem Bürgerkrieg zwischen der kolumbianischen Regierung und den paramilitärischen Verbänden der FARC-EP in die USA fliehen. Die mexikanisch-kolumbianische Produktion zieht dabei Parallelen zu den aktuellen Tragödien auf dem Mittelmeer und in Syrien. Das multiperspektivisch erzählte Theateressay ist nur am 4. November um 15 Uhr zu sehen.

Einer der zahlreichen im Rahmen des Festivals angebotenen Stadtspaziergänge befasst sich mit „Rechte Räume im München – Von der Hauptstadt der Bewegung bis zur Gegenwart“. Für die Nationalsozialisten war München – als „Hauptstadt der Kunst und Bewegung“ – eine der wichtigsten Städte im Dritten Reich. Der Rundgang führt am 2. November ab 9 Uhr zu baulichen Überresten der NS-Zeit und rechten Schauplätzen von heute. 

Im Anschluss an die Eröffnung am 1. November stellen vier Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen im Science Slam ab 22.30 Uhr in Kammer 1 ihre Forschungen zum Thema „reich“ vor. Jeder Redebeitrag darf nicht länger als zehn Minuten dauern, anschließend entscheidet das Publikum, welche Darbietung ihm am besten gefallen hat. Beim Slam muss Wissenschaft lehrreich und unterhaltsam zugleich sein. Die insgesamt 14 Gastspiele sind, wie auch das Begleitprogramm, an Veranstaltungsorten überall in München zu erleben. Zu den Spielstätten gehören die Münchner Kammerspiele, die Schauburg, das Muffatwerk, Pathos München/Schwere Reiter, HochX und viele mehr. 

Tickets für das Gastspielprogramm kosten 15 Euro / 8 Euro ermäßigt und sind ab sofort online und über die Theaterkasse der Münchner Kammerspiele erhältlich. Sofern nicht anders angegeben, sind alle Rahmenprogrammpunkte kostenfrei!

Und ich werde das Ganze mit Liveübertragungen begleiten – vom 1. bis 4. November und vom 9. bis 11. November. 

Am Freitag werden wir unsere Livestreaming-Ideen erörtern. Um 14:45 Uhr: 

Bitte mitdiskutieren auf Facebook 🙂

Man hört, sieht und streamt sich ab 1. November in München und am Freitag im Vorbereitungstalk.

Siehe auch:

ARM-REICH: Wie sich Eliten abschotten

Charme der ungeplanten Resonanz

In der Plattformökonomie geht es bekanntlich um die Verbindung von Neigungen und Interessen. Eigene Ressourcen und Kompetenzen reichen dabei nicht aus. Sie entfalten sich erst durch den Zugang zu Netzwerken. Nur so erreicht man ein neues Qualitätsniveau, das vergleichbar ist mit den Aufgaben eines Kurators, der sich nicht auf das Sammeln und Sortieren beschränkt. Es geht um „curare“ im Sinne von kultivieren, anbauen, in Form bringen und dafür sorgen, dass Menschen und ihr gemeinsames Umfeld gedeihen, so das Credo von Hans Ulrich Obrist, einer der einflussreichsten Ausstellungsmacher im internationalen Kunst- und Kulturbetrieb:

„Die Aufgabe des Kuratierens ist es, Verbindungen zu schaffen, dafür zu sorgen, dass verschiedene Elemente miteinander in Berührung kommen, selbst wenn es bisweilen schwierig ist, die Wirkung solcher Gegenüberstellungen exakt nachzuzeichnen.“

Obrist bezeichnet das Kuratieren als eine Form der Kartographie, die neue Wege durch eine Stadt, eine Kultur oder eine Welt eröffnet. Der Dandy, Verleger, Museologe, Politiker und Museumsdirektor Harry Graf Kessler knüpfte zwischen Künstlern, Architekten und Schriftstellern, organisierte Salons und bettete Kunst in einen breiteren sozialen und politischen Kontext ein.

