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Social Media-Mimikry der Unternehmen: Ich habe Prozesse, also bin ich

Erwachsene Branche mit Tools, Prozesse und so.

Erwachsene Branche mit Tools, Prozessen und so.

Angeblich wird die Social-Media-Branche erwachsen und weist derzeit fünf große Trends – von Communities, über eigene Abteilungen bis hin zu Social CRM – auf. So steht es zumindest in einem Fachbeitrag für gruenderszene.de.

“Durch Social Media hat sich die Art, wie Unternehmen das Internet nutzen, stark verändert. Das Bild des sendenden Unternehmens und des empfangenden Konsumenten hat sich gewandelt. So haben sich die Unternehmen angepasst und sind dorthin gegangen, wo der Kunde ist”, schreibt die Autorin Susanne Rump.

Der Dialog zwischen Usern und Unternehmen rücke im Social Web immer stärker in den Mittelpunkt und wird zum entscheidenden Kanal (was für ein Kanal?). E-Mail und Telefon werden gerade bei der jüngeren Zielgruppe immer unbeliebter. Zustimmung. Aber mehr Übereinstimmung gibt es zu diesem Beitrag nicht.

Dann folgt der übliche semantische Brei über Analyse-Software, Kundenverhalten beobachten über Monotoring-Tools, Social-CRM und ganz wichtig: Prozesse. Ich habe Prozesse, also bin ich.

Der Publizist Gunter Dueck hat das in einem Vortrag in Bonn herrlich auf die Schippe genommen:

Rump aber folgt schön der Leimspur des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW):

“Wachsende Budgets und mehr Investitionen etwa in Tools, die nicht nur zur Erfassung und zur Messung dienen, sondern auch mehr Professionalisierung des Dialogs durch Community-Management-Tools bieten, sind die Folge. ‘Die Zeit der Experimente ist vorbei’ sagt der BVDW, und so hält die harte Währung der KPIs Einzug. Messbare Größen und definierte Kennzahlen, geregelte Prozesse und speziell geschulte Mitarbeiter, unternehmensbereichsübergreifende Projekte und die Integration in bestehende Prozesse – Social Media ist angekommen.”

Geregelte Prozesse? Solche Formulierungen machen vor allem die Controlling-Gichtlinge der Unternehmenswelt glücklich – mehr auch nicht.

Aber an einer Stelle des Beitrages möchte ich massiven Widerspruch anmelden:

“Unternehmensbereiche jenseits von Marketing und Sales entdecken allmählich das Social Web für sich – sei es die Personalabteilung, der Einkauf, die Marktforschung oder auch die Produktentwicklung.”

Knöpfen wir uns mal die Personalabteilungen vor und rufen uns das ins Gedächtnis, was Professor Peter Wippermann im ichsagmal-Interview ausführte:


In Deutschland könne man die Rückständigkeit als vernetzte Ökonomie relativ simpel überprüfen.

“Man muss sich nur das Personalmanagement anschauen. Alle großen Unternehmen sind in irgendeiner Weise im Web 2.0 aktiv. Entweder in den branchenspezifischen Angeboten wie Xing oder LinkIn oder auf Portalen wie Facebook. Aber 64 Prozent der deutschen Mitarbeiter in Personalabteilungen schauen nicht ins Internet. Die Betreuung der Web-Angebote läuft nicht über die Personalabteilung, sondern über PR, Marketing oder IT. Das macht deutlich, dass wir ganz am Anfang stehen”, erläutert Wippermann.

Wobei natürlich Personalmanager auch ins Internet schauen. Es wird aber nicht aktiv als tägliches Werkzeug für die Arbeitsorganisation eingesetzt. Den Lippenbekenntnissen nach außen folgen keine Taten nach innen. Technisch sei die Reise relativ klar vorgezeichnet, sagt Wippermann. Es gebe in den Organisationen große Widerstände, die allerdings öffentlich nicht zugegeben werden.

“Man verteidigt ein System der arbeitsteiligen Industriekultur mit einer Kommunikation, die Top-Down verteilt wird und nicht interaktiv ist. So lange wir noch von Neuen Medien und den Herausforderungen des Internets sprechen, wird es noch weitere 20 Jahre dauern, bis sich unsere Kultur umgestellt hat.”

Bestätigung erfährt die Einschätzung von Wippermann durch Björn Braune, der gerade mit einer ungewöhnlichen Selbstinszenierung zur Jobsuche via bjoernstarter.de für Schlagzeilen sorgt.

Der klassische Peronalmanager könne mit dem Social Web schlichtweg nichts anfangen, sagte Björn im Bloggercamp.tv-Interview.

Sie verstehen auch nicht seinen Webauftritt.

“Für mich dient das als Filter. Mit diesen Leuten komme ich nicht ins Gespräch. Und das gilt auch umgekehrt.”

In solchen Organisationen findet er keinen Platz und strebt das auch gar nicht an. Er schließt die Unternehmen mit einer alten Arbeitskultur bewusst aus. Nach dem Motto: Wenn ein Job für mich interessant ist, wird er mich finden.

Ein Modell, das sich nach Einschätzung von Björn Braune immer stärker ausbreiten wird. Insofern bekommen die hierarchisch geführten Unternehmen – und das ist die große Mehrheit – immer mehr Probleme, die Talente mit digitaler Kompetenz an sich zu binden. Mit oder ohne vermeintliche Social Media-Prozesse.

Susanne Rump und Vertreter des BVDW sind übrigens herzlich eingeladen, ihre Thesen in Bloggercamp.tv zu diskutieren. Da gilt aber das gesprochene Wort, ohne Tools, Sprachregelgungen und Freigabeschleifen.

Siehe auch:

The Björn: Online-Bewerbung mit gesunder Portion Selbstironie

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

3 Kommentare zu "Social Media-Mimikry der Unternehmen: Ich habe Prozesse, also bin ich"

  1. Hallo und,

    ja, ja, ja, Diesem Beitrag kann ich zu 100 % zustimmen. Das traurige ist doch, dass sich an Personalarbeit und Bewerbungsverfahren überhaupt nichts geändert hat. Schon gar nicht bei den Kriterien für die Auswahl des Personals. Die Unternehmen bauen neue Barrieren auf und versuchen ihren Kontrollanspruch zu erweitern. Kununu, Facebook, tolle Videos auf youtube reicht dann in der Regel aus, um mit einem guten Gewissen vor der Führungsetage auftreten zu können. Betrifft aber leider nicht nur den Personalbereich. Nur wenige Menschen und Unternehmen haben bisher richtig verstanden in welche Richtung der Zug fährt.

    Danke für den Artikel

  2. Gern geschehen. Wir können das gerne fortsetzen in Bloggercamp.tv, wenn Du mal bei uns Gast sein möchtest. Läuft immer am Mittwoch, um 18:30 und 19:30 Uhr. Siehe auch: http://bloggercamp.tv

  3. Reblogged this on Östermanns Blog.

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