„Sie haben keine Ahnung“, „Verschwörungstheorien“, „Beleidigungen“, „Gähn“ – Tweets des SPDlers @UlrichKelber zur #VDS Umfaller-Debatte

Die Metamorphosen des Herrn Kelber zur Vorratsdatenspeicherung
Die Metamorphosen des Herrn Kelber zur Vorratsdatenspeicherung

Für die SPD-Umfaller, die sich wie der Bonner SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber vor wenigen Monaten noch vehement gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen haben und nun der Linie ihres Parteivorsitzenden Gabriel folgen, wird es schwer, das Wahlvolk zu beruhigen.

Besonders schwer macht es sich Kelber im Twitter-Dialog mit einigen Beschwerden, die direkt aus seinem Wahlkreis kommen. Da er zudem Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium ist, kommt dem Disput noch eine besonders Bedeutung zu.

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Zur Frage, ob sich Ministerpräsidentin und Landeschefin Hannelore Kraft am Rande des Parteikonvents in Berlin einzelne Landtagsabgeordnete vorgeknöpft haben, die gegen den Antrag der SPD-Spitze gestimmt hatten, kamen flapsige Bemerkungen von Kelber:

„Nein, bei mir nicht und im Artikel sagen ja auch andere, dass es da nix gab.“

VDS

Der WAZ-Bericht spricht eine andere Sprache.

Vor Zeugen soll Kraft dem jungen Medienpolitiker Alexander Vogt aus Herne lautstark gedroht haben, so lange sie etwas in NRW zu sagen habe, könne er nichts mehr werden. Vogt erklärte gegenüber der WAZ:

„Wir haben uns sowohl vor als auch nach dem Konvent über unsere unterschiedlichen Standpunkte offen ausgetauscht.“ Ob Kraft mit Nicht-Berücksichtigung bei künftigen Personalentscheidungen gedroht habe? „Nein“, erklärte Vogt.

„Gegenüber der Ratinger Abgeordneten Elisabeth Müller-Witt soll Kraft geäußert haben, sie beschäftige sich im Sommer mit einigen Personalien, ‚und du stehst nicht auf der Liste‘. Müller-Witt ließ den Vorfall auf Anfrage undementiert, erklärte nur: ‚Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich die Nicht-Öffentlichkeit ernst nehme und deshalb nicht aus der Veranstaltung berichte.'“

Der Detmolder Dennis Maelzer, ebenfalls Gegner der Vorratsdatenspeicherung, habe offenbar nach einem „Einzelgespräch“ mit Kraft im Vorfeld des Parteikonvents seine Meinung geändert und für den Antrag des SPD-Vorstands gestimmt.

Es hat also, werter Herr Kelber, keine Interventionen von Kraft gegeben? Die Ministerpräsidentin äußerte sich jedenfalls weniger apodiktisch:

„Was in der Kabine besprochen wird, bleibt in der Kabine.“

Seine eigenen Metamorphosen vom Paulus zum Saulus rechtfertigt Kelber mit einem langen Text auf seiner Website, der das Ganze noch schlimmer macht.

VDS Kelber

Welchen Nutzen die verdachtsfreie Massenüberwachung nun bei der Verbrechensbekämpfung hat, kann man in der Rechtfertigungslyrik des Bonner Bundestagsabgeordneten und Justizstaatssekretärs mit der Lupe suchen:

„Mehrere Standortdaten („Bewegungsprofil“) dürfen nur zur Aufklärung besonders schwerer Straftaten (z.B. Serienmord) oder zur Entlastung eines Beschuldigten verwendet werden.“

Der Sprecher des Ministeriums sagte kürzlich noch, er könne keinen konkreten Gefahren benennen, bei denen die Vorratsdatenspeicherung Sinn macht. Bleiben jetzt Serienmörder die einzige Gefahrenquelle, die man mit der VDS bekämpfen will?

