„Ein Schreibtisch ist passiv, der Computer ist aktiv – er kann Dokumente selber beschriften, suchen und ordnen. Die Idee, dass wir jedem Dokument einen Namen geben sollen, ist schlicht lachhaft. Wenn Sie drei Hunde haben, ist das sinnvoll. Besitzen Sie aber 10.000 Schafe, ist es Irrsinn“, bemängelt Gelernter. Cioforum-Sprecher Andreas Rebetzky sieht das ähnlich. Damals geizte man noch mit Bits und Bytes – eine Festplatte mit 10 MByte kostete mehrere tausend Euros: „Daher kam die Entwicklung des Dateinamens – das ist eine sehr kanonische Entwicklung. Heute gibt es bereits Systeme, die in Workflows und Timeflows arbeiten. Systeme, die Metadaten zulassen, volltextorientierte Suchmechanismen, die sogar zum Teil auf unscharfen Pattern basieren. Wir müssen das nur nutzen. Und das erfordert Zeit, den die tradierten Anwender werden zunächst erst mal in den bekannten Ordnern suchen“, glaubt Rebetzky, der hauptberuflich als CIO für den Lebensmitteltechnologie-Spezialisten Bizerba tätig ist.Bei Benutzeroberflächen sieht er Fortschritte. Der Erfolg von Apple basiere hauptsächlich auf der Ergonomie des ‚Desktops’. Auf die Spitze getrieben im iPhone.
Gelernter entwickelte eine Software, die Informationen auf völlig neue Art strukturiert. Jedes Dokument will er in einer Zeitachse anordnen – einem „Lifestream“. Informationen werden zeitlich strukturiert statt räumlich in Ordnern. So korrespondiert die Anordnung der Information mit den Ereignissen des Lebens. „Unser erstes Dokument ist die elektronische Geburtsurkunde, und jedes Dokument, das hinzukommt, wird chronologisch bis zur Gegenwart eingeordnet. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um E-Mails, Fotos, MP3s oder den Entwurf eines Buchkapitels handelt – alles wird einfach in den Lifestream geworfen“, erläutert Gelernter. Dateien müsse man dann mehr mit Namen bezeichnen, da sie sich selbstständig nach Inhalten, Stichworten, Ort und Zeit vernetzen. Ordner werden überflüssig. Der Lifestream erstrecke sich auch in die Zukunft: Man könne ein Dokument an jene Stelle auf der Zeitachse kopieren, an der es wieder auftauchen soll.
Für den IT-Fachmann Rebetzky ist das eine nette Idee, aber zu eindimensional: „Bilden wir dadurch nicht alles auf einer Perlenschnur ab? Ich glaube, wir müssen Informationen aus dem Cyberpool filtern, indem wir sie in einen Kontext stellen. Zum Beispiel können wir den Kontext ‚Globalisierung’ mit dem Kontext ‚Offshore Softwareentwicklung’ kombinieren und damit im Cyberpool suchen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Google und Co. genau diesen Weg beschreiten werden. Derzeit ist die Suche immer noch zu unspezifisch“. Gelernter setzt auf Assoziationen. Wer eine Stimme höre, denke an ein Gesicht. „Damit ist eine zeitliche Information verbunden: Wann habe ich die Person das letzte Mal gesehen? Eine Kombination aus assoziativer Vernetzung und zeitlicher Strukturierung ist die natürliche Art, Information in einer Software zu speichern“. Leider könnten die meisten Softwaresysteme nicht assoziativ „denken“, bemängelt Rebetzky: „Darin unterscheiden sich Computer noch von Menschen. Höchstwahrscheinlich werden die assoziativen Fähigkeiten von Softwaresystemen in den nächsten 20 bis 30 Jahren extrem zunehmen, was unsere Interaktionsmöglichkeiten mit dem Cyberspace erheblich beeinflussen wird. Vorhersehen kann das aus meiner Sicht niemand: Selbst Computergrößen wie Bill Gates dachten ja einst, dass 640 kByte für jeden völlig ausreichen. Welch ein Irrtum“, stellt Rebetzky fest.
Gelernter geht in Zukunft von dreidimensionalen Benutzeroberflächen aus. Das Interface ähnele dann mehr einem Videospiel: „Statt auf den Screen werden wir durch ihn auf eine beliebig große virtuelle Welt sehen. Der Bildschirm wird wie eine Art Fenster sein. Wenn Sie Ihren Computer anstellen, öffnet sich eine Cyberlandschaft vor Ihren Augen, in die Sie meilenweit hineinsehen können. Im Vergleich dazu ist die heutige Desktop-Benutzeroberfläche furchtbar limitiert und langweilig: Ein Hintergrund mit Dokumenten. Ich sehe lieber aus dem Fenster auf Bäume, Menschen und Verkehr als auf Akten auf einem Schreibtisch. Mit dem Lifestream erlauben Benutzeroberflächen virtuelle Zeitreisen: Wir fliegen dann durch die Cyberlandschaft in die Zukunft und die Vergangenheit“. 3D sei nicht der Stein der Weisen, kontert Rebetzky. „Die virtuelle Welt des Business bedeutet Meeting, Prioritäten, Projekte in ständigem Wandel. Wenn mir mein Kalender einmal für die Tagesbesprechungen die Referenzen zu den Dokumenten vorlegt, die für die folgenden Meetings sinnvoll sind, dann haben wir einen ersten Fortschritt. Stand heute: Miles away”.
