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KI, Plattformen und die durchlöcherte Innovationstheorie von #Schumpeter: Autorengespräch mit @thomasramge @MurmannVerlag

Dystopische Szenarien können helfen, den Blick für die Gefahren durch den Missbrauch von KI von Menschen gegen Menschen zu schärfen. “Doch nur ein gut begründetes, optimistisches Zukunftsbild, in der KI zum Wohl von allen Menschen in pluralen Gesellschaften wirkt, kann konstruktive Hinweise geben auf die Frage: Wie können wir KI-Technologien so einsetzen, dass sie viel mehr Menschen viel mehr nützen als schaden?”, fragt sich Thomas Ramge, Autor des Buches “postdigital”. Beide Szenarien werden in dem Opus von Ramge ausführlich beleuchtet.

Etwa die Rolle von Feedbackdaten für lernende Systeme: “Die Skaleneffekte des Industriekapitalismus haben Produkte günstiger gemacht und damit zugänglich für mehr Kunden. Die Netzwerkeffekte der Informationswirtschaft haben die erste Phase des digitalen Kapitalismus geprägt, indem sie den Aufstieg von datenreichen Marktplattformen begünstigten, aus denen die heute wertvollsten und profitabelsten Unternehmen der Welt hervorgingen. Beide Effekte beschleunigten die von Marx vorhergesagte Konzentration der Märkte, doch gegen beide gab es jenseits des Kartellrechts immer ein Mittel, Oligopole zu brechen: die kreative Zerstörung mithilfe guter Ideen. Das war nie leicht, schon gar nicht bei gut etablierten Plattformen, aber Facebook löste MySpace nahezu über Nacht ab, Apple verdrängte Nokia mit einem einzigen Produkt, und wer kennt heute noch den Namen Netscape? Die bessere Idee schlug auch in der IT-Industrie in bester Tradition von Joseph Schumpeters Innovationstheorie zu”, erläutert Ramge, Research Fellow am Weizenbaum-Institut in Berlin.

Die Feedbackeffekte durchlöchern die Innovationstheorie von Schumpeter. Sie haben etwas Alchimistisches: Sie schaffen den Rohstoff selbst, mit dem sie sich verbessern. KI teilautomatisiert die Innovation. Die Start-up-Davids mit den guten Ideen werden die datenreichen Goliaths immer seltener schlagen können. Die Innovationsrate sinkt. Fehlende Vielfalt im Markt wiederum heißt weniger Wettbewerb. Und weniger Wettbewerb heißt weniger Anreiz zu Innovation. Die vergangenen zehn Jahre war die digitale Regulierungsdebatte von der Frage bestimmt: Wie schützen Gesetze die Privatsphäre von Nutzern und Bürgern? In den kommenden zehn Jahren wird die große Frage lauten: Wer darf welche Daten nutzen?

Im Buch bezieht sich Ramge auf den Blogger und Plattform-Kenner Michael Seemann: “Der blinde Fleck des Datenschutzes ist folgender: Facebook ist nicht so mächtig, weil es so viele Daten hat. Es ist mächtig, weil es die Daten exklusiv hat, sie exklusiv auswerten darf und damit exklusive Inhalte erstellen kann.”

Die Plattformen der Internet-Giganten sind in der Lage, durch Internalisierung bestimmter ökonomischer und gesellschaftlicher Übereinkünfte, Regeln und Prozeduren, sowie deren Unterwerfung unter die eigenen Geschäftsmodelle (nennen wir es „take-over“), die Spielregeln von Angebot und Nachfrage, von Märkten und Branchen, von Kultur und Gesellschaft, von Arbeit und Kapital, substanziell und radikal zu verändern und damit den Markt und in der Folge Gesellschaften digital zu kolonialisieren, nämlich spätestens dann, wenn die Plattformen faktische Voraussetzung zur Teilnahme an Markt oder Gesellschaft werden.

Plattformen vernichten Märkte

Professor Lutz Becker spricht gar trefflich von der Marktfiktion, die die digitalen Plattformen erzeugen. Der Markt als sozio-kulturelle Veranstaltung verschwindet in den Untiefen der Plattform-Algorithmen. Man mag nun angesichts des gerne beschworenen Begriffes vom ‚Digital Marketplace‘ meinen, dass Plattformen, wie Amazon, Facebook und Uber, die Funktionen des Marktes reproduziert und dazu noch zu einem größeren Angebot (durch Vergrößern des Marktes und Senken von Marktschranken), Effizienz (durch Senkung von Transaktionskosten und mehr Transparenz) geführt hätten.” Das ist Mimikry.

Auf Chatbot- und KI- basierten Plattformen, insbesondere unter den Bedingungen von (Big-) Nudging sieht das anders aus. Es dominieren mehr oder weniger fest verdrahtete Sequenzen von Regeln, die sozio-technische Abläufe präzise strukturieren, automatisieren und/oder bewerten, um bestimmte ökonomische Ziele zu erreichen.

„Der Nutzer reagiert einseitig auf die Plattform, während auf der Plattform nur ein algorithmisches System, also in einem einseitig kontrollierten Prozess, eine Illusion wechselseitiger Kontingenz erzeugt wird, die mit einem ‚Verlust von Partitäten‘ einhergeht“, führt Becker aus.

Entscheidend ist also das Geschäftsmodell und nicht mehr, dass sich die Preise über Angebot und Nachfrage bilden, sondern von einem Algorithmus die Profitraten der Plattform durch Werbeeinnahmen oder Vertriebsprovisionen und am Ende den Shareholder-Value maximiert. Man könnte auch sagen, dass die Plattformen wie ein Schwarzes Loch den Markt ansaugen und verschlucken.

Es dürfte für jeden eine Plattform dabei sein, um sich die Aufzeichnung des Autorengesprächs mit Thomas Ramge anzuschauen:

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

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