Müll-Monopoly mit PET-Flaschen

Der Geschäftsbericht der Rewe-Gruppe dokumentiert nach einem Bericht des Handelsblattes, dass die einstigen Gegner des Pflichtpfandes für Einweg-Getränke mittlerweile kräftig von der Regelung der Verpackungsverordnung profitieren. Wie Rewe unter „sonstige betriebliche Erträge“ im Jahresbericht auf Seite 171 publiziert, flossen im vergangenen Jahr 498 Millionen Euro aus dem Einweggeschäft in die Firmenkasse. Dem standen Aufwendungen von 486 Milliionen Euro gegenüber, wie Leser vier Seiten später nachlesen können.

Wie es zu den Mehreinnahmen von zwölf Millionen Euro kommt, wollte die Kölner Zentrale auf Anfrage des Handelsblattes nicht verraten. Ein Rewe-Sprecher sagte, unter dem Bilanzposten „Aufwendungen aus Einwegpfand“ fehlten Abschreibungen auf Automaten und Personalkosten, was zu einem „verzerrten Bild“ führe. „Hinweise oder Zahlen dazu finden sich im Geschäftsbericht nicht“, schreibt Handelsblatt-Redakteur Christoph Schlautmann. Die rund 10 000 Euro teuren Rücknahmeautomaten in den Supermärkten des Handelskonzerns würden das Jahresergebnis nur mit höchstens sechs Millionen Euro belasten, sofern sie über sieben Jahre abgeschrieben werden. Was mich erschüttert, ist die Naivität der Umweltverbände, die sich überrascht zeigen, dass man mit dem Einweg-Rückgabesystem Gewinne erwirtschaften könne und für Quersubventionen von Einweggetränken genutzt werden. Allein mit den Eigenmarken erwirtschaften vor allen Dingen die Discounter satte Zusatzerträge und freuen sich über jede leere Flasche, die im Restmüll landet.

Von achtlos weggeworfenen Pfandflaschen profitieren am Ende allein die Hersteller. Sie kassieren in jedem Fall einen Pfandbetrag, können sich die Rückzahlung aber – falls das Leergut nicht zurückkehrt – mitunter sparen. Kein Wunder also, dass Händler wie Aldi (‚River Cola‘), Edeka (‚Perlquell‘) oder eben Rewe mit ihren Eigenmarken ihr Abfüllergeschäft stärken“, so Schlautmann. (Da passt das obige Foto: In einem Discounter in Bonn-Duisdorf steht neben dem Rücknahmeautomaten direkt eine Mülltonne, die immer gut gefüllt ist mit Einwegflaschen, die der Automat aus irgendwelchen Gründen nicht geschluckt hat. Wer dann keine Zeit hat, das zu monieren, schmeißt die Pulle in den Mülleimer).

Und dann winkt noch das Geschäft mit den leeren PET-Flaschen. Der Preis für eine Tonne liegt bei 400 bis 500 Euro. Lebensmittelverkäufer, beobachtet die Bonner Beratungsfirma Ascon, sind selbst mit Töchterfirmen ins Entsorgungsgeschäft eingestiegen.

Die Erlöse seien mancherorts fester Bestandteil der Kalkulation, die Verhandlungsmethoden ebenso rabiat wie in den gefürchteten Jahresgesprächen der Handelsketten mit ihren Lieferanten. Bei der Vermarktung des wertvollen PET-Abfalls werde um jeden Cent gefeilscht, berichtet Ascon-Geschäftsführer Sascha Schuh. Da verwundert es nicht, dass sich mittlerweile auch eine Interessenvertretung mit dem phantasievollen Namen „Arbeitsgemeinschaft konsumenten- und ökologieorientierte Getränkeverpackungen e.V.“ in der Berliner Politikszene kräftig für PET-Einweggebinde ins Zeug legt. Lidl und Co. können also hoch erfreut sein über die derzeitige Gemengelage am Getränkemarkt und über die Unfähigkeit des Bundesumweltministeriums, die Rahmenbedingungen für die mittelständisch geprägte Mehrweg-Industrie zu verbessern. Ohne eine Veränderung der Preissignale wird der Niedergang von ökologisch vorteilhaften Verpackungen nicht zu stoppen sein. Kennzeichnungen und Aufklärungskampagnen bringen keine Umkehr. Aber immerhin ist die Bundesregierung in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen schon zu der Erkenntnis gelangt, dass der Mittelstand vom Rückgang der Mehrwegquote überproportional betroffen ist.

