Um zu verstehen, wie die “Beratungswirtschaft der Internetspezialisten ohne echte wirtschaftliche Erfolge jenseits der eigenen Einnahmen funktioniert, sollte man keine Untersuchungen bemühen, sondern ins Bücherregal greifen: Dort findet man den ‘Gil Blas’ des französischen Autors Alain René Lesage von 1715, der die Gattung des Schelmenromans zu einem ersten Höhepunkt brachte. In diesem Werk erzählt die Hauptfigur, wie sie sich in einem korrupten und gefallsüchtigen Spanien durchzuschlagen versteht. Gil Blas ist ein Nichtskönner, mittellos und tölpelhaft, und arbeitet sich durch alle Berufe und Schichten langsam empor. Seine einzigen Qualitäten sind Flexibilität und Auffassungsgabe. Es findet sich immer ein Dummer, der Gil Blas durchfüttert, hilft, fördert und schließlich ganz nach oben bringt”, schreibt Don Alphonso, der in dem pikaresken Opus von Lesage eine recht angriffslustige Rolle spielt. So rebellisch gab er sich allerdings nur am Anfang seines Schaffens. Eine spätere berufliche Karriere machte ihn nachsichtig und gönnerhaft.
“Sollen wir dulden, dass die Briganten sie zu Opfern ihrer Barbarei und ihrer Brutalität machen? Stimmt mir zu und lasst uns diese Banditen angreifen! Sie sollen unter unsern Streichen fallen”, so Alphonso, der nicht darüber klagt, ein aus der zivilisierten Gesellschaft Verbannter zu sein. Immerhin gelingt es Alphonso, Statthalter des Königreichs Valencia und später sogar Vizekönig von Aragonien zu werden. Das er als nützlicher Idiot für die höfischen Winkelzüge von Gil Blas diente, sei nur am Rande erwähnt. Schelmexperten werden aus seinem Dasein nicht viel lehrreiches ableiten können.
Da sollte man eher zum Werk von Adam Soboczynski greifen. Der Buchtitel “Die schonende Abwehr verliebter Frauen” würde wohl auch das Interesse von Alphonso wecken. Das Inhaltsverzeichnis könnte den Vizekönig vollends überzeugen: “Niemals perfekt scheinen”, “Auszuteilen verstehen”, “Einzustecken wissen”, “Witz zeigen”, “Vertrauen erzeugen”, “Mit Bildung glänzen”, “Einen Kompromiss vortäuschen”, “Höflichkeiten austauschen”, “Peinlichkeiten verkraften”, “Sich selbst belügen”, “Dünn sein”, “Über Bande spielen”, “Seine Meinung ändern”. Es ist sogar möglich, dass Alphonso von dem Berater-Latein wusste, wandelt doch Soboczynski auf den Spuren von Baltasar Gracián. Der spanische Jesuit lebte in der “Goldenen Zeit”. Er leitete das Jesuitenkolleg von Tarragona, predigte in Valencia und diente als Feldkaplan in der Schlacht von Lérida. Den Stoff seiner aphoristischen Schreibkünste lieferte die Grunderfahrung, dass die Wahrheit nicht ohne Waffnung durchdringt. Da das Leben seinen Kampfcharakter vollständig entfaltet, reduziert sich die ganze Moral auf die taktischen Regeln zur Behauptung inmitten einer allgemeinen Bedrohtheit. Don Alphonso wird eine Klugheitslehre von Gracián mit Sicherheit unterschreiben: “Man muss sich selbst zum Regisseur seines Mythos machen und sich durch Unfaßbarkeit und Unnahbarkeit der indiskreten Einschätzung entziehen, die alles sofort herabwürdigt und einebnet.”
Soboczynski hat aus den listenreichen Zeilen von Gracián ein Handbuch der Inszenierung, der Maskerade, der Täuschung und des strategischen Handelns komponiert. “Nie sind wir bei uns selbst”, heißt es da, “die Schöpfung, seit wir den Sündenfall erlitten, ist reines Welttheater.”