Cookie-Niveau erreicht Kelber dann im Postskriptum seiner Stellungnahme:

„Ich bitte alle Gegner einer VDS aber auch um Engagement in einer anderen Frage: Aus meiner Sicht ist die Datensammlung und fortlaufende Profilbildung durch private Konzerne im Internet die eigentliche Gefährdung unserer Freiheit. Die private Datenspeicherung und -verarbeitung entbehrt heute selbst im demokratischen Rechtsstaat oft jeglicher Kontrolle, außerdem werden alle gespeicherten Daten aller BürgerInnen rund um die Uhr ausgewertet. Aus gläsernen Kunden/NutzerInnen werden schnell gläserne BürgerInnen, wenn nicht nur Konsum, sondern Kommunikation und Information von den Konzernen durch die Informationen aus den Profilen gesteuert werden. Hören Sie bitte aufmerksam zu und widersprechen Sie lautstark, wenn Wirtschaftsvertreter (wie zuletzt der Präsident der BITKOM) und PolitikerInnen (wie zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel) davon sprechen, dass der Einwilligungsvorbehalt der Datenerhebung, die Zweckbindung der erhobenen Daten und Datensparsamkeit nicht mehr die richtigen Konzepte für das 21. Jahrhundert seien. Das Gegenteil ist der Fall, sie sind die unbedingte Voraussetzung für die Datensouveränität der BürgerInnen im digitalen Zeitalter!“

So kritikwürdig die Werbe-Agitation im Internet ist, so unverschämt und durchsichtig ist das Ablenkungsmanöver von Kelber. Personalisierte Werbung und Big Data-Verfahren im Internet als die eigentliche Bedrohung darzustellen, verlangt schon eine Menge Ignoranz im Diskurs mit der Bürgerschaft.

Möchte mich Kelber vor dem Ausverkauf meiner Daten schützen, weil gewinnsüchtige Konzerne, in der Regel in den USA angesiedelt, begierig meine Privatsphäre und geheimen Wünschen ausspionieren wollen? Hat der Staat keine Interessen, mich kollektiv über die vorauseilende Volksüberwachung in die Kategorie von Kinderpornografie-Konsumenten oder Serien-Mörder einzustufen?

Abmahn-Gichtlinge: Warum mich die Blockadepolitik von Union und Musikindustrie nicht überrascht

Rechtsanwälte, Wettbewerbs- und Abmahnvereine machen seit Ewigkeiten richtig dicke Kohle mit dem Abmahngeschäft. Das Ganze ist ein reiner Papierkrieg mit richtig schöner Rendite. Ohne viel Aufwand wird eine Software im Internet eingesetzt, um Verstöße gegen Urheberrecht oder gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb zu erforschen. Das Standardschreiben ist immer gleich, nur Name und Adresse des „Rechercheopfers“ und den Sachverhalt eintragen, frankieren, eine eklig kurze Frist für die Unterlassungserklärung setzen und raus das Ding mit einer Kostenberechnung, die pro Abmahnung mehrere hundert Euro beträgt – natürlich wird der Streitwert richtig hoch angesetzt, damit man die Abmahnsummen nach oben treiben kann.

Diese Abmahnfabriken können mit der Angst der Empfänger kalkulieren. Lieber eine Unterlassungserklärung außergerichtlich akzeptieren, als den unkalkulierbaren Fortgang der Geschehnisse abwarten und noch auf eigene Rechnung einen Rechtsanwalt einschalten. Es könnte ja vor Gericht gehen mit der Gefahr, den Prozess zu verlieren.

Es gibt sogar Verbände, die sich auf bestimmte Branchen spezialisiert haben und richtig fette Jahresumsätze mit der Angst der Menschen einfahren. Ausgestattet mit dutzenden Anwälten und mehreren Geschäftsführern spüren sie gnadenlos jeden Scheißdreck im realen und digitalen Leben auf, um die Interessen ihrer Auftraggeber zu erfüllen. In der Regel sind es Großkonzerne etablierter Industrien, die mit der Abmahnkeule ihre Besitzstände verteidigen – ohne Rücksicht auf Verluste. Ich nenne hier bewusst mal keine konkreten Verbandsnamen, um nicht direkt von einer Kanzlei abgemeiert zu werden – den Gefallen werde ich Euch nicht tun. Aber soviel kann ich doch sagen.

Mich wundert die Meldung von heute früh überhaupt nicht, dass Union und Musikindustrie den Gesetzentwurf des Justizministeriums zur Eindämmung des Abmahn-Missbrauchs des Justizministeriums blockieren.

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU-CSU-Bundestagsfraktion, Günter Krings, verlangte nach einem heise-Bericht eine „grundlegende Überarbeitung“ des Gesetzentwurfs.