„Er entwickelte einen wichtigen Aspekt der Tätigkeit des Kurators – verschiedene Welten miteinander zu vereinen – und praktizierte dies auch in anderen Bereichen“, erläutert Obrist.

Zufall, Unterschiede, Offenheit und Vielfalt sind die Essenz des Kuratierens und nicht die Zementierung einer festen Ordnung. So soll etwa das ciokurator.com-Blogprojekt ein Biotop für unerwartete Kombinationen sein. Alleingültige Weltsichten und autorisiertes PR-Blabla haben dort keinen Platz.

Man schafft virtuelle und reale Orte für Gespräche, Debatten, Disputationen und Denkanstöße. Letztlich geht es um den Charme der ungeplanten Resonanz, den Kontrollfreaks in der Unternehmenskommunikation so hassen. Resonanzbeziehungen hängen mit einer Vielzahl von kontextuellen Faktoren zusammen, schreibt Hartmut Rosa in seinem Buch (welche eine Überraschung) „Resonanz –Eine Soziologie der Weltbeziehung“.

So kann man Resonanzerfahrungen machen, die unerwartet kommen.

„Dass es beispielsweise zu einem wirklich verständigungsorientierten, berührenden Gespräch mit unserem Chef kommt, den wir für zutiefst unsympathisch hielten und dem wir mit einer (so dachten wir) rein strategischen Einstellung gegenübertraten; dass wir uns als Atheisten unversehens von einem religiösen Gefühl ergriffen fühlen; dass uns ein Konzert zu Tränen rührt, auf das wir uns nur aus Gründen des Sozialzwangs einließen; oder dass uns eine Arbeitsaufgabe richtig packt, die wir partout nicht machen wollten – all dies sind keineswegs fiktive Szenarien“, führt Rosa aus.

Umgekehrt ist die Überfrachtung der Resonanzerwartung ein zuverlässiger Hemmfaktor für deren Erfüllung. Wer alle Bedingungen kontrollieren will, scheitert in schöner Regelmäßigkeit. Es kommt schlechter als geplant. Berühmtestes Beispiel: DER WEIHNACHTSABEND – im Resonanzhafen der Familie ein Ort des Misslingens.

„Wir können uns dann gerade deshalb in die Musik, in das Gespräch, den Sonnenuntergang oder die Arbeit versenken, weil wir die Kontextbedingungen nicht kontrollieren und keine Erwartungen erfüllen müssen“, meint Rosa.

PR-Verantwortliche sollten das verinnerlichen und sich als Kuratoren für Resonanzräume verstehen und nicht als Dirigenten der Kommunikation.

Mit der Idee des Ateliers eine neue digitale Kultur begründen @bildungsdesign

Fantastisches ciokurator.com Interview mit dem Bildungsethiker Christoph Schmitt auf dem Watson Summit in Luzern zu seinem Konzept des Ateliers als Mittelpunkt einer urbanen digitalen Kultur jenseits des funktionalistischen Optimierungswahns von Protagonisten, die den arbeitsteiligen Industriekapitalismus mit digitalen Werkzeugen auf die Spitze treiben wollen. Im Mittelpunkt des Gesprächs steht das neue Buch von Christoph „Digitalisierung für Nachzügler“. Sehr lesenswert 🙂

Am Freitag werde ich in meiner Netzpiloten-Kolumne ausführlich über die Atelier-Idee schreiben.

Finale Planung für die Next Economy Open am 9. und 10. November #NEO17x – Mitmachen bei den virtuellen Sessions

Kurze Erläuterung des Status quo zur Next Economy Open.

Wir nehmen noch Session-Ideen auf 🙂

Einfach bei mir melden. Übe Blogkommentar, E-Mail: gunnareriksohn@gmail.com oder telefonisch: 0177 620 44 74.

Man hört, sieht und streamt sich bei der #NEO17x

Bildung ohne Unterricht und Ökonomik ohne Erbsenzähler #Sommerinterview mit @bildungsdesign

Die Mainstream-Ökonomen markieren eine merkwürdige Kampflinie gegen die pluralen Ökonomen: Für einige Professoren ist es eine Horrorvorstellung, dass die „Pluralen“ in ihr Fach nun Marxismus, Gender-Theorie oder Postwachstums-Ideen einschmuggeln könnten.