Warum die Kennzeichnungspflicht schwachsinnig ist und Mehrweg nicht stabilisieren kann, hat eine Tagung in Bonn sehr gut beleuchtet. Entscheidend ist der Preis.

Jetzt ist es amtlich: Mehrweggetränke schmieren ab – Lenkungswirkung einer Kennzeichnungspflicht wird nach Ansicht des Wirtschaftsministeriums verpuffen

Die Bundesregierung hat jetzt nach Angaben des Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) das Zahlenwerk für die Entwicklung der Mehrweggetränke für den Zeitraum von 2004 bis 2007 beschlossen. In diesem Zeitraum ist die Mehrwegquote von 71 auf 55 Prozent abgesackt. Als Hauptgrund für den Trend zu Einweg gab die Ministerialbeamtin Andrea Jünemann den gestiegenen Marktanteil der Discounter an. „Aus meiner Sicht bestätigen die vorgelegten Zahlen die ursprüngliche Position des Wirtschaftsministeriums, dass die Pfandpflicht für Einweg-Getränkeverpackungen kein geeignetes Instrument zur Stabilisierung der Mehrwegquote darstelle“, sagte Jünemann bei einer Fachveranstaltung der Stiftung Initiative Mehrweg und der Beratungsgesellschaft Ascon in Bonn.

Die vom Umweltministerium vorgelegte „Getränkeverpackungs-Kennzeichnungsverordnung“ stößt beim Wirtschaftsministerium auf Widerstand. „Wir haben Zweifel, ob die Kennzeichnung ein probates Mittel zur Stabilisierung von Mehrweg ist“, so Jünemann. Die bestehende Kennzeichnung von Einweggetränken mit dem Logo der Deutschen Pfand GmbH und dem Logo der Mehrwegallianz für Mehrweggetränke reiche aus. Die Initiative des BMU sollte daher kritisch hinterfragt werden. Letztlich sei die Kennzeichnungspflicht, wie sie auch im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Regierung verankert ist, das geringere Übel.

In der Expertendiskussion bestätigte die Ministerialbeamtin, dass auch mit der Kennzeichnung die Mehrwegquote weiter abschmieren werde. „Verbraucher werden auch weiterhin den bequemen Weg gehen und beim Discounter Einwegprodukte kaufen“, erklärte Jünemann.

Hier die Audioaufzeichnung der Rede von Jünemann und die sehr amüsante Märchenerzählung zur Volljährigkeit der Verpackungsverordnung von Clemens Stroetmann, Staatssekretär a. D. und Geschäftsführer der Stiftung Initiative Mehrweg:

Markus Wolff, Vorstand Genossenschaft Deutscher Brunnen

Die jährlichen Wachstumsraten von Einweg-Getränken, die in PET-Flaschen auf den Markt kommen, liegen nach Informationen von Markus Wolff, Vorstand der Genossenschaft Deutscher Brunnen, bei 7,3 Prozent. Von den jährlich 13,1 Milliarden Liter Mineralwasser werden mittlerweile 52 Prozent über Discounter verkauft. Vor neun Jahren lag die Mehrwegquote noch bei 80 Prozent. „Der Kuchen für die 208 mittelständischen Mineralbrunnen-Betriebe wird immer kleiner. Bei Süßgetränken liegt der Discount-Anteil sogar schon bei rund 65 Prozent. Mit Aldi, Lidl und Norma gibt es Discount-Ketten, die sich konsequent verweigern, Mehrweg ins Sortiment zu nehmen, trotz der Vorgaben der Verpackungsverordnung“, führte Wolff in Bonn aus. Mit einem Kampfpreis von 19 Cent für eine 1,5 Liter Flasche und dem Pflichtpfand von 25 Cent hätten die Discounter ein mächtiges Mittel zur Kundenbindung in der Hand. Der Verbraucher komme zurück für den zweiten Einkauf.

