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Wie viel Social Web steckt wirklich in Unternehmen? #Bloggercamp.tv

Social Web-Kommunikation

Gibt man die Begriffe “interaktion kunden unternehmen social web” bei Google Scholar ein, wird man mit einer Flut von “wissenschaftlichen” Beiträgen konfrontiert, die sich mit Dialogen in sozialen Medien auseinandersetzen. Kundengewinnung, auf Augenhöhe kommunizieren, Social CRM-Strategien, Analysetools zur erfolgreichen Kampagnensteuerung, Social Networking Services, Matchmaking, Marketing ohne Streuverlust, Blabla-Blub. Bei vielen Studien und Fachaufsätzen geht es um Kennzahlen, Reichweiten, Klickzahlen, Image-Indikatoren, Weiterempfehlungs-Quoten und sonstige statistische Messgrößen, um irgendwie Rationalität in das ungestüme Internet zu bekommen. Fast immer geht es darum, Social Media-Budgets für PR, Marketing und Kundenkommunikation zu rechtfertigen.

Es sei sehr leicht, als Unternehmen ein Konto bei den sozialen Medien einzurichten, schreibt Heino Hilbig in seinem Buch “Marketing ist eine Wissenschaft….und die Erde eine Scheibe?”:

“Um aber Teil des Netzwerkes dort zu werden, bedarf es zusätzlich einer – übrigens beidseitig gewollten – Kommunikation mit den Menschen dort.”

Das klingt im ersten Moment profan, ist aber bei näherer Betrachtung für viele Akteure der Wirtschaft keine Selbstverständlichkeit. Hilbig vergleicht das mit einer langweiligen Party, auf der einfach keine so richtig gute Stimmung aufkommt. Man schlendert umher, wechselt von der Küche auf den Balkon und versucht krampfhaft, mit Gästen irgendwie ins Gespräch zu kommen, da sich niemand aufrafft, das Tanzbein zu schwingen und in den Feiermodus zu schalten.

“Nun lassen Sie uns so eine Party betreten und für einen Moment als ideale Werbeplattform verstehen”, führt Hilbig weiter aus. Wir basteln uns ein großes Schild mit einer platten Reklamebotschaft in der Hoffnung, von anderen wahrgenommen zu werden: “Wir gehen von Gruppe zu Gruppe, stellen uns direkt dazu und halten das Schild hoch. Sind wir nun schon Teil der Party? Wohl eher nicht.”

In der noch penetranten Variante schalten wir uns ohne Vorwarnung in die Gespräche ein und verkünden lautstark, dass unser Produkt XYZ einen ganz tollen Vorteil hat – auch wenn sich die Unterhaltung gerade um ein ganz anderes Thema dreht – etwa das Liebesleben der Wühlmäuse. Kaum einer würde sich so verhalten. Aber genau nach diesem Muster agieren Firmen im Social Web. Gespräche wollen die meisten Organisationen überhaupt nicht führen. Sie stecken nur ihre Reklame-Schilder dort rein, wo sie die meisten potentiellen Kunden vermuten. Das ist derzeitig Facebook. Konversation findet dort aber gar nicht statt. Kundenanfragen laufen ins Leere, kritische Einwände drückt man weg, wertet sie als Majestätsbeleidigung oder beantwortet sie mit dem Verweis auf PDF-Broschüren, Hotline-Angebote oder der Frage-Antwort-Rubrik der Unternehmens-Website. Geboten wird Bullshit-Bingo-Sprech – vor allem in der Social Media-Beraterszene, wie Annette Schwindt im Bloggercamp.tv-Gespäch bestätigte. Schon alleine der Verzicht auf die beruflich so geliebte Phraseologie trage zum Erkenntnisgewinn bei und befördert den gesunden Menschenverstand.