„Die Vertreter der sogenannten Pluralen Ökonomen wollen die Wirtschaftswissenschaft sturmreif schießen“, sagt Joachim Weimann von der Universität Magdeburg nach einem Bericht der FAZ. Viele Pluralismus-Vertreter hätten einfach keine Ahnung. „Sie beherrschen die Sprache und die Methoden der Ökonomen nicht, obwohl sie diese ständig kritisieren“, sagt Weimann.

Etwas ärmlich scheint die Replik, die sich immer noch in Kategorien der politischen Gesäß-Geografie bewegt. Siehe auch den Blogpost: Warum die Ökonomik sich wandeln muss.
Dabei gibt es gute Gründe, dass naturwissenschaftliche Gehabe der neoklassischen Wirtschaftstheorie mit ihrem pseudo-neutralen Habitus in Frage zu stellen.

Wirtschaftswissenschaft auf Excel-Tabellen-Niveau

Hier sehe ich die Notwendigkeit für eine Radikalkur. Die von den pluralen Ökonomen geforderte thematische Ausweitung des Studiums reicht dabei nicht aus. Es muss etwas anderes geben als die ökonomische Erbsenzählerei, bei der man die Bäume vor lauter Wald nicht erkennt. Es erscheint eine Flut von Fachartikeln, die alle im gleichen Stil verfasst werden: Diagramme, Excel-Tabellen (mit fatalen Folgen für die Politik-Beratung zur Euro-Krise: Thomas Herndon versus Reinhart/Rogoff – Wenn inkompetente Excel-Ökonomen irren und zur Tagesordnung übergehen) und pseudo-wissenschaftliche Prognosen durchfluten die Aufsätze, um an der akademischen Karriere zu feilen. Es fehlen sprachmächtige Analysen, großartige Monografien, verständliche Essays, diskursfreudige Utopien und geistreiche Einwürfe. Traditionelle Ökonomen sind nur noch langweilige Buchhalterseelen, die mit ihrer Empirie in den Rückspiegel schauen und Erkenntnisse für den Altpapier-Container produzieren.

Studium ohne Unterricht

(Nicht nur) BWL- und VWL-Studiengänge sollten wie Kunstakademien gestaltet werden. Diesen Vorschlag machte der Innovationsexperte Jürgen Stäudtner im #NEO16x Käsekuchen-Diskurs:

„Man hat an den guten Kunstakademien gar keinen richtigen Unterricht mehr. Es gibt ein Orientierungsjahr, in dem versucht man, seinen Weg als Künstler herauszufinden. Es wird erwartet, dass man sich die dafür notwendigen Fähigkeiten selber beibringt. Im Hauptstudium geht es dann rund drei bis vier Jahre nur darum, eigene Projekte durchzuführen, besser zu werden und an der Verbesserung seiner Fähigkeiten zu arbeiten.“

Leidenschaft für Veränderungen

Was generell im akademischen Gefilde fehlt, ist die Vorbereitung auf Unvorhergesehenes und die Leidenschaft für Veränderungen. Studierende an Kunstakademien brennen für ihre Themen:

„Beste Voraussetzungen also, um eine Disziplin zu lehren, die junge Menschen zur eigenen schöpferischen Arbeit und künstlerischen Identität finden lässt — Kunst ist nicht lehrbar, wohl aber künstlerische Techniken, Methoden und Forschungsstrategien“, sagt Stäudtner.

In drei bis endlos langen Jahren gehe es nur darum, eine eigene künstlerische Position zu beziehen und gegenüber seinem professoralen Mentor zu verteidigen. Viel Zeit, um Themen zu erproben und die Gesellschaft zu verändern.

Bestehende Grenzen und Beschränkungen des Denkens, Wollens und Handelns müssen gesprengt werden. Nur so kommt Neues in die Welt, ohne dem Gipsabdruck von karrieristischen Erbsenzählern der Ökonomik zu folgen.