„Die Folgen für unsere Mitgliedsbetriebe sind dramatisch. Der Mittelstand schmilzt ab, die Regionalität und die Produktvielfalt geht verloren. Es steigen die Insolvenzen und Unternehmenschließungen. Alleine im Raum Bonn haben wir Reginaris verloren, wir haben Artus in Bad Hönningen verloren und wir haben vor zwei Wochen den Bad Honnefer Mineralbrunnen verloren. Das sind die jüngsten Wasserstandsmeldungen“, sagte Wolff.

Er verlangt eine Unterbindung der Quersubventionierung von Getränken durch die Discount-Konzerne. Das sei zwar schwierig zu ermitteln. Die Gewinne über das nicht eingelöste Pfand könnten in die Rückstellungen der Handelspartner fließen. Hier seien die Finanzämter gefordert, um auf diese Summen Zugriff zu bekommen. Bislang würden keine validen Aussagen über die Höhe des Pfandschlupfes vom Handel vorgelegt. Die Genossenschaft geht von 330 Millionen Euro aus, die von den Discountern jährlich in die Quersubventionierung von Einweg-Getränken gesteckt werden. Die Pfandgewinne werden auf 62,5 Millionen Euro, Recyclingerlöse auf rund 40 Millionen und die Ersparnisse durch den Wegfall der Gebühren für den Grünen Punkt auf 226 Millionen Euro geschätzt. „Man müsste eigentlich die Investitionen für Rücknahmeautomaten gegenrechnen. In der Realität holen sich die Discounter diese Kosten bei den Lieferanten wieder zurück“, so Wolff.

Hier die komplette Rede von Wolff:

Handlungsbedarf zur Rettung von Mehrweg sieht auch das Ökoinstitut. Der Mehrweganteil gerate an eine kritische Untergrenze, bei der Mehrweg grundsätzlich in Frage gestellt wird. „Es ist festzustellen, dass auch der konventionelle Lebensmitteleinzelhandel verstärkt auf Einwegverpackungen setzt. Es sind letztlich starke Signale erforderlich, um diese problematischen Entwicklungen zu verhindern“, fordert das Ökoinstitut in einer Studie. Eine Materialsteuer sei die geeignete Maßnahme, um die Kostendifferenzen zu Gunsten von Mehrweg zu verändern. „Die Differenzen über alle Stufen der Wertschöpfungskette können zumindest weitgehend zu Gunsten der ökologisch vorteilhaften Verpackungen relativiert werden“, schreibt das Ökoinstitut. Erforderlich sei ein policy mix verschiedener Instrumente, dazu zähle die Einführung einer Verpackungssteuer, die Beibehaltung von Pfandpflicht und den Regelungen der Verpackungsverordnung sowie eine Kennzeichnungsverordnung.

Hier die recht vage gehaltenen Bekenntnisse des Koalitionsvertrages:

Wir wollen die Abfallwirtschaft und das Ressourcenmanagement im europäischen Kontext weiterentwickeln. Unser Ziel ist eine ökologisch und ökonomisch effizientere sowie verbraucherfreundlichere Ausrichtung der Abfallwirtschaft. Vorrang hat die Abfallvermeidung. Nicht vermeidbare Abfälle müssen verwertet werden, soweit dies wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll ist. Hierfür prüfen wir zum Beispiel die Einführung einer
Wertstofftonne. Darüber hinaus werden biogene Abfälle verstärkt nachhaltig verwertet. Die abfallrechtlichen Regelungen sollen übersichtlicher und die technischen Standards einfacher, klarer und eindeutiger werden, ohne Überlassungspflichten auszuweiten oder gewerbliche Sammlungen einzuschränken.

