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Was weiß Morozov über “die” Deutschen, über Jeff Jarvis und wie gebildet ist der selbsternannte Internetskeptiker?

Der 1984 in Weißrussland geborene Publizist Evgeny Morozov wird von der FAZ als einer der prominentesten Internetskeptiker vorgestellt. Skeptisch gegen das ganze Internet? Dann könnte er auch ein Skeptiker des blauen Himmels sein? Jedenfalls versucht Morozov in einer intellektuell angehauchten Hau-den-Lukas-Prosa den Medienwissenschaftler Jeff Jarvis zu demontieren.

Jarvis zähle zu den lautstärksten Apologeten des Netzes und habe ein Buch geschrieben, das alle Denkfehler und Eitelkeiten der Internetintellektuellen wie im Brennglas zeigt (er hat sich mit dem völlig unspektakulär gestalteten Blog Buzzmachine seine Popularität hart erarbeitet und mit dem Google-Buch einen Volltreffer gelandet, ohne snobistische oder arrogante Attitüde – im Gegensatz zur oberlehrerhaft geschriebenen Suada von Morozov, gs).

Warum wir diesen Typus des Halbgebildeten fürchten müssen, versucht er mit Versatzstücken aus dem Jarvis-Opus “Public Parts” zu beweisen. Nur wo bleiben die messerscharf formulierten Gegenthesen des selbsternannten Internet-Skeptikers, wenn er doch selbst zu pauschalen Urteilen neigt. An den Passagen zur zwiespaltigen deutschen Debatte über Google Street View kann man das ganz gut erkennen:

“Wenn Jarvis in die Rolle des Kulturanthropologen schlüpft, wird Public Parts aus einem wirklich schlechten zu einem peinlichen Buch. Man denke etwa an seine Fixierung auf Deutschland. Jarvis staunt über das „deutsche Paradoxon“, wie er es nennt – die Tatsache, dass die Deutschen sich zwar in gemischten Saunas wohlfühlen, aber ihre Privatsphäre entschieden nach außen abschotten. Der deutsche Widerstand gegen Google Street View ist für Jarvis ein Rätsel. Wie er meint, gerät hier ‘ihr Erbe in einen fundamentalen Konflikt mit der Internetkultur – mit der Zukunft’.

Aber trifft das zu? Und was ist so schlecht daran, wenn die Deutschen ihr Erbe vor einer technischen Zukunft schützen, an der Leute wie Jeff Jarvis lukrative Aktienoptionen halten? Wer behauptet, beim deutschen Widerstand gegen Google gehe es in erster Linie um den Schutz der Privatsphäre, und er basiere auf ihren tragischen Erinnerungen an Hitler und die Stasi, der muss zeigen, dass andere mögliche Erklärungen hier nicht zum Zuge kommen. Vielleicht wollen die Deutschen sich ja nur nicht von einem amerikanischen Unternehmen tyrannisieren lassen.”

Wer, Dawarisch Morozov, sind denn “die Deutschen”? Repräsentiert die CSU-Staatstrojaner-Starker-Staat-Parteidame Ilse Aigner die Mehrheit der Deutschen in der Privacy-Debatte? Hat sich die Mehrheit der Deutschen gegen Google Street View ausgesprochen? Ist die Jägerzaun-Mentalität, die in den Street View-Streitigkeiten durchschlug, etwas sympathisches? Das Sauna-Beispiel ist vielleicht nicht gerade das beste Argument gegen die Hysterie bei der Aufnahme von schnöden Hausfassaden. Und sicherlich gibt es auch bei Jarvis falsche Prognosen, Widersprüche oder totale Fehlurteile. Es befällt mich allerdings ein wenig der Verdacht, dass sich Meister Morozov bewusst einen der populärsten Netz-Aktivisten herausgefischt hat, um seiner Wutrede die nötige Aufmerksamkeit zu verleihen. Er kann ja in aller Härte seine Argumente vortragen. Aber jemanden als Halbgebildeten zu deklarieren, ist alles andere als intellektuell. Glaubt denn der weißrussische Autor, dass er selbst zu den Klugen und Vollgebildeten dieses Planeten zählt?