„Es bleibt komplett unbeachtet, dass das geistige Eigentum im Internet mit den Füßen getreten wird“, sagte Krings der Zeitung. Aus Regierungskreisen verlautete zudem laut Frankfurter Rundschau, dass die Union den Abstimmungsprozess komplett angehalten habe und nicht einmal bereit sei, über einzelne Punkte des Gesetzentwurfs zu verhandeln.

Ein Sprecher des Bundesverbandes Musikindustrie warnte davor, die Rechtsdurchsetzung im Urheberbereich werde durch die Beschränkung faktisch unmöglich gemacht und sprach von einem „inakzeptablen Signal“. Der Entwurf habe eine „falsche Stoßrichtung“. Damit ist klar, für was die Musikindustrie das Leistungsschutzrecht herbeisehnt. Es geht nicht um geistiges Eigentum oder um einen besseren Schutz von Urhebern, sondern um ein Kampfmittel für weitere Abmahn-Orgien unter dem Deckmantel einer entsprechenden Verwertungsgesellschaft. Es geht um Lobbyinteressen und nicht um das Wohl und Wehe von Künstlern, werter Sven Regner.

Egal, was rechtlich passiert. Eines hassen die Abmahn-Fabrikanten: Öffentlichkeit.

Abmahnungen bringen das Social Web aber so richtig in Wallung. Und das ist gut so. Schlecht für grobschlächtige Schreihälse, autoritäre Gerichtshansel und rechthaberische Trotzköpfchen.

Wenn Unternehmen glauben, sie könnten sich durch Abmahnungen, Unterlassungsklagen und Lösch-Gesuche noch über Wasser halten, sind sie wohl auf dem Holzweg. Was im Netz an der Tagesordnung ist, gab es übrigens auch in der Renaissance-Literatur. Sie war geprägt von einer Verkehrung der offiziellen Welt der Herrscher und Duckmäuser. Sie verspottete Dogmen, plädierte für Offenheit, war Vorbild für eine fröhliche Anarchie, demontierte Autoritäten und althergebrachte Hierarchien. Prägende Renaissance-Geistesgrössen waren François Rabelais, der den humoristischen Romanzyklus Gargantua und Pantaguel schrieb, Erasmus von Rotterdam mit seinem Lob der Torheit und Ulrich von Hutten mit den Dunkelmännerbriefen. Ihr Forum war der Marktplatz. Ihre Waffe war der Humor und ihre Wirkung war der Wandel von unten. Ähnliches spielt sich heute im Internet ab. Ja, ja, liebwerteste Abmahn-Gichtlinge, dat Netz bekommt ihr nicht in den Griff.

Christoph Kappes hat übrigens einen sehr interessanten Beitrag für Spiegel Online zu diesem Komplex geschrieben: Kopiermaschine Internet.

Siehe auch:
CDU hält Anti-Abzocke-Gesetz auf

Abmahnwesen: Streit um ‚Anti-Abzocke-Gesetz‘

Bundesnetzagentur im Kampf gegen Call Center-Kriminalität machtlos – Was nun, Frau Aigner?

Ich hasse normalerweise Krisen-Propheten, die mit ihren permanenten Kassandra-Rufen irgendwann einmal recht bekommen, wenn es zu einem Crash kommt. Diese Orakel-Manie verfährt nach dem Motto: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist“.

Bei meiner pessimistischen Prognose zur Bekämpfung von unseriösen Call Center-Anbietern werde ich allerdings von der Realität geradezu überrollt – was ich sehr bedaure. Vor gut drei Jahren berichtete ich über die Empörung des damaligen Verbraucherschutzministers Horst Seehofer über Hotline-Terror, lange Warteschleifen und inkompetente Call Center-Agenten. Seehofer wollte diesen Abzocke-Sumpf trocken legen. Telefonischen Drückerkolonnen, teuren Warteschleifen und Kaltanrufen sollte es an den Kragen gehen. Da die Call Center-Branche zur Selbstreinigung nicht in der Lage war und immer mit denselben rhetorischen Verniedlichungsfloskeln („es handelt sich doch nur um Schwarze Schafe….“) reagierte, brachte die Bundesregierung Gesetzesregelungen auf den Weg, um die Verbraucher vom Joch des nervigen Call Center-Terrors zu befreien.


