Spiegel-Online-Redakteur Andreas Grieß fragt nach dem Einfluss von Social Media. Sein Urteil: Fehlanzeige. „Eigentlich beschäftigt sich das Web 2.0 in erster Linie mit sich selbst. Das allein muss noch nichts heißen – außer, dass es trotz steigender Nutzerzahlen noch nicht im Mainstream angekommen ist“, behauptet Grieß. Er beruft sich auf eine Studie des US-Blog SmartDataCollectiv. In der Untersuchug wurden 3.000 Social-Media-Beiträge analysiert. Das Ergebnis: Die am häufigsten vorkommenden Schlüsselbegriffe waren „social” und „media”, gefolgt von „Twitter” und „Facebook”.
„Das in der deutschen Blogosphäre derzeit meist verlinkte Blog ist netzpolitik.org. Über welche Themen dieses hauptsächlich berichtet, sagt bereits der Name. Mit dem Basic Thinking Blog, Netzwertig sowie dem Blog zur re:publica, einer Veranstaltung zu Blogs und Social Media, sind weitere Blogs sehr weit oben in den inoffiziellen deutschen Blogcharts, die sich überwiegend mit Themen des Internets beschäftigen. Der Nachrichten-Aggregator Rivva, bei dem Artikel von Nachrichtenseiten und Blogs vor allem danach sortiert werden, wie häufig Beiträge in Blogs und auf Twitter auf sie verlinken, listet seine ‚Leitmedien‘ auf. Aktuell liefert demnach SPIEGEL ONLINE die meisten Topmeldungen. Direkt danach folgt bereits das offizielle Google-Blog und netzpolitik.org. Die Hausblogs von Twitter, Apple, Facebook und YouTube rangieren ebenfalls vor den meisten gängigen Nachrichtenseiten“, schreibt Grieß.
Es bedeute nach seiner Meinung nicht, dass das Web 2.0 andere Lebensbereiche nicht verändert. „Die Daten sprechen eher für etwas anderes: Dass das Mitmach-Netz trotz steigender Nutzerzahlen noch nicht im Mainstream angekommen ist.“
Ein Indiz dafür sei zum Beispiel auch, dass Sport nur sporadisch vorkommt, geht es um die meistverlinkten Blogs, die meisten Follower bei Twitter oder die meisten Fans bei Facebook. Laut dem Marktforschungsunternehmen Forrester Research würde die Anzahl von wirklich aktiven, Inhalte produzierenden Nutzern in den USA sogar wieder abnehmen. Aber was ist denn heute noch Mainstream in sozialen Netzwerken, lieber Andreas Grieß.
Eine sehr gute Replik auf den Spiegel-Beitrag hat Thilo Specht geschrieben: „Eine Stichprobe aus 3.000 Beiträgen bedeutet in den Social Media – nix. Nada. Nothing.Allein in Twitter werden täglich 90 Millionen Tweets geschrieben (Quelle: http://techcrunch.com/2010/09/14/twitter-seeing-90-million-tweets-per-day/ ).Auf Facebook werden monatlich mehr als 30 Milliarden Inhalte von den Nutzern eingestellt (Quelle: http://www.facebook.com/facebook#!/press/info.php?statistics ). Von YouTube und dem ganzen Rest fange ich gar nicht erst an. Eine Stichprobe, bestehend aus 3.000 Items, kann in keinster Weise einen repräsentativen Charakter haben.“
Die Mainstream-These erinnert ein wenig an die Netzkritik des Medienphilosophen Norbert Bolz. Im Web soll sich angeblich das Pareto-Gesetz der 80/20-Verteilung bestätigen. „Das ist ein Effekt, der sich überall dort einstellt, wo Menschen aus einer Fülle von Möglichkeiten wählen können“, führt Bolz aus. Vielfalt + Wahlfreiheit = Ungleichheit. 20 Prozent aller Knoten ziehen 80 Prozent aller Links auf sich. Deshalb bekomme man auch im Web eine Wirtschaft der Stars. Der Soziologe Robert K. Merton spricht in diesem Zusammenhang vom Matthäus-Effekt: Wer hat, dem wird gegeben. Oder wie es der Millionär Gunter Sachs etwas deftiger ausdrückte. „Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen“.
Als Entgegnung kann man den Long Tail-Effekt in die Diskussion bringen. Es gibt in sozialen Netzwerken viele Nischen, wo es entsprechend viele 80/20-Verteilungen gibt. In der einen ist man der „Star“ und in der anderen mehr oder weniger der stumme Konsument und Beobachter.
Entscheidend ist die Frage: 20 Prozent von was? Das kommentierte ein Leser meines Blogs:
Im Unterschied zur „alten“ Welt kann sich jede Spezialgruppe mit wenig Technik und Geld ihr Forum aufbauen. “Wenn dann 20 Prozent der 10 weltweit verteilten Liebhaber von blau-rosa Weinbergschnecken die Aufmerksamkeit in dieser Gemeinschaft auf sich konzentrieren, ist doch alles in Ordnung. In einer anderen Gruppe gehören die beiden wieder ‘nur’ zu den 80 Prozent Konsumenten. Neu ist eigentlich nur der ständige Rollenwechsel. Es gibt im Web 2.0 keine festgefügte 80/20-Aufteilung.
Man findet zu dem Thema Experten, Nerds und Hobbyisten, die sich in Foren, Blogs oder Chatsystemen tummeln. Da wird über die Restauration des legendären Batmobils aus den 1960er Jahren oder über Schuco-Autos philosophiert. Über alte Fotoapparate, Antiquariate, Literatur, Kultur, Museen, Musik und, und, und.
Über den Porsche Diesel, der als Spielzeugmodell von Kovap originalgetreu auf den Markt gebracht wurde. (siehe Foto oben).
In der Geschäftswelt gibt es interessante Blogs, die sich beispielsweise mit der Serviceökonomie auseinandersetzen. Etwa der Service-Blog mit dem After Sales-Management. Oder der Smart Service-Blog mit Dienstleistungsinnovationen. Oder die Service-Blogger über Service-Ärgernisse. Oder Zukunft-Kundendialog mit der Call Center-Branche. Oder den 3CBlog, der sich auch mit Themen zum Kundendialog beschäftigt.
Gleiches findet man sicherlich zu jedem anderen Thema. Im Sport gibt es sehr viele Vereine, die im Social Web aktiv sind – aber nur lokal wahrgenommen werden, wie die Meistermacher des RW Lessenich in Bonn.
So smart ist die Analysemethode des SmartData Cellective-Blogs nicht.