Internet der Dinge im Handwerk und in der Industrie #DigitalXStudio @servicerebell @holzgespuer

So lief die heutige Sendung im #DigitalXStudio:

Handelskrieg zwischen China und USA – Die Auswirkungen für den Mittelstand #DigitalXStudio @ZVEIorg @HermannSimon @JoeBiden

Die USA haben zu wenig getan, um Güterexporte zu stärken. Folglich haben auch die Arbeitnehmer in diesen Bereichen nicht profitiert, sondern nur die, die in Steueroasen „investiert“ haben – also die Superreichen. Über diese Verwerfungen müsste eigentlich die innenpolitische Debatte gehen – weder Biden noch Trump haben das auf ihrer politischen Agenda.

Stattdessen setzte Trump, setzen die Republikaner und auch die Demokraten in den USA auf Protektionismus, um die Schwächen der heimischen Wirtschaft zu kaschieren. Deshalb führte Trump im Handelskonflikt mit China hohe Strafzölle ein, die auch der neue Präsident nicht in Frage stellen wird. Biden wird eine Charme-Offensive in Europa starten, um gemeinsam gegen China vorzugehen.

Europa sollte eigene Wege gehen und sich nicht in den Handelskrieg der Supermächte hineinziehen lassen. Zu wichtig seien die Märkte in den USA und China, so der Mittelstandsexperte Hermann Simon im #DigitalXStudio.

Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt Gunther Kegel, Präsident des Zentralverbands Elektrotechnik und Elektronikindustrie (ZVEI), im Interview mit der Zeit:

„Wir können auf keinen dieser Märkte verzichten.“ Eine Umfrage unter den ZVEI-Mitgliedsunternehmen ergibt, dass die Handelskonflikte schon jetzt die Auslandsgeschäfte belasten. Vor allem die US-Sanktionen gegen China, Russland und den Iran. „Mehr als die Hälfte der befragten Firmen leidet bereits darunter. Ich kann das für unser Unternehmen Pepperl+Fuchs nur bestätigen. Es gibt Märkte, die für uns zu sind. Und manche Technologien dürfen wir in viele Länder nicht verkaufen, weil sie amerikanische Hightech-Komponenten enthalten.“

Ausführlich nachlesbar unter: Handelskrieg zwischen China und USA bedroht Mittelstand #DigitalXStudio

Tabula-Rasa-Content-Marketing-Sprüche gehen am Mittelstand vorbei

Auf Einladung von Marco Petracca war ich bei einer Fachdiskussion in Siegen. Also im Zentrum der Hidden Champions des Mittelstandes. Diskutiert wurde die Studie „Trendmonitor Südwestfalen 4.0“ von PSV Marketing und HEES Bürowelt. Was mit diesen Ergebnissen zum digitalen Status quo Südwestfalens bereits für Überraschung sorgte, stand auch auf der Ideen-Agenda im Konferenzraum der IHK-Siegen. Mit dabei: Sebastian Leipold, Geschäftsführer HEES Bürowelt, Nils Pöppel, Bereichsleiter Vertrieb & Produktion BSW Berleburger Schaumstoffwerk, Stefan Schwenzfeier, Leiter Digitalmarketing PSV Marketing und Marie Ting, Leitung Regionalmarketing und Kommunikation Südwestfalen Agentur.

„Der Begriff ‚Südwestfalen 4.0‘ lässt sich ohne Weiteres durch ‚Provinz 4.0‘ ersetzen. Viele Dinge treffen ja eigentlich auf ähnliche Regionen in Deutschland zu und nicht nur unbedingt auf diese Region“, sagt Marco in seiner Moderation.

Die mittelständischen Hidden Champions und Co. sitzen also deutschlandweit gemeinsam in einem Boot.

„Hinter den Status quo altes Eisen können wir doch einen Haken setzen. Ich denke über das Thema sind wir hinaus. Viele Unternehmen arbeiten sehr zukunftsorientiert und das Thema Digitalisierung ist häufig schon in die operative Planung mit eingeflossen. Ob die Umsetzung dann nur eine digitale Kommunikation oder bereits auch die Produktion betrifft, variiert jedoch“, so Leipold.

Zur Frage erläutert Nils Pöppel seine Erfahrungen aus der Perspektive von BSW (Leichtathleten werden die Laufbahnen des Unternehmens kennen):

„Es kommt natürlich immer darauf an, mit wem man sich vergleichen möchte. Um es mal überspitzt zu formulieren – in der großen weiten Welt da draußen gibt es natürlich etliche Unternehmen, die deutlich digitaler sind als wir aktuell. Ich sehe aber bei uns ein sehr großes Zukunftspotenzial und den Beginn einer effektiven Digitalisierung. Das bedeutet auch, dass wir uns hier personell verstärkt haben und bisher glücklicherweise noch keine Probleme hatten die entsprechenden Fachkräfte in der Region zu finden. Der Impuls mehr zu tun ist gerade im Bereich der Produktion von unserer Strategie motiviert. Aber es gibt auch Digitalisierungsprojekte, die der Markt bestimmt und fordert, wie Kommunikation, Marketing oder neue Datenformate.“

Bei der Frage nach der Relevanz der Digitalisierung in Südwestfalen hatte die Studie von PSV und HEES gezeigt, dass 92,5 Prozent der Unternehmen dem Thema eine hohe Bedeutung beimessen.
Wirtschafstpublizist Gunnar Sohn (also ich) gab jedoch zu bedenken:

