Wie spielen wirtschaftlicher Wohlstand und die Zustimmung zur Demokratie zusammen?
“Dieser Zusammenhang scheint zwar offensichtlich – die meisten reichen Länder sind Demokratien, die meisten armen Länder nicht –, fraglich blieb aber die Richtung der Kausalität. Der amerikanische Soziologe und Politikwissenschaftler Seymour Martin Lipset erinnerte 1959 an die alte aristotelische Hypothese, nach der Wohlstand die Voraussetzung für den Erhalt der Demokratie ist. Dem gegenüber steht die alternative Sichtweise, dass Wohlstand nicht die Voraussetzung, sondern die Folge von Demokratie und guten Institutionen ist”, so Professor Uwe Sunde, Lehrstuhlinhaber am Seminar für Bevölkerungsökonomie der Uni München, in einem Gastbeitrag für die FAZ.
Die neuere Forschung habe auf Basis statistischer Methoden glaubhafte Evidenz für die zweite Sichtweise gesammelt, die Ursächlichkeit von Demokratie und guten Institutionen.
“So gilt als gesichert, dass ein Haupthindernis für die wirtschaftliche Entwicklung vieler afrikanischer Länder deren mangelhafte Institutionen sind, sprich, dass sie von korrupten Autokraten und Eliten regiert werden”, schreibt Sunde.
Gleichzeitig würden neuere empirische Befunde die bislang herrschende Meinung in Frage stellen, dass eine positive Wirtschaftsentwicklung die Demokratie fördert.
“Überraschenderweise konzentrierte sich diese empirische Debatte jedoch fast ausschließlich auf den Zusammenhang zwischen dem Durchschnittseinkommen und der Qualität der politischen Institutionen, während die Verteilung von Einkommen und Vermögen meist komplett ausgeblendet wurde”, führt Sunde weiter aus und verweist auf den amerikanischen Soziologen Seymour Martin Lipset, der darlegte, dass die Spaltung der Gesellschaft in eine große verarmte Masse und in eine kleine bevorzugte Elite unweigerlich in einer Oligarchie oder Tyrannei enden.
Je größer das Einkommens- und Vermögensgefälle, desto größer seien die Anreize der benachteiligten Gruppen, Politikmaßnahmen für mehr Umverteilung zu ergreifen.
“Gleichzeitig haben die wirtschaftlichen Eliten stärkere Veranlassung, ihr Vermögen durch politische Einflussnahme vor Versuchen der Umverteilung zu schützen. Es liegt also nahe – unter dem Vorwand, dem Land die gebührende Größe wiederzugeben, Unternehmen zu stärken und Arbeitsplätze zu schaffen –, an die politische Macht zu streben, um dort tatsächlich die eigenen Pfründen vor Umverteilung zu schützen und gegebenenfalls (etwa durch Kaufempfehlungen für die Produkte von Unternehmen im Familienbesitz) noch zu mehren, ohne Rücksicht auf die bestehenden Institutionen”, erläutert Sunde.
Höhere Ungleichheit kann sich also negativ auf die bürgerlichen Freiheiten auswirken, und zwar unabhängig von der (demokratischen oder nichtdemokratischen) Regierungsform. Mehr noch, der positive Einfluss der Demokratie auf die individuelle Freiheit werde durch die Ungleichheit verringert und beschnitten.
“Überprüft man diese Hypothese auf Basis der weltweit verfügbaren Daten zu Volkseinkommen, Ungleichheit und institutioneller Qualität (gemessen anhand verschiedener Indizes für wirtschaftliche und bürgerliche Freiheiten) für die vergangenen sechzig Jahre, so findet man in der Tat, dass die Demokratie die individuellen bürgerlichen Freiheiten und die Qualität der wirtschaftsrelevanten Institutionen fördert (vergleiche dazu den eben erschienenen Aufsatz von Kotschy und Sunde: „Democracy, Inequality, and Institutional Quality“, in der European Economic Review 2017). Eine höhere Ungleichheit wirkt sich dagegen negativ aus”, so Sunde. Selbst in Demokratien werde somit die Qualität der Institutionen durch exzessive Ungleichheit erodiert.
