Von der zerstörerischen Kraft der digitalen Dauerdisruption #bc


Das Netz verändert die Welt. Das dürften weder Gegner noch Befürworter des digitalen Wandels bestreiten. Doch viel weiter reichen die Gemeinsamkeiten nicht. Ob sich das Ganze zum Guten oder zum Schlechten fügt, ist nach Ansicht von Sascha Lobo und Kathrin Passig nicht so eindeutig zu beantworten, wie die Verfechter beider Ansichten es gern hätten. „Die einen bewegen sich in einem Feld zwischen fortschrittsgläubiger Naivität und selbstbewusstem Optimismus, die anderen verharren zwischen gesunder Skepsis und verbittertem Pessimismus”, schreiben die beiden Autoren in ihrem neuen Buch „Internet – Segen oder Fluch“ (Rowohlt Verlag). Einen ärgerlich großen Raum würden dabei reflexhafte Phrasen und kaum belegbare Behauptungen einnehmen, verbunden mit einem emotionalen Amalgam, das mehr die Gruppen-Zugehörigkeiten festigen als irgendjemanden überzeugen soll.

„Regelmäßig lassen sich Diskussionspodien, Talkshowkonfrontationen und Artikelgefechte beobachten, deren Teilnehmer weniger an der Vermittlung und Erklärung interessiert sind als an der Selbstvergewisserung, und oft genug waren diese Teilnehmer die Autoren des vorliegenden Buches”, so Passig und Lobo.

Der dringend notwendige Diskurs um das Internet, seine Bedeutung für unser Leben und seine Folgen für die Welt sei ritualisiert und erstarrt. Genau zu erkennen, ob disruptive Innovationen zu einer Implosion tradierter Geschäftsmodelle führen, ist ein schwieriges Unterfangen.

„Das Neue sieht für die Nutzer eines vorhandenen Produkts immer erst mal schlechter aus“, führen Passig und Lobo weiter aus.

Dampfschiffe waren zunächst langsamer als Segelschiffe. Musik über das Format MP3 klang schlechter als auf CDs und frühe Digitalkameras konnten mit analogen nicht mithalten. Solange aber das neue Produkt in irgendeiner Hinsicht billiger, praktischer oder attraktiver sei als das alte, kann es einen nichtexistenten Markt und bisher unerreichbare Käuferschichten erschließen. Nachzulesen in meiner heutigen The European-Kolumne: BESSER SCHLÄGT GUT – Über Gewinner und Verlierer der Digitalisierung.

Schumpeter: Wirtschaft nicht auf Aggregate reduzieren

In dem Kapitel „Disruption ist kein Kindergeburtstag“ darf natürlich der von Joseph A. Schumpeter geprägte Begriff der „schöpferischen Zerstörung“ nicht fehlen. Wer sich die Originalschriften von Schumpeter anschaut, entdeckt Zusammenhänge, die sich wohl permanent im Zusammenhang mit disruptiven Innovationen abspielen. Wichtig ist dabei nicht nur die berühmte Schrift „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ (wichtige Vorarbeiten für dieses Werk entstanden übrigens in seiner Bonner Zeit – hinzuweisen ist hier vor allem auf den wissenschaftlichen Aufsatz „The Instability of Capitalism“, in dem er schon früher angesprochene Stabilitätsprobleme des Kapitalismus systematisiert), sondern auch das weit weniger beachtete Opus „Konjunkturzyklen“.

„Der Kern dieses Buches besteht aus einer Fülle von Einzelheiten über die Blüte der Wirtschaftssysteme in Großbritannien, Deutschland und den Vereinigten Staaten“, schreibt Thomas K. McCraw in seiner Schumpeter-Biografie (in deutscher Übersetzung im Murmann-Verlag erschienen).

Es war wohl schon immer so, dass das Eindringen einer neuen Firma in eine bestehende Branche stets einen Kampf mit der alten Sphäre nach sich zieht. Die Altvorderen sind bestrebt, den Vorteil, den eine neue Firma durch eine Innovation erlangt, zu verbieten, zu diskreditieren oder auf andere Weise zu beschränken. Die Patentklagen von Apple gegen Konkurrenten oder das von den Zeitungsverlegern ersehnte Leistungsschutzrecht sind dafür ja sehr gute aktuelle Beispiele. Was immer dabei auch im Einzelfall geschehe, so Schumpeter, sei der hohe Gewinn jedes Unternehmers stets vergänglich, denn Konkurrenten würden Neuerungen kopieren und damit ein Sinken des Marktpreises bewirken. An der Verteidigungsstrategie von Apple wird sichtbar, dass der Technologiekonzern eben kein „kreativer Zerstörer“ mehr ist.