„Wenn ich irgendwelche Leute höre, die von digitalem Darwinismus reden, auf Bühnen rumturnen und sagen wie wichtig es ist, dass man sich von dem, was im Silicon Valley läuft, abgrenzt oder das zukünftige Startups dieses oder jenes Geschäft pulverisieren, dann kriegen immer alle Angst und sagen ‚Ja, ja, wie kümmern uns auch um Digitalisierung‘. Aber wenn man dann mal unter die Motorhaube schaut, dann sieht die Welt halt schon ein bisschen anders aus. Es wird beispielsweise wenig kollaborativ gearbeitet, simple Themen wie Videokonferenzen oder Führen auf Distanz werden nicht adressiert. Da gibt es ein Auseinanderdriften dessen was wirklich mit den digitalen Werkzeugen gemacht wird und was man in Umfragen dann nach vorne bringt.“

Statt Prozessverbesserungen in der Halle, die ohnehin schon angegangen werden, liegt der nachzuholende Bedarf der Unternehmen auch bei Informationssystemen, Kommunikation und vernetztem Arbeiten, betont Stefan Schwenzfeier, Leiter Digitalmarketing bei PSV:

„Viele führen einfach noch Excel-Listen, egal über was – über Einladungen zu Messen oder über alle Produkte, die im Unternehmen existieren. Dann erfolgen Auftrags-Anfragen und es kann z.B. nicht mehr nachvollzogen werden, ob eine Maschine evtl. schon einmal vor drei Jahren gebaut wurde. Hier muss man dringend überlegen. Was ist Digitalisierung. Das fängt doch bei einer guten Datenhaltung an und so etwas vereinfacht nach hinten heraus vieles.“

Auch Leipold appellierte in diese Richtung:

„Wir sind hier nicht im Silicon Valley mit Google, Intel & Co., sondern bei uns überwiegt die metallverarbeitende Industrie. Trotzdem ist es wichtig eine Basis zu schaffen und zwar so, dass Systeme mit den vorgehaltenen Informationen auch nach einem Ausfall wieder relativ schnell herzustellen sind. Dafür braucht es Struktur.“

Branchenübergreifenden Netzwerkgedanken für gemeinsame Stärken vertiefen

Die Frage nach der Notwendigkeit von Digitalisierung im Mittelstand oder der Sinnhaftigkeit von extern motiviertem Aktionismus sollte sich also nicht mehr stellen, sondern eine klare Zielsetzung gegeben sein.

Beim Reizthema digitaler Infrastruktur schlägt Gunnar Sohn vor, auch die Kommunen wieder stärker in die Verantwortung zu nehmen und gegebenenfalls mit Genossenschaften auf die Trägheit des privatwirtschaftlichen Netzausbau zu reagieren. Kooperation ist auch gefragt, wo man sich bei der Rekrutierung neuer Fachkräfte attraktiver positionieren möchte. Denn ohne diese wird der digitale Wandel zur unüberwindbaren Hürde. Speziell in der Studie sahen Unternehmen die Kompetenz der Mitarbeiter als besondere zukünftige Herausforderung. Für Stefan Schwenzfeier liegt der Ball hier auch bei den Schulen, Universitäten und Unternehmen:

„Man darf sich nicht in den entscheidenden Bereichen voneinander entfernen. Wenn ich als Hightech-Hersteller nur im Fachbereich Maschinenbau universitäre Kollaborationen suche, statt auch im Informatikbereich anzudocken, lasse ich mir Chancen entgehen. Ausbildung und Arbeit müssen viel stärker zusammenwachsen und gleichzeitig Raum bieten, den die nachrückenden digitalen Generationen fordern.“

Das bedeutet auch, dass bei der Sorge um die zukünftig fehlende digitale Kompetenz der Mitarbeiter die Industrie sowie Kommunal-, Landes- und Bundespolitik gleichermaßen gefordert sind, Lösungen zu finden.
Die Roundtable-Teilnehmer haben mit ihren Ansätzen die erste gemeinsame Ideensuche zu einer runden Sache gemacht, die fortgesetzt werden sollte. Vielleicht dann mit einem erweiterten Teilnehmerkreis, der Südwestfalen ebenfalls mit einer neuen Haltung und mehr Offenheit digital voranbringen möchte. Und die fängt ganz klar ebenfalls beim Thema Relevanz an. Hier müssen sich vor allem auch Berater und Agenturen selbst den Spiegel vorhalten, wie es Gunnar Sohn auf den Punkt brachte:

„Ein Malermeister zeigt dir halt den Vogel, wenn Du irgendwas über Marketing-Kampagnen oder über Content-Marketing erzählst. Der will wissen wie er seine Gewerke vielleicht besser darstellen kann, wie er den Kundendienst besser in den Griff bekommt, besser auf die Stammdaten zurückgreifen kann, wie er Muster erkennt und wo er vielleicht lokale Märkte besser erschließt. Und da musst Du halt auch das Geschäft kennen sonst werden nur Tabula-Rasa-Content-Marketing-Sprüche an den Kopf geknallt und niemand fühlt sich abgeholt.“

Hier ein kleiner Ausschnitt des Gesprächs:

Solche Gesprächsrunden sind super wichtig – also mein Credo: Wirtschaft trifft Netzszene oder umgekehrt 🙂

Nimbus „Made in Germany“ bröckelt – #Boardreport Gespräch mit Oliver Marquardt und Marco Petracca

Wie gut sind mittelständische Unternehmen im internationalen Geschäft wirklich? Wir verteidigen zwar fast jedes Jahr den Titel „Exportchampion“ und fahren Rekorde beim Handelsüberschuss ein. Das ist nach Auffassung von Oliver Marquardt und Marco Petracca allerdings nur eine Momentaufnahme.

