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Innenministerium immer noch vom Merkel-Call-Center überzeugt

Man ist im Bundesinnenministerium immer noch davon überzeugt, dass die Merkel-Hotline eine gute Sache sei. So verkündet heute das BMI in einer Presseerklärung: Einheitliche Behördennummer 115 wird gut angenommen

Text des BMI:

Im Roten Rathaus in Berlin hat heute die 2. Teilnehmerkonferenz der einheitlichen Behördennummer 115 im Regelbetrieb getagt. Vertreter der beteiligten Kommunen, Länder und Bundesbehörden haben gemeinsam den entsprechenden Lenkungsausschuss entlastet. Die IT-Beauftragte der Bundesregierung, Staatssekretärin Cornelia Rogall-Grothe, hat als Vorsitzende dieses Lenkungsausschusses den Jahresbericht 2011 vorgestellt. Daraus geht hervor, dass die 115 von den Bürgerinnen und Bürgern sehr gut angenommen wird. Eine Evaluation hat ergeben, dass das vereinbarte Serviceversprechen insgesamt eingehalten und sogar mehrheitlich übererfüllt werden konnte (ach was, gs).

Staatssekretärin Cornelia Rogall-Grothe erklärt hierzu: „Wir haben 2011 viel erreicht. Nun geht es darum, diesen positiven Trend auch in 2012 fortzusetzen und die Behördennummer bundesweit zu etablieren. Die 115 ist eine Innovation, die die Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen revolutioniert.“ Geprüft werde die Erweiterung des 115-Services über die reine telefonische Auskunft hinaus hin zu einem Multikanal-Service. Besonders Terminvereinbarungen mit den Behörden oder die Möglichkeit Anträge im Voraus auszufüllen, könnten die Attraktivität des 115-Services weiter steigern, so die Staatssekretärin. Die 115 solle mittelfristig auch bei Krisen, Großschadenslagen und sonstigen Lagen, beispielsweise bei Hochwasser, unterstützend eingesetzt werden.

Zahlreiche Städte, Landkreisen und Gemeinden haben bereits im vergangenen Jahr die 115 freigeschaltet: Insgesamt wurden 98 Kommunen neu angeschlossen. Aktuell sind es 278 Kommunen, bis Jahresende werden es voraussichtlich 350 sein, darunter auch Städte wie München, Stuttgart oder Potsdam. Der Pilotbetrieb war 2009 mit 29 Kommunen gestartet. Die Erreichbarkeit, also die Zahl der Bürgerinnen und Bürger, die die 115 nutzen können, ist im vergangenen Jahr von gut zehn Millionen auf knapp 18 Millionen gestiegen. Bis Ende 2012 wird sich diese Zahl auf gut 23 Millionen erhöhen.

Die Einheitliche Behördennummer 115 ist in den teilnehmenden Regionen montags bis freitags von 8 bis 18 Uhr erreichbar.

Sie kann aus dem Festnetz überwiegend und aus mehreren Mobilfunknetzen zum Ortstarif sowie über Flatrates auch kostenlos gewählt werden.

Hier endet das Opus des BMI.

Erinnert sei noch mal, dass die Merkel-Hotline auf dem IT-Gipfel ständig als technologische Innovation gepriesen wird.

Dazu schrieb ich im vergangenen Jahr in der Kolumne “Über allen IT-Gipfeln ist Ruh”:

Können wir auf dem Münchner IT-Gipfel am Nikolaustag mit irgendwelchen technologischen Überraschungen der Bundesregierung rechnen oder dominiert wieder nur die Transpiration vor der Inspiration? Das Merkel-Telefon 115 ist für mich immer noch das Symbol für die Hightech-Politik der politischen Elite in Berlin. Eine Hotline auf Amtsstubenniveau – geöffnet von Montag bis Freitag von 8 bis 18 Uhr. Wenn man den IT-Gipfel als Plattform für das Bürgertelefon einsetzt, dann sollte zumindest ein Hauch von technologischer Kompetenz erkennbar sein, fordert Andreas Klug, Mitglied der Ityx-Geschäftsführung in Köln.

„Es kann nicht ohne Automatisierung funktionieren. Eine Vorqualifizierung der Anrufe ist unabdingbar, um Standardabfragen über Öffnungszeiten, Sperrmüllabfuhr oder dergleichen abzufangen. Das System selbst muss über mehr Wissen verfügen, um die Servicemitarbeiter an den Telefonen zu entlasten und eine ständige Erreichbarkeit zu gewährleisten.“

Es sei doch peinlich, wenn die Bürgerinnen und Bürger vor 8 Uhr, nach 18 Uhr oder am Wochenende anrufen und nur eine Bandansage ertönt: „Sie rufen außerhalb unserer Servicezeiten an.“

Dabei wäre es möglich gewesen, zumindest in Ansätzen eine Applikation in das Merkel-Projekt einzubauen, die in Richtung des Sprachcomputers SIRI geht, der derzeit auf dem iPhone 4S für Furore sorgt.

„Bei der Auslegung des Bürgertelefons 115 wurde Sprachtechnologie völlig ausgeblendet. Das kann nicht funktionieren. Es gibt nicht den allwissenden und jederzeit verfügbaren Mitarbeiter im Call Center“, sagte schon vor Jahren Professor Wolfgang Wahlster vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz.

Zudem kommt das Call Center-Angebot des Staates um einige Jahre zu spät. Noch vor drei Jahren entfielen nach einer Studie der Düsseldorfer Unternehmensberatung Mind Business rund 80 Prozent der Kundeninteraktionen auf das Telefon. Heute sind neue Formen der Servicekommunikation auf dem Vormarsch. Facebook, Twitter, Apps, Chats und Foren werden von 56 Prozent der Befragten häufiger genutzt als Telefon oder Post.