Das Potential von normalen Gesprächen vergeigen die weltweit führenden und gut aufgestellten Schönwetter-Manager mit dieser Geisteshaltung – egal, wo sie auftreten. Das gilt für Unternehmensblogs, die kaum zur Kenntnis genommen werden, das gilt aber auch für Formen der Kommunikation – offline und online. Man sollte versuchen, seine Binnen-Sicht einfach mal beiseite zu schieben und das eigene Tun von außen zu betrachten. Man könnte mit Kunden, Fans und Lesern auch Gespräche über gewünschte Gesprächsformen führen. In welcher Weise sollten Botschaften ausgetauscht werden. Rund 75 Prozent der Fragen von Kunden oder Interessenten werden im Social Web überhaupt nicht beantwortet, so Annette Schwindt. Und viele Unternehmensblogs seien nur Archive für Pressemitteilungen ohne Kommentarfunktion oder nur mit Autorisierung und einigen anderen Stolpersteinen. Letztlich gießen die meisten Organisationen nur analogen Wein in die digitalen Schläuche und bleiben ihrer alten Kampflinie treu: Sie bleiben Heizdecken-Verkäufer mit den Mitteln der virtuellen Kommunikation. Wenn also über Social Media-Berufsbilder disputiert werden soll, wie es Thorsten Ising als Reaktion auf die Bloggercamp.tv-Sendung angeregt hat, dann sollte auch darüber gesprochen werden, in wie weit Unternehmen intern die Schleusen öffnen und in der eigenen Organisation den Instrumentenkasten des Mitmach-Webs einsetzen.

Wie tief ist die Kultur der Beteiligung integriert? Dabei geht es dann um Stichworte wie Enterprise 2.0, Crowdsourcing, Collaboration, Selbstorganisation, Kunden helfen Kunden, Netzwerk-Ökonomie, starke und schwache Beziehungen im Internet, Zugang zu nichtredundanten Informationen, Wissensmanagement über kollektive Intelligenz und Management in Zeiten des Kontrollverlustes. Wie schafft man einen Erlebnisraum für nicht hierarchische Kommunikation? Welche Expertisen werden in Berufsakademien, IHKs, Fernkursen und Universitäten überhaupt vermittelt? Wie viele Projekte haben die Social Web-Experten selbst geplant, durchgeführt und ausgewertet?

Warum agieren selbst große Unternehmen mit professionellen Social Media-Teams immer noch im Modus der Einweg-Kommunikation? Gibt es interdisziplinäre Ansätze in der Social Media-Ausbildung, die bis zur Organisationswissenschaft reichen? Wann können wir denn mal ein Unternehmen unter die Lupe nehmen, das nach innen und außen social ist und damit Erfolg hat? Fragen, die wir in einer Bloggercamp.tv-Serie zu Social Media-Berufsbildern mit unterschiedlichen Interviewgästen aufgreifen werden. Und wenn dieser Diskurs richtig smart werden soll, packen wir auch noch designtheoretische Ansätze in die Sendungen rein: Wie könnte man eine Zeichensprache für eine digitale Ontologie entwickeln (siehe dazu die Forschungsarbeiten von Professor Peter Friedrich Stephan von der Kölner Kunsthochschule für Medien)

Auch das von Zeit Online vorgestellte Beispiel interessiert mich: Weg mit dem Chef! In der Berliner Unternehmensberatung partake gibt es seit einem halben Jahr keine Hierarchien mehr. Geht das?

Siehe auch:

Drei Wege zum Social Media Manager.

Malen nach Zahlen: Über Management-Imponiergehabe und Marketing-Metaphysik

BERUFSZIEL SOCIAL MEDIA – OPUS VON LUMMA, RIPPLER UND WOISCHWILL.

Stress für die Kommunikationsstrategie: Die Halbwertszeit von Tweets liegt nur bei 24 Minuten. Die Auto-Korrektur von WordPress scheint noch aus einem anderen Jahrhundert zu stammen, die wollten daraus doch glatt Tweeds machen.

Wenn ich mir die aggregierten Wirtschaftsmeldungen auf Rivva anschaue, könnte ich meistens heulen – so schlecht ist die Auswahl. Etwa die exklusive Nachricht: Free WiFi zur CeBIT 2014. Wahnsinn.

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

1 Kommentar zu "Wie viel Social Web steckt wirklich in Unternehmen? #Bloggercamp.tv"

  1. Hat dies auf http://www.ne-na.de rebloggt.

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