Wir genießen noch ein hohes Ansehen im Ausland und können mit dem Label „Made in Germany“ weiterhin punkten, aber dieser Nimbus bröckelt.

Selbst die internationale Konkurrenz in der Metallverarbeitung nimmt zu. Chinesische Produkte im Anlagenbau haben qualitativ deutlich zugelegt. Viele andere Länder holen auf. Diese Signale kommen bei vielen Mittelständlern an. Nur ist es schwierig aus der Pfadabhängigkeit der vergangenen Jahrzehnte auszusteigen und neue Märkte zu erschließen. All das wird in der Titelstory des Wirtschaftsmagazins Boardreport ausführlich behandelt.

Das Opus erscheint Ende Juni.

Automobilindustrie: Osteuropäische Löhne als Kalkulationsbasis für Zulieferer #Boardreport

Wirtschaftswunderjahre
Wirtschaftswunderjahre

Die De-Industrialisierung in Deutschland beschleunigt sich und der Druck auf Zulieferer wächst. Das gilt vor allem in der Automobilindustrie, wie Thomas Meichsner, Geschäftsführer Operations bei der Firma Faurecia Interior Systems, im Interview mit dem Wirtschaftsmagazin Boardreport deutlich macht:

„Bislang wurde das enorme Wachstum unserer Automobilhersteller durch die rasante Marktentwicklung in Asien vorangetrieben – besonders in China. Das Wachstum in Europa ist flach und der Gewinn wird außerhalb Europas erwirtschaftet.“

Den Wettbewerbsdruck bekomme vor allem die Zulieferer-Industrie zu spüren.

“In der ersten Phase der Kostensenkung sind wir mit einer so genannten ‘verlängerten Werkbank in die neuen Bundesländer gegangen. Wenige Zeit später eröffnete ich unsere ersten Low Cost Standorte in Polen, Rumänien und dann in China. In diesen Werken sollte nur produziert werden, die Verwaltung mit der Entwicklung und der Hauptproduktion fand immer noch in Deutschland statt. In der zweiten Phase investierten wir massiv in die Kostenreduzierung durch eine hohe Automatisierung in der Produktion durch Roboter und spezielle CIM Fertigungslinien. Die Entwicklung stellten wir komplett vom manuellen Zeichenbrett auf CAD mit 3D Simulation aller Prozessschritte um.”

Das globale Wachstum führte zu einer Vervielfältigung der Produktionsstätten mit den modernsten
Fertigungstechnologien rund um den Globus.

“Aus dem Erlernten in einer bestehenden Fabrik wurde jeweils das nächste Werk in einer verbesserten Version aufgebaut. Die modernsten Werke sind heute in China realisiert worden und das ist auch ein Teil der Erfolgsgeschichte der deutschen Automobilkonzerne in Asien”, erläutert Meichsner.

Aktuell lauten die Vorgaben der Einkäufer in der deutschen Automobilindustrie „Global Sourcing“ und „Target Cost Squeeze”.

“Lieferanten bei neuen Aufträgen werden nur berücksichtigt, wenn wir osteuropäische Löhne als Kalkulationsbasis zu Grunde legen. Zusätzlich fordern Firmen wie VW sogenannte Quick Savings, das sind sofort fällige Preisreduzierungen auf das bestehende Geschäft in Höhe von fünf Prozent als Gegenleistung für den Erhalt eines neuen Auftrages. Häufig ist es dann so, dass das Bestandsgeschäft noch in Deutschland produziert wird und hier der Nachlass gegeben wird, auch wenn die Produktion später in einem Low Cost Standort erfolgt. Bei jedem neuen Auftrag sinkt die Umsatzrendite im Altstandort immer weiter. Des Weiteren müssen vier Jahre lang je fünf Prozent an Preisreduktion zugesichert werden. Dieser Preisnachlass lässt sich durch Produktivitätssteigerung nur noch in den Low Cost-Standorten darstellen, da in Deutschland die meisten Abläufe bereits automatisiert wurden. Aufgrund des hohen Kostendrucks werden zusätzlich ganze Entwicklungsaufträge in Niedriglohnstandorte verlegt. In Indien arbeitet ein CAD-Entwicklungsingenieur für rund fünf Prozent des deutschen Gehaltsniveaus und zusätzlich ohne Arbeitszeitbegrenzung. Darüber hinaus erfolgt die Produktion der meisten Werkzeuge und Maschinen ohnehin schon in Asien”, weiß Meichsner.

Mit einem Lohnkosten-Unterschied von rund 40 Euro in Deutschland und vier bis sechs Euro in den osteuropäischen Ländern, werden immer mehr Industriearbeitsplätze in Niedriglohnländer verlagert.
Das komplette Interview mit Thomas Meichsner könnt Ihr in der Januar-Ausgabe des Wirtschaftsmagazins Boardreport nachlesen.

Gabriel im industriepolitischen Tal der Gedankenlosigkeit: Wir brauchen Spoiler, Software UND Vernetzungsintelligenz #bcbn15 @wmfra

Im Land der Industrie-Romantik
Im Land der Industrie-Romantik

Sigmar Gabriel lebt nach Auffassung von The European-Chefredakteur Alexander Görlach noch im 19. Jahrhundert.