Obwohl die Gesetzespläne im Sommer 2007 noch gar nicht vorlagen, fragte ich den parlamentarischen Staatssekretär Dr. Gerd Müller, ob er nicht davon ausgehen müsste, dass schärfere Gesetze und Bußgelder dazu führen würden, Call Center-Unternehmen ins Ausland zu treiben, um sich dem Zugriff der deutschen Justiz zu entziehen. Seine Antwort: „Nein. Beim Kundenservice haben die Unternehmen selbst ein großes Interesse daran, diesen nicht ins Ausland zu verlagern, da der Kundendialog in chinesischer Sprache kaum möglich sein dürfte. Im Übrigen wäre der Anruf bei im Ausland ansässigen Call Centern auch erheblich teurer, was bei der Service-Hotline auch anzugeben wäre.“ Im Übrigen sei der Raum nicht „rechtsfrei“. „Der ungebetene Anruf ist auch aus dem Ausland ungesetzlich.“

Als die Gesetzespläne dann konkret auf dem Tisch lagen, schrieb ich einen Artikel mit der Überschrift: „Tante Erna, Sherlock Holmes und die dilettantischen Regeln gegen unerlaubte Telefonwerbung – Call Center-Gauner ändern ihre ‚Geschäftsmodelle‘“.
Kleiner Auszug aus dem Artikel, der am 7. Juli 2009 erschien:
Die Branchengauner zwinge man mit der Gesetzesnovelle nicht in die Knie, prognostiziert Call Center-Fachmann Jens Klemann: „Die werden ihr ‚Geschäftsmodell‘ so abändern, dass sie entweder Abmahnungen und Strafen einkalkulieren oder ihren Geschäftssitz und Firmenstruktur so aufsetzen, das man ihnen nicht an die Wäsche kann“, befürchtet Klemann, Geschäftsführer von Strateco und Sprecher des Nürnberger Fachkongresses Voice Days plus. Die härtere Gangart bei der Rufnummernunterdrückung werde den Firmenchefs mit krimineller Energie nur ein müdes Lächeln entlocken. „Es ist aus technischer Sicht ein leichtes – und obendrein schon jetzt gängige Praxis unseriöser Firmen – eine andere Rufnummer als die eigene zu übermitteln. Läge die Beweislast im Falle einer Anzeige durch den Verbraucher beispielsweise beim Call Center selbst, würden alle seriösen Anbieter von sich aus gerne eine umfassende Qualitätssicherung und Dokumentation mit Anrufaufzeichnung einführen“, sagt Klemann. Ins Leere gehe auch das Verbot unerlaubter Telefonwerbung für Anrufe, die aus dem Ausland kommen. Im Wettbewerbsrecht gelte zwar das Marktortprinzip. Es besagt, dass immer das Recht des Landes Anwendung findet, an dessen Markt die Leistung bestimmungsgemäß angeboten wird. „Da bekommt der Geschäftsführer einer verschachtelten Konstruktion von verschiedenen Limited-Gesellschaften, die über mehrere Länder verteilt ist, schon heute einen Lachanfall“, resümiert Klemann.

Und was hat der von mir sehr geschätzte Bonner FAZ-Korrespondent Helmut Bünder vor zwei Tagen geschrieben: Netzagentur warnt vor Betrügereien am Telefon. „Im Kampf gegen den zunehmenden Telefonterror ruft die Bundesnetzagentur nach der Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft, die Betrügern bundesweit das Handwerk legen soll. Die Situation sei ‚untragbar‘, heißt es in einem Bericht der Aufsichtsbehörde an ihren politischen Beirat, der der F.A.Z. vorliegt. Der Beirat besteht aus Abgeordneten des Bundestages und der Länder. Allein in diesem Jahr gab es schon vier große „Spam-Wellen“, die 34.000 Beschwerden nach sich zogen.

Wie diese Spam-Wellen ablaufen, kann man auf Seite 5 der Netzagentur-Publikation aktuell nachlesen: aktuell2010_02pdf

„Sobald die Fälle bekanntwerden, reagiert die Netzagentur oft noch am selben Tag. Die Nummern werden abgeschaltet und Inkassoverbote verhängt, so dass die Gespräche nicht mehr abgerechnet werden dürfen. Trotzdem scheint es sich zu lohnen, weil vor der Abschaltung offenbar regelmäßig genügend Verbraucher auf die Masche hereinfallen“, schreibt Bünder.

