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Power von Live-Content nicht unterschätzen – Nekrologe liegen falsch @ruhrnalist @netzpiloten

Livestreaming Battle

Trotz Hype interessiert sich angeblich niemand für die Livestreaming-Apps Periscope und Meerkat, die erst seit wenigen Wochen auf dem Markt sind. Zu dieser These versteigt sich zumindest Daniel Kuhn in einem Netzpiloten-Beitrag.

Etwas apodiktisch formuliert, aber anregend für tiefergehende Fachdebatten – etwa auf Facebook. Als Beleg für seine These stützt sich Kuhn auf die Zahl der Downloads. Beide Dienste müssten nach der medialen Welle eigentlich in den Appstores auf Spitzenplätzen liegen.

“Schaut man sich die Bestenlisten allerdings genauer an, muss man lange suchen, um die Apps zu finden. Laut App Annie ist die zu Twitter gehörende App Periscope in Deutschland nur auf Platz 329 und in den USA auf Platz 161 der beliebtesten iOS-Apps zu finden. Eine Android-Version gibt es bisher nicht. Der direkte Konkurrent Meerkat hat zwar bereits den Weg in den Google Play Store gefunden, belegt dort in den USA aber nur Platz 475 und unter den iOS Apps sogar nur Platz 1469.”

Als weiteren Indikator wählt Kuhn die Anzahl der Tweets, die spontane oder geplante Livestreams (was bei Meerkat möglich ist) anzeigen. Auch da sieht der Netzpiloten-Autor keine bemerkenswerte Ausschläge nach oben. Über die tatsächliche Entwicklung der Livestreams sagt diese Statistik nur bedingt etwas aus, da nicht alle Videoübertragungen über Twitter angezeigt werden – man hat die Wahlfreiheit.

Noch weniger sagt das Zahlenwerk von Kuhn über die Zuschauerquote und die Interaktionen via Chat aus. Und da gab es einen mächtigen Sprung nach vorne. Seit nunmehr drei Jahren schaue ich mir das Jedermann-TV-Phänomen über Angebote wie Hangout on Air und Co. an. Im Vergleich zum Google-Dienst haben Periscope und Meerkat zu einer Zuschauer-Explosion geführt – da kann der Anlass der Liveübertragung noch so profan sein, es schaut immer jemand zu. Gut vernetzte User wie Sascha Pallenberg schaffen mit spontanen Events regelmäßig 300 bis 400 Zuschauer – was beispielsweise Periscope an die Grenze der Server-Kapazitäten bringt. Ähnliches vollbringen auch andere bekannte Figuren der Netzszene wie Brian Solis oder Guy Kawasaki. Wer mal ohne Vorankündigung einen Live-Hangout über die Eventseite von Google Plus gestartet hat, weiß, welchen Qualitätssprung Periscope und Meerkat mit der Anbindung an Twitter geschafft haben.

Über Google Plus sitzt man häufig allein vor der Kamera und kann Selbstgespräche ohne jegliche Reaktion aus dem Social Web führen. Und selbst mit fleißiger Einladungspolitik gelingt es nur selten, fünf oder zehn Interessenten an die Bildschirme von stationären oder mobilen Bildschirmen zu bekommen. Nur die Aufzeichnungsfunktion via Youtube macht für mich Hangout on Air attraktiv, weil ich mir die aufwändige Postproduktion meiner Videos erspare – ich favorisiere ja die Quick-and-Dirty-Variante 🙂 Über Longtail-Effekte mit der komfortablen Einbettungsfunktion von Youtube kommt man dann auf Zugriffszahlen, die über Periscope und Meerkat liegen.

Den Nekrolog von Daniel Kuhn halte ich für falsch. Dennoch gibt es einige Sachargumente, die die Grenzen der Livestreaming-Apps aufzeigen:

Mein Kollege Kai Rüsberg hat einige Schwachpunkte zusammengetragen.

“Für die Massenkommunikation sind Meerkat und Periscope noch nicht geeigent. Bei 2800 Nutzern ist Schluss.”

Periscope

Bei der Chatfunktion ist sogar schon viel früher das Ende der Fahnenstange erreicht.

Häufig ist die Liveübertragung schon beendet, ehe man irgendwas mitbekommt.

“Viele Nutzer sind zu sehr mit dem Kommentieren und Antworten beschäftigt, als dass sie sich um die Bildgestaltung kümmern”, so Kai Rüsberg.

Die Beschränkung auf Hochkant-Aufnahmen verschwendet nach seiner Ansicht die Bildschirmfläche mit Unwichtigem oder ungenutzten Flächen. Zudem erzeuge man damit eher einen Schlüsselloch-Effekt. Interviews