Blinder Fleck zweiter Ordnung – Heinz von Foerster entdeckt das Management

Heinz von Foerster
Heinz von Foerster

Über die zweifelhaften kybernetischen Ableitungen von Mathematikern und Naturwissenschaftlern in die Sphäre der Sozial- und Geisteswissenschaften habe ich mich nochmals in meiner Netzpiloten-Kolumne in einer Re-Replik geäußert.

Aus Platzgründen verzichtete ich auf die Ausflüge der Kybernetiker ins Management: Aber auch hier gibt es merkwürdige Erzählungen. Etwa bei Heinz von Foerster. Er stieß Anfang der siebziger Jahre auf die Frage des BEOBACHTERS und das Problem des Blinden Flecks.

Der blinde Fleck im Gesichtsfeld des Menschen resultiert daraus, dass sich an einer Stelle der Netzhaut, wo sich die Nervenfasern zum Sehnerv bündeln, keine Rezeptorzellen befinden. So kann es passieren, dass wir etwas übersehen oder gar Dinge wahrnehmen, die sich als optische Täuschung herausstellen. Was biologisch leicht nachzuweisen ist, bläst nun Heinz von Foerster zu einer wilden Gesellschaftstheorie auf. Der blinde Fleck führe zu einem unbewussten Verhalten. Deshalb bedarf es eines weiteren Beobachters. Erst durch die Beobachtung des Beobachters werde deutlich, was der Beobachtende nicht sieht. Der einzige Ausweg sei zu lernen, mit dem blinden Fleck zu leben:

„Wenn ich nicht sehe, dass ich blind bin, dann bin ich blind; wenn ich aber sehe, dass ich blind bin, dann sehe ich.“

Mit der Erkenntnis der eigenen Blindheit formiert die Kybernetik der Kybernetik die Ebene der Beobachtung beobachtender Systeme und ersäuft sich in netten Geschichten – Heinz von Foerster war ein guter Märchenonkel. Was liegt da näher, als auch mal ins Management abzudriften und den Manager in die kybernetische Modellwelt einzutauchen. Schließlich verfügt man über eine Allzweckwaffe. Was von Foerster entwickelt, klingt auf den ersten Blick äußerst sympathisch. So will er Führungskräfte von vertikalen Machern und Befehlsgebern zu „Verstärkern“ sowie „Pflegern“ eines sich selbst organisierenden Systems (da ist er wieder, der kybernetische Automat) wandeln.

Von Foerster sieht die Hierarchie als eine wesentliche Blockade der unterdrückten Leistung. An die Stelle der Herrschaft der Manager oder Chefs sollte deshalb die Heterarchie treten:

„Dieser Begriff war zuerst von Warren McCulloch im Zusammenhang mit der Organisation des Nervensystems verwendet worden, um die Redundanz des möglichen Befehls zu beschreiben. Ein Mensch denkt langsamer und weniger, wenn er damit rechnet, eine Anweisung, einen Befehl zu erhalten. Diese freiheitlich anmutende Einsicht legt von Foerster nun den Managern ans Herz, um ihnen zu erklären, wie viel Energie ihrer Angestellten sie in einer Top-down-Kommunikation verschwenden“, erläutert Hans-Christian Dany in dem sehr lesenswerten Buch „Morgen werde ich Idiot: Kybernetik und Kontrolle“.

Vor allem würden die Führungskräfte den Angestellten keine Gelegenheiten geben, von unten nach oben zu berichten. Das Management bliebe blind (da ist er, der blinde Fleck), solange es über keinen Informationskanal verfüge, der es über seine blinden Flecken aufkläre.

„Deshalb solle das Management die Angestellten an der Steuerung teilhaben lassen, um sie als beobachtete Beobachter effizienter nutzen zu können. Von Foerster illustriert die Effizienz der dezentral beobachtenden Selbstführung und gesteigerten Identifikation mit dem Unternehmen an dem gleichen Beispiel, das schon McCulloch für die Heterarchie im Nervensystem wählte“, führt Dany aus.

In der flachen Hierarchie erhöhe sich die Sichtbarkeit. Die unsichtbare Hand höre aber nicht auf, Organisator zu sein, genauso wenig, wie sich Unternehmen in ein unabhängiges und offenes System verwandeln, was die Dynamik der Selbstorganisation eigentlich erfordern würde.