“Es mag Menschen geben – Soboczynski nennt sie Anhänger des ‘alten Wahrhaftigkeitskults’ –, die derlei als Propaganda für die Falschheit missbilligen. Doch folgt man dem Autor, so verkennen diese vermeintlich Aufrechten nicht nur das Wesen des Menschen, sondern auch eine ehrwürdige philosophisch-literarische Tradition: die alteuropäische Moralistik. Baldassare Castiglione und Niccolò Machiavelli, die im 16. Jahrhundert kanonisch festschrieben, wie sich ‘Hofmann’ und ‘Fürst’ am klügsten zu verhalten haben, werden zitiert; wir begegnen Montaigne, La Rochefoucauld und vor allem dem spanischen Jesuiten Baltasar Gracián (1601–1658)”, so René Aguigah in der Zeitschrift Literaturen.
“Ein Krieg ist das Leben des Menschen gegen die Bosheit des Menschen”, heißt es in dessen ‘Hand-Orakel’, das Arthur Schopenhauer 1832 übersetzte. “Die Klugheit führt ihn, indem sie sich der Kriegslisten hinsichtlich ihres Vorhabens bedient. Nie tut sie das, was sie vorgibt, sondern zielt nur, um zu täuschen.” Adam Soboczynski schreibt dazu: “Was ist das Leben? Es ist ein Minenfeld. Was die Verstellung? Bedingung unseres Aufstiegs. Was ist die Liebe? Die schönste aller Täuschungen.” Und das Kapitel 12 wird Don Alphonso runtergehen wie Öl. Es heißt “AUSZUTEILEN VERSTEHEN”. Man sollte die Schwächen anderer erkennen. “Wie irritiert reagieren eitle Menschen, wenn ihre Schönheit angezweifelt wird! Wie empfindlich berührt sind die sich intelligent Wähnenden, werden sie ihrer gedanklichen Beschränktheit überführt! Und die Stolzen, wenn sie ungeschickt sich zu verhalten genötigt sehen! Jeder Mensch hat eine Stelle, die besonders angreifbar ist, sie zu erspähen zeugt von Klugheit”, führt Soboczynski aus. Agieren sollte man dabei als Einzelkämpfer, denn es gibt kaum mehr den Komplott, der von mehreren, durch eine gemeinsame Absicht vereinte Komplizen ausgeführt wird. Die Netzwerke seien heute weitaus labiler und wechseln beständig ihre Mitglieder, als dass sich mit ihrer Hilfe ein Plan schmieden ließe.
Eine wichtige Lebensweisheit steht in Kapitel 23: “ANDERE IN RAGE BRINGEN”. Das liegt auf der Hand und braucht nicht näher erläutert werden, denn so gut wie jeder ist hässlich, der sich aufregt. Essentiell ist auch das Kapitel 19: “MIT BILDUNG GLÄNZEN”.
Hapert es mit der Bildung, sollte man sich zumindest einen kleinen Katalog kluger Sätze erstellen, damit man in Gesellschaft glänzen kann. Da hilft der Band von Pierre Bayard: “Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat”. Oder beherzigt doch wieder den Rat von Gracián: “Nicht aus Besorgnis, trivial zu sein, paradox werden.”
Wie der Rezensent von Literaturen finde ich es betrüblich, dass von all den Facetten des Buches es nur eine aufs Cover geschafft hat. Dort ist nur die erste Hälfte des fabulösen Titels “Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung”. abgedruckt. “Ein eher unbeholfener Verpackungszauber: Liebesratgeber, so wird sich der Verlag gedacht haben, finden mehr Käufer als Gracián-Adaptionen”, so Aguigah. Doch authentisch zu wirken, lerne man in diesem Buch (Maxime 5), ist auch im Marketing nicht falsch und gilt für Berater sowie für die Kritiker der Beraterzunft: “Einen Zauberer, dessen doppelte Böden wir erspähen, belächeln wir mitleidig”.
Schelmexperten enthalten sich jeglicher Polemik. Vom Berater-Streit, wie er zur Zeit durchs Netz rauscht, kann man nichts Weiterführendes erwarten. Der literarische Stoff ist doch viel interessanter!