Bürgertelefon 115 gestartet – Das Merkelprojekt könnte in die Hose gehen

115 - Bei Anruf Service????
115 - Bei Anruf Service????
In Berlin, Köln/Bonn und dem Rhein-Main-Gebiet startet heute das Bürgertelefon 115, das vor drei Jahren beim IT-Gipfel der Bundesregierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel als Maßnahme zur Verbesserung der Verwaltungsdienstleistungen vorgestellt wurde. Insgesamt 10 Millionen Menschen kommen nun in den Genuss der neuen Nummer. Bundesweit soll der Telefonservice voraussichtlich 2014 verfügbar sein. Mehr als die Hälfte der telefonischen Anliegen sollen von Call Center-Agenten direkt beantwortet werden: Über ihre Computer können sie auf eine Datenbank mit den 150 häufigsten Fragen zurückgreifen. Wenn die Mitarbeiter allerdings keine Antwort wissen, werden die Anfragen weitergeleitet – der Kunde soll innerhalb von 24 Stunden einen Rückruf, ein Fax oder eine E-Mail bekommen.

In der Pilotphase kann man die 115 allerdings nur von Montag bis Freitag in der Zeit von 8 bis 18 Uhr anrufen bei einem Minutenpreis von sieben Cent. Danach solle der Service nach Angaben des Bundes-CIO Hans Bernhard Beus zu jeder Tages- und Nachtzeit angeboten werden. Auf eine Automatisierung werde man verzichten. Die Bürger würden nicht gerne mit einem Sprachcomputer reden. Das sei eine Vertrauensfrage. Branchenexperten gehen davon aus, dass die öffentliche Hand auf eine Kombination von persönlicher Beratung und Automatisierung nicht verzichten könne. „Wie in jedem anderen Call Center werden auch die Agenten des Bürgertelefons merken, dass es häufig wiederkehrende Fragen gibt, die sich mit einem natürlich-sprachlichen Dialogsystem sehr gut vorqualifizieren und automatisieren lassen. Damit könnten die Agenten von Standardanfragen entlastet werden und hätten auch Zeit für kompliziertere Anfragen, für die sie die Anrufer derzeitig weiterleiten müssen“, erklärt Lupo Pape, Geschäftsführer von SemanticEdge in Berlin.

Zudem seien die Staatskassen leer – das Bürgertelefon könnte sich schnell zu einem Kostenproblem auswachsen. „Mit der Weiterentwicklung von Technologie und Design bei den Sprachdialogsystemen in den vergangenen Jahren hat sich das Argument ‚Mensch-Mensch ist der bessere Service’ relativiert. Mensch-Mensch und Mensch-Maschine sind keine Alternativen mehr, sie spielen zusammen in einem optimierten, effizienten und kundenfreundlichen Telefonservice. Die aktuelle Werbekampagne von O2 bedient ein Klischee aus den Zeiten der alten Systeme mit einem starren Menü und sehr schlechter Spracherkennung. Mit der neuen Technologiegeneration hat das nichts mehr zu tun. Die Entscheider und Lobbyisten hinter dem Bürgertelefon, denen dieses Klischee auch bei der Konzeption des Bürgertelefons im Hinterkopf schwebte, werden sich in der Version 2.0 sehr ernsthaft mit den Automatisierungsmöglichkeiten natürlich-sprachlicher Dialogsysteme beschäftigen“, ist sich Pape sicher.

115 verharrt in der analogen Welt - Dienste der Zukunft sehen anders aus
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Darüber hinaus sei es nicht nachvollziehbar, dass man beim IT-Gipfel über Future-Internet, semantische Technologien und moderne Sprachsteuerung spricht und beim 115-Projekt völlig auf intelligente Selbstbedienungstechnik verzichtet. Hightech sehe anders: „Wer auf das so genannte ‚One-Stop-Government’ setzt, der muss damit rechnen, dass die Bürger das Angebot ernst nehmen und wirklich jedes Anliegen bis hin zum Zaunkrieg mit dem Nachbarn vorbringen. Ohne ein vernünftiges Automatisierungskonzept werden die Bürgertelefone heiß laufen und die Kosten explodieren“, warnt Bernhard Steimel, Sprecher der Nürnberger Voice Days und Customer Contact Days. Das Merkel-Prestigeprojekt könnte sonst in die Hose gehen.

