“Dass die gleichen Leute, die sich jetzt wie ein Rudel Robin Hoods so wehement für den Schutz der Privatsphäre des Bürgers einsetzen, gleichzeitig so Dinge wie Vorratsdatenspeicherung, biometrische Reisepässe, Nacktscanner am Flughafen oder das SWIFT-Abkommen zum Transfer der Kontobewegungen in die USA aussprechen – um nur einiges zu nennen – ist blanker Hohn! Auf der einen Seite können sie gar nicht genug Daten von uns bekommen, auf der anderen Seite führen sie mit Google Street View eine hervorragende Scheindebatte und geben sich als Hüter von Datenschutz und Privatsphäre aus.” Das schreibt Blogger Denis Knake und bringt eindrucksvolle Beispiele für die Doppelmoral der Politik.
Ilse Aigner von der Partei des starken Staates (CSU), Bundesministerin für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz ist von Google Street View gar nicht begeistert. Sie sorgt sich in einer Bürgerantwort auf abgeordnetenwatch.de bereits sehr detailliert über die Aufnahmehöhe von 2,90 Meter, bei der man ja sogar mehr sehen könne als ein “normaler Passant”, der an einer hohen Hecke an einem Haus vorbeigehen.
“Auf die Frage des Lesers, warum sie bei Street View so kritisch sei, aber bei staatlichen Datensammelaktionen wie ELENA oder der Vorratsdatenspeicherung nicht, ging sie in ihrer Antwort nicht weiter ein. Hier hilft eine weitere Recherche in abgeordnetenwatch.de: Als es um die mittlerweile vom Bundesverfassungsgericht gestoppte Vorratsdatenspeicherung ging, war Frau Aigner weniger zimperlich. Die Telekommunikationsanbieter sollten verpflichtet werden, systematisch das Kommunikationsverhalten eines jeden Bürgers sechs Monate lang zu speichern: Also wann und wie lange ein Telefonat von A nach B geführt wurde und wann und wie lange eine Internetverbindung aufgebaut war oder wann und zu wem eine E-Mail gesendet worden ist”, führt Knake aus.
So schrieb sie 2007 auf abgeordnetenwatch.de warum sie sich für die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen hatte:
“Für etwaige Eingriffe in den privaten Lebensbereich durch solche Ermittlungsmaßnahmen muss es jedoch hohe Schranken geben. Die vor kurzem verabschiedeten Regelungen tragen dem voll Rechnung. So werden bei der Vorratsdatenspeicherung keine Gesprächsinhalte aufgezeichnet, sondern lediglich die Verbindungsdaten für sechs Monate gespeichert.” Dennis Knake hat weitere eindrucksvolle Beispiele recherchiert.
Google sollte nicht mit Samthandschuhen angepackt werden bei fragwürdigen Praktiken wie dem Scannen von WLAN-Netzen. Auch die Frage nach dem Bestimmungsrecht der eigenen Daten ist ein diskussionswürdiges Thema. Jeder sollte beispielsweise das Recht haben, die Löschung seiner Daten zu verlangen – auch wenn eine vollständige Löschung wohl unmöglich ist. Aber was ist mit den Aktivitäten staatlicher Behörden, die ohne Einwilligung der Bürger Daten speichern und auswerten? Hier gilt ja bekanntlich das Legalitätsprinzip, um Willkür zu verhindern. Aber halten sich alle Behörden wie das BKA an geltende Gesetze oder gehen sie nicht schon längst einen Schritt weiter und versuchen ex post eine gesetzliche Absicherung durchzusetzen? Die derzeitig ablaufende Hetzjagd gegen Google ist nach meiner Meinung ein billiges Ablenkungsmanöver. Den Städten und Gemeinden geht es schlichtweg um Geld nach dem Motto: Und kannst Du Ängste schüren, verlange gleich Gebühren. Am Beispiel von Bonn habe ich das dokumentiert.
Es ist schlichtweg lächerlich, wenn sich der Staat jetzt zum Hüter der Privatsphäre aufschwingt. Das hat der Soziologe Wolfgang Sofsky in seinem Buch “Verteidigung des Privaten” eindrucksvoll beschrieben. Wer Internetnutzer unter Generalverdacht stellt und Netzsperren fordert, wer im Internet Prangermethoden anwenden will, wer sich gegen die Kennzeichnung von Polizisten ausspricht und sich gleichzeitig gegen eine schrankenlose Anonymität im Internet ausspricht, wer im so genannten Anti-Terrorkampf Bürgerrechte über den Haufen schmeißt, ist kein glaubwürdiger Anwalt für die Privatheit. “Nicht der Rechtsstaat garantiert die Freiheit des Privaten, sondern nur die reale Geheimhaltung durch jeden einzelnen”, meint Sofsky.
Oder anders ausgedrückt mit den Worten des Dadaisten Walter Serner: “Tüchtig ist, wer nicht gegen die Gesetze sich vergeht. Tüchtiger, wer sich nicht auf sie verlässt. Am Tüchtigsten, wer immer wieder sich daran erinnert, dass nur staatliche Funktionäre sie ungestraft übertreten dürfen.”
Wir brauchen einen Neo-Dadaismus gegen die Polit-Dadaisten
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