Ein Computer ist halt nach wie vor dumm. Er ist eine Maschine. Und er tut nur dann das, was wir wollen, wenn wir uns an die “Vorgaben” halten, die er kapiert.
Tatsächlich erwarte auch ich für die Zukunft assoziationsbasierte Techniken, die die hierarchische Vorgehensweiseweise früherer Progammversionen demokratisieren. Warum sonst reden allen von “Netzwerken”?
@richtersblog Hast Du da genaue Vorstellungen? Semantische Technologien oder???
@ gunnarsohn:
Was ist eine “Assoziation”? Zunächst einmal ein Beieinandersein.
Um “semantisch” wirken zu können, müsste diesem Beieinandersein eine Bedeutung, ein Verweischarakter zugeordnet werden. So entstanden die Träume vom “social network”, vom “Web 2.0”. Dieses allerdings hat die hochgesteckten Erwartungen wohl enttäuscht, da es doch sehr stark von Konsum durchzogen wird, von Stereotypen und Klischees – und das erhoffte “Originelle” nur in Peripherien versteckt das Haupt hebt. Der “Prosument” ist eben nicht unbedingt kreativ. Wie sollte er auch, ohne Not?
Nein, ich vermute, dass eine künftige Neuorientierung des Webs vor allem durch seine Einbindung in Alltäglichkeiten des Konsums geschieht, so wie sich dies durch Konsumenten-tracking und Twitter bereits abzeichnet. Natürlich nicht mit diesen Technologien selbst, eventuell aber durch deren Weiterentwicklungen. Dadurch wird das Netz “banaler” und der Traum von den kreativen Kräften “social networking” wird endgültig durch die konservative Wirklichkeit eingeholt.
Das wäre der dystopische Entwurf. Utopisch gesprochen (das Netz ist ja tatsächlich ein Nicht-Ort) könnte es allerdings tatsächlich wenn nicht schon von “originellen”, so doch von “originären” Kräften besiedelt werden, die ihre als “Andersartigkeit” empfundene Eigenart mit Ungleichen assoziieren. Allerdings habe ich von der Technik viel zu wenig Ahnung, dass ich wüsste, wie dies Beieinandersein gelingen könnte.
Komplexer und interessanter Kommentar!
Meiner Meinung haben sich die Erwartungen des “Social Networking” deshalb nicht erfüllt, weil sie nur die Illusion eines “Beieinanderseins” schaffen. Die “Anderen” sind ja nicht “da”, In diesem Zusammenhang sind Networks tatsächlich “Nicht-Orte”. Eine Kommunikation findet aber doch trotzdem statt, mag sie auch noch so “banal” sein.(Meistens geht’s ja schliesslich nur darum zu sagen: “Ich bin hier. Schön, dass Du auch hier bist … usw.).
Nun, momentan werden die Zahnräder der sozialen Maschinen gegossen und umgeschmolzen. Wir haben den Absprung nicht geschafft, das Versprechen der maschinellen Revolution (“der Mensch erhält durch die Roboter die Freiheit, sich zu verwirklichen”) als eingelöst wahrzunehmen. Statt uns mittels der automatisierten Abläufe zu befreien, werden wir zu deren Gefangenen, machen uns dazu. Es bedarf eines Anerkennens der bisherigen Entwicklungen – und das ist ja eine semantische Technologie – um diesen Schritt zu vollziehen. Und des Willens, sich nicht wie in Wall.E verhätscheln zu lassen, sondern den kreativen Antrieben mehr zu trauen als den Angeboten der Konsumgesellschaft. Dann kann auch Gemeinschaft entstehen und zu einer adäquaten technologischen Ausformung finden.
Es macht halt einen Unterschied, ob eine “Gemeinschaft” die Medienangebote als Kommunikations-Instrumente nutzt oder ob sie sich eben darum als “Gemeinschaft” begreift, WEIL sie sie nutzt. Ist so ähnlich wie mit dem Auto oder dem Handy. Solche Sachen sind in den Augen der meisten Benutzer ja auch “mehr” als ein Fortbewegungsmittel und ein Telefon.