Was sich generell im Bildungssektor ändern sollte, erörtere ich am Samstag, den 19. August, um 10 Uhr mit dem Schweizer Bildungsethiker Christoph Schmitt im Bonner #Sommerinterview. Man hört, sieht und streamt sich nächsten Samstag auf http://www.facebook.com/gsohn.

Vorher gibt es noch einen Livestream am Dienstag, den 15. August, um 18 Uhr zur Podiumsdiskussion über Rheuma & Arbeit.

Siehe auch:

Bildungsethik jenseits der Zeigestock-Pädagogik

So sieht es aus in unserer Bildungslandschaft: 7,5 Jahre Warten auf den Studienplatz – ist das legal?

Transformation ohne technokratischen Weihrauch #D2030 #FutureHubs @FuturICT

Führen wir in Deutschland die richtigen Diskussionen, wenn es um Digitalisierung und die Herausforderungen der kommenden Jahre geht? Diese Frage diskutierten rund 150 Teilnehmer auf der Zukunftskonferenz D2030 und in den begleitenden FutureHubs-Diskursen im Vorfeld der Berliner Tagung. Vieles geht an den Menschen vorbei. Ein breit angelegter gesellschaftlicher Austausch findet nicht statt. Entweder ist er wie beim NewWork-Geklingel zu elitär angelegt oder er findet gänzlich hinter verschlossenen Türen statt, wie bei den CETA- und TTIP-Verhandlungen.

Bringschuld für das Neue

Medien, Politik, Wirtschaft und soziale Initiativen haben aber eine Bringschuld des Neuen, sagte Professor Jutta Allmendinger, Präsidentin des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung (WZB). Das müsse mit einer viel größeren Ernsthaftigkeit und mit einem viel größeren Respekt gegenüber den Menschen ablaufen.

„Uns fehlt die Ernsthaftigkeit des ordentlichen Diskurses“, kritisiert Allmendinger. Es fehlt vor allem der Blick auf die Herausforderungen, die in der Agenda 2030 der Vereinten Nationen und im Pariser Klimaabkommen stehen, sagt Professor Dirk Helbing von der ETH Zürich.

Der Planungshorizont von 13 Jahren ist dabei geringer als beim Bau einer neuen Straße. Wenn wir eine kohlenstoffarme Wirtschaft mit einer Reduktion des Kohlendioxid-Ausstoßes um 40 bis 50 Prozent erreichen wollen, muss die Organisation der Volkswirtschaften neu erfunden werden.

Und das gelingt nur mit der Einbeziehung der Zivilgesellschaft.

„Soll der Staat das alles regeln und Ressourcen als wohlwollender Diktator zuweisen? Das ist ein Szenario, was wir nicht haben wollen. Wenn wir in Zukunft in Freiheit und Demokratie leben wollen, dann müssen wir das Nachhaltigkeitsproblem anders lösen“, betont Helbing in Berlin.

Das gelingt nur mit echten Innovationen und nicht mit dem Wahn der Optimierung. Und Innovationen brauchen Freiheit, sie brauchen einen Strukturwandel und eine Veränderung des Wirtschaftssystems.

Von der Reparaturökonomie zur Orientierungswissenschaft

„Das gelingt nur mit einer gesellschaftlichen Organisation im partizipativen Sinne. Wir können das nur gemeinsam bewältigen“, erläutert Helbing.

Hier ist eine viel größere Transformation zu bewältigen, die über den digital-transformatorischen Weihrauch hinausgeht, der von selbst ernannten technologischen Evangelisten auf Gadget-Niveau verbreitet wird. Die ganze Gesellschaft und nicht nur ein Kreis von Eingeweihten muss befähigt werden, diesen Kraftakt innovativ zu bewältigen. Dafür braucht man Labore für die Zivilgesellschaft, Städteolympiaden, Open Innovation und eine Kompetenzoffensive für den Einsatz von digitalen Werkzeugen. Nicht morgen, sondern heute.