Wir wollen die ökologische Produktverantwortung nicht länger nur als Produzentenverantwortung
verstehen. Durch eine aussagefähige Produktkennzeichnung, zum Beispiel klare Bezeichnung als Einweg- oder Mehrwegflasche, werden wir die Transparenz erhöhen und die ökologische Konsumentenverantwortung stärken.

Die Verpackungsverordnung werden wir überarbeiten und in Richtung einer allgemeinen Wertstoffverordnung weiterentwickeln, die sowohl flexible als auch wettbewerbliche Lösungen zur Ressourcenschonung enthält. Die Aufhebung der Rücknahmeverpflichtungen für Hersteller und Vertreiber lehnen wir ab. Mit Blick auf die Abfallwirtschaft befürworten wir die grundsätzliche steuerliche Gleichstellung von öffentlichen und privaten Unternehmen.

Soweit der Koalitionsvertrag.

Die BMWi-Ministerialbeamtin Jünemann wies darauf, dass das Umweltministerium eine Studie über die Wirkung des Dosenpfandes in Auftrag gegeben hat, die wohl Ende des Jahres veröffentlicht wird. Ich hatte das hier schon mal kritisch gewürdigt.

Die Ergebnisse der Studie sind Grundlage für den Bericht der Bundesregierung über die abfallwirtschaftlichen Auswirkungen der Pfandpflicht, den die Bundesregierung Anfang nächsten Jahres dem Bundestag und Bundesrat vorlegen muss. Da wird es ja einen netten Streit zwischen FDP und Union geben.

Mehrwegflasche steht das Wasser bis zum Hals

Mülleimer neben Rücknahmeautomaten: Dosenpfandgewinne leicht gemacht
Mülleimer neben Rücknahmeautomaten: Dosenpfandgewinne leicht gemacht
Das Bundesumweltministerium (BMU) lässt wieder einmal Ökobilanz und Rücklaufquoten von Einweg- und Mehrwegflaschen untersuchen. Dabei ist Branchenkennern seit Jahren klar, was besser, sprich für die Umwelt verträglicher ist. Nach Auffassung des BMU sind gesetzliche Maßnahmen zum Schutz ökologisch vorteilhafter Getränkeverpackungen erst dann sinnvoll, wenn die Ursachen des Rückgangs der Mehrwegquote näher untersucht wurden. Das Problem ist: Das wird noch dauern. Der Untersuchungsbericht des beauftragten Bifa Umweltinstitutes in Augsburg ist erst für Ende September 2009 angekündigt. Damit läuft vor allen Dingen den mittelständischen Mineralbrunnen-Betrieben buchstäblich die Zeit davon. In der Getränkewirtschaft kritisiert man, dass die Politik sich scheue, logische Konsequenzen aus dem Dosenpfand-Debakel zu ziehen.

„Man kommt sich vor wie ein Schüler, der gute Noten bekommt und dem man gleichzeitig mitteilt, dass seine Versetzung gefährdet ist“, kritisiert der Chef eines abfüllenden Betriebes. Das Umweltministerium wolle die Thematik aus dem Wahlkampf heraushalten und nur Zeit gewinnen. Es sei so, als würde man einem schwer verletzten Unfallopfer erst dann Erste Hilfe leisten, nachdem die Unfallursache geklärt ist. Nach einem Bericht des Fachdienstes EUWID bekenne sich das BMU zwar zum Ziel der Stabilisierung und Förderung ökologisch vorteilhafter Getränkeverpackungen. Die politischen Bestrebungen, die Mehrwegquoten wieder zu stärken, seien durch die eindeutig nachgewiesenen ökologischen Vorteile von Mehrwegsystemen begründet. Wenn das so klar vom Umweltministerium formuliert werde, müssten keine weiteren Untersuchungen durchgeführt werden.