„Für unseren Wirtschaftsminister zählt die Industrie, deutsche Autos und so. Digitale Innovation, neue Geschäftsmodelle? Nichts für unseren Siggi. Er zettelt lieber Krach mit Google an. Fabuliert von der Zerschlagung des Konzerns. Wenn am Anfang des 21. Jahrhunderts der deutsche Wirtschaftsminister die Harfe auf ein Lied der alten Zeit anstimmt, dann ist die Frage mehr als angebracht, ob er wirklich denkt, dass wir in fünfzig Jahren den Chinesen immer noch Autos verkaufen oder ob Google nicht wirklich das Zukunftsauto auf den Markt bringen wird oder Apple vielleicht.“

Görlach verweist auf den englischen Publizisten Charles Percy Snow, der 1959 darauf hinwies, wie England gegenüber Deutschland den Anschluss im 19. Jahrhundert verloren hat. „Die Briten waren sich zu snobistisch, als dass sie von ihrem ererbten Bildungskanon hätten ablassen wollen. Kein Problem, sagte man in Deutschland, und so wurden hier die Applied Sciences geboren. Die exzellenten Ingenieurswissenschaften sind das Fundament für den Erfolg des ‚German Engineering‘, von dem Deutschland bis heute profitiert.“

Aber selbst bei uns verlief dieser Prozess nicht ohne Reibungen und Widerstände. Das belegen die Forschungsarbeiten des Ökonomen Joseph Schumpeter in seiner Bonner Zeit von 1925 bis 1932.

In meiner Schumpeter-Session auf dem Barcamp Bonn erwähnte ich vor allem die Abhandlung von 1928 „Die Tendenzen unserer sozialen Struktur“. Hier untersucht Schumpeter die Diskrepanz zwischen der Wirtschaftsordnung Deutschlands und der Sozialstruktur. Die Wirtschaftsorganisation war kapitalistisch, die deutsche Gesellschaft war aber in ihren Gebräuchen und Gewohnheiten nach wie vor in ländlichen, ja sogar feudalen Denkweisen gefangen – heute industriekapitalistisch. Zur Reichsgründung 1871 haben nahezu zwei Drittel der Bevölkerung auf Gütern oder Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern gelebt, noch nicht einmal 5 Prozent in Großstädten von mehr als 100.000 Einwohnern. Bis 1925 hatte sich der Anteil der Stadtbewohner verfünffacht, während der Anteil der Landbevölkerung um die Hälfte zurückgegangen ist. Ursache war vor allem ein sprunghafter Anstieg der Agrarproduktivität. Während 1882 in Deutschland nur 4 Prozent der kleinen Landwirtschaftsbetriebe Maschinen einsetzten, waren es 1925 schon über 66 Prozent. Die Mechanisierung löste eine Landflucht aus und trieb die Landarbeiter in die Städte. Auch politisch waren die „Landjunker“ in der Weimarer Republik tonangebend.

Heute sind es die Lobbyisten und wissenschaftlichen Berater der Bundesregierung, die immer noch das industriepolitische Lied singen, obwohl wir seit den 1960er Jahren gar keine Industrienation mehr sind. Man braucht nur einen Blick in das Werk „Deutsche Wirtschaftsgeschichte“ von Professor Werner Abelshauser werfen.

Der Stellenwert von industriellen Produkten soll damit nicht in Frage gestellt werden – auch wenn es kaum noch eine industrielle Massenfertigung in Deutschland gibt. Wir exportierten 2013 Autos und Maschinen im Wert von über 350 Milliarden Euro. Darauf verweist Jonas Sachtleber von der studentischen Unternehmensberatung OSCAR in einem Beitrag unter dem Titel „Digitalisierung in Deutschland: Ein Desaster“.

„Hinzu kommen Datenverarbeitungsgeräte und elektronische Ausrüstung für mehr als 150 Milliarden Euro. Diese Produkte machen Deutschland zur Exportmacht. Um diese Stellung zu halten, muss Deutschland allerdings zum Ausrüster der Digitalisierung werden oder sich wenigstens an deren Umsetzung beteiligen“, fordert Sachtleber.

Einen wichtigen Punkt erwähnen die Studienautoren vom „Trendbook Smarter Service“:

„Wenn Produkte immer mehr zu intelligenten Services werden und die vernetzte Erlebniswelt der Kunden die Gewinner auf den Märkten der Zukunft definieren, dann werden smarte Services zu überlebenswichtigen Erfolgsfaktoren.“

Thyssen als Menetekel

Es geht dabei nicht um „Software STATT Spoiler“, wie die Zeit titelte, sondern um Spoiler, Software UND Vernetzungsintelligenz. Inhaltlich liegt der Zeit-Redakteur Götz Hamann allerdings richtig. Selbst die Perlen der deutschen Industrie – also Autokonzerne und Maschinenbauer – sind nicht mehr unangreifbar. Wenn Apple jetzt bis zu tausend Autoexperten einstellt, sollte das in München, Wolfsburg, Stuttgart und Ingolstadt nicht mit naserümpfender Arroganz beantwortet werden. “

Autos werden heute fast wie Handys und Computer gebaut. Man bestellt die Bauteile, besonders gern bei Continental, Bosch und ZF Friedrichshafen. Dann setzt man alles zusammen, wie es Volkswagen mit seinem Baukastenprinzip vormacht, und vermarktet das Auto. Die eigene Wertschöpfung liegt dadurch nur bei rund 25 Prozent“, so Hamann.

