In öffentlichen Verlautbarungen von Vertriebs- und Marketingmanagern gibt es eine merkwürdige Service-Philosophie. Soziale Netzwerke werden nur als weitere Spielwiese für Verkaufsplappereien gesehen. “Lassen Sie es mich ketzerisch formulieren: Social Media ist keine welterschütternde Revolution, sondern ein neuer Kanal – Punkt. Der Kunde hat ein Anliegen und ob er diese nun per SMS oder als ‘Kunde 2.0’ über Social Media kommuniziert, ist nicht so entscheidend”, verkündet ein Silberlocken-Salesmanager in einer Werbeanzeige in der Fachzeitschrift TeleTalk. Man spürt die Verkrampfung dieser Herren, wenn sie sich mit Dingen beschäftigen müssen, die sie nicht kapieren. Der Unterschied liegt an der Anarchie des Netzes, die man mit solchen Kasernenhof-Sprüchen nicht mehr dirigieren kann. Service-Ärgernisse versanden eben nicht mehr in der Warteschleife einer Hotline, sondern erblicken das Licht einer unübersichtlichen virtuellen Öffentlichkeit. „Früher gab es im Kundenservice hauptsächlich eins zu eins Konversationen. Durch die Sozialen Netzwerke ist es heute möglich, eine große Anzahl an Personen zu erreichen”, erläutert Rainer Kolm, Mitherausgeber des Ratgebers „Social Media im Kundenservice”, im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Bislang laufen die Anfragen in der Regel über E-Mail, Brief und Telefon unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Textbausteine und Skript prägen den Alltag des klassischen Agenten im Kundendienst. Laufen Serviceanfragen, Kritik über schlechte Dienstleistungen oder technische Mängel über soziale Netzwerke, helfen Sprachregelungen, Beruhigungspillen, Kontrollschleifen, Autorisierungen und Mauertaktiken nicht mehr weiter.
Das hat beispielsweise Daniel Backhaus, Teamleiter Social Media Management der Deutschen Bahn, gut erkannt. Die Metamorphose vom Call Center- zum Social Media-Agenten sei kein einfaches Unterfangen. Das könne nicht jeder. Es werde zwar seit Jahren über Multichannel-Management gesprochen. In der Realität würde das noch anders aussehen. Der Schritt vom Korsett der Skriptorientierung des Call Center-Agenten zum öffentlichen Kundendialog sei enorm.
„Ich habe mir in letzter Zeit sehr viele Call Center angeschaut, um die Kultur dort kennenzulernen. In den nächsten drei bis vier Jahren können wir nicht von einem wirklichen Channel-Management sprechen. Es wird Social Media-Inseln geben, die sich generalistisch in den Kern eines Call Center hineinarbeiten werden. Sie werden eine neue Kultur lernen, um ohne Textbausteine mit Kunden zu kommunizieren. Es führt aber kein Weg daran vorbei. Selbst beim Dialog über E-Mail und Telefon wird man dann ähnlich operieren wie über Twitter oder Facebook. Kommt eine Anfrage aus dem Social Web auf die klassischen Kanäle, erscheint dann vielleicht ein grünes Däumchen, um frei antworten zu können. Irgendwann sollte jeder Call Center-Agent in der Lage sein, sich in sozialen Netzwerken professionell zu bewegen. Da sind wir noch weit von entfernt“, so die Erfahrung von Backhaus.
Nur die wirklich guten Agenten seien intellektuell für Social Media geeignet. Entsprechend höher müsse die Bezahlung dieser Mitarbeiter ausfallen. Social Media-Agenten müssten in der Öffentlichkeit im Namen der Marke kommunizieren. Eine Domäne, die bislang der PR- und Marketingabteilung vorbehalten war. „Die zwölf Mitarbeiter, die wir ausgebildet haben, sind sich klar darüber, welche Verantwortung sie übernommen haben. Warum das so ist, zeigt ein Beitrag des Bloggers Richard Gutjahr.
Sozial Media also nur ein profaner neuer Kanal im Kundenservice? Dann würde wohl kaum ein Vorstandsmitglied von OTTO den Gang nach Canossa antreten.
Siehe auch:
Schlechte Zeiten für schlechten Service.
Vielleicht sollten Servicemanager in Ferienzeiten einfach keine Interviews geben: Weshalb zu lange Auszeiten doof machen.
Facebook-Kommentar zur Silberlocken-Servicephilosophie von Marco Junk:
Treffend, so wird es in der Tat von vielen Vertrieblern falsch Verstanden: “Social Media ist keine welterschütternde Revolution, sondern ein neuer Kanal – Punkt.” – nur, dass der Kanal sich selbst multipliziert, eine, nennen wir es Schwarmintelligenz besitzt und öffentlichkeitswirksam zurückschlagen kann.
http://www.facebook.com/notes/gunnar-sohn/social-media-nur-ein-neuer-kanal-im-kundenservice-es-geht-um-den-%C3%B6ffentlichen-ne/10150247661191977?ref=notif¬if_t=note_comment
Eigentlich möchte ich mich gegen die Vorurteile gegen die „Silberlocken“ etwas zur Wehr setzen. Denn leider hat sich auch bei mir diese Haarfarbe längst eingeschlichen, schon lange bevor wir Social Media für unsere Unternehmensgruppe entdeckt haben.
Natürlich ist es zu kurz gedacht, Social Media nur als „Kanal“ abzutun. Im Gegensatz zu FAX, ist ja auch nur ein Kanal, lesen bei Social Media etwas mehr Personen oder Organisationen mit. Zweifel?
Erst gestern hat sich unsere Expertin, Sabine Haas, mit der Überschrift „Social Media Marketing: Denn sie wissen nicht, was sie tun“ zu Wort gemeldet.
Den Beitrag finden Sie auf unserem result Blog unter:
http://www.result-blog.de/2011/07/13/social-media-marketing-denn-sie-wissen-nicht-was-sie-tun/
Das mit den Silberlocken war ja nur metaphorisch gemeint. Auch bei mir nimmt der Grauanteil zu 😉