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Twitter, Netzwerkrevolutionen und die Ziegelsteindiktatur in Unternehmen

Brick to Click? In deutschen Konzernen immer noch die Ausnahme

Brick to Click? In deutschen Konzernen immer noch die Ausnahme

Deutsche Unternehmen wagen sich nach einem Bericht des FAZ-Redakteurs Holger Schmidt nur sehr vorsichtig auf das unbekannte Twitter-Terrain. Nur etwa fünf Prozent der börsennotierten Firmen nutzen diese Art der Kommunikation aktiv. “Die meisten Unternehmen wissen offenbar noch nicht so recht, was sie mit dem neuen Instrument anfangen sollen”, schreibt Schmidt. So habe Daimler zwar seit langem Twitteraccounts gesichert, um Missbräuche des Firmennamens zu unterbinden. Zur Zeit werde allerdings erst intern geprüft, wie man das neue Medium in die Kommunikationsstrategie einbinden könne. “Denn Twitter stellt die Kommunikationspolitik vieler Unternehmen auf den Kopf. Wenn plötzlich einzelne Abteilungen mit dem Twittern anfangen, wird das Kommunikationsmonopol der Pressestelle durchbrochen”, vermutet FAZ-Blogger Schmidt.

Da schwebt wohl immer noch die Sehnsucht nach den glücklichen Tagen einer autokratischen Informationspolitik über den Köpfen der PR-Verantwortlichen. Diese Zeit ist auch ohne Twitter, Facebook und Co. schon lange vorbei. So funktioniert die Welt des Internets seit zehn Jahren nicht mehr. Wer das Intranet im Unternehmen immer noch als reines Verkündigungsorgan für den Vorstand sieht, wird von den Möglichkeiten des Mediums überrollt. Selbst in einem diktatorischen Intranet – “Ihr dürft unsere Proklamationen lesen, aber im Büro nicht darüber sprechen” – entwickeln sich die Gespräche im Markt. So glaubte Ende der 1990er Jahre der Vorstand von o.tel.o (war mal ein Herausforderer der Telekom….), mit dem Intranet könne man nur die Informationen steuern, die von der Kommunikationsabteilung zugelassen werden. Dabei hatte das Unternehmen mit dem Produkt “Backweb” elektronische Agenten eingeführt, wo jeder Mitarbeiter sei eigenes Informationsmenü festlegen konnte – mit externen und internen Kanälen. Mit der Agententechnologie konnte man automatisch nach bestimmten Inhalten im Intranet und Internet suchen. Dazu gehörten auch Meldungen von Presseagenturen.

Trotzdem wollte der o.tel.o-Vorstand bestimmte Agenturmeldungen über Verkaufsgerüchte nicht ins Intranet stellen. Begründung: “Das könnte die Mitarbeiter verunsichern”. Die elektronischen Agenten übernahmen den Job und die o.tel.o-Belegschaft war verunsichert, warum die Meldungen nicht direkt von der internen Kommunikation verbreitet und vom Vorstand kommentiert wurden. Auch damals gab es unter den Kommunikationschefs in großen Konzernen große Bedenken gegen die o.tel.o-Anarchie im Intranet. Ein Vertreter ein großen Frankfurter Bank (…..) pochte auf sein Informationsmonopol. Da konnte es nicht verwundern, dass in seiner Mitarbeiter-Zeitschrift der Chef seines Finanzhauses grinsend mit Taktstock abgebildet war mit der sinnigen Bildunterschrift: “xy gibt den Takt an”. Und die PR-Chefin eines TK-Unternehmens zeigte sich entgeistert, dass man ihre internen Propagandafibeln als anachronistisch titulierte. Die resolute Dame hatte eine Vorliebe für Firmenjubiläen, Rätselecken und Passfotos ihres übergewichtigen Vorstandsvorsitzenden mit Doppelkinn.