„Was beschworen wird, ist eine Pseudo-Selbstorganisation. In erster Linie sollen die Angestellten ihre Disziplinierung auf der angenommenen Augenhöhe übernehmen – ihre Selbstführung soll für die Interessen des Unternehmens mobilisiert werden. An der langen Leine gelenkter Selbstkontrolle wird ihnen die Illusion von Teilhabe vorgespiegelt. Jeder wird zum Schmied des gemeinsamen Glücks verklärt. Teilgehabt wird an den Freuden der Pflicht, meist ohne dass sich Wesentliches an der Verteilung der Produktionsmittel ändert. Werden die Angestellten, die jetzt immer öfter Mitarbeiter heißen, am Kapital des Unternehmens beteiligt, dann so, dass sie das Systemprinzip des Unternehmens stabilisieren“, erläutert Dany.

Es habe nicht lange gedauert, bis die eifrigen Heinz von Foerster-Jünger die gelenkte Pseudo-Selbstorganisation mit Parolen wie „Jeder muss zum Unternehmer im Unternehmen werden“ in die Welt posaunten. Wer A sagt, müsste auch B sagen und entsprechend Kontrolle sowie Macht abgeben.

Ein Heer von Managementberatern, Umstrukturierungsexperten und neuen Unternehmern plädiert zwar für flache Hierarchien, Eigenverantwortlichkeit, Innovation und Flexibilität – ohne die Machtstatik auch nur in Ansätzen anzutasten. Wir erleben flache Hierarchien ohne Freiheitsgewinn.

Um das zu erreichen, müssen wir die sanften Anstubsverfahren dechiffrieren. Deshalb mein Plädoyer für paradoxe Interventionen – extern und intern.

Wir brauchen also keine Laberrituale über selbstorganisierende Systeme zweiter Ordnung, sondern institutionelle Regeln, die verhindern, dass machtsüchtige und inkompetente Manager/Unternehmer allzu großen Schaden anrichten.

Wer zu Open Data nicht bereit ist, sollte von Big Data schweigen #Datability #Cebit #Systemtheorie #Schirrmacher

Automatisierte Kontrollgesellschaft?
Automatisierte Kontrollgesellschaft?

„We don’t know how the human brain works.“ Mit diesem Satz macht Patrick Breitenbach auf einen Artikel aufmerksam, der sich mit den Thesen von Kurzweil beschäftigt: „Why Ray Kurzweil is Wrong: Computers Won’t Be Smarter Than Us Anytime Soon“.

Es sind letztlich völlig überdrehte, anmaßende und werbegetriebene Thesen, die man mit Big Data, Künstliche Intelligenz und Neurowissenschaften verbindet. Das wirkt sich vielleicht positiv auf den Verkauf von Büchern über das Ende des Zufalls aus oder über Neuro-Leadership, Neuro-Marketing und Maschinen-Intelligenz. Es ist auch eine beliebte Methode, um milliardenschwere Forschungsbudgets und Beratungsaufträge zu kapern, wie beim Human Brain Project. Beim öffentlichen Diskurs sollte man die wirtschaftlichen Interessen dieser Akteure nicht aus den Augen verlieren. Siehe dazu auch: „Die große Neuro-Show – Was wurde aus den Verheißungen der Hirnforschung? Wissenschaftler ziehen Bilanz. Sie fällt dürftig aus“.

Die Systeme können nur das, was Menschen programmiert haben und daraus ableiten. Es sind hoch manipulative, konstruierte und erfundene Welten, die immer zu richtigen Ergebnissen kommen. Richtig im Sinne des Erfinders, Konstrukteurs, System-Ingenieurs, Mathematikers, Software-Entwicklers, Hirnforschers oder KI-Wissenschaftlers: Die Logik sei nur ein Beschreibungsapparat, so wie die Grammatik für Sprache, sagt Systemtheoretiker Heinz von Foerster im Fernsehinterview mit Lutz Dammbeck.

„Die Logik ist ja nur eine Maschine, um mit gewissen Aussagen gewisse andere Aussagen machen und entwickeln zu können. Der Übergang von A nach B, das ist, was die Logik kontrolliert….also die Logik bringt ja gar nichts Neues….die Logik macht es nur möglich, dass Sie von einem Satz, der etwas verschwommen ist, etwas ableiten können, oder Sätze, die ähnlich verschwommen sind, ordentlich beweisen können.“ In diesen weltweit funktionierenden Maschinensystemen seien alle Aussagen richtig – im Sinne der Ableitungen.

