Lustlos im Netz – Wie Politik und Wirtschaft die digitale Transformation blockieren, so habe ich heute meine The European-Kolumne aufgezogen als Steilvorlage für unsere heutige Bloggercamp-Sondersendung. Und natürlich wollen wir auch die medienrechtliche Problematik ansprechen und endlich einen Lösungsvorschlag der Politik bekommen.
Wer im Netz anfängt, Liveübertragungen via Hangout On Air oder vergleichbare Plattformen laufen zu lassen, steht mit einem Bein im Knast oder könnte zumindest ein deftiges Ordnungswidrigkeiten-Verfahren mit Geldstrafen von bis zu 500.000 Euro kassieren.
Der Rundfunkstaatsvertrag ist ein Relikt aus den Zeiten von „Dalli Dalli“ und „Einer wird gewinnen“:
„Rundfunk im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages ist ein linearer Informationsdienst, der für die Allgemeinheit und zum zeitgleichen Empfang bestimmt ist und die Veranstaltung und Verbreitung von Angeboten in Bewegtbild oder Ton entlang eines Sendeplans unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen zum Inhalt hat. Private Veranstalter bedürfen zur Veranstaltung von Rundfunk einer Zulassung, §20 Abs. 1 Satz 1 RStV. Bundesweite Fernsehangebote bedürfen der medienrechtlichen Prüfung durch die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) sowie die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK). Für die Prüfung eines bundesweiten Zulassungsantrages rechnen Sie bitte mit einem zeitlichen Aufwand von zwei bis drei Monaten (!) bis zur abschließenden gebührenpflichtigen Genehmigungserteilung.“
Verstöße gegen dieses prächtige Regelwerk der Echtzeitkommunikation können mit einer Geldbuße von bis zu 500.000 Euro geahndet werden.
Ein echtes Innovationshindernis. Gleiches gilt generell für Politik und Wirtschaft, die die digitale Transformation blockieren:
Die Netzbetreiber erhoffen sich hohe Umsätze aus der digitalen Transformation der deutschen Wirtschaft. Sprachtelefonie ist ein Auslaufmodell und beim Datengeschäft schneiden die Content-Anbieter den größten Teil des Kuchens ab. Sie sind Gefangene ihrer Flatrate-Preispolitik und wollen endlich am Bit-Geschäft partizipieren. Doch diese Hoffnungen könnten sich als Blütenträume erweisen – zumindest in Deutschland. Die Wirtschaft ist seltsam lustlos auf dem Weg in eine vernetzte Ökonomie. Sie suhlt sich in ihren Erfolgen als Exportnation aus den guten alten Tagen der industriellen Massenproduktion und spekuliert auf eine industrielle Renaissance. Auf Facebook oder Google marschiert man wegen des guten Tons und intern wird auf den Einsatz von Social Web-Werkzeugen wenig wert gelegt. Es könnte ja die hierarchische Statik der eigenen Organisation ins Wanken geraten:
Digitale Schockstarre
„Die meisten warten ab. Das hemmt das Neue beträchtlich und verzögert den Übergang so sehr, dass man in gewisser Weise annehmen kann, es werde gar keinen geben“, moniert der Publizist Professor Gunter Dueck. Es dominiert die unverkennbare Unlust. Die Verlage haben keine Lust auf eBooks und kapitulieren in Schockstarre vor Amazon, das Fernsehen hat keine Lust, sich mit den nebenbei im Kleinen betriebenen Internetkanälen herumzuschlagen. Banken ergötzen sich an jeder Filiale, die noch offen ist. Die schrumpfenden Tageszeitungen wollen nicht so richtig wahrnehmen, warum sie nur noch halb so dick sind, weil Anzeigen der Sparten Immobilien, Kontakte, Stellenangebote oder gebrauchte Autos auf Portale im Netz und in Smartphone-Apps abwandern. „Die Unlust ist so sehr spürbar, dass man auch von Abwarten sprechen kann, dessen schlechtes Begleitgewissen durch halbherzige Versuche gemildert wird“, so Dueck.
Die Politik ergeht sich in aktionistischer Symbolpolitik und bringt noch nicht einmal die eigenen eGovernment-Projekte erfolgreich auf den Weg – Bund Online dürfte noch als vage Erinnerung abrufbar sein. Stichwort: Die digitale Kompetenz der Bundesregierung – Placebo-Lutschpastillen.
Deutschland verliert international den Anschluss und gleitet ins digitale Mittelmaß ab, warnt Dr. Roman Friedrich von der Unternehmensberatung Booz & Company.
