Für die SPD-Umfaller, die sich wie der Bonner SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber vor wenigen Monaten noch vehement gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen haben und nun der Linie ihres Parteivorsitzenden Gabriel folgen, wird es schwer, das Wahlvolk zu beruhigen.
Besonders schwer macht es sich Kelber im Twitter-Dialog mit einigen Beschwerden, die direkt aus seinem Wahlkreis kommen. Da er zudem Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium ist, kommt dem Disput noch eine besonders Bedeutung zu.
Zur Frage, ob sich Ministerpräsidentin und Landeschefin Hannelore Kraft am Rande des Parteikonvents in Berlin einzelne Landtagsabgeordnete vorgeknöpft haben, die gegen den Antrag der SPD-Spitze gestimmt hatten, kamen flapsige Bemerkungen von Kelber:
„Nein, bei mir nicht und im Artikel sagen ja auch andere, dass es da nix gab.“
Der WAZ-Bericht spricht eine andere Sprache.
Vor Zeugen soll Kraft dem jungen Medienpolitiker Alexander Vogt aus Herne lautstark gedroht haben, so lange sie etwas in NRW zu sagen habe, könne er nichts mehr werden. Vogt erklärte gegenüber der WAZ:
„Wir haben uns sowohl vor als auch nach dem Konvent über unsere unterschiedlichen Standpunkte offen ausgetauscht.“ Ob Kraft mit Nicht-Berücksichtigung bei künftigen Personalentscheidungen gedroht habe? „Nein“, erklärte Vogt.
„Gegenüber der Ratinger Abgeordneten Elisabeth Müller-Witt soll Kraft geäußert haben, sie beschäftige sich im Sommer mit einigen Personalien, ‚und du stehst nicht auf der Liste‘. Müller-Witt ließ den Vorfall auf Anfrage undementiert, erklärte nur: ‚Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich die Nicht-Öffentlichkeit ernst nehme und deshalb nicht aus der Veranstaltung berichte.'“
Der Detmolder Dennis Maelzer, ebenfalls Gegner der Vorratsdatenspeicherung, habe offenbar nach einem „Einzelgespräch“ mit Kraft im Vorfeld des Parteikonvents seine Meinung geändert und für den Antrag des SPD-Vorstands gestimmt.
Es hat also, werter Herr Kelber, keine Interventionen von Kraft gegeben? Die Ministerpräsidentin äußerte sich jedenfalls weniger apodiktisch:
„Was in der Kabine besprochen wird, bleibt in der Kabine.“
Welchen Nutzen die verdachtsfreie Massenüberwachung nun bei der Verbrechensbekämpfung hat, kann man in der Rechtfertigungslyrik des Bonner Bundestagsabgeordneten und Justizstaatssekretärs mit der Lupe suchen:
„Mehrere Standortdaten („Bewegungsprofil“) dürfen nur zur Aufklärung besonders schwerer Straftaten (z.B. Serienmord) oder zur Entlastung eines Beschuldigten verwendet werden.“
Der Sprecher des Ministeriums sagte kürzlich noch, er könne keinen konkreten Gefahren benennen, bei denen die Vorratsdatenspeicherung Sinn macht. Bleiben jetzt Serienmörder die einzige Gefahrenquelle, die man mit der VDS bekämpfen will?
Cookie-Niveau erreicht Kelber dann im Postskriptum seiner Stellungnahme:
„Ich bitte alle Gegner einer VDS aber auch um Engagement in einer anderen Frage: Aus meiner Sicht ist die Datensammlung und fortlaufende Profilbildung durch private Konzerne im Internet die eigentliche Gefährdung unserer Freiheit. Die private Datenspeicherung und -verarbeitung entbehrt heute selbst im demokratischen Rechtsstaat oft jeglicher Kontrolle, außerdem werden alle gespeicherten Daten aller BürgerInnen rund um die Uhr ausgewertet. Aus gläsernen Kunden/NutzerInnen werden schnell gläserne BürgerInnen, wenn nicht nur Konsum, sondern Kommunikation und Information von den Konzernen durch die Informationen aus den Profilen gesteuert werden. Hören Sie bitte aufmerksam zu und widersprechen Sie lautstark, wenn Wirtschaftsvertreter (wie zuletzt der Präsident der BITKOM) und PolitikerInnen (wie zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel) davon sprechen, dass der Einwilligungsvorbehalt der Datenerhebung, die Zweckbindung der erhobenen Daten und Datensparsamkeit nicht mehr die richtigen Konzepte für das 21. Jahrhundert seien. Das Gegenteil ist der Fall, sie sind die unbedingte Voraussetzung für die Datensouveränität der BürgerInnen im digitalen Zeitalter!“
So kritikwürdig die Werbe-Agitation im Internet ist, so unverschämt und durchsichtig ist das Ablenkungsmanöver von Kelber. Personalisierte Werbung und Big Data-Verfahren im Internet als die eigentliche Bedrohung darzustellen, verlangt schon eine Menge Ignoranz im Diskurs mit der Bürgerschaft.
Möchte mich Kelber vor dem Ausverkauf meiner Daten schützen, weil gewinnsüchtige Konzerne, in der Regel in den USA angesiedelt, begierig meine Privatsphäre und geheimen Wünschen ausspionieren wollen? Hat der Staat keine Interessen, mich kollektiv über die vorauseilende Volksüberwachung in die Kategorie von Kinderpornografie-Konsumenten oder Serien-Mörder einzustufen?