“Windows Phone 8: Microsoft holt deutlich auf”, mit dieser Behauptung titelt das Magazin t3n die Vorstellung des neuen mobilen Betriebssystems “Apollo 8” von Microsoft. Windows Phone-Chef Joe Belfiore präsentierte auf der Windows Phone Summit in San Francisco “allerhand neue Funktionen”. Toll. Eine der größten Neuigkeiten: Windows Phone 8 habe im Code kaum noch Ähnlichkeit mit der aktuellen Windows Phone-Version. Und da kommt auch schon der Wermutstropfen:
“Diese Tatsache bedeutet allerdings auch, dass Windows Phone 7 nicht auf die neue Version updatefähig ist. Damit wird nun endgültig bestätigt, was seit Wochen durch die Medien kreiste: kein Windows Phone 8 für derzeit auf dem Markt befindliche Geräte – auch nicht für das Nokia Lumia 900.”
Dingdong. An dieser Stelle hätte ich mir dann schon noch ein paar weitere Anmerkungen geleistet. Stattdessen kommt die Beruhigungspille für das so hochgelobte Lumia 900: Es sei eine Alternative in Arbeit, mit der eine Vielzahl der Funktionen auch auf dem Nokia Lumia 900 und Lumia 800 und Geräten anderer Hersteller wie dem HTC Titan und dem Samsung Omnia M laufen werden. Windows Phone 7.8 “soll” einige Funktion und den neuen Homescreen mit sich bringen. Das ist doch dann wieder eine Behauptung. Vorgestellt wurde die Version 7.8 auf den besagten Endgeräten wohl nicht.
Wie kann also die Featurismus-Orgie, die in dem t3n-Artikel folgt, irgendeine Relevanz haben? Beispiel:
“Mit der neuen Windows Phone Version lockert Microsoft die strengen Hardwarevorgaben und ermöglicht Herstellern endlich auch Prozessoren mit mehreren Kernen zu nutzen, um regelrechte ‘Superphones’ zu bauen.”
Kann ja sein. Das könnte möglich sein. Abwarten. Tee trinken. Und erst dann im Superlativ schreiben, wenn die ersten Superphones das Licht der Öffentlichkeit sehen. Warum wird hier eigentlich nicht konsequent im Konjunktiv geschrieben.
Weiteres Beispiel:
“Microsoft hat neben diesen neuen Features darüber hinaus angekündigt, dass mit dem neuen Windows Core eine Welle an neuen, tollen Apps hereinschneien wird.”
Könnte, liebe Freunde. Eine Welle an neuen, tollen Apps. Ja wat denn? Abwarten. Tee trinken. Zurücklehnen. Schauen, ob das einschlägt oder nicht und dann ein Urteil abgeben. Denn, liebe t3n-Redaktion, Ihr habt das doch selbst bemerkt:
“Um was es sich genau handelt, wurde noch nicht verraten.”
Ach was. Das ist so präzise wie der Schluss des Artikels:
“Abschließend positiv zu bemerken ist, dass Microsoft sich wieder eine Reihe spannender Hersteller ins Boot geholt hat, die Windows Phone 8 von Anfang an unterstützen. Zu ihnen gehören natürlich Nokia (boah, das überrascht jetzt aber wirklich, gs), aber auch der chinesische Hersteller Huawei (die sind mittlerweile fast überall dabei, gs), der in Europa mit seinen Smartphones einen Fuß an die Erde bekommen möchte, sowie Samsung und HTC. Als Chiphersteller ist Qualcomm mit im Boot, der für die nächste Smartphone-Generation schnelle SoCs bereitstellen will. Im Herbst dieses Jahres dürfen wir uns auf neue Modelle freuen, die ein Betriebssystem an Bord haben, das auf den ersten Blick auf den Funktionsumfang auf Augenhöhe mit den Platzhirschen Android und iOS ist.”
Also: Auf den ersten Blick ist die Apollo-Mission von MS auf Augenhöhe mit den Platzhirschen (übrigens wieder eine Behauptung). Warum soll ich mich denn aus meiner iOS-Welt lösen? Ob die Hersteller eine Feinabstimmung auf das Betriebssystem von Microsoft hinbekommen oder nicht, ob das mit weiteren Endgeräten harmonisiert, ob das Design und die Funktionen aus einem Guss sind, liegt nicht in der Hand von Microsoft. Und genau hier sehe ich immer noch die Schwäche der Apple-Konkurrenten. Es mag ja die Schraubenzieher-Bastler-Fraktion nach wie vor abstoßen, Steve Jobs “Theorie vom Gesamtprodukt” ist nach wie vor ein klarer Vorteil für die Ausbreitung von iOS-Geräten.