Nun muss Sunde gar nicht so sehr in die Ferne schweifen, da es exzellente empirische Befunde über die deutsche Nachkriegszeit gibt. Und es ist dabei wohl ein Glücksfall, dass noch vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland (23. Mai 1949) das Institut für Demoskopie Allensbach entstand, nämlich am 16. Juni 1948. Entsprechend reichhaltig ist das Material für politische Trendanalysen. Etwa der Zusammenhang von Demokratie, Marktwirtschaft und Verteilungsgerechtigkeit. Letzteres würde ich unter die Formel des ersten bundesdeutschen Wirtschaftsministers Ludwig Erhard subsumieren: WOHLSTAND FÜR ALLE. So beschrieb es Erhard in einem Tagesspiegel-Artikel im April 1949 noch vor dem Gründungsakt der Bundesrepublik:
„Das Ziel der Sozialen Marktwirtschaft ist abseits von Interessen- und Gruppenwünschen aller Art die gesunde Wirtschaft, die die Existenz des gesamten Volks sichert und jeden nach Maßgabe seiner Leistung am Sozialprodukt der Nation teilhaben lässt.”
Bei der Ausgestaltung dieser Prinzipien in der politischen Praxis ist Ludwig Erhard wohl durch seinen Doktorvater Franz Oppenheimer sehr stark geprägt worden, der eine Professur für Soziologie und Nationalökonomie innehatte. Oppenheimers Vision war, einen „Dritten Weg” zwischen den beiden extremen Positionen des ungebändigten Kapitalismus und dem Sozialismus zu eröffnen. Er entwickelte dazu das Modell des „liberalen Sozialismus”. In der bundesdeutschen Variante war es dann das ordnungspolitische Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. Dieser Befund ist wichtig, um die Unterschiede zum Marktradikalismus unserer Zeit und die politischen Folgen für das Demokratie-System zu verorten.
Jedenfalls war der Erfolg der bundesdeutschen Demokratie nicht selbstverständlich. Politikwissenschaftler sprachen sogar von einer “Demokratie ohne Demokraten”. Die Trendreihen von Allensbach untermauern den Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft und ihre Auswirkungen auf die Zustimmung zum demokratischen System der Bundesrepublik Deutschland.
Im Oktober 1948 fragte Allensbach einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung, ob die Befragten der Ansicht seien, dass der Nationalsozialismus eine gute Idee war, die lediglich schlecht ausgeführt wurde. Satte 57 Prozent teilten diese Meinung drei Jahre nach dem Ende des Nazi-Regimes, das ein verwüstetes Land, ein zerstörtes Staatswesen, Tod und Hunger hinterließ. Nur 28 Prozent widersprachen dieser These, 15 Prozent äußerten sich indifferent.
Zwischen Mai 1955 und Mai 1964 wurde von Allensbach gefragt, ob Hitler, hätte der Zweite Weltkrieg nicht stattgefunden, als einer der größten deutschen Staatsmänner anzusehen sei. 1955 bejahten diese Frage 48 Prozent (!) der Befragten – also fast jeder Zweite, 1961 waren es 30 Prozent und 1964 29 Prozent.
Noch eindeutiger wird die Korrelation zwischen Wohlstand und Zustimmung zum politischen System der Bundesrepublik, wenn man sich die Allensbach-Frage aus dem Herbst 1951 anschaut. Damals gaben 45 Prozent zu Protokoll, dass es nach ihrem Gefühl Deutschland im Kaiserreich vor 1914 am besten gegangen sei. 42 Prozent der Nennungen entfielen auf die Zweit zwischen 1933 und 1939 und nur magere 2 Prozent nannten die Gegenwart, also die damals noch junge Bundesrepublik. Im Dezember 1963 war dieser Wert von 2 auf 62 Prozent angewachsen. Nur noch 10 Prozent entfielen auf die kriegslose Zeit des Nazi-Regimes und 16 Prozent auf das Kaiserreich. Entsprechende Befunde gibt es, wenn nach der Akzeptanz der Sozialen Marktwirtschaft oder der Wirtschaftspolitik von Ludwig Erhard gefragt wurde.