Warum sollte nicht auch Apple dazu in der Lage sein? Es geht nicht mehr um Ego-Produktion, sondern um Eco-Produktion, so das Credo von Netskill-Geschäftsführer Winfried Felser. Das ökonomische Design eines vernetzten Unternehmens ist ein Gesamtkunstwerk.

„Was macht der Komponist? Erfindet er die Noten neu? Nein. Erfindet er das Orchester neu? Nein. Muss der Komponist alle Instrumente des Orchesters spielen können? Auch nicht“, so Günter Faltin, Professor für Entrepreneurship.

Vorhandenes müsse nur neu kombiniert werden. Über die Kombinatorik von Komponenten gewinnen vor allem neue Unternehmen eine Geschwindigkeit, von der industrielle Großkonzerne nur träumen können – mit einem sehr geringen Geschäftsrisiko. Das ist eine Zäsur. Ein Unternehmen wie ThyssenKrupp könne bei neuen Projekten Teile auslagern, wenn etwa in Thailand ein neues Zementwerk gebaut werden soll. Vieles kommt aber aus dem eigenen Haus zu entsprechend höheren Fixkosten. Wenn Faltin mit einem freien Ingenieurbüro gegen den Konzern antreten und die Expertise für den Bau des Zementwerks dazukaufen würde, wäre er bei der Schnelligkeit der Projektplanung und der Kostenkalkulation nicht zu schlagen. Faltin sagte das einem Diplom-Ingenieur von ThyssenKrupp auf einem Flug nach Asien. Der Konzernmanager nickte und gab die Antwort:

„Ich gehe in anderthalb Jahren in Pension.“

Das spielte sich 2007 ab. Schaut man sich die Entwicklung von ThyssenKrupp in den vergangenen Jahren an, wirkt der Gesprächsverlauf wie ein Menetekel, Herr Gabriel. Ein gutes Thema für unsere Sendereihe „Kompetenzgespräche“ via Hangout on Air.

Nächsten Montag werde ich beim Webmontag in Frankfurt dazu einen kleinen Vortrag halten: Im Land der digitalen Bräsigkeit – Wie wir den Weg in die vernetzte Ökonomie versemmeln

Kurzfassung: Wo bleiben die Impulse in Wirtschaft und Politik, um uns von der Anachronismen der untergegangenen Industriewirtschaft zu befreien, wie es der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser in seinem Standardwerk “Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945″ ausdrückt? Wo sind klare Konzepte für einen institutionellen Rahmen zu erkennen, um uns auf die Bedürfnisse der nachindustriellen Ära auszurichten?

Weder die wirtschaftlichen Eliten noch die öffentliche Meinung waren und sind sich der Realität bewusst, “dass schon Anfang der sechziger Jahre selbst bei stark rohstofforientierten Produzenten, wie der deutschen Großchemie, bis zu zwei Drittel der Wertschöpfung auf der Fähigkeit zur Anwendung von wissenschaftlich basierter Stoffumwandlungsprozesse beruhte”, schreibt Abelshauser in der erweiterten Auflage seines Opus.

Seit den neunziger Jahren sind mehr als 75 Prozent der Erwerbstätigen und ein ebenso hoher Prozentsatz der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung durch immaterielle und nachindustrielle Produktion entstanden. Die innere Uhr der politischen Entscheider ist immer noch auf die industrielle Produktion gepolt. Man merkt es an der wenig ambitionierten Digitalen Agenda der Bundesregierung, man erkennt es an den lausigen Akzenten, die in der Bildungspolitik gesetzt werden und man hört es bei den Sonntagsreden der Politiker, wenn es um Firmenansiedlungen geht. Es gibt keine Konzeption für eine vernetzte Ökonomie jenseits der industriellen Massenfertigung aus den Zeiten des Fordismus​.

Über den Untergang der Industriewirtschaft: Wo sind Konzepte für die vernetzte Ökonomie?

Politikrezepte der Wirtschaftswunder-Zeit greifen nicht mehr
Politikrezepte der Wirtschaftswunder-Zeit greifen nicht mehr

In Deutschland arbeiten im verarbeitenden Gewerbe immer weniger Menschen unmittelbar in der Fertigung, während die Beschäftigung insbesondere bei den für die Wettbewerbsfähigkeit entscheidenden produktionsnahen Dienstleistungen wie Forschung, Entwicklung, Organisation, Management und Beratung zunimmt. In den exportstarken Branchen wie dem Fahrzeugbau oder dem Maschinenbau war die Entwicklung besonders dynamisch. Dies sind die zentralen Ergebnisse einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).

„Auch innerhalb der Branchen findet ein Strukturwandel statt“, sagt DIW-Experte Alexander Eickelpasch.

In den Jahren 2007 bis 2011 ist die Zahl der Industriebeschäftigten, die unmittelbar in der Produktion tätig sind, um 2,5 Prozent gesunken. Dies geht teilweise auf eine steigende Arbeitsproduktivität, teilweise auf den verstärkten Bezug von Vorleistungen, die bisher selbst erstellt wurden, und teilweise auf den verstärkten Einsatz von Leiharbeit zurück. Die Zahl der Personen, die in Industrieunternehmen Dienste erbringen, ist dagegen in diesem Zeitraum um 2,5 Prozent gestiegen. Bei den produktionsorientierten höherwertigen Dienstleistungen ist die Beschäftigung sogar um 4,5 Prozent gestiegen, und hierunter in Forschung und Entwicklung um 5,8 Prozent sowie bei Leitung und organisatorischen Tätigkeiten um 16,0 Prozent.