Lieber Morozov, sind wir nicht alle Idioten, Dilettanten und Halbgebildete, wie ich es vor einigen Monaten schrieb?

Das Internet funktioniere wie ein Restaurant, das am Eingang mit der Affiche begrüßt, schreibt der Philosoph und Publizist Ludwig Hasler in einem lesenswerten Essay für Zeit Online: “‘Hier kocht Ihr Tischnachbar für Sie!’ Die Profis sind beurlaubt, die Laien übernehmen – nicht allein die Küche, auch die Medien, den Kommerz, das Sozialnetz. Das Internet, die Galaxie der Dilettanten? Für Eliten/Fachleute zum Fürchten? Die Antwort kann nur diffus ausfallen. Das Internet erklären zu wollen ist wie im Trüben fischen.”

Der Laie sei – frei nach Max Frisch – ein Mensch, der sich in seine eigenen Angelegenheiten einmischt. “Die Griechen nannten ihn idiotes, die Römer idiota: Er lebt für sich, vertraut seiner Erfahrung, pfeift auf die Finessen der Theoretiker. Als ‘Idioten’ traten die Apostel an gegen verblendete Welt- und verstockte Schriftgelehrte. Franziskus von Assisi nannte sich einen einfältigen idiota. Luther fand, die unverbildete ‘Albernheit des Laien’ sei für göttliche Botschaften empfänglicher als die eingebildete Gescheitheit der Wissenden. Das ‘Lob der Torheit’ war längst angestimmt, als Erasmus von Rotterdam es besang: Der Humanist verspottete den Bildungsdünkel, spielte Leben gegen Schule aus, Common Sense gegen Dogma, Lachen gegen Tintenernst, erklärte die Torheit zur alleinigen Quelle des sozialen und privaten Lebensglücks”, so Hasler.

Siehe auch die Replik von Jeff Jarvis: A bad review of me.

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

6 Kommentare zu "Was weiß Morozov über “die” Deutschen, über Jeff Jarvis und wie gebildet ist der selbsternannte Internetskeptiker?"

  1. High Five für diesen Kommentar, lieber Gunnar, und meinen professionellen “Respekt” für den starken Einstieg – spätestens ab ‘ein Skeptiker des blauen Himmels‘ war meine Aufmerksamkeit ungeteilt, das Lesevergnügen geweckt, bei ‘Hitler und Stalin’ die Aufmerksamkeit ungeteilt, und spätestens bei der ‘Jägerzaun-Mentalität’ war es um mich geschehen!

    Großartiger Kommentar, SEHR überzeugend!

    Keep Ockham’s Razor sharp!

  2. 🙂

  3. Ich mag Jeff Jarvis, aber ich stimme mit ihm nicht sehr häufig überein. Morozovs Artikel gefiel mir nicht, da er von “Internetintellektuellen” spricht, was eine Vielzahl von Menschen beleidigt, die im Internet ihre Gedanken äußern im Sinne einer intellektuellen Tätigkeit. Davon abgesehen, ist Jarvis ein Professor, lehrt an einer Universität und ist in dem Sinne wohl typisch-intellektuell, betraut mit einem Thema in speziellen eben, in diesem Fall das Internet. Ihn als halbgebildet zu nennen, ist also schon aus konventioneller Sicht also eine Infragestellung der Bildung als solche.

    Ich wundere mich aber auch sehr über Deinen Artikel. Ich begreife nicht, wieso “selbsternannt” erstmal überhaupt als Adjektiv genannt wird und zweitens wohl beleidigend gemeint ist. Was ist so falsch daran, sich selbstzuernennen? Soll das jemand anders tun? Falls ja, so hat das unter anderem die Frankfurter Allgemeine bereits mehrfach getan. Zumal ich bezweifle, dass er sich einen Internetskeptiker nennt, eher ist das wohl ein Titel, dem man ihn hier und da zugeschrieben hat.

    Dann nervt Dich dieser Begriff “die Deutschen”. Das verstehe ich, aber es ist nicht anders als in Deinem Beitrag über die Deloitte-Studie, wo eben diese Art von Begriff ständig verwendet wurde und ihm würde ich diesen Vorwurf eben genauso wenig wie Dir machen. Es ist einfach ein Begriff und wenn er angeprangert wird, dann ebenso wie darauf aufmerksam zu machen, dass er ein weißrussischer Autor sei.

