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Google-Robots als Sittenwächter: „Sie haben drei Werktage Zeit, gutjahr.biz zu ändern“

Google droht dem Blogger Richard Gutjahr mit dem Rauswurf aus dem AdSense-Programm, wer er bestimmte Inhalte nicht innerhalb von 72 Stunden an die “Programmrichtlinien” von Google anpasst. Die Mail trägt die folgende Betreffzeile: „Sie haben drei Werktage Zeit, gutjahr.biz zu ändern“.

Im beanstandeten blogpost berichtet Gutjahr über eine Künstlergruppe, die sich über das Porno-Verbot von Apple lustig macht: “Kein Sex, kein anzügliches Bild – Null. Der Inhalt ist so harmlos, dass selbst das öffentlich-rechtliche Fernsehen den begleitenden Beitrag sogar im Nachmittagsprogramm ausstrahlte.” Man berichtet über Zensur und werde deshalb zensiert. „Keine Zensur“, korrigierte ein Pressesprecher von Google Deutschland im Gespräch mit Gutjahr. Er habe versprochen, sich der Sache anzunehmen. Das sollte er möglichst schnell tun und öffentlich klären.

In Blogkommentaren wird der Fall als “Kindergartenkacke” gewertet. Der Robot von google habe eine automatisierte eMail wegen Keywords verschickt und der Pressesprecher von google werde die Sache klären. Ende. Kein großes Thema. Nun, ich stehe sicherlich nicht in dem Verdacht, ein fröhliches Google-Bashing zu betreiben. Aber so lächerlich finde ich den Fall nicht. Von der bigotten Sexualmoral der Amerikaner mal ganz abgesehen. Das Robot-System muss ja entsprechend von Menschen gespeist werden, um als virtueller Sittenwächter im Web tätig zu sein. Da lohnt die Lektüre des Werkes „Mythos der Maschine“ von Lewis Mumford. Jedes System, jeder Automat, jede Maschine sei ein Produkt des menschlichen Geistes. “Maschinen dürfen nicht zu Vollstreckern von Zwangsmaßnahmen gedrillt werden, sonst mutiert anfänglich hilfreiche Technik zum repressiven Oberlehrer“, kommentierte Bernhard Steimel, Sprecher des Nürnberger Fachkongresses Voice Days plus, das Mumford-Opus.

Systeme, Geräte oder Suchmaschinen dürften nicht darüber entscheiden, was richtig und was falsch für uns sei und unser Verhalten einschränken oder sogar sanktionieren. Sonst würde der Mensch zum Sklaven der Technik. Eine Automaten-Diktatur könnte sich nachhaltiger auswirken als das paternalistische Verhalten unter Menschen, warnen die Wissenschaftler Sarah Spiekermann und Frank Pallas in einem Beitrag für das Fachbuch „Die Informatisierung des Alltags“ (Hrsg. Friedemann Mattern, Springer-Verlag): „Zum einen reagieren Maschinen automatisch und autonom und lassen den Betroffenen damit nur wenig Möglichkeit zur Antizipation oder Reaktion. Zum anderen ist Technik absolut. Hat beispielsweise ein Fahrer Alkohol in der Atemluft, so ist es ihm gänzlich unmöglich, das entsprechende Auto zu starten – auch in Notfällen, in denen das Fahren unter Alkoholeinfluss üblicherweise akzeptiert würde“.

Der Paternalismus der gutmeinenden Kontrolleure sei bei Technologien nicht nur mit Gehorsam oder Obrigkeitshörigkeit verbunden, sondern erzeuge einen Zwang zu absoluter Konformität. Autonom agierende Maschinen werden zu absoluten Kräften, deren Entscheidungen und Handlungen nicht umgangen oder missachtet werden können. „In Anlehnung an Francis Bacon, der auch von Lewis Mumford zitiert wird, sind wir daher gefordert, aus dem Schatz aller Dinge das zusammenzutragen, was im Leben am meisten von Nutzen ist“, resümiert Steimel.

Kindergartenkacke ist das auf keinen Fall.

Siehe auch:
“Blow Job”-Posting: Google kündigt Gutjahr.

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

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