Der Geschäftsführende Vorstand des Bundesverbandes des Deutschen Getränkefachgroßhandels, Günther Guder, erläutert, wie sehr der Mehrweg-Glas-Mineralwasserflasche das Wasser bis zum Hals steht: Der Anteil von Mehrwegflaschen lag seinen Angaben zufolge Ende 2007 bei 37,9 Prozent. Ende 2008 waren es noch 34,1 Prozent. Das sei innerhalb eines Jahres ein kräftiger Aderlass. Bei der Bifa in Augsburg hält man sich äußerst bedeckt über Art, Umfang und Details der Untersuchung. Man verweist auf die angekündigten Ergebnisse. Vorher wolle man den verschiedenen Lobby-Interessen nicht genüge tun.

Branchenkennern wie Guder geht das alles viel zu langsam. Bei einem weiteren Absinken der Mehrwegquote seien die mittelständischen Betriebe kaum zu halten. Deutschland sei zwar im weltweiten Vergleich noch „ein absolutes Getränkeparadies“ und habe die meisten Hersteller von Bier, Mineralwasser und vielen anderen Getränkearten wie Säften. „Diese Vielfalt ist akut gefährdet durch die Dumpingpreise der Discounter.“ Wenn Mehrweg bei Mineralwasser untergehe, würden im Mittelstand rund 14.000 von insgesamt 18.000 Arbeitsplätzen wegfallen. Und: Sind die ökologisch vorteilhaften Getränkeverpackungen erst einmal verschwunden, werden sie wohl nie wieder kommen.

Das Umweltministerium untersucht mal wieder Getränkeverpackungen – dabei steht der Mehrwegflasche das Wasser bis zum Hals

14.000 mittelständische Arbeitsplätze in Gefahr

Dosenpfand-Gewinntonne beim Discounter. Praktische Einrichtung: Direkt neben dem Rücknahmeautomaten steht eine Mülltonne für Einwegflaschen, die die Maschine nicht schluckt. Für den Verbraucher eine teure Angelegenheit. Pro Flasche verbleiben 25 Cent in der Kasse des Discounters.
Dosenpfand-Gewinntonne beim Discounter. Praktische Einrichtung: Direkt neben dem Rücknahmeautomaten steht eine Mülltonne für Einwegflaschen, die die Maschine nicht schluckt. Für den Verbraucher eine teure Angelegenheit. Pro Flasche verbleiben 25 Cent in der Kasse des Discounters.
Das Bundesumweltministerium (BMU) lässt wieder einmal Ökobilanz und Rücklaufquoten von Einweg- und Mehrwegflaschen untersuchen. Dabei ist Branchenkennern seit Jahren klar, was besser, sprich für die Umwelt verträglicher ist. Nach Auffassung des BMU sind gesetzliche Maßnahmen zum Schutz ökologisch vorteilhafter Getränkeverpackungen erst dann sinnvoll, wenn die Ursachen des Rückgangs der Mehrwegquote näher untersucht wurden. Das Problem ist: Das wird noch dauern. Der Untersuchungsbericht des beauftragten Bifa Umweltinstitutes in Augsburg ist erst für Ende September 2009 angekündigt. Damit läuft vor allen Dingen den mittelständischen Mineralbrunnen-Betrieben buchstäblich die Zeit davon. In der Getränkewirtschaft kritisiert man, dass die Politik sich scheue, logische Konsequenzen aus dem Dosenpfand-Debakel zu ziehen.

„Man kommt sich vor wie ein Schüler, der gute Noten bekommt und dem man gleichzeitig mitteilt, dass seine Versetzung gefährdet ist“, kritisiert der Chef eines abfüllenden Betriebes. Das Umweltministerium wolle die Thematik aus dem Wahlkampf heraushalten und nur Zeit gewinnen. Es sei so, als würde man einem schwer verletzten Unfallopfer erst dann Erste Hilfe leisten, nachdem die Unfallursache geklärt ist. Nach einem Bericht des Fachdienstes EUWID bekenne sich das BMU zwar zum Ziel der Stabilisierung und Förderung ökologisch vorteilhafter Getränkeverpackungen. Die politischen Bestrebungen, die Mehrwegquoten wieder zu stärken, seien durch die eindeutig nachgewiesenen ökologischen Vorteile von Mehrwegsystemen begründet. Wenn das so klar vom Umweltministerium formuliert werde, müssten keine weiteren Untersuchungen durchgeführt werden.