Das Zusammenwachsen von Internet, Fernsehen und Telefon biete den Menschen die Möglichkeit, unabhängig von Zeit und Ort zu kommunizieren. Er entscheide situativ, wie und wann er Unternehmen erreichen möchte. Der vernetzte Verbraucher und Bürger erwartet von den Organisationen der Wirtschaft und des Staates, dass sie das Social Web als Dialogplattform begreifen, den Dialog transparent und offen gestalten und dort auch schnell auf Anliegen reagieren und Service-Applikationen bereitstellen, die rund um die Uhr Hilfe und Orientierung bieten. Genau das bietet eben die 115-Hotline nicht. Wer soziale Netzwerke im Bürgerdialog einsetzt, macht die Kommunikation direkter, persönlicher und weniger hierarchisch. Daran ist die Bundesregierung doch überhaupt nicht interessiert. Man will alles schön unter Kontrolle halten.

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

3 Kommentare zu "Innenministerium immer noch vom Merkel-Call-Center überzeugt"

  1. Sehr schöner Artikel Gunnar!
    Leider ist das nicht nur beim Staat und Behörden so. Auch Unternehmen sind noch weit davon entfernt die Technologie richtig und sinnvoll einzusetzen. Im März hatte ich ein lustiges Erlebnis dazu. Auf der Jahrestagung der privaten Brauereigasthöfe, war ich nach einem Vertriebsmann von Sky dran. Der hatte vorher die tollen Angebote von Sky verkündet. Als ehemaliger Vertriebsmann von Grundig (Gute alte Zeit!) selbstverständlich mit Dame am Notebook zum Folien wechseln. Nachdem mein Auftrag war, die Anwesenden von der disruptiven Veränderung durch Social Media http://slidesha.re/KFPXqH zu überzeugen und ich am Sonntag dazu einen Vorschlag von Mirko Lange hier: http://slidesha.re/KFPXqH gelesen hatte war das natürlich eine Steilvorlage. Warum erkennen und nutzen weder Staat noch Unternehmer die Möglichkeiten von neuen Technologien nicht? Der Nutzen wäre auf beiden Seiten.

  2. Das bundesdeutsche 115 ist ein billiger Abklatsch des 311 in den USA. In Deutschland hat man sich auf die Telefontechnik beschränkt. Man war glücklich im klein-klein Kommune für Kommune dafür zu gewinnen, statt wie bei 112 und 110 das selbstverständlich bundesweit im ersten Schuss zu machen (Nie von TQM gehört: Machs beim ersten Mal richtig). Staat dessen hat man sich von den Provider ein Ohr abknabbern lassen, dass man dafür Geld haben müssen. Aus dem Mobilfunk mehr als für Ferngespräche in die Türkei. In Zeiten von Flatrate im Internet. Absurd und bürgerabschereckend. Ein Hartz4-Emfänger sollte dicke Kohle rüberschieben, wenn er über 115 sein kooptierendes Sozialamt anrief. Germany Life. In USA ist 311 selbstverständlich kostenlos.

    Ich war 2009 in New York. 311 ist da Dank Bloomberg, der vorige Tage für sein Lebenswerk auszeichnet wurde, der absolute Hit. In der U-Bahn (die 311 als Shared Service von der Stadt mitbenutzt) hing z.B. solche Werbung: Bis Du alleinerziehender Vater und hast keine Ideen, was Du mit Deinen Kindern tolles machen sollst? Kein Problem: ruf 311 an, wir haben Tipps für Dich. Mike Bloomberg gibt für jede Behörde Performance Berichte heraus. Jeder muss berichten, wieviele Calls er über 311 bekommen hat, wie viele davon sofort gelöst wurden, wieviel davon im Backoffice gelöst wurden. Jede Behörde in ganz New York muss über seine 311-Akrivitäten metrisch berichten und kein Weicheier-Geschwafel. Bei Mike Bloomberg, dem New Yorker Bürgermeister (der m.E. einen brillianten Job macht) habe ich mir die Haushaltseinbringungsrede 2009 als Video im Internet angehört. Dazu waren die über 60 Powerpoint-Folien, die Bloomberg über eine Stunde vortrug, online. Er hat selbst erklärt,w arum sie wegen der Fianzankriese weniger Steuereinahmen hatten, warum am Broadway Vermieter pleite gingen, weil sie die Miete nach qm-Umsatz erhoben, wie die Steuern sanken, weil der Wein gläserweise statt flaschenweise tranken, warum er 18.000 Lehrer entlassen müssen, wenn der Staat New York nicht endlich die Bundeszuschüsse an die Stadt New York duchreichen würde, dass 50 % der Lehrer in der Individualförderung von Schülern arbeiten würden (insb. Hispanics und Afroamerikaner), warum er die Feuerwehrfahrzeugbesatzungen von 4 auf 3 reduzieren müssen (wie es landesüblich ist), usw. Habe ich das von meinem Wowereit erlebt? Der ist schon stolz, wenn sein Callcenter auch über 115 erreichbar ist und schweigt ansonsten.

    Man darf die 115 nicht als schleppendes, für den Bürger zuerst teures Projekt angehen ohne Einbettung in die Prozesse des Staates. New York macht da einen exzellenten Job, wie man Technik zum Nutzen der Bürger einsetzen kann. Wir können das nicht.

    @311NYC ist das Twitterkürzel von 311 in New York. Seht es Euch selbst an. Bloomberg twittert selber auch sowie sein Büro als Mayor. Wo ist unser Bob der Baumeister?

  3. Klasse, Wolfgang!!! Sollten wir eine größere Story daraus machen. Interesse?

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