Die Krise als Chance für einen Neustart der Wirtschaft – Fordistische Geschäftsprinzip hat ausgedient

Die herannahende Rezession blockiert das stark vernetzte Wirtschaftssystem in weiten Teilen. Nicht nur die Finanzströme stocken, auch die gesamten Warenströme fließen nicht mehr reibungslos. Man legt Produktionen still und kann Mitarbeiter gar nicht oder nur teilweise auslasten. Diese Denkpause sollten Firmen nutzen, um vom kurzfristigen und reaktiven in ein strategisches Handeln umzuschwenken, so der Ratschlag des Schweizer Systemarchitekten Bruno Weisshaupt. „Statt lediglich unbefriedigende Entwicklungsstände bei den aktuell am Markt angebotenen Produkten zu korrigieren, zu reparieren oder marginal zu verbessern, muss fundamental umgedacht werden. Jedes Unternehmen, das jetzt diese Zeit nicht für die eigene Rollenfindung nutzt, gerät bald in Rückstand. Die in dieser Situation gefragte Fähigkeit, mit disruptiven Innovationen aus dem intimen Verständnis des Marktes heraus zu handeln, wurde in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt“, beklagt Weisshaupt. Das vor allen Dingen die Autoindustrie von der Finanzkrise so gebeutelt wird, sei kein Wunder. „Das hängt nicht nur mit dem Konjunkturzyklus zusammen, sondern auch mit der Produktpolitik. Es ist doch sehr auffällig, dass in der Automobilindustrie technologisch schon lange kein großer Sprung nach vorne gelungen ist. Im Grunde fahren wir schon seit hundert Jahren mit den gleichen, wenn auch optimierten Vehikeln herum“, sagt Weisshaupt.

Der Finanzcrash beschleunige nur die Tatsache, dass man am Ende des natürlichen Entwicklungszyklus angekommen sei. Mit einer linearen Weiterentwicklung der Produkte komme man nicht weiter. Überlieferte Lösungen seien geprägt von aufgeblähten Funktionen und überbordender Technik. So sieht das auch Alexander Horn, Autor der Frankfurter Zeitschrift Novo: „Die gegenwärtigen Absatzprobleme der Automobilhersteller resultieren nicht aus der Not der am Abgrund stehenden Finanzwirtschaft – beide Krisen haben vielmehr die gleichen Wurzeln. Die Lösung kann nur darin liegen, dass wieder Autos gebaut werden, die die Kundschaft auch ohne nachgeworfenes Geld haben will“.

Weisshaupt fordert neue Systeme und Geschäftsmodelle, um das On-Demand-Verhalten der Menschen zu unterstützen und ihnen die Technik unauffällig zur Verfügung zu stellen. „Urbanität, Identität, Mobilität, Interaktion, Integration, Individualität, Automatisierung sind die zukunftsfähigen Infrastrukturen und die Basis für jede Systeminnovation.“ Produkte, die man irgendwo auf der Welt als Module herstellt, würden zu Gunsten von Applikationen an Marktbedeutung verlieren. Worauf es ankomme, sei die Konfiguration. „Zwar wird die bessere Technologie auch in Zukunft ein wesentlicher Grundstein für den Erfolg einer neuen Anwendung sein. Wer würde bezweifeln, dass man mit der Entwicklung einer funktionierenden Brennstoffzelle nicht gute Geschäfte machen kann. Der Erfolg am Markt wird aber nicht an der Technologie hängen, sondern an ihrer kundenorientierten Umsetzung“, sagt Weisshaupt. Wer sich auf die Produktion der Basisprodukte konzentriere, werde das Ausscheidungsrennen gegen Länder wie China oder Indien nicht gewinnen. „Im täglichen Geschäft verlieren das fordistische Geschäft und das tayloristische Prinzip längst an Bedeutung, was beileibe nicht nur für die Internetwirtschaft gilt“, schreibt Zeit-Redakteur Götz Hamann in einem Beitrag für das Buch „Die Kunst, loszulassen – Enterprise 2.0“ (Rhombos-Verlag).