Der Geschäftsführende Vorstand des Bundesverbandes des Deutschen Getränkefachgroßhandels, Günther Guder, erläutert, wie sehr der Mehrweg-Glas-Mineralwasserflasche das Wasser bis zum Hals steht: Der Anteil von Mehrwegflaschen lag seinen Angaben zufolge Ende 2007 bei 37,9 Prozent. Ende 2008 waren es noch 34,1 Prozent. Das sei innerhalb eines Jahres ein kräftiger Aderlass. Bei der Bifa in Augsburg hält man sich äußerst bedeckt über Art, Umfang und Details der Untersuchung. Man verweist auf die angekündigten Ergebnisse. Vorher wolle man den verschiedenen Lobby-Interessen nicht genüge tun.

Branchenkennern wie Guder geht das alles viel zu langsam. Bei einem weiteren Absinken der Mehrwegquote seien die mittelständischen Betriebe kaum zu halten. Deutschland sei zwar im weltweiten Vergleich noch „ein absolutes Getränkeparadies“ und habe die meisten Hersteller von Bier, Mineralwasser und vielen anderen Getränkearten wie Säften. „Diese Vielfalt ist akut gefährdet durch die Dumpingpreise der Discounter.“ Wenn Mehrweg bei Mineralwasser untergehe, würden im Mittelstand rund 14.000 von insgesamt 18.000 Arbeitsplätzen wegfallen. Und: Sind die ökologisch vorteilhaften Getränkeverpackungen erst einmal verschwunden, werden sie wohl nie wieder kommen.

Dumpingpreise beim Plastikrecycling: Warum wir bald wieder Müllskandale bekommen

Die Verpackungsverordnung in der neuen Fassung ist seit dem 1. Januar in Kraft. Die Novellierung sollte einen fairen Wettbewerb für das Recycling von Verpackungsmüll sicherstellen und die haushaltsnahe Abfallsammlung stabilisieren. Der Verordnungsgeber lässt allerdings auch so genannte „Branchenlösungen“ zu, die keinen flächendeckenden Abholservice für Verpackungsabfall bieten müssen. „Inzwischen befürchten Marktbeobachter jedoch Missbrauch und Wettbewerbsverzerrungen. Insgesamt sollen nach Medienberichten den Bundesländern bislang etwas über 100 Branchenlösungen von rund 30 Unternehmen angezeigt worden sein“, berichtet der Nachrichtendienst europaticker.

Einige Unternehmen würden ihre Werbeaussendungen inzwischen mit Attributen wie „TÜV geprüft“ oder „DEKRA bestätigt Branchenlösung“ schmücken , was jedoch vom NRW-Umweltministerium bemängelt wird. Die Vorgaben der Verpackungsverordnung seien durch die DEKRA innerhalb der Beratung des Kölner Systemanbieters VfW GmbH möglicherweise recht unkonventionell ausgelegt worden. Branchenlösungen erfassen an so genannten vergleichbaren Anfallstellen wie Hotels, Sportstätten, Krankenhäusern und Kraftfahrzeugbetrieben den Verpackungsmüll. Das ist preisgünstiger als die Finanzierung einer flächendeckenden haushaltsnahen Sammlung und vergleichbar mit den früheren Selbstentsorgern. Kritiker befürchten, dass die novellierte Verpackungsverordnung mit den Branchenlösungen einen Anreiz schaffe, möglichst viele Mengen in Branchenlösungen einzubeziehen, was letztlich zu einem Zusammenbruch der haushaltsnahen Sammlung über die „Gelben Säcke“ zur Folge haben könnte.