Dieser Strukturwandel ist Erkenntnissen des DIW in allen Industriebranchen zu beobachten, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität. In den international ausgerichteten Branchen mit einer überdurchschnittlichen Exportquote von mehr als 50 Prozent – wie der Automobilindustrie, dem Maschinenbau und der chemischen Industrie – wächst die Bedeutung dieser Dienste dynamischer als in eher binnenmarktorientierten Branchen wie der Nahrungs- und Genussmittelindustrie.

Durch die zunehmende Digitalisierung werden Routinetätigkeiten an Bedeutung verlieren und anspruchsvolle Tätigkeiten an Bedeutung gewinnen – auch in der Fertigung.

So weit, so gut. Wo bleiben aber die ordnungspolitischen Impulse, um uns von der Anachronismen der untergegangenen Industriewirtschaft zu befreien, wie es der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser in seinem Standardwerk „Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945“ ausdrückt. Wo sind klare Konzepte für einen institutionellen Rahmen zu erkennen, um uns auf die Bedürfnisse der nachindustriellen Ära auszurichten? Weder die wirtschaftlichen Eliten noch die öffentliche Meinung waren und sind sich der Realität bewusst, „dass schon Anfang der sechziger Jahre selbst bei stark rohstofforientierten Produzenten, wie der deutschen Großchemie, bis zu zwei Drittel der Wertschöpfung auf der Fähigkeit zur Anwendung von wissenschaftlich basierter Stoffumwandlungsprozesse beruhte“, schreibt Abelshauser in der erweiterten Auflage seines Opus. Seit den neunziger Jahren sind mehr als 75 Prozent der Erwerbstätigen und ein ebenso hoher Prozentsatz der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung durch immaterielle und nachindustrielle Produktion entstanden. Die innere Uhr der politischen Entscheider ist immer noch auf die industrielle Produktion gepolt. Man merkt es an der wenig ambitionierten Digitalen Agenda der Bundesregierung, man erkennt es an den lausigen Akzenten, die in der Bildungspolitik gesetzt werden und man hört es bei den Sonntagsreden der Politiker, wenn es um Firmenansiedlungen geht. Es gibt keine Konzeption für eine vernetzte Ökonomie jenseits der industriellen Massenfertigung aus den Zeiten des Fordismus.

Darüber würde ich gerne einige Fachgespräche via Hangout on Air führen. Wer Lust und Interesse verspürt, soll sich einfach bei mir melden. Hier in den Kommentaren oder per Mail an: gunnareriksohn@gmail.com

Man hört und sieht sich spätestens bei Bloggercamp.tv am Mittwoch, um 20: 15 nach er Tagesschau. Da geht es um Stadtgestaltung und die Zukunft des stationären Einzelhandels.

Siehe auch:

Cyber, Cyber! Die Hymne zur Digitalen Agenda.

DEUTSCHLAND VERLIERT DIE IT-EXPERTISE.

Wenn der Kochtopf vernetzt ist und das Fachpersonal fehlt #theeuropean

Ingenieure für die vernetzte Ökonomie gesucht
Ingenieure für die vernetzte Ökonomie gesucht

Die vernetzte Ökonomie macht auch vor der klassischen Industrieproduktion nicht halt. Schlagworte wie Industrie 4.0, Smart Factory, intelligente Fabrik, Integrated Industry, Machine-to-Machine-Kommunikation und Internet der Dinge sind ein Wegweiser für die Veränderungen in den nächsten Jahren:

„Sie beschreiben die Vernetzung der bisher insular aufgebauten Produktion und der Unternehmen; oder auf gut Deutsch: Ohne Internet und Software geht künftig gar nichts mehr. So wie fast jeder Büroarbeitsplatz einen Internetzugang hat, wird zukünftig jede Maschine einen solchen Zugang haben. Vor allem geht es darum, dass die Maschinen untereinander vernetzt werden und kommunizieren können“, so FAZ-Redakteur Georg Giersberg.

Es reicht nicht mehr aus, über Spezialkenntnisse für Mechanik, Maschinenbau oder Fertigung zu verfügen – Wissen über Software und Programmierung müssen dazu kommen.

„Der Anteil der Softwareingenieure nimmt in der Industrie deutlich zu“, so Giersberg.

Es gebe kaum eine technische Disziplin, die ohne elektronische Steuerungen und ohne Vernetzung mit anderen Steuerungssystemen oder dem Internet auskommt – das gilt selbst für Kochtöpfe, Heizungsanlagen und Druckmaschinen.

Die aktuell diskutierte Revolution des Produktionsprozesses rüttelt an vielen Paradigmen der Berufswelt der Ingenieure: Neben der technischen Expertise, wird zusätzliches Informatikwissen über Interoperabilität, Offenheit und Skalierbarkeit durch die dazu notwendigen IT-Architekturen und Middleware-Komponenten verlangt.

„Dies sind im Grunde genommen unvereinbare Anforderungen, die einen Ingenieur an die Grenze seiner mentalen Fähigkeiten bringt. Entweder man ist ein begnadete Schrauber und Nerd oder der vorausschauende konzeptionell denkende IT-Architekt“, sagt Kasten Berge, Geschäftsführer von SearchConsult in Düsseldorf.

Ausführlich nachzulesen in meiner morgigen Kolumne für das Debattenmagazin „The European“. Würde ich mich über viele Retweets, Likes, Plusse und Kommentare freuen 🙂

Update:

Hier die komplette Kolumne: Schrauber trifft Nerd.