Die Häufung der Betrügereien lasse jedenfalls darauf schließen, dass das „Geschäftsmodell für die Hintermänner lukrativ sein dürfte“, vermutet die Netzagentur. Gerade die jüngsten Wellen zeigten, dass die Betrüger „mit erheblicher krimineller Energie“ und im großen Stil zu Werke gingen. Eine Strafverfolgung müssten sie trotzdem bisher kaum befürchten. „Die Netzagentur wirft der Staatsanwaltschaft und der Polizei vor, das Ausmaß völlig zu unterschätzen. Sogar wenn der Anfangsverdacht des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs oder einer anderen Straftat bestehe, würden Verfahren vorschnell eingestellt oder wieder an die Netzagentur abgegeben. So auch bei den großen Betrugswellen in diesem Jahr – mit Begründungen, die die Netzagentur ‚in keinem Fall‘ nachvollziehen kann“, so die FAZ.

Eine Strafverfolgung, aber auch die Vollstreckung von Geldbußen, scheitere häufig schon daran, dass die Hintermänner im Ausland sitzen und für deutsche Behörden kaum erreichbar seien. Häufig werden die Rufnummern auch über Briefkastenfirmen angemeldet, um die Identität zu verschleiern (siehe auch meinen Artikel „Tante Erna….)

Auch bei der Bekämpfung von Kaltanrufen kommt die Bundesnetzagentur nicht voran. Selbst die Androhung hoher Bußgelder von bis zu 500.000 Euro würde kaum fruchten. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes melden sich zwar immer mehr Verbraucher bei der Netzagentur, nur in den wenigsten Fällen könnte auch ein Bußgeld verhängt werden. Und warum klappt es mit dem Rechtsvollzug nicht? Wenn Call Center ihre Telefonnummer unterdrücken oder mit fingierten Nummer anrufen, sei eine Verfolgung schwierig. Tja, was schrieb ich im vergangenen Jahr (sorry, will hier nicht als Schlaumeier gelten)?

Die Umsetzung der Rechtsvorschriften wird im Alltag sehr schnell an seine Grenzen stoßen. Wie soll sich denn Tante Erna wehren, wenn sie mit unerlaubter Telefonwerbung belästigt wird und durch die Rufnummernunterdrückung keine Chance hat, den Anrufer zu identifizieren. Die Vorstellung des Justizministeriums, dass die mit einem Notizblock bewaffnete Tante Erna nach Manier von Sherlock Holmes den unerbetenen Call Center-Agenten in ein Gespräch verwickelt und je nach taktischer Vorgehensweise aus ihm herauspresst, wie sein vollständiger Name lautet und in wessen Auftrag er anruft, ist eine amüsante Vorstellung. Wahrscheinlich wird das BMJ nach dieser Empfehlung bundesweite Seminare für die Bürger anbieten: „Wie lüfte ich in fünf Minuten die Identität eines Call-Center-Agenten“. Wer es noch schafft, sich den Gewerberegisterauszug der Schwarzen Schafe faxen zu lassen, erhält ein Dankesschreiben der Bundesjustizministerin.

Was haben nun die Muskelspiele des Verbraucherschutzministeriums gebracht, Frau Aigner? Außer großen Sprüchen und Placebo-Gesetzen ist nichts rausgekommen. Statt sich auf populistische Bashing-Aktionen gegen Facebook, Google oder Apple so konzentrieren, sollte die Bundesregierung die wirklich relevanten Themen für Verbraucher handwerklich richtig umsetzen.


Für die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hätte ich da noch einen guten Tipp: Sie sollte sich nicht nur das Opus „Gewissenbisse. Ethische Probleme der Informatik. Biometrie – Datenschutz – geistiges Eigentum“ als Lektüre für ihren Sommerurlaub in den Reisekoffer stecken (das kommunizierte sie dem FAZ-Feuilleton), sondern auch das Buch von Günter Wallraff „Aus der schönen neuen Welt. Expeditionen ins Landesinnere“. Hier vor allem das Kapitel über Call Center. Die Ministerin könnte dann lernen, wie Call Center-Agenten in einem schleichenden Prozess zu routinierten Betrügern werden.