„Dafür ist eine neue Art des Denkens, der Kultur und des Zeitgeistes für die gewünschten Szenarien erforderlich. Sie müssen in Geschichten übersetzt werden, die uns helfen, von dieser Zukunft zu träumen. Das muss sich in unseren Köpfen wie ein gutes Musikstück festsetzen. Etwas, was uns voranträgt. Da müssen auch Kunst und Kultur aktiviert werden, dass das für alle Menschen vorstellbar wird“, fordert Helbing.

Hausaufgaben hat zudem die Wirtschaftswissenschaft zu machen: Vonnöten sei eine transformative Ökonomie, die sich von ihren Rechtfertigungserzählungen löst, erläutert Professor Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal-Instituts. Sie müsse sich von einer Reparaturökonomie zur Orientierungswissenschaft weiter entwickeln:

„Plötzlich haben wir mit Null-Grenzkosten-Produkten und Produktivitätssprüngen zu tun, die das Maß vorangegangener technologischer Metamorphosen deutlich übertreffen. Jetzt würde man sich eine Ökonomie wünschen, die dazu Antworten entwickelt. Wie organisieren wir unseren Sozialstaat, was passiert mit der Geldwirtschaft im Zeitalter von Bitcoin, wie finanziert sich der Staat? Wo sind die Ökonomen als öffentliche Intellektuelle? Sie verkriechen sich lieber in ihren Boxen und machen tolle Experimente und wundern sich über die zunehmende Kritik an der Visionslosigkeit der Wirtschaftswissenschaften.“

Ethos ganzer Systeme

Reinhard Pfriem spricht im Interview zu recht von der Ökonomie als Möglichkeitswissenschaft, um Szenarien für die Zukunft zu entwerfen.

„Es gibt immer noch zu viele Sandkastenökonomen. Mein akademischer Lehrer Peter Ulrich hat das mal so schön gesagt: Wir brauchen ein Ethos ganzer Systeme. Wir müssen das immer auf einer höheren Ebene beurteilen“, so Lutz Becker, Studiendekan der Hochschule Fresenius.

Gleiches gelte auch für die Politik, sagt der Ökopionier und Unternehmer Jörg Heynkes in der FutureHubs-Diskursreihe.

„Es wird zwar von einer vierten industriellen Revolution gesprochen. Man ist ständig darum bemüht, das abzuleiten, was bei den vergangenen Ereignissen passiert ist. Eine ernsthafte Auseinandersetzung über das, was in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren auf uns zurollt, findet nicht statt.“

Das muss sich ändern. Wir setzen die Dialogreihe fort 🙂

Wie Mainstream-Ökonomen Kritiker abwatschen – Über die Abschottungstaktik der VWL-Formelkonstrukteure #NEO16x

Lektüreempfehlung für Mainstream-Ökonomen
Lektüreempfehlung für Mainstream-Ökonomen

Die Mainstream-Ökonomen markieren eine merkwürdige Kampflinie gegen die pluralen Ökonomen: Für einige Professoren ist es eine Horrorvorstellung, dass die „Pluralen“ in ihr Fach nun Marxismus, Gender-Theorie oder Postwachstums-Ideen einschmuggeln könnten.

„Die Vertreter der sogenannten Pluralen Ökonomen wollen die Wirtschaftswissenschaft sturmreif schießen“, sagt Joachim Weimann von der Universität Magdeburg nach einem Bericht der FAZ.

Viele Pluralismus-Vertreter hätten einfach keine Ahnung.

„Sie beherrschen die Sprache und die Methoden der Ökonomen nicht, obwohl sie diese ständig kritisieren“, sagt Weimann.