Ganz anders fallen die Ergebnisse der jüngeren Zeit aus. Nach Angaben von Allensbach stieg der Anteil derjenigen, die mehr Risiken als Chancen in der Globalisierung sehen, im Zeitraum der Jahre 1998 bis 2006 von 25 Prozent auf 47 Prozent. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch internationale Umfragen der „British American Tobacco” Stiftung für Zukunftsfragen im Herbst 2007. So bezeichneten sich in Deutschland nur 19 Prozent der befragten Personen als Gewinner der Globalisierung.
Sogar noch vor dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahre 2007 sagte nur noch ein knappes Sechstel der deutschen Bevölkerung, die wirtschaftlichen Verhältnisse im Lande seien gerecht – so wenig wie nie zuvor in einer Allensbach-Umfrage, die seit 1948 gestellt wurde.
Was sind die Konsequenzen für die Stabilität des demokratischen Systems, wenn man sich Banker, Manager und Silicon Valley-Schnösel wie Uber-Chef Travis Kalanick betrachtet. Ein deftige und diskussionswürdige Antwort liefert der Schweizer Publizist Frank A. Meyer:
“Funktional bildet die Wirtschaft im Grunde genommen einen Gegenpol zur Demokratie.”
Deshalb sei die Politik gefordert. Sie müsse Banker und Manager entlarven: als jämmerliche Söldner.
“Das neoliberale Dogma, wonach es allen gut geht, wenn man alles dem Markt überlässt, ist die Vorstellung vom Abendmahl der Superreichen: Sie setzen sich am üppig gedeckten Tisch. Und je mehr sie haben, desto mehr Brosamen fallen unter den Tisch”, so Meyer.
Das sei die Religion, die uns in den vergangenen Jahrzehnten von Theoretikern wie F. A. Hayek oder Milton Friedman eingehämmert wurde. Vulgärdarwinistisch werde hier für das Recht des Stärkeren plädiert, wie es schon der Faschismus getan habe. Das Fatale sei dieser pseudo-religiöse Glaube, der selbst von jenen hochgehalten wird, die zu den Verlierern dieses Ausleseprozesses zählen – man kann es am Wahlerfolg von Trump ablesen. Es finden mehr Leute die Prinzipien des Marktradikalismus gut, als von ihm ökonomisch begünstigt werden. Das liege nach Ansicht von Meyer an seinen Heilsversprechen. Jeder kann es schaffen. Also das Märchen vom Tellerwäscher zum Millionär. In Wahrheit will die neureiche Elite unter sich bleiben. Das gilt auch für Donald Trump, dem man das Märchen von dem Ozean der ungeahnten Möglichkeiten in einem abgespeckten Staat anscheinend abnimmt.
“Die Demokratie ist das Gegenteil eines Heilsversprechens. Sie relativiert die Heilsversprechen, indem sie diese in Beziehung setzt zu anderen Heilsversprechen – indem sie den Konflikt der Heilsversprechen untereinander erzwingt, sie unter das Maß der Vielheit, des Pluralismus zwingt”, erklärt Meyer.
Für den anschwellenden Reichtum im entfesselten Kapitalismus ist die res publica eine Gefahr für die auf Kosten der Allgemeinheit erworbenen Privilegien. Entsprechend steigt die Sympathie für autokratische Verhältnisse – man braucht sich nur die Unterstützer von Donald Trump anschauen.
In meiner Freitagskolumne für die Netzpiloten werde ich das vertiefen.
Und dann natürlich auch in der März-Käsekuchen-Runde des Netzökonomie-Campus, die am Freitag, den 24. März in meiner Bibliothek in Bonn-Duisdorf stattfindet.
Jeder kann mitmachen – Open-Space-Prinzip. Anmeldungen via Facebook-Eventseite.
Siehe auch:
Interview mit dem Wirtschaftsweisen Peter Bofinger: “Das hat sich für die Breite der Menschen nicht ausgezahlt”
Blender im Management werden keine Social-CEOs – sie bleiben unter sich
Niedergang der Demokratie – Warum Populismus nicht die Ursache ist
Hat dies auf http://www.ne-na.me rebloggt.
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