Wer sich aber die Strukturen von Konzernen und straff organisierter Mittelständler anschaue, werde erkennen, dass das Erbe von Ford und Taylor noch sehr lebendig sei: Vertrieb, Marketing, Entwicklung, Produktion, Buchhaltung, Innenverwaltung, IT-Abteilung – und natürlich der Vorstand. Die meisten Unternehmen würden aus Schubladen bestehen und wer in einer von ihnen stecke, habe in den anderen meist nichts zu suchen. „Die traditionelle Arbeitsteilung gilt noch immer als sicherste Form der Herrschaftsausübung und als wirkungsvollste Methode, um eine Organisation zu kontrollieren“, bemängelt Hamann.

Andreas Rebetzky, Vorstandsmitglied des cioforums, verweist auf ein Zitat von Schiller: „Nur vom Nutzen wird die Welt regiert“. So müsse ein IT-Chef aus seiner verträumten Technikecke rauskriechen und sich als Gestalter und nicht als Verwalter im Unternehmen profilieren. „Das tradierte Wissen aus dem vergangenen Jahrhundert sitzt oft starr in den Köpfen der IT-Entscheider. Hier erwarte ich Impulse von der jungen Generation, die als Digital Natives auch die Berufswelt umpflügen werden“, prognostiziert Rebetzky, Director Global Information der Firma Bizerba, die Systemlösungen der Wäge-, Informations- und Food-Servicetechnik anbietet. Mit der gegenwärtigen Sparhysterie werde die Wettbewerbsfähigkeit vieler Firmen eher negativ beeinflusst. „Es sollte mehr investiert werden in wirkliche Prozessinnovationen“, fordert der IT-Interessenvertreter des cioforums.

Makroökonomische Alchimisten und die Grenzen der Vorhersehbarkeit – Wirtschaftswissenschaftler sind nur bescheidene Philosophen

In Deutschland überschlagen sich zur Zeit die Meinungsbildner beim Entwerfen wirtschaftlicher Horrorszenarien. „Je katastrophaler die Prognosen, desto beliebter sind ihre Verkünder“, kommentiert Paul Spree von der Südthüringer Zeitung. Makroökonomische Alchimisten ringen um die Deutungshoheit, um unser konjunkturelles Schicksal zu verorten. Dabei verdrängen sie jegliche Selbstzweifel an der wissenschaftlichen Seriosität ihrer Zahlenspiele. „Nachdem wir alle die Geschwindigkeit und die Dramatik des wirtschaftlichen Absturzes unterschätzt und zu lange an zu optimistischen Voraussagen festgehalten haben, will man dieses Mal nicht hinter der Realität hinterherhinken. Schon allein weil die Wirtschaftsinstitute von Regierung, Politik und Medien ihrer Fehlprognosen wegen mit einer Mischung von Enttäuschung, Kritik, Vorwürfen bis hin zu Häme und Schadenfreude überschüttet wurden“, räumt Thomas Straubhaar ein, der als Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts tätig ist.

Um aus dem auch für die eigene Existenz nicht ungefährlichen Fahrwasser der Fehlprognosen herauszufinden, würden sich die Konjunkturforscher wie Banken verhalten. „Nachdem letztere Kredite zu fahrlässig und zu leichtfertig vergeben haben und für ihr Fehlverhalten in der Öffentlichkeit gnadenlos abgestraft und an den Pranger gestellt wurden, sind sie jetzt über Gebühr risikoscheu geworden und sehen sogar in der einfachen Kreditfinanzierung von gängigen Geschäftsabwicklungen für kerngesunde deutsche Mittelständler mehr Gefahren als Chancen“, so Staubhaar. Wer sich jetzt sehr pessimistisch äußere, werde kaum geprügelt werden, wenn es nicht so schlimm kommen sollte. „Das ist eine ziemlich schnoddrige Haltung. Vielleicht servieren uns die gutdotierten Wirtschaftsprognostiker Ende 2009 noch die Story, dass ihre apokalyptischen Vorhersagen für ein rasches Eingreifen der Politiker gesorgt haben und deshalb eine Rezession verhindert werden konnte“, so der Einwand von Udo Nadolski, Geschäftsführer des Düsseldorfer IT-Beratungshauses Harvey Nash. Wenn sich herausstellen sollte, dass es für wirtschaftliche Projektionen kaum eine solide Zahlenbasis gibt, könnten die mit viel Brimborium vorgestellten Vorhersagen als staatlich alimentierte Kaffeesatzleserei entzaubert werden. „Man darf nicht vergessen, dass die Wirtschaftsprognosen nicht auf harten Fakten beruhen, sondern das Ergebnis mathematischer Modelle sind“, sagt Nadolski im Gespräch mit NeueNachricht.