Etwas ärmlich die Replik, die sich immer noch in Kategorien der politischen Gesäßgeografie bewegt. Dabei gibt es gute Gründe, dass naturwissenschaftliche Gehabe der neoklassischen Wirtschaftstheorie mit ihrem pseudo-neutralen Habitus in Frage zu stellen: Man braucht sich nur die Kollateralschäden der Deregulierung anschauen, um die Werturteilsfreiheit, die in VWL-Lehrbüchern fast religiös gepredigt wird, werten zu können. Etwa beim Investment-Banking, beim Buchhaltungsrecht oder im Sicherheitssektor. Stichworte wie WorldCom-Pleite, Lehman-Untergang, Savings and Loans-Debakel, Enron-Arthur-Andersen-Skandal mögen da ausreichen. Wir könnten jetzt noch VW, Deutsche Bank, Thyssen, RWE und Co. hinzufügen. Es gibt kein Naturgesetz und keinen Automatismus in der Ökonomik, um für Wohlfahrt zu sorgen. Es sind qualitative Bedingungen, die auch ganz anders gestaltet werden können, meint der Astrophysiker und Naturphilosoph Harald Lesch in der Philosophie-Sendung von Richard David Precht.

Was kann man ändern jenseits der Erbsenzählerei, die sich in Algorithmen, ceteris paribus-Formeln und sonstigen von Menschen gemachten mathematischen Rechenexempeln verstecken.

Auch in Algorithmen verstecken sich Werturteile

Der Mensch ist viel mehr als die Summe von Daten, die die Wirklichkeit gewichten und somit manipulieren. Es gibt in der Ökonomik keine störungsfreie Laborsituation.

„Die Wirklichkeit wird durch qualitative Entscheidungen bestimmt“, sagt Lesch.

Mit den Methoden der Himmelsphysik, wo im luftleeren Raum alles funktioniert, kommen wir in der Gesellschaft nicht weiter. Jeder ist gefordert, seine Entscheidungen zu begründen und sich nicht hinter Formeln, Kennzahlen, Rankings, aufgeblähten Umsätzen und Renditen zu verstecken.

„Es muss grundsätzlich eine Änderung der Ökonomik herbei geführt werden, die nicht mehr von mechanistischen Paradigmen geprägt ist“, fordert Professor Claus Dierksmeier, Direktor des Weltethos-Instituts in Tübingen.

Auch Formelkonstrukteure müssen sich einem normativen Diskurs stellen

Es geht immer um Wertentscheidungen. Auch jeder ökonomische Formelkonstrukteur ist gefordert, seine Weltsicht zu erklären. Wer sich verweigert, Ziele für ein gutes Leben darzulegen, ist nicht in der Lage, einen wissenschaftlichen Diskurs zu pflegen. Ausführlich nachzulesen in meiner Netzpiloten-Kolumne.

Ich sehe die Notwendigkeit für eine Radikalkur an wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten. BWL- und VWL-Studiengänge sollten wie Kunstakademien gestaltet werden. Diesen Vorschlag machte der Innovationsexperte Jürgen Stäudtner im #NEO16x Käsekuchen-Diskurs:

„Man hat an den guten Kunstakademien gar keinen richtigen Unterricht mehr. Es gibt ein Orientierungsjahr, in dem versucht man, seinen Weg als Künstler herauszufinden. Es wird erwartet, dass man sich die dafür notwendigen Fähigkeiten selber beibringt. Im Hauptstudien geht es dann rund drei bis vier Jahre nur darum, eigene Projekte durchzuführen, besser zu werden und an der Verbesserung seiner Fähigkeiten zu arbeiten.“

All das ist auch in der Ökonomik möglich – in der BWL und in der VWL.

Wir sollten die nächste netzökonomische Debattenrunde in einer Kunstakademie machen – vielleicht trauen sich ja auch ein paar Mainstream-Ökonomen hin. Ist allerdings ein offenes Format ohne Sprachregelungen mit Liveübertragung – es gilt das gesprochene Wort. Für manche Establishment-Wissenschaftler vielleicht schon zu offen und nicht kalkulierbar. Man könnte zu schnell die heiße Luft spüren, die von den neoklassischen Ökonomen verbreitet wird.

Eure Meinung interessiert mich.

Siehe auch die Diskussion auf Facebook.