Er spricht sogar von einer technologiefeindlichen Einstellung der Wirtschaft. Fast alle Branchen seien sogar unterdigitalisiert.
„Wir fallen sogar zurück. Es gibt in Deutschland eine gewisse Technologiefeindlichkeit, auch in Unternehmen. In Nordeuropa gibt es beispielsweise eine viel höhere Affinität zu neuen Technologien“, sagt Friedrich mit Blick auf die nächste Woche startende Mobile World in Barcelona.
Staatliche Impotenz
Als Bremsklotz erweise sich auch das regulatorische Umfeld. In Nordeuropa gebe es eine Gesetzgebung, die die Unternehmen verpflichtet, hohe Bandbreiten für schnelles Internet überall anzubieten und zwar für jedes Gebäude. Auch die Nachfragestimulation des Staates liege bei uns im Argen.
„Es gibt weltweit sehr viele eGovernment-Projekte, die die Nachfrage für digitale Dienste anregt. Nicht so in Deutschland“, bemängelt Friedrich.
Da bekommen die liebewertesten Gichtlinge des Staates schon Pickel beim Gedanken, Like-Buttons auf ihrer Webpräsenz zuzulassen.
“Nicht mal ein Drittel der Deutschen bekommen Internet, das schneller als 10 Megabit ist. Das Wachstum der Internet-Zugänge liegt unter einem Prozent”, so Banse.
Er bezieht sich auf den Monitoring Report “Digitale Wirtschaft 2012″ des Wirtschaftsministeriums, der sich eher wie eine Krankenakte liest. Eine Bemerkung, die Banse im c’t-Online-Talk von Deutschlandradio Wissen machte.
Deutschland sei auf diesem Feld international nicht konkurrenzfähig. Ähnlich sieht es auch bei der nächsten Generation des schnellen Internets aus: Glasfaser. Merkel spricht ja so gerne von der Gigabit-Gesellschaft.
“Das ist nur mit Glasfaser möglich. Nur 0,6 Prozent der Internetzugänge bestehen aus Glasfaser. In Japan sind es über 62 Prozent”, erläutert Banse.
Die Politik verhalte sich pragmatisch und wartet auf den Druck von außen, sagte bwlzweinull-Blogger Matthias Schwenk in der Bloggercamp-Sendung über die „Krankenakte digitale Wirtschaft“:
„Und der ist viel zu gering.“
Handwerk und Mittelstand wissen schlicht nicht, was sie mit digitaler Technologie anfangen sollten. Über Firmen-Wikis oder die Ausstattung der Außendienstmitarbeiter mit Tablet-Computern werde gar nicht nachgedacht.
„Und die Konzerne schnüren sich in einer übervorsichtigen IT-Hauspolitik ein und sperren moderne Social Web-Werkzeuge aus.“
Die Honigtopf-Innovationen
Etwas aktiver sind Staat und Wirtschaft beim Fördergeldwellen-Surfen. Da gibt es einen Überbietungswettkampf an digitalen Innovationen – für die Kulisse.
„Die Forschungsinstitutionen des Staates und der Wirtschaft pervertieren diese Maßnahmen, indem sie dadurch Geld verdienen, dass sie die Fördertöpfe unter sich aufteilen! Sie müssen gar keine Innovationen hervorbringen! Sie bewerben sich mit ihren Ideen einfach um die Fördergelder für die Umsetzung genialer Ideen und forschen mit diesen Geldern irgendwie weiter. Wenn dann die Finanzkontrolleure nach den aus Innovationen verdienten Geldern fragen, weisen sie die Einnahmen aus den Fördertöpfen vor. Ja, tatsächlich, sie haben es geschafft, aus ihren Ideen Geld zu machen“, schreibt Dueck in seinem neuen Buch „Das Neue und seine Feinde – Wie Ideen verhindert werden und wie sie sich trotzdem durchsetzen“.
Studien, Publikationen, Impact-Points, Leuchtturmprojekte, Politiker-Pressetermine und einen ordentlichen Bonus für den spezialisierten Fördertopf-Innovationsmanager. Sobald die Förderung aufhört und die Mittel versiegen, marschieren die Winnie Puuhs des digitalen Wandels zum nächsten Honigtopf. Die gestoppten Projekte werden durch neue ersetzt, die wiederum neu gefördert und jährlich auf IT-Gipfeln der staunenden Öffentlichkeit als Theaterstück präsentiert werden.
Sollten Leser an der innovativen Fördergeld-Kreislaufwirtschaft zweifeln, empfiehlt Gunter Dueck eine Suchanfrage mit den Stichworten „Theseus“, „Galileo“ und „Ariane“. Oder schlicht: „Fördermittel verpulvern“.