Apple ist eben von der Idee getrieben, an Einfachheit und nicht an Komplexität zu arbeiten.
Das sei nur möglich, wenn man den Zugriff auf die primären Technologien hinter den Produkten hat, so Udo Nadolski vom IT-Beratungshaus Harvey Nash:
„Ein gut funktionierendes Produkt kann nicht gelingen, wenn Software und Hardware nicht zusammenspielen. Alles, was Apple auf den Markt bringt, entsteht durch ein holistisches Konzept und der völligen Abkehr von der klassischen Produktentwicklung.”
Im Unterschied zu Microsoft und Google habe Apple eine klare „Theorie vom Gesamtprodukt“, erläutert Jay Elliot, ehemaliger Senior Vice President von Apple: Wer mit technischen Produkten Erfolg haben wolle, sollte die Hardware und die Software entwickeln. Hier liege die Schwäche von Open-Source-Produkten. Zu einem ähnlichen Urteil kommt der Schweizer Innovationsberater Bruno Weisshaupt: Hardware bleibe für die Kundenbindung nach wie vor wichtig. Das stelle Apple jeden Tag unter Beweis. Worauf es ankomme, sei die Konfiguration von Endgeräten und Anwendungen.
„Nicht nur Apps regieren die Welt. Man braucht auch ein physisches Gesicht gegenüber den Kunden.”
Deshalb beeindruckt mich die Apollo-Featurismus-Gala überhaupt nicht. Was sich am Markt letztlich durchsetzen wird, kann ich nicht sagen.
Die Herausforderungen beschreibt der „Radical-Brand“-Vordenker Vilim Vasata: „Einfachheit ist die Konzentrierung von Intelligenz. Das Konzept der Einfachheit entspringt den Wechselbeziehungen der Vielfalt. Es wird nur dann wirksam, wenn die ganze Planung und Durchführung, jedes Gefühl und jede Leistung auf ein Ziel ausgerichtet sind.“ Einfachheit sei Wirksamkeit.
Zu Einfachheit und Featurismus hatte ich vor knapp zwei Jahren ein interessantes Interview mit einem Marketing-Manager von Microsoft für eine Titelstory der absatzwirtschaft.
Noch mal zur Erinnerung, was er sagte:
Der Erfolg der Apps für Smartphones zeige sehr deutlich, dass man in der IT-Branche neue Geschäftsmodelle nur über den Nutzen etablieren kann und nicht über das Formulieren und Transportieren von technischen Features, so Oliver Kaltner, Country Manager Entertainment & Devices bei Microsoft Deutschland und ehemaliger Geschäftsführer der Sony Deutschland GmbH.
Der „Erotikfaktor“ eines Betriebssystems wie Windows 7 sei relativ bescheiden: „In der Vergangenheit haben wir dazu tendiert, ein Betriebssystem wie ein Betriebssystem zu vermarkten, nämlich über technische Features. Bei Windows 7 haben wir uns deshalb mit der Firmenzentrale in Redmond auf zwei Strategieaspekte verständigt. Nummer eins: Wir zeigen nicht alles auf, was Windows 7 kann, sondern konzentrieren uns auf vier einfache Botschaften. Windows 7 macht Deine Maschine schneller, gibt Dir eine bessere Struktur mit einer intuitiven Benutzeroberfläche, macht Dein System sicherer und richtet Dir das Betriebssystem nach Deinen Wünschen ein. Nummer zwei: Wir lassen diejenigen über die vier Botschaften sprechen, die am Ende des Tages das Produkt auch nutzen“, erläutert Kaltner.
Aber was ist denn von Windows 7 nun wirklich übrig geblieben? Im Sommer des nächsten Jahres sollten wir Bilanz ziehen und uns an die Weissagungen von t3n erinnern. Oder welche Meinung habt Ihr? Greife das Thema gerne noch einmal in meiner nächsten Kolumne für Service Insiders auf. Statements brauche ich dann bis Montag. Am besten an die schon bekannte E-Mail-Adresse: gunnareriksohn@googlemail.com
Siehe auch:
Ich sag nur…Ups…abgestürzt … http://youtu.be/N1zxDa3t0fg
🙂 and again, and again, and again…..http://youtu.be/2w8rypZQDbg
Ein netter und durchaus unterhaltsamer Exkurs. Aber mal im Ernst: Versuche mal einer Windows7 Geräte und auch Symbian oder Bada oder gar OS-Eigenentwicklungen noch mit positiven Margen in Massen schnell zu verkaufen. Was noch läuft ist neben iOS eben Android – für den Rest : have a lot of fun … Warum wollen die User wohl lieber iOS oder Android haben? Diese Frage sollte man sich in Redmond mal stellen