“Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) veröffentlicht mit der neuen Studie ‘Social Media in Unternehmen’ einen grundlegenden Überblick zur aktuellen Nutzung und über die zukünftigen Potenziale von Social Media in deutschen Unternehmen”, verkündet der Verband in einer Pressemitteilung.
Als eindeutiges Ergebnis stellt der BVDW angeblich fest, dass rund 85 Prozent der Unternehmen Social Media künftig eine sehr hohe Bedeutung zusprechen. Von den 185 befragten Unternehmen setze eine große Mehrheit auf Profile in sozialen Netzwerken und auf Microblogs. “Zudem rechnen drei Viertel der Unternehmen mit höheren Social Media Budgets. Die Unternehmen versprechen sich von ihren Social Media Aktivitäten insgesamt einen Erfolg”, verkünden die Lobbyisten der digitalen Wirtschaft.
„Social Media ist nicht nur in aller Munde, sondern hat sich auch als wesentlicher Bestandteil im Media- und Marketingmix der werbungtreibenden Unternehmen in Deutschland fest etabliert. Eine intelligent genutzte Social Media Präsenz trägt maßgeblich zum gesamten Erfolg des Unternehmens, seiner Marken, Produkte und Dienstleistungsangebote bei. Für das tägliche Business und insbesondere in der Markenkommunikation gilt Social Media bereits als unverzichtbar – auch für die klare Positionierung direkt innerhalb der gewünschten Zielgruppe“, sagt Curt Simon Harlinghausen (AKOM360), Vorsitzender der Fachgruppe Social Media im BVDW.
Ich halte das schlichtweg für reines Marketing-Bla-bla-blub. Im weltweit führenden Land der Social Media-Aversionen soll also alles in Butter sein. Interessant ist auch die eingeschränkte Sichtweise von sozialen Netzwerken, die nur unter dem Aspekt von Werbung, Marketing und Vertrieb gesehen wird. Da ist das Urteil von weniger flauschigen Managern und Wissenschaftlern schon ehrlicher:
„Die klassischen Machtstrukturen geraten ins Wanken. Insofern wird uns das Thema Macht in den nächsten Jahren heftig begleiten. Wir haben eine Welt, die sich immer stärker vernetzt. Und mit dem Web 2.0 ist da jetzt ein Turbolader draufgekommen. Wir können uns immer weniger erlauben, das zu ignorieren“, so der Organisationspsychologe Professor Peter Kruse im Gespräch mit Thomas Sattelberger. Für den Telekom-Personalvorstand sind große Unternehmen in diesem Szenario die letzten bolschewistischen Organisationen des 21. Jahrhunderts. „Sie haben es über Jahrhunderte und vor allen Dingen in den vergangenen Jahrzehnten geschafft, sich fast umweltresistent abzuschotten.“ Das Netz sei nun ein äußerst willkommener Beschleuniger dessen, was gute Menschen schon immer wollten. „Das ist ein Optimismus, wo ich mir manchmal etwas blauäugig vorkomme oder von anderen als Träumer gesehen werde. Das ist aber kein Idealismus, sondern das ist ein systemisches Faktum. Hier findet etwas statt, was Transparenz von außen erzwingt. Man kann es gar nicht verhindern. Wer meint, dass Ganze mit strategisch-taktischer PR in den Griff zu bekommen, dem antworte ich wiederum: Träum weiter“, betont Kruse. Die Logik der Netze arbeite gegen eine ideologische Vereinheitlichung. Zudem kehren sich die Gewichte und Regelwerke um. Nicht mehr der Anbieter habe Macht, sondern der Nachfrager.
Nachzulesen in meiner heutigen Kolumne.
Das ändert natürlich nichts an der Notwendigkeit für Unternehmen, in sozialen Netzwerken aktiv zu werden, wie Sascha Lobo richtig analysiert hat.
Social Media ist so groß, dass man es nicht mehr ignorieren kann. Groß hier im Sinne der Aufmerksamkeitsbündelung. Social Media ist so groß, dass man es als gegenwärtigen Entwicklungsstand des gesamten Internet betrachten muss. Und das bedeutet, dass man im Jahr 2011 als Unternehmen einen guten Grund dafür braucht, Social Media nicht auszuprobieren. Es gibt diese guten Gründe, sie hängen mit der jeweiligen Branche zusammen, mit der Unternehmenskultur und -struktur, mit der Unternehmensführung, mit einzelnen Abteilungen, mit der Unternehmensgröße und vielem anderen mehr. Aber ein Unternehmen muss 2011 für sich begründen, weshalb es nicht zumindest mit den Sozialen Medien experimentiert.
Die Wirklichkeit in den Unternehmen ist aber eine andere. Auszug aus meiner Kolumne:
„….die Bolschewismus-Analogie von Thomas Sattelberger habe ich vor über zehn Jahren als ‚Auflösung der Ziegelstein-Diktatur‘ bezeichnet: from brick to click. Das ist die Quintessenz dessen, was sich in Wirtschaft und Politik abspielt. Brick – also der Ziegelstein – meint die alte Form der Großorganisation. Vertikal integrierte und geschlossene Einheiten, die auch heute noch den Alltag dominieren und sich erst sehr langsam auf die neue Macht unübersichtlicher und kaum zu kontrollierender Netze einstellen. Das Fatale an dem schleichenden Wandel ist das Status quo-Denken vieler Führungskräfte“, bemerkt Peter B. Záboji, Chairman des After Sales-Dienstleisters Bitronic. Oder wie es der ehemalige IBM-Cheftechnologe Gunter Dueck ausdrückt: „Das Alte schwindet immer um ein, zwei Prozent und sieht sich folglich in einem unendlich lange stagnierenden Markt. Welche Wirtschaftsbranche hält das aus? Keine!“ Für die Servicebranche sieht er nur die Alternative „Internet oder Profi-Verkauf – der Rest stirbt.“ Nachzulesen im kürzlich erschienenen Sammelband „Online-Marketing“, herausgegeben von Torsten Schwarz, verlegt von Marketing Börse.
Für die nächste Studie sollte der BVDW mal weniger das sozial Erwünschte, sondern die Realität unter die Lupe nehmen!
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