Im Kampf gegen nervige Call Center-Anrufe braucht man bessere Gesetze – Die bisherigen Entwürfe der Regierung bringen nichts!

Zur Branchenmesse Call Center World, die in dieser Woche wieder traditionell in Berlin stattfindet, sind sich alle Experten einig, dass unseriösen Call Center-Firmen endlich der Saft abgedreht werden muss. Allerdings zweifeln viele daran, dass die von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzesänderungen der Praxis standhalten. Der Entwurf sieht unter anderem vor, dass den Verbrauchern in allen problematischen Fällen ein Widerrufsrecht zusteht. Zudem müssen Unternehmen zukünftig mit einer Geldbuße rechnen, wenn sie unerlaubt zu Werbezwecken anrufen oder bei Werbeanrufen ihre Rufnummer unterdrücken. Meinungsverschiedenheiten zwischen Politik, Wirtschaft und Verbänden bestehen in der Frage, ob eine Vertragserklärung, die ein Verbraucher bei einem unerlaubten Werbetelefonat abgegeben hat, erst dann wirksam werden soll, wenn der Verbraucher sie innerhalb von zwei Wochen in Textform bestätigt: „Das ist die so genannte Bestätigungslösung. Sie mag zwar auf den ersten Blick für die Verbraucher vorteilhaft erscheinen, ist jedoch bei genauem Hinsehen mit einer Vielzahl von Problemen verbunden. So wäre bei Einführung der Bestätigungslösung zu befürchten, dass die Belästigung durch unerwünschte Telefonanrufe nicht abnähme, sondern zunähme. Denn es muss damit gerechnet werden, dass gerade unseriöse Unternehmer den Verbraucher telefonisch zur Abgabe der Bestätigung drängen würden. Zudem besteht die Gefahr, dass Unternehmen bei Einführung der Bestätigungslösung generell dazu übergehen könnten, für telefonisch geschlossene Verträge sicherheitshalber schriftliche Bestätigungen zu verlangen“, erläutert Dr. Thorsten Bauer, Pressesprecher des Bundesjustizministerium.

Eine Bestätigung in Schriftform hält Call Center-Fachmann Jens Klemann von der Unternehmensberatung Strateco für kontraproduktiv: „Man stelle sich diesen Prozess für zeitkritische Geschäfte vor – ist es nicht gerade oft die telefonische Bestellung mit einem 24 Stunden Lieferservice, die für Verbraucher den Mehrwert bringt? Auch die kurzfristige Buchung von Bahn- oder Flugtickets sowie Mietwagen oder ähnliches müsste damit wohl neu überdacht werden. Ob das im Sinne der Verbraucher ist, bleibt zu bezweifeln“, so die Bedenken von Klemann. Das vom Verband VATM vorgeschlagene „Voice Recording“ wird vom Ministeriumssprecher kritisch aufgenommen. Im Einzelfall ermögliche es den Nachweis, ob der Verbraucher eine bestimmte Erklärung am Telefon abgegeben hat. „Es ist jedoch kein geeignetes Instrument, um unerlaubte Telefonwerbung und die mit ihr verbundene Störung der Privatsphäre zu verhindern. Darüber hinaus sind Aufzeichnungen von Telefongesprächen datenschutzrechtlich nur mit ausdrücklicher Einwilligung beider Gesprächspartner zulässig. Wenn ein Angerufener in die Aufzeichnung nicht einwilligt, hat sie zu unterbleiben“, bemerkt Bauer. Das sieht die Wirtschaft anders: „Jeder, der ernsthaft ein Geschäft abschließen möchte, ist der Gesprächsaufzeichnung gegenüber meistens positiv eingestellt, denn schließlich dient sie der eigenen Sicherheit. Im Bankenumfeld und dort, wo hohe Transaktionsvolumen telefonisch abgeschlossen werden, hat sich dieses Verfahren ja auch seit Jahren bewährt – und wird meist schon im Rahmen der AGB gleich mitbestätigt“, weiß Klemann.Schwierigkeiten erwartet die Call Center-Branche bei der Vollzugspraxis. Nicht so das Justizministerium: „Ein Verstoß gegen das Verbot der Rufnummernunterdrückung soll mit einer Geldbuße bis zu 10 000 Euro bewehrt werden. Wir gehen daher davon aus, dass diese Regelung eine abschreckende Wirkung entfalten wird – seriöse Unternehmen werden ihre Rufnummer nicht mehr unterdrücken“, so Bauer.