Wirtschaft und Politik verpennen die digitale Transformation: #BloggerCamp Gespräch mit Staatssekretär Otto

Digitales Mittelmaß

Die Netzbetreiber erhoffen sich hohe Umsätze aus der digitalen Transformation der deutschen Wirtschaft. Doch diese Hoffnungen könnten sich als Blütenträume erweisen. Die Wirtschaft ist seltsam lustlos auf dem Weg in eine vernetzte Ökonomie. Sie suhlt sich in ihren Erfolgen als Exportnation aus den guten alten Tagen der industriellen Massenproduktion und spekuliert auf eine industrielle Renaissance. Die Politik ergeht sich in aktionistischer Symbolpolitik (als jährlicher Höhepunkt sichtbar auf dem Altherren-IT-Gipfel) und bringt noch nicht einmal die eigenen eGovernment-Projkte erfolgreich auf den Weg (Bund Online als Stichwort: Die digitale Kompetenz der Bundesregierung – Placebo-Lutschpastillen). Deutschland verliert international den Anschluss und gleitet ins digitale Mittelmaß ab, wie Dr. Roman Friedrich von der Unternehmensberatung Booz & Company konstatiert. Er spricht sogar von einer technologiefeindlichen Einstellung der Wirtschaft.

Genügend Diskussionsstoff für unsere morgige Bloggercamp-Sondersendung von 18,30 bis 19,00 Uhr mit dem Staatssekretär Hans-Joachim Otto aus dem Bundeswirtschaftsministerium.

Und um 12 Uhr stellen wir in der Hamburger Social Media Week unser Projekt „Die Streaming-Revolution – Ein Buch über und mit Hangout on Air“ vor. Auch die Startnext-Website steht mittlerweile. Ihr könnt uns jetzt unterstützen!!!!!

Morgen geht es in meiner The European-Kolumne natürlich auch um das Thema „Lustlos im Netz“. Anregungen, Kommentare, Meinungen, Studien kann ich heute noch so bis 16 Uhr verarbeiten. Hashtag für Twitter-Zwischenrufe zu unseren beiden Sendungen #bloggercamp

Die Politik sollte vielleicht mal aufhören, Mittel für Internet-Lauschangriffe zu verplempern. eGovernment statt Staatstrojaner!

Zum Booz-Pressegespräch siehe auch: Pläne der Netzbetreiber: Führt die Datenexplosion zu einem Zweiklassen-Netz?

Wolf Lotter und die Dampfmaschinen-Ideologie der liebwertesten Industrie-Gichtlinge

Schon vor drei Jahren ist Wolf Lotter in seinem Buch „Die kreative Revolution – Was kommt nach dem Industriekapitalismus“ den Museumswächtern des Industriekapitalismus kräftig ans Leder gegangen. Wissen schlägt Produkt.

„Die großen Gewinne, die weltweiten Erfolge ökonomischer Prozesse und Innovationen sind nahezu alle wissensbasiert, seit dem Siegeszug des Computers und des Internets ist das deutlich“, erläutert Lotter, der aber darauf verweist, dass die meisten Akteure von Wirtschaft und Politik getaktet sind wie in den Zeiten des Fordismus. Harmonisch werde der Machtkampf zwischen industriekapitalistischen und wissensbasierten Organisationen nicht ablaufen.

Die Dampfmaschinen-Propheten sind in einer Großen Koalition organisiert. Zu ihnen zählen SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler und die Vertreter der Tarifparteien. Ihre simple Botschaft: Maschinen, Schrauben, Dübel und qualmende Schlote machen uns im harten globalen Wettbewerb krisenfest. Lotter zerlegt diese Weisheiten in seinem charmanten österreichischen Ton:

„Die Re-Industrialisierung hat vom Ton her etwas reaktionäres und gehört zur Vorstellungswelt der Volksparteien, die sich hier sehr einig sind. Sie sind in der Industriegesellschaft geboren worden und sind mit der Kultur der Industriegesellschaft eng verhaftet. Sie haben ein mechanistisches Menschenbild und gehen davon aus, dass Fabriken leichter zu kontrollieren sind. Mit der neuen Welt der Wissensgesellschaft können sie sich nicht anfreunden. Die deutsche Volkswirtschaft zählt zu den vier größten Industrienationen. Das ist nicht zu bestreiten. Allerdings liegt der Anteil der Industrie an der Wertschöpfung des Bruttoinlandsproduktes bei 20,7 Prozent. Das repräsentiert gerade mal ein Fünftel der Wirtschaftsleistung, aber 100 Prozent des Theaters, weil Politiker und Verbandsfunktionäre ihre Macht nicht aufgeben wollen und in dieser alten Welt ihre Erfüllung sehen. Man sollte die Industriegesellschaft nicht dividieren. In der Industrie haben wir Leute, die klug genug sind um zu wissen, dass es nicht darum geht, einen Begriff zu erhöhen. Es geht darum, mit Wissen bessere Dienstleistungen und Produkte herzustellen. Es ist vollkommener Unsinn, wenn die Politik sich immer noch auf das mechanistisch Anfassbare kapriziert. Das beweist, dass der durchschnittliche deutsche Politiker ein Beamter ist, wie Frank-Walter Steinmeier – ein Berufsbeamter, der von der Ökonomie und von der Praxis keine Ahnung hat“, so Lotter im ichsagmal-Interview.