Ich habe in Bonn heute einen Testanruf gemacht und bin sofort auf Granit gestoßen. Nach 15 Sekunden meldete sich eine Call Center-Dame in Köln mit Namen und dem Standardspruch „Was kann ich für Sie tun?“. Das gehört wohl mittlerweile schon zur „Servicekultur“ von allen Call Center-Anbietern. Ich fragte nach dem nächsten Abholtermin für Sperrmüll. Solche Anfragen werden wahrscheinlich im Vordergrund stehen. Sie suchte, suchte, suchte, fragte nach meinem Wohnort und fand nichts. „Haben Sie denn keinen Abfallkalender?“. „Nein, den habe ich verbummelt“, war meine Antwort – so etwas soll ja vorkommen. Wieder Schweigen und Suche. Dann der Verweis auf die Telefonnummer des Abfallwirtschaftsamtes in Bonn. Klasse, entspricht den Bedenken der Self Service-Kenner. So profane Daten müsste die 115 sofort ausspucken. Schwach.

5 Gedanken zu “Bürgertelefon 115 gestartet – Das Merkelprojekt könnte in die Hose gehen

  1. Ingo

    Kostenpflichtig und beschränkt auf die Zeit von 8 bis 18 Uhr – das ist typisch deutsch. Ich erwarte denselben Standard, den ich auch im Internet vorfinde. Mit Call Center-Agenten möchte ich mich nicht herumschlagen…:-(

  2. Teltarif hat noch einige sehr interessante Recherchen vorgenommen. So sollen 115-Anrufe vom Handy wesentlich teurer sein als die offiziell bekannt gegebenen sieben Cent pro Minute. „Fünf Minuten in der Warteschleife zu stecken, kann schon ganz schön teuer sein. Wer die einheitliche Behörden-Rufnummer über einen Prepaid-Tarif des Mobilfunk-Discounters callmobile anruft, kann dafür schon 2,50 Euro seines Guthabens verlieren. Bei unserer Anfrage, wo wir in Berlin einen neuen Reisepass ausstellen lassen könnten und welche Unterlagen wir dazu benötigten, dauerte das folgende Gespräch weitere sechs Minuten – macht insgesamt elf Minuten Gesprächsdauer bzw. 5,50 Euro Gesprächskosten in unserem Tarifbeispiel. Eine Anfrage zu den für eine Kfz-Zulassung benötigten Unterlagen und den Öffnungszeiten der Berliner Zulassungsstelle dauerte beispielsweise über vier Minuten bis zur Beantwortung nach anderthalb Minuten Warteschleife. Teilweise merkte man den Antworten aber auch an: Die Mitarbeiter lesen vorgefertigte Antworten am Telefonhörer vor“, berichtet Teltarif: http://www.teltarif.de/test-115-behoerden-rufnummer/news/33589.html

  3. Ich habe die neue Behördennummer am Wochenende ausprobiert, also dann, wenn ich Zeit habe, Dinge über die 115 nachzufragen. Fehlanzeige. Wie ich bereits zuvor gelesen hatte, ist dieser Service nur wochentags erreichbar. Aber ich wollte ja auch wissen, wie sich die Warteschleifenmusik anhörte… Mal ehrlich, wie einer Hotellobby. Das hatte nicht erwartet.

  4. Ich

    Wirklich schwach, wenn am ersten Tag noch nicht alles perfekt funktioniert! Da ist ja zum aus der Haut fahren! Ich selber habe an meinem ersten Arbeitstag auch schon alles perfekt drauf gehabt und neue Kollegen, die schon in ihren ersten beiden Arbeitsstunden Defizite aufzeigen, verpetze ich sofort beim Chef. Sowas geht ja nicht!

    Mein Gott ey, typisch deutsch ist es, sich über alles und jeden aufzuregen. Schwacher Artikel, schwache Kommentare.

  5. Am ersten Tag??? Rufen Sie doch mal in der Kölner Region an und wiederholen meinen Test. An den prinzipiellen Problemen der schlechten Erreichbarkeit, des mangelhaften Zugriffs auf Daten etc. hat sich nichts geändert. Übrigens schwach Mister Ich-Troll, dass Sie Ihren Namen nicht nennen.

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