Warum Unternehmer mit der Kommunikation über das Internet Protokoll hadern
„Für Geschäftskunden, die sehr häufig Nebenstellenanlagen betreiben, deren weitere Wartung durch die Lieferanten zu Ende geht, erwarte ich persönlich eine schnellere Migration zu VoIP als bei den Privatkunden, wenngleich die Nachfrage nach Lösungen für VoIP-Centrex dem Vernehmen der Anbieter nach enttäuschend ist. Hier liegen uns belastbare Zahlen jedoch nicht vor“, so WIK-Senior Consultant Dr. Thomas Plückebaum gegenüber NeueNachricht. Die Übertragung von Sprache, Bild und Daten über das Internet Protokoll ist kein Kinderspiel und mit reinen Modephrasen bewegt sich der Markt keinen Millimeter. Wenn man jeden Tag mit PR-Texten von Firmen bombardiert wird, die eine „nachhaltige und ganzheitliche VoIP-Strategie garantieren, Prozesse optimieren und implementieren, eine Vielzahl von Synergien realisieren und mit leistungsfähigen Tools basierend auf einem Netzwerk von Applikationen für geringere Kosten und einer höheren Effizienz sorgen“, darf man sich über die starre Haltung der Unternehmer gegenüber neuen Kommunikationstechnologien nicht wundern.
Ähnlich sieht es Andreas Rebetzky, Sprecher des cioforums in München: „Es ist ein weiter Weg von der Idee zur Umsetzung. Zudem verschieben sich notwendige Investitionen für VoIP durch die angespannte Wirtschaftslage. Die alte Telefonanlage tut es noch ein Jährchen, vielleicht mit ein wenig höheren Reparaturkosten“, sagt Rebetzky. Daher sei VoIP in den Vorstandsetagen erst einmal in die zweite Reihe gerückt. „Man konzentriert sich eher auf Prozessoptimierungen in der Logistik oder Bestellabwicklung. Dennoch: Die Zeit wird wiederkommen und wohl denen, die schon mit gereiften Konzepten in den Startlöchern stehen“, resümiert Rebetzky, CIO des Lebensmitteltechnologie-Spezialisten Bizerba.
Folgt man den Analysen des Beratungshauses Berlecon, hält zwar eine große Mehrheit der Entscheider in deutschen Unternehmen die Integration verschiedener Kommunikationskanäle und deren Einbindung in Geschäftsanwendungen für sinnvoll. Allerdings sind in vielen Unternehmen die notwendigen technischen Voraussetzungen gar nicht vorhanden: „Nur ein geringer Teil verfügt bisher über eine VoIP-Infrastruktur, wie etwa IP PBX oder gemeinsame Netze für Daten und Sprache. Von einer Sättigung ist der deutsche VoIP-Markt demnach noch weit entfernt und für die Anbieter gibt es noch erhebliche ungenutzte Potenziale zu aktivieren“, so Berlecon. „Was nutzen mir die effektvollen Powerpoint-Präsentationen über Unified Communications und die Versprechen einer schöneren Kommunikationswelt im IP-Zeitalter, wenn die Softwarebubis mit meiner alten TK-Anlage nichts anfangen können. Ich schmeiße doch meine gesamte Infrastruktur nicht über Bord“, klagt ein mittelständischer Firmenchef im Gespräch mit NeueNachricht.
Der Deutschland-Chef des ITK-Unternehmens Aastra, Andreas Latzel, kann den Unmut vieler Unternehmer verstehen. „Man sollte nicht das Blaue vom Himmel versprechen oder eierlegende Wollmilchsäue verkaufen. Wer die alte TK-Welt nicht versteht, besitzt keine Kompetenz, um Firmen in die IP-Welt zu transformieren. Der Philosoph Odo Marquard hat die technische Herausforderung treffend formuliert: Zukunft braucht Herkunft. Deswegen scheitern VoIP-Strategien, die den dritten vor dem ersten Schritt machen, wie es zur Zeit in der Software-Branche zu beobachten ist. Es geht um eine sehr komplexe Integrationsaufgabe. Innovation und Kontinuität gehören zusammen“, so das Credo von Latzel. Zunächst müsse man einige Hürde überwinden, um mit VoIP die gleiche Qualität und Sicherheit wie bei der klassischen Telefonie zu bieten.
„Das klingt zunächst trivial, ist es aber nicht. Bei der Integration der Sprachkommunikation in die IT-Infrastruktur sind besondere Dinge zu berücksichtigen, wie etwa die Echtzeitanforderung und hohe Verfügbarkeit. Die klassische Telefonie bietet Leistungsmerkmale, an die sich die Anwender in vielen Jahren gewöhnt haben und so in der IT nicht vorkommen: Vermittlungsarbeitsplätze, verkettete Anrufweiterschaltung, Chefsekretärin-Funktion und ähnliches. Viele reine IP-Lösungen haben heute genau mit diesen Funktionen ihre Schwachstellen. Ob der Anwender hingegen die vielgerühmten neuen Funktionen der Unified Communications immer nutzen kann und möchte, steht auf einem ganz anderen Blatt. Das unterscheidet sich deutlich von Unternehmen zu Unternehmen, hängt von Firmenkultur, Demokratie der Arbeit, Hierarchie- und Entscheidungsmodell, von Branche und dem Arbeitsplatz selbst ab. Stark virtualisierte Unternehmen der Beratungsbranche, die mit wenigen festen Büroarbeitsplätzen und Desk Sharing auskommen, stehen eher klassisch arbeitenden Produktions- und Verwaltungsbetriebe gegenüber, wo das Telefon zum Telefonieren benutzt wird und es wenig bis gar nichts mit der IT zu tun hat“, erläutert Latzel.
Einen Trägheitsmoment bei Geschäftskunden sieht auch Bernhard Steimel von Mind Business Consultants. „Bei bereits getätigten TK-Investitionen sowie Miet- und Wartungsverträgen mit Laufzeiten von bis zu zehn Jahren geht man konservativ vor. Zudem wird die Kommunikation als unternehmenskritische Funktion angesehen und das Misstrauen in die Zuverlässigkeit der VoIP-Technik ist besonders im Mittelstand weit verbreitet. VoIP wird sich sicherlich durchsetzen. Die Frage ist nur, wie schnell“, so Steimel.