    Zu allerletzt, natürlich schreibt Morozov einen Artikel über eine populäre Persönlichkeit. Wenn Du einen Text über die Literatur des 20. Jahrhunderts schreibst, wirst Du Kafka sicherlich auch erwähnen.

    Und ich begrüße sehr, dass Jarvis darüber in sein Blog schrieb und dann auch noch länger und ich bin auch erfreut, dass er eine Antwort bekommt und ich wünsche mir, dass eine Unterhaltung wird.

  4. Ich habe genauso pauschal polemisiert wie Morozov. Man kann sich ja kritisch an den Thesen von Jarvis reiben – auch mit Ironie und Übertreibung. Man sollte das allerdings respektvoll machen. Mehr wollte ich nicht zum Ausdruck bringen.

  5. Ich sah und sehe die pauschalisierungen von morozov nicht, aber jede menge fundierte kritik.
    Ich mag Jeff Jarvis und halte die kritik an seiner arbeit für gerechtfertigt. Tja, ambivalenz, no problem. Die kritikpunkte hier, die sehe ich nicht, die halte ich für hohl, beschränken sich erstens auf die faz und wie sie Morozov, der ja beileibe nicht niemand ist, unabhängig davon, ob man ihn kennt oder nicht; und zweitens darauf, dass Morozov “die Deutschen” verallgemeinert, was falsch ist, weil er nur Jarvis’ wording aufgreift.

    Morozov spricht aus der perspektive des empirisch forschenden, kritischen wissenschaftlers und greift jemanden anderen an, weil der die standards der scientific community nicht grob verletzt. Das was man Morozov jetzt vorwerfen kann – mM nach -, ist das Jarvis kein wissenschaftliches buch geschrieben hat. Aber die einzelnen punkte, die Morozov vorbringt, sind wohl – grosso modo – richtig und könnte man sich ja auch vornehmen, wenn man Morozov kritisiert. Die titulierung/stilisierung des autors durch die faz dem autor vorzuwerfen, das ist halt n schuss ins knie.

  6. @hcvoigt Wer jemanden als halbgebildet bezeichnet disqualifiziert sich in wissenschaftlichen Disputationen. Sorry. Das geht gar nicht. Man kann die Arbeit von Jarvis einer kritischen Überprüfung unterziehen und seine Thesen verwerfen – nicht nur mit dem Florett, sondern auch mit dem Schwert. Kein Problem. Das stelle ich überhaupt nicht in Abrede. Aber mit einem snobistischen Unterton um sich zu schlagen, ist unwissenschaftlich. Und mit Ockham’s Razor-Methode, wie das Sebastian so schön formulierte, habe ich die Pauschalisierungen von Morozov an einer Stelle, die ich selbst über meine Recherchen gegenprüfen kann, nachgewiesen. Aus dem Zitat der Morozov-Abhandlung wird das doch mehr als deutlich. Hier spricht nicht Jarvis, sondern Morozov:

    “Aber trifft das zu? Und was ist so schlecht daran, wenn die Deutschen ihr Erbe vor einer technischen Zukunft schützen, an der Leute wie Jeff Jarvis lukrative Aktienoptionen halten? Wer behauptet, beim deutschen Widerstand gegen Google gehe es in erster Linie um den Schutz der Privatsphäre, und er basiere auf ihren tragischen Erinnerungen an Hitler und die Stasi, der muss zeigen, dass andere mögliche Erklärungen hier nicht zum Zuge kommen. Vielleicht wollen die Deutschen sich ja nur nicht von einem amerikanischen Unternehmen tyrannisieren lassen.“

    “Die” Deutschen schützen ihr Erbe….Vielleicht wollen “die” Deutschen sich ja nur nicht von einem amerikanischen Unternehmen tyrannisieren lassen. Sorry. Das sind Pauschalurteile. So denkt vielleicht der Datenschutz-Deichgraf in Schleswig-Holsteine aber nicht “die” Deutschen.

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