Heinz von Foerster
Heinz von Foerster

Wenn sich auf diesem wackligen Fundament die Big Data-Neuroklecks-KI-Hohepriester aufschwingen, das Leben anderer Menschen zu beeinflussen, zu kontrollieren, zu steuern und zu bestimmen, müssen sie ihre Ableitungen offenlegen. An diesem Punkt stimme ich FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher zu, der fordert, dass die offene Gesellschaft neue Freunde braucht.

Er beschreibt in seinem FAZ-Leitartikel den Fall einer Amazon-Lageristin in Allentown, die nach mehreren 11-Stunden-Arbeitstagen eine automatisierte SMS des „employee-tagging“- Systems bekam. Botschaft: Sie sei „mehrere Minuten“ unproduktiv gewesen und wurde kurz darauf gefeuert. Droht hier ein neuer Optimierungswahn, der in den Pionierzeiten des Industriekapitalismus von Henry Ford etabliert wurde?

„Die Erkenntnis, dass die IT-Industrie Teil der wohl bedeutendsten gesellschaftlichen Debatte sein muss, nimmt auch die jetzt beginnende Cebit ernst, die weltgrößte Computermesse. Unter dem Titel ‚Datability‘ – dem ’nachhaltigen‘ Umgang mit Daten – will sie sich, aufgeschreckt vor allem durch die Snowden-Enthüllungen, an einem Diskurs beteiligen, der sich den Chancen und den Risiken der digitalen Moderne widmet. Schon das ist ein Fortschritt. Es signalisiert, dass die Branche verstanden hat, dass die Zeiten vorbei sind, in denen technische Geräte die entsprechenden Sozialtechniken gleichsam mitproduzieren und einfordern – unter Ausschaltung jeder politischen Willensbildung“, schreibt Schirrmacher.

Das sei eine politische Aufgabe, keine technologische. „Anders gesagt: man kann die Festlegung gesellschaftlicher und politischer Normen nicht einer Mathematik überlassen, die systematisch Kausalitäten und Korrelationen erzeugt, deren Effekte wir spüren, aber deren Zustandekommen wir nicht nachvollziehen können.“

Diesen Satz sollten sich die Richter des Bundesgerichtshofs hinter die Ohren kleben. Stichwort: Schufa-Urteil.

Wer eine falsche Stromrechnung bekomme, der rechnet nach. Wer eine falsche Rechnung über seine Lebens- und Karrierechancen, seine Talente, seine Effizienz und Kondition, seine Gesundheitsprognose oder seine Kreditwürdigkeit bekommt, der könne nur noch glauben.

„Heute gelten die Algorithmen, die beispielsweise die Reputation oder Kreditwürdigkeit von Menschen berechnen, als Geschäftsgeheimnis“, so Schirrmacher.

Wer nicht nur Stauwarnungen ausspricht, sondern auch das Wohl und Wehe von einzelnen Menschen beeinträchtigt und zu Open Data nicht bereit ist, sollte Big Data nicht anwenden dürfen. Die Entwickler von diesen Systemen werden ohne politische Regeln dazu nicht freiwillig bereit sein, wie mir ein Informatiker klar zu verstehen gab. Er habe eine Software für Kliniken entwickelt, um „gute“ von „schlechten“ Patienten zu trennen. Das Auswertungstool soll aufzeigen, wo Ärzte Geld verballern. Und was ist mit den Patienten, fragte ich nach. Müsste so etwas nicht öffentlich verhandelt werden? Antwort: Offenlegungspflichten sieht er nur gegenüber seinen Auftraggebern. Wenn dieser Mann dazu nicht bereit ist, muss er mit rechtsstaatlichen Mitteln dazu gezwungen werden, wenn die betroffenen Patienten es verlangen.

Siehe auch die Rede von Google-Manager Eric Schmidt auf der Tech-Konferenz SXSW und sein merkwürdiges Verständnis von Selbstzensur.

Entlarvung der Neo-Kybernetiker.

Liebwerteste Gichtlinge der Internet-Konzerne, wo bleibt der ehrliche Datenpakt mit der Netzgesellschaft?