Die Kenntnis der Telefonnummer des Anrufers werde die Verfolgung unerlaubter Telefonwerbung wesentlich erleichtern. Der Verbraucher könne sich entweder an eine Verbraucherzentrale oder an die Bundesnetzagentur wenden. „Natürlich wird es sowohl zur Verfolgung der Ordnungswidrigkeit als auch zur Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen weiterhin notwendig sein, dass sich der Verbraucher die Umstände und den Inhalt des Telefongesprächs notiert und der zuständigen Stelle schildert. Dafür ist es durchaus sinnvoll, als Verbraucher mit dem Anrufer ins Gespräch zu kommen und Fragen zu stellen: Für wen rufen Sie an? Was ist Ihr Anliegen? Das gilt natürlich in besonderer Weise, wenn die Rufnummer unterdrückt wird“, sagt Bauer. An diesem Punkt kristallisiert sich wahrscheinlich die Schwachstelle des Gesetzesvorhabens heraus. „Die Vorstellungen des Justizministerium sind naiv. Der Verbraucher hat keinerlei Anhaltspunkte, wenn er mit unterdrückter Rufnummer angerufen wird. Und wie aus dem Vorgehen vieler Call Center bekannt ist, unterbrechen viele Agenten das Gespräch, wenn der Angerufene den Namen einfordert. Zwischen theoretischen Trockenübungen und Praxis liegen eben erhebliche Unterschiede: Ist der Verbraucher verpflichtet zu recherchieren, wer ihn angerufen hat? Schließlich wird diese Information benötigt, um den Verstoß auch ahnden zu können. Hier hat die Politik wieder mal einen Gedanken nicht zu Ende gedacht“, kritisiert Bernhard Steimel, Sprecher der Voice Days.

Die Branchengauner zwinge man mit der Gesetzesnovelle nicht in die Knie, prognostiziert Klemann: „Die werden ihr ‚Geschäftsmodell‘ so abändern, dass sie entweder Abmahnungen und Strafen einkalkulieren oder ihren Geschäftssitz und Firmenstruktur so aufsetzen, das man ihnen nicht an die Wäsche kann“, befürchtet der Strateco-Chef. Die härtere Gangart bei der Rufnummernunterdrückung werde den Firmenchefs mit krimineller Energie nur ein müdes Lächeln entlocken. „Es ist aus technischer Sicht ein leichtes – und obendrein schon jetzt gängige Praxis unseriöser Firmen – eine andere Rufnummer als die eigene zu übermitteln. Läge die Beweislast im Falle einer Anzeige durch den Verbraucher beispielsweise beim Call Center selbst, würden alle seriösen Anbieter von sich aus gerne eine umfassende Qualitätssicherung und Dokumentation mit Anrufaufzeichnung einführen“, sagt Klemann. Es könne nicht Aufgabe der Bürger sein, semi-professionelle Recherchen in der Call Center-Landschaft zu betreiben. Gerade ältere Menschen seien damit hoffnungslos überfordert. „Außerdem ist es gängige Praxis, dass aufgelegt wird, sobald der Angerufene detaillierte Angaben zum Unternehmen und zum Agenten haben möchte. Ist dann noch die Rufnummer unterdrückt – wovon in diesem Fall ausgegangen werden kann – ist die Handlungsanweisung des Justizministeriums schlicht und ergreifend absurd“, bemängelt Steimel. Ins Leere gehe auch das Verbot unerlaubter Telefonwerbung für Anrufe, die aus dem Ausland kommen. Im Wettbewerbsrecht gelte zwar das Marktortprinzip. Es besagt, dass immer das Recht des Landes Anwendung findet, an dessen Markt die Leistung bestimmungsgemäß angeboten wird. „Da bekommt der Geschäftsführer einer verschachtelten Konstruktion von verschiedenen Limited-Gesellschaften, die über mehrere Länder verteilt ist, schon heute einen Lachanfall“, resümiert Klemann.