Würde man den Ratschlägen von Steinmeier folgen, keine wissensbasierte Dienstleistungsgesellschaft zu werden, wäre Deutschland bitterarm.

„Wir schöpfen in der Kreativökonomie Ideen, konstruieren Autos und Maschinen. Die deutsche System-Industrie steht für wissensbasierte und personalisierte Industrielösungen. Wir bauen nichts am Fließband, sondern wir bauen individualisierte Leistungen. Deswegen sind die Produkte letztlich so erfolgreich. Was Steinmeier meint, ist wohl ein Rückgriff auf eine alte und hierarchisch überschaubare Gesellschaftsstruktur, wo es eine Arbeiterklasse gibt, wo es Angestellte gibt, wo es einen normalen Lebensverlauf gibt. Das ist bei Schwarz-Gelb nicht anders. Es gibt in der Bundesregierung wirklich keine einzige Person, die sich mehr als alibimäßig mit Wissensgesellschaft und kreativer Ökonomie beschäftigt, obwohl das mittlerweile den größten Teil der Ökonomie ausmacht. Fast jedes OECD-Land sei in dieser Frage stark engagiert, weil es die klügsten Köpfe halten und verstehen will. Das will man offensichtlich in der deutschen Politik nicht“, moniert Lotter, der für die Zeitschrift brand eins die Einleitungsessays schreibt.

Qualmende Schlote bringen der deutschen Wirtschaft gar nichts, auch keine Arbeitsplätze, da die Fertigungstiefe in den vergangenen Jahren nicht zugenommen hat und wohl auch in Zukunft nicht zunehmen wird. Das sieht auch Lotter so.

„Wir verdienen unser Geld, indem wir Ideen und Wissen produzieren. Das ist eine völlig andere Welt als die Skalierungswelt der Industrie, die auf Massenfertigung setzt. Würden wir dem Empfehlung zur Re-Industrialisierung folgen, dann wäre Deutschland bald ein Armenhaus. Wir könnten auf gar keinen Fall gegen die Massenproduzenten konkurrieren, die es längst in aller Welt gibt und von denen wir heute profitieren. Es sind die Märkte für unsere guten Ideen“, meint Lotter.

Warum transportieren eigentlich Organisationen wie das Institut der deutschen Wirtschaft dann immer noch das Märchen von der heilsamen Wirkung der Re-Industrialisierung?

„Es gibt viele Institute und Direktoren, die eng mit dem industriellen Sektor verflochten sind. Insgesamt gibt es eine enge Verflechtung zwischen Industrie, Wirtschaftsinstituten und Politik. Man muss sich nur die Namensliste der Berliner Industrielobby anschauen. Teilweise sogar in Personalunion. Das spielt sich vor allem im roten und schwarzen Lager ab. Da wird jemand Politiker mit einer alt-industriellen Lackierung, der dann später zum Verbandschef aufsteigt, um seine Freunde im Industrielager weiter zu unterstützen“, sagt Lotter.

Ähnliches kann man bei den Wirtschaftsinstituten beobachten. Man braucht sich nur den Vorstand des Instituts der deutschen Wirtschaft anschauen 😉

Wo aber sollten denn nun wirtschaftspolitische Akzente gesetzt werden?

„Es ist eigentlich klar, wer in Deutschland für Wohlstand sorgt. Es sind die vielen Menschen, die in mittelständischen und kleinen Unternehmen oder als Selbständige arbeiten. Und die können gar nicht anders als innovativ zu denken, sonst wären sie sofort weg vom Fenster. Sie sind meistens in wissensbasierten Dienstleistungsbranchen tätig im weitesten Sinne. Sie lösen Probleme für andere Leute. Manchmal ist es auch eine alberne Definitionsgeschichte. So glauben manche Mittelständler, dass sie noch zum industriellen Sektor gehören. In Wirklichkeit kümmern sie sich aber um Software, Logistik und denken sich Lösungen aus“, führt Lotter aus.

Sein Ratschlag: Politische Entscheider sollten den Prinzipien folgen, die der Ökonomie Erfolg bringen. Und der liege in einer hervorragenden wissensbasierten Ökonomie und das schon seit langer Zeit. Die Politiker sollten auch mit Wirtschaftshistorikern reden, um sich ein klares Bild zu verschaffen. Das empfiehlt Lotter vor allem dem Bundeswirtschaftsminister und dem SPD-Fraktionschef. Sie könnten etwa mit Professor Werner Abelshauser sprechen (oder sein Opus „Deutsche Wirtschaftsgeschichte“ lesen). Der würde ihnen erklären, dass die Industriegesellschaft strukturell diesen Namen seit fast 100 Jahren gar nicht mehr verdient. Die kleinen Klüngel der Berliner Politik sind wohl das Hauptproblem, die sich gegenseitig die Stichworte zuschieben und nicht wissen, was draußen wirklich passiert. Nur auf dieser Grundlage entstehe so ein Unsinn, der am Wochenanfang vom Bundeswirtschaftsminister verkündet wurde.

Und generell benötigen wir in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft mehr Abweichler und Spinner.

Sie machen sich den schnellen Wandel und die Auflösung alter Kontexte zunutze. Die ungezähmten Ideen an der Peripherie sind der Rohstoff, aus dem morgen glänzende Markterfolge erwachsen. Das werden wir heute Abend im virtuellen Blogger Camp verhandeln. Eine Gesprächsrunde über die Re-Industrialisierung machen wir da allerdings nicht (das würde ich gerne im Dezember auf die Agenda setzen).