Und was für Deutschland in Fragen der Digitalisierung wichtig ist, können wir an unserer eigenen Geschichte ablesen. Erfolge habe nicht in erster Linie der Innovator, der Erfinder und schöpferische Zerstörer, sondern jener, der das Neue am besten organisiert, so Schumpeter. Die Deutschen verstanden es im 19. Jahrhundert besser als die Briten, ihre Textilindustrie zu organisieren, selbst wenn sie wenig zu deren maschineller Technologie beitrugen.

Steve Jobs war so ein schöpferischer Unternehmer, wie ihn Schumpeter beschrieben hat. Ein Innovator zeichnet sich vor allen Dingen durch die Kunst der Kombinatorik aus. Innovationen entstehen eben nicht nur durch Erfindungen: So sah es jedenfalls Schumpeter in seinem Werk „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“, erschienen vor knapp 100 Jahren:

„Nur dann erfüllt er (der Unternehmer) die wesentliche Funktion eines solchen, wenn er neue Kombinationen realisiert, also vor allem, wenn er die Unternehmung gründet, aber auch, wenn er ihren Produktionsprozess ändert, ihr neue Märkte erschließt, in einen direkten Kampf mit Konkurrenten eintritt.“

Innovatives Unternehmertum unterscheidet sich dabei deutlich vom Routineunternehmer, der auf überkommenen Grundlagen arbeitet und nie Neues schafft. Aus altbekannten Techniken wie W-LAN, MP3 und Bewegungssensoren schuf Apple neue Geräte mit Kultfaktor. Und auch das benutzerfreundliche Design ist keine Kreation aus Cupertino. Der Steve Jobs-Konzern folgt konsequent dem Less-and-More-Diktum des genialen Industriedesigners Dieter Ram, der in den 1960er und 1970er Jahre bahnbrechende Produkte für die Braun AG schuf. Und was noch wichtiger für die Erfolgsstory von Apple ist: Jobs erzeugte neue Märkte. Der dynamische Unternehmer orientiert sich nicht primär an gegebener oder unmittelbarer Nachfrage des Konsumenten, sondern „er nötigt seine Produkte dem Markte auf“, so Schumpeter. Das ist Steve Jobs mit Produkten und Diensten für das mobile Internet und für den Tablet-PC-Markt gelungen.

Was sollte man in Deutschland nun tun? Es sind fast immer charismatische und ein wenig verrückte Persönlichkeiten (nicht nur Unternehmer, sondern auch Beamte wie der Generalpostmeister Heinrich von Stephan!), die Neues durchsetzen, besser organisieren, intelligenter organisieren und sich vom Routinebetrieb abgrenzen. Wer nur das anwendet, was man gelernt hat und sich an den übergekommenen Grundlagen seiner Organisation orientiert, ist ein passiver Anpasser und eben kein schöpferischer Zerstörer. Anpasser und Verwalter haben wir wohl zu viele.

Wir werden dieses Thema in der zweiten Session des nächsten Blogger Camps diskutieren: Am Mittwoch, den 24. Oktober von 19,30 bis 20,00 Uhr: Von der zerstörerischen Kraft der digitalen Dauerdisruption. Andreas Klug, Dirk Elsner, Heinrich Bruns, Hannes Schleeh und meine Wenigkeit sind dabei. Wer im Live-Hangout noch mitmachen möchte, sollte sich frühzeitig bei mir oder bei Hannes melden, damit wir das gut vorbereiten können mit Techniktest und Vorabinfos für die Moderation.

Nicht ganz unwichtig ist auch die Frage, wie eigentlich die populären Web-Dienste Geld verdienen.

Was im mobile Business abgeht, beleuchtet der Bitkom-Verband.

Einen „Beipackzettel“ für das Buch von Passig und Lobo hat Sascha Lobo in seinem Blog gepostet.