Ein Prozent nach oben oder nach unten – genauer lasse sich das Wirtschaftswachstum nicht vorhersagen, sagt Ulrich Fritsche, Juniorprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg, gegenüber dem Wirtschaftsmagazin brandeins. Sein Spezialgebiet: die Bewertung von Konjunkturprognosen. Eine Wachstumsprognose von 0,5 Prozent müsste demnach eigentlich lauten: Wir gehen von einem Wachstum von minus 0,5 Prozent bis plus 1,5 Prozent aus. „Aber so etwas kann man der Öffentlichkeit schlecht verkaufen“, vermutet Fritsche. Deshalb sollten die volkswirtschaftlichen Trendgurus mehr Demut an den Tag legen und ihre wissenschaftstheoretische Fundierung selbstkritisch überprüfen, fordert der Personalexperte Nadolski: „Ein Studium der Werke von Karl Popper könnte einigen VWL-Professoren gut tun. Sie würden erkennen, dass ihre wissenschaftliche Arbeit ungefähr auf dem Niveau der Unterhaltungsbranche rangiert. Wer sich mit der Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft beschäftigt, ist ein Geschichtenerzähler. Um geschichtliche Ereignisse vorhersagen zu können, müsste man nach Erkenntnissen von Popper die technologische Innovation vorhersagen, die jedoch grundsätzlich nicht vorher gesagt werden könne“, erläutert Nadolski. Bei ökonomischen und sozialen Prozessen sei die Komplexität einfach zu groß, um sie genau zu berechnen.

„Management der Zukunft findet unter den Bedingungen der Komplexität und Zufall statt. Zufallsfluktuationen und Komplexität erzeugen nichtlineare Dynamik“, schreibt der Wissenschaftstheoretiker Klaus Mainzer in seinem Buch „Der kreative Zufall – Wie das Neue in die Welt kommt“. In unsicheren und unübersichtlichen Informationsräumen könnten Menschen nur auf Grundlage beschränkter Rationalität entscheiden und nicht als homo oeconomicus. Der Laplacesche Geist eines linearen Managements von Menschen, Unternehmen und Märkten sei deshalb zum Scheitern verurteilt. Auch wissenschaftliche Modelle und Theorien seien Produkte unserer Gehirne. „Wir glauben in Zufallsreihen Muster zu erkennen, die keine sind, da die Ereignisse wie beim Roulette unabhängig eintreffen. Wir ignorieren Spekulationsblasen an der Börse, da wir an ein ansteigende Kursentwicklung glauben wollen“, erläutert Professor Mainzer.

Zufall führe zu einer Ethik der Bescheidenheit. Es gebe keinen Laplaceschen Geist omnipotenter Berechenbarkeit. In einer zufallsabhängigen Evolution sei kein Platz für Perfektion und optimale Lösungen. Zufällig, spontan und unberechenbar seien auch Einfälle und Innovationen menschlicher Kreativität, die in der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte als plötzliche und unvorherbestimmte Ereignisse beschrieben werden. Ohne Zufall entstehe nichts Neues. „Nicht immer fallen die Ereignisse und Ergebnisse zu unseren Gunsten aus – das Spektrum reicht von Viren und Krankheiten bis zu verrückten Märkten und Menschen mit krimineller Energie“, resümiert Mainzer. Der Ökonom Friedrich August von Hayek wandte sich 1974 in seiner Rede zur Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises gegen die Benutzung der Instrumente der harten Wissenschaften in den sozialen Wissenschaften. Den Boom dieser Methoden in den Wirtschaftswissenschaften konnte Hayek nicht aufhalten, obwohl es immer noch Stimmen gibt, die den Ökonomen eher die Rolle bescheidener Philosophen zuweisen wollen. Hohepriester sind sie jedenfalls nicht.