
Bundesinnenminister Thomas de Maizière versucht in einem FAZ-Gastbeitrag krampfhaft, mit Ausflügen in die Meinungswelt des Silicon Valley-Dauerkritikers Evgeny Morozov der kritischen Netzgemeinde das Wasser abzugraben.
„In der Debatte über die Inhalte der ‚Digitalen Agenda‘ der Bundesregierung, die in dieser Woche vom Bundeskabinett verabschiedet wird, können wir alle von Morozov beschriebenen Positionen schon heute in der öffentlichen Diskussion finden. Dies hängt auch mit einem weiteren, aus meiner Sicht eher zweifelhaften Aspekt des digitalen Wandels zusammen: seiner enormen Schnelligkeit und der Gier der sogenannten Internetgemeinde (was ist daran eigentlich noch eine Gemeinde?) nach immer neuen Informationen, seien sie auch noch so klein oder vorläufig. So hat es nur Stunden gedauert, bis der erste Entwurf der Digitalen Agenda ‚geleakt‘ wurde. Nur wenig später folgten die ersten Verrisse der Technooptimisten sowie der naiven Technoagnostiker. Sodann wurden zwischenzeitlich durchgeführte Veränderungen und Konkretisierungen des Entwurfs als Einflussnahme der Hauptstadtlobbyisten hochstilisiert und verdammt“, schreibt der Innenminister oder hat der Innenminister schreiben lassen.
Die im Rahmen (Bürokratendeutsch) von Ressortabstimmungen seit Jahrzehnten sinnvolle und geübte Praxis, dass die Fachabteilungen der verschiedenen Ministerien jeweils aus ihrer – teilweise von anderen Ressorts anders eingeschätzten – Fach- und Expertenperspektive heraus versuchen, Änderungen an den bestehenden Entwürfen einzubringen, werde dabei übersehen oder gar ignoriert. Wer übersieht denn das Ressort-Wer-hat-denn-nun-die Verantwortung-für-die-digitale-Agenda-Ablenkungsspiel der Großen Koalition? Da fängt doch das digitale Trauerspiel der schwarz-roten Regierung an.
De Maizière glaubt doch allen Ernstes, mit seinen Wackelpudding-Formulierungen zur Digitalen Agenda, Deutschland zum IT-Vorreiter zum machen. Gleichzeitig sollten die digitalen Infrastrukturen die sichersten weltweit werden.
Der Bundesminister gibt zudem zu Protokoll, dass „unser liebevoll gestricktes deutsches Datenschutzrecht“ ausgedient habe. Die bisher geltenden Regelungen würden der technischen Entwicklung nicht mehr gerecht. Die Verabschiedung einer EU-Datenschutzverordnung habe deshalb für ihn „überragende Bedeutung“. Die Verordnung werde das deutsche Recht „komplett“ ersetzen. Will de Maizière die Netzgemeinde verscheißern?
Die Rechtsverordnung hätte schon längst in Kraft treten können, wenn sich nicht die deutsche Regierung dagegen gesperrt hätte. Formell wurde als Argument angeführt, die Vorlage würde das Niveau des deutschen Datenschutzes absenken.
„Das ist völliger Quatsch. Ich war mit Sigmar Gabriel kürzlich in einer Talkshow. Er kam mit diesem Argument und konnte dennoch keinen einzigen Punkt nennen, wo der deutsche Datenschutz weiter geht“, bemerkt die Schriftstellerin Juli Zeh.
Trotzdem wollte Gabriel von seiner Haltung nicht abrücken. Da fehle schlichtweg die Kompetenz.
De Maizière hebt in seinem Beitrag hervor, dass im Zentrum der Überlegungen seines Ministeriums zur IT-Sicherheit eine Abkehr vom Prinzip der Freiwilligkeit stehe:
„Wer durch den Einsatz von IT Risiken für andere schafft, hat auch die Verantwortung für den Schutz vor diesen Risiken.“
Je gravierender die Risiken, desto höher müssten die Anforderungen an Schutzvorkehrungen sein. Weiter schreibt de Maizière:
„Auf freiwilliger Basis bestehende Angebote und Initiativen in Anspruch zu nehmen reicht hier nicht mehr aus!“
Der Staat müsse deshalb „Sicherheitsgurte für die IT der kritischen Infrastrukturen“ einführen. Wird dann ein Melderegister eingeführt? Schafft man eine Cyber-Polizei, um Verstöße gegen die Meldepflicht aufzuspüren? Und bestimmt ist schon ein umfassender Bußgeld-Katalog in Arbeit, um den Ungehorsam bei der Meldepflicht zu ahnden.
Wie im Koalitionsvertrag der GroKo wird viel über Sicherheit und wenig über die Modernisierung der digitalen Infrastruktur gesprochen. Wer das in der Netzgemeinde kritisiert und das Ressortchaos der Regierung moniert, ist dann wohl auch ein naiver Techno-Optimist oder Techno-Agnostiker? Was für eine dümmliche Klassifizierung.
Meine erste Wertung des Koalitionsvertrages der Merkel-Regierung bekommt immer mehr Nahrung: Der Netz-Patient ist ohne Sauerstoffzufuhr. Wie die Große Koalition Wohlstand und Wachstum verspielt.
Jeder Geschäftsbereich hat irgendetwas zur digitalen Agenda in das Koalitionspapier hineingekritzelt, um es mit fetten Budgets und Planstellen auszustatten – verfeinert mit Kompetenz-Zentren, in denen sich Verwaltungsjuristen austoben können. Besonders eifrig ist die CSU mit ihrem damaligen Innenminister Friedrich bei der Aufrüstung der Sicherheitsbehörden im sogenannten „Cyberkrieg“. Da lässt man es so richtig krachen – mit neuem Personal, lukrativen Berateraufträgen und einer opulenten Einkaufsliste für das Beschaffungsamt.
Die Horror-Märchen von der drohenden Netz-Apokalypse bringen zwar kein schnelles Internet und stellen keine Weichen für die digitale Transformation, sie nähren aber ein Kartell von hochbezahlten Sicherheitsberatern und Softwarefirmen, um sich gegenseitig Gruselgeschichten über Killerviren zu erzählen oder sich in martialischer Pose im Cyber-Abwehrzentrum ablichten zu lassen. Man züchtet ein Biotop mit einer paranoid anmutenden, extrem hermetischen Gedankenwelt, so die treffliche Bemerkung von Thomas Knüwer.
Sind kritische Köpfe wie der Personalmanager Thomas Sattelberger auch nur naive Techno-Optimisten oder Techno-Agnostiker? Sein Urteil zur IT-Expertise in Deutschland:
„Die USA sind das Digital House der Welt geworden und China das Maschinenhaus der Welt. Damit ist Deutschland im Sandwich zwischen digitaler Innovation und effizienter Produktion aus Asien. Zugleich entwickeln sich neue Felder wie IT, Biotech und Big-Data-Management in dramatischer Geschwindigkeit. Hier spielt Deutschland kaum eine Rolle.“
Die digitalen Naivlinge sitzen wohl eher am Kabinettstisch von Neuland-Kanzlerin Merkel.
Eure Meinung?