Technomanager und die selbstkonstruierte Wirklichkeit: Warum Entscheider der ITK-Branche auf herumschwirrende Ideen achten sollten

„Die Vernunft, das haben wir von Kant gelernt, ist das auf die Spitze getriebene Vermögen, sich selbst nicht über den Weg zu trauen“, so Dirk Baecker, Professor für Kulturtheorie und Kulturanalyse an der Zeppelin Universtät in Friedrichhafen. Technomanager scheinen diese Selbstskepsis nicht an den Tag zu legen. Sie vertrauen ihrem eigenen Expertenwissen mehr als externe Erkenntnisse. Persönliche Erfahrungen sind für Entscheider der ITK-Branche nach Erkenntnissen des Unternehmensberaters Bernhard Steimel von MIND Consult die wichtigste Wissensquelle. Das könne schnell in die Hose gehen. Die interne Sicht über Marktmechanismen und Kundenzufriedenheit sollte durch externe Erkenntnisse ergänzt werden. Eine solche Außensicht liefere oftmals wichtige Erkenntnisse abseits bequemer Wahrheiten. Entscheider sollten aufpassen, nicht Opfer einer selbstkonstruierten Wirklichkeit zu werden.

Nur jedes zehnte Unternehmen bewertet den Grad der Informiertheit als unzureichend. Diese subjektiv positive Einschätzung sollte allerdings nicht mit dem tatsächlichen Ausmaß der Marktforschung gleichgesetzt werden. „Besonders im Vergleich mit reiferen Branchen sollten die ITK-Unternehmen den Grad ihrer Informiertheit kritisch hinterfragen“, so der Rat von Steimel. Siehe auch das Youtube-Video:
Interview mit dem Berater Bernhard Steimel

Wer nur im eigenen Saft schmort, läuft Gefahr, zu erstarren und wichtige Entwicklungen des Marktes zu verschlafen. Oder systemisch ausgedrückt „Intelligenz und Innovation in Unternehmen hängen davon ab, welche Informationen beobachtet werden und wie die wichtigen Informationen ihren gebührenden Stellenwert erhalten – was man leider erst im Nachhinein wissen kann“, schreibt Professor Winfried W. Weber in seinem Buch „complicate your life“ (Verlag Sordon).

Der Managementdenker Peter Drucker kritisiert die Sichtweise von Managern, die sich eng nur auf das eigene Unternehmen bezieht. „Viele Manager leben noch im 19. Jahrhundert, als Neuerungen aus der Firma oder aus der Branche kamen. Heute hingegen sind es im Wesentlichen die Veränderungen um das Unternehmen herum, die die Geschicke der Firma beeinflussen.“ Innovationen entstünden nicht nur aus Fortentwicklungen und Patenten innerhalb des eignen Fachspektrums. Heute kämen in viel stärkerem Maß als früher gesellschaftliche Entwicklungen hinzu, die als Ausgangspunkt für Innovationen erkannt werden müssten (nachzulesen im Buch „Peter Drucker – Der Mann, der das Management geprägt hat“, herausgegeben von Professor Weber).

Ein kluger Manager führt im richtigen Moment herumschwirrende Ideen mit Akteuren zusammen, nutzt Marktungleichgewichte, erkennt die Lücke und setzt die Innovation durch oder übernimmt im richtigen Moment das Risiko einer nicht sicheren aber vielversprechenden Entscheidung. „Das unterscheidet ihn vom Verwalter, der die organisatorische Routine oder die organisatorisch geronnene Reduktion von Komplexität nicht mehr in Frage stellen kann“, erläutert Weber. Wie bei den Schachgroßmeistern gehe es im Management einer komplexer werdenden Welt darum, ein reiches und komplexes Spielfeld zu erhalten. „Die Disziplin verlässt die Entscheidungskultur des one-best-way, des Alles-im-Griff-haben-Wollens. Wer es versteht, sich von der Komplexität nicht überfordern zu lassen, wer erkennt, dass man immer weniger durchschaut, wer sein Spielfeld pflegt und damit rechnet, dass bald die Lücke kommt, kann dann sofort entscheiden, ohne zu zögerlich zu sein“, führt Weber aus. Oder in den Worten des Kybernetikers Heinz von Foerster: „Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst.“