Wer jetzt mit Twitter-Regeln, Schulungen oder sonstigem Coaching-Quatsch aufwartet, um sich schmerzlos im Social Web zu bewegen, der hat die Eigendynamik des Internets immer noch nicht kapiert. Meinungen, schlechte Nachrichten, Gerüchte und Skandale verbreiten sich mit oder ohne Twitter-Gehirnwäsche. Entscheidend ist die Reaktionsschnelligkeit der Unternehmen, sich den Gesprächen im Netz ohne Wenn und Aber zu stellen. Mitarbeiter lassen sich nicht mehr von oben nach unten steuern. Firmen sollten daher auf Selbstorganisation setzen und nicht auf Regulierung.

Oder wie es viel prosaischer der italienische Schriftsteller Alberto Savinio ausdrückt: “Der Grad von Menschlichkeit eines Unternehmens, einer Tat, einer Lage, ist messbar an dem Mehr oder Weniger an Freiheit, die sie uns gewähren, über uns selbst zu verfügen”.

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

4 Kommentare zu "Twitter, Netzwerkrevolutionen und die Ziegelsteindiktatur in Unternehmen"

  1. Viele Unternehmen – oder besser gesagt Manager – haben sich zu weit von Ihren Kunden entfernt. Sie wissen daher auch nicht was sie mit twitter und facebook anfangen sollen. Wer nicht ständig mit seinen Kunden spricht, wer Kundenanfragen ignoriert, wer den Kontakt zur Basis verloren hat, dem wird twitter, communities, etc nichts sagen. Ganz im Gegenteil. Twitter ist für Kontrollfreaks ausserhalb und im Unternehmen eine echte Bedrohung. Man wird unweigerlich an Martin Luthers Thesen erinnert. Auch die brachten eine bestehende Ordnung ins Wanken. Manager sollten doch noich einmal einen Blick in das Buch cluetrain manifest werfen. Martin Luther lässt grüssen

  2. Twitter nur aus taktischen Gründen und zentral von der Firmen-PR einzusetzen und zu steuern, wird dem Medium nicht gerecht. Das kommt im Social Web nicht an, wirkt wenig authentisch. Die Unternehmen kommen mit ihrer Kontrollmacke nicht mehr weit. Dafür sorgen alleine die Kunden im Netz.

  3. über Kontrollfreaks habe ich mich ja schon ausführlich ausgelassen.
    Siehe: http://gunnarsohn.wordpress.com/2009/03/04/kontrollfreaks-und-statistikakrobaten-schlechte-innovatoren-wirtschaft-braucht-neue-erfindungsimperien/

    Sie schaden in jeder Hinsicht. Und Twitter eignet sich nun überhaupt nicht für Schönredner im Unternehmen.

  4. Monolith2063 | 17. Juni 2009 um 10:19 Uhr |

    Twitter in Unternehmen sollte da nur eingesetzt werden, wo es sinnvoll ist. Klar, dass das begeisterte Twitterer nicht hören wollen. Aber ehrlich: was würde denn z.B. passieren, wenn eine Bank ihren Angestellten das Twittern erlauben würde? Da hauen vielleicht Berater mal Anlagetipps raus, die verbreiten sich und dann läuft es doch nicht so gut… eine Klagewelle würde sich vermutlich ergiessen. Es ist doch völlig klar, dass deshalb solche Dinge nicht zugelassen werden, sondern nur zentral abgestimmte Inhalte rausgehen.
    Die freie Dynamik hört eben da auf, wo eine Firma wegen dieser Aussagen zitiert und verklagt werden könnte. Denn: jeder Twitterer, der von einer Firma aus schreibt, ist damit eine Art Repräsentant und sein Wort gilt im Zweifel als Wort der Firma. Bei einer Firma, deren öffentliche Bedeutung nicht wirklich gegeben ist, ist das uninteressant. Aber bei Firmen wie Banken, Versicherungen, Pharmaunternehmen, Ärzten, etc. sieht das doch ganz anders aus.

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