Sieben der neun zugelassenen Systemanbietern haben sich deshalb sozusagen eine Selbstverpflichtung auferlegt und die Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM) beauftragt, zwölf Branchen zu definieren, in denen Branchenlösungen möglich sein könnten. Die GVM ist seit vielen Jahren für das Bundesumweltministerium tätig. Im Wesentlichen ging es dabei um die Aufteilung der Quoten, die für Branchenlösungen in Frage kommen und die Mengen, die weiterhin über die haushaltsnahe Entsorgung behandelt werden müssen. Das Ergebnis der GVM-Studie wurde Ende November 2008 den Verantwortlichen in den Ministerien präsentiert und wird von diesen akzeptiert. Die GVM-Daten werden jährlich durch eine Arbeitsgruppe aktualisiert, der auch Vertreter der Landesministerien angehören.

„Eine gesetzeskonforme Prüfung der Anmeldungen“, so die Pressestelle eines Umweltministeriums gegenüber europaticker, „sei dort gar nicht zu schaffen“. Man würde sich auf das konzentrieren, was auf dem Papier stehe. Allerdings gebe es ein hohes Risiko, sich auf Branchenlösungen einzulassen, die sich als nicht gesetzeskonform erweisen. Bei den neun bundesweit zugelassenen dualen Systembetreibern, die über eine so genannte „Gemeinsame Stelle“ die haushaltsnahe Entsorgung der gebrauchten Verpackungen betreiben, geht das Risiko mit der Übernahme der „Gelben Säcke“ oder der Inhalte der Glascontainer auf diese über. „Anders ist es bei den Branchenlösungen. Dort bleibt bis zum letzten Schritt der Entsorgung immer der Entsorgungsverpflichtete in der Verantwortung“, schreibt euopaticker.

Auch nach Ansicht von Abfallexperte Sascha Schuh, Chef des Bonner Beratungshauses Ascon, sei die Konstruktion der Branchenlösungen völlig verunglückt. „Mit vielen Branchenlösungen als Alternative zu Selbstentsorgersystemen und einer eigenwilligen Definition von Point of sale-Rücknahmesystemen gibt die Novelle genügend Platz zum Schmunzeln. Ein Krankenhaus mit dem Verbrauch von Verpackungen und deren Entsorgung im Rahmen einer Branchenlösung ‚Healthcare‘ gilt als klassische Anfallstelle im Sinne des Paragrafen 6 Absatz 1 der Verpackungsverordnung. Doch was ist mit dem Kiosk im Krankenhaus für Patienten und Besucher? Der fällt als Anfallstelle aus, da er zum Handel gerechnet wird und eine Branchenlösung nicht möglich ist. Daher müssten genau diese Mengen aus einer Branchenmengenstrom ‚Healthcare‘ herausgerechnet werden. Quintessenz: Ein Krankenhaus bekommt zwei Mengenstromdokumentationen. Und die auf diesem Weg erfassten Verpackungen kann man aus dualen Systemen wieder herausrechnen“, führt Schuh aus.

Genau diese neuerliche „Vielfalt“ biete den Systemanbietern immer neue vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten für ein „Lizenzdumping“. Der Fantasie seien keine Grenzen gesetzt bei der Reduzierung von Entsorgungsgebühren für Duale Systeme, die haushaltsnah den Verpackungsabfall erfassen müssen. „Die Lizenzgebühren für Kunststoffverpackungen kosteten noch vor drei Jahren bei DSD offiziell fast 1300 Euro Pro Tonne. Heute ruft man sich hinter vorgehaltener Hand Preise von 650 Euro pro Tonne zu. Mischt man dazu noch 15 Prozent Branchenlösung zu 250 Euro und etwas Point of Sale-Ersparnisse ergibt sich ein Mischpreis pro Tonne Kunststoffverpackungen von etwas mehr als 500 Euro pro Tonne. 65 Prozent weniger als noch vor drei Jahren und schon lange nicht mehr auskömmlich“, moniert Schuh.

Tonnen aufstellen, Abfuhr, Transport zur Sortieranlage, Sortierung, Restmüllbeseitigung und Verwertung – alles für einen Dumpingpreis von 500 Euro. „Schon jetzt klagen alle Entsorgungsunternehmen über die Wirtschaftkrise, mangelnden Absatz und volle Höfe. Da bleibt auch kein Spielraum mehr für die Verpackungsverwertung. Die Preise sind zusammengebrochen, die Verwertung alleine ist in den vergangenen drei Monaten um mehr als 30 Prozent teurer geworden“, weiß Schuh. Mit dem Lizenzdumping bei Plastik sei eine seriöse Entsorgung nicht mehr zu leisten. Es drohten wieder Entsorgungsskandale wie in den 1990er Jahren. „Wenn der Verordnungsgeber nicht schnell eingreift, wird die Verpackungsverwertung kollabieren und es entstehen ökologisch fragwürdige Entsorgungsmethoden“, fürchtet Ascon-Chef Schuh.

Mehrweg geht den Bach runter – Umweltverbände und Politik stellen die Ursachen in Abrede

Das Bundesumweltministerium und auch Umweltverbände bestreiten immer noch die negativen Folgen des falsch konstruierten Dosenpfandes auf die Mehrwegentwicklung. Dabei häufen sich die Warnzeichen. So bestätigte mir ein Insider des Handels, dass die Discounter satte Gewinne machen mit Einwegpfandflaschen, die nicht in den Laden zurückgebracht werden:

O-Ton: „Die Discounter drücken die Preise für Mineralwasser immer weiter nach unten. Dahinter steht ein brutaler Verdrängungswettbewerb, der die kleineren Getränkefachmärkte zwingt, aufzugeben. Ist diese Konkurrenz erst einmal ausgeschaltet, können Lidl, Aldi & Co. die Preise diktieren. Dann wird der Verbraucher die Zeche zahlen. Der Kampf um den Getränkemarkt wird sich beim Geschäft mit Bier entscheiden. Wird diese letzte Bastion der kleinen Fachmärkte geschleift, ist die Aldisierung des Getränkehandels nicht mehr aufzuhalten. Die Einführung des Dosenpfands durch die Verpackungsverordnung bedroht mehr als 30.000 Arbeitsplätze. Auf ein Konjunkturprogramm wie bei der Autoindustrie werden wir allerdings vergeblich hoffen. Ein Konjunkturprogramm zur Förderung von Mehrweg würde nicht nur Arbeitsplätze sichern, sondern auch die Umwelt entlasten. Und es würde den Steuerzahler nicht einen Euro kosten. Dazu muss man nur die handwerklichen Fehler der Verpackungsverordnung beheben. Die novellierte Verpackungsverordnung hat den Discountern jährliche Subventionen von mindestens 400 Millionen Euro beschert. Dieses Geld wird nicht nur eingesetzt, um die eigene Branche zu stützen, sondern um die benachteiligte Konkurrenz der Getränkefachmärkte auszuschalten. Es ist höchste Zeit diesen politisch veranlassten Unfug zu beenden und die krasse Wettbewerbsverzerrung zu beseitigen“, so der Brancheninsider.

Liebe Deutsche Umwelthilfe, warum wird dieser Effekt noch immer in Abrede gestellt? Wie kommt der krasse Preisunterschied zustande? Umgerechnet auf den Literpreis kostet Mineralwasser beim Discounter 13 Cent und im normalen Einzel- oder Getränkehandel 50 Cent. Die rund 220 mittelständisch geprägten Mineralbrunnenbetriebe seien unter diesen Bedingungen nicht mehr konkurrenzfähig. Bei Aldi & Co. sind es nur noch fünf national operierende Lieferanten, die zum Zuge kommen. Nur diese Firmen beherrschen den Einwegmarkt. Die Politik muss schnell etwas tun, wenn sie den Mehrwegmarkt noch erhalten will. Das Pflichtpfand für Einweggetränke in der heutigen Ausgestaltung reicht nicht aus und sollte um eine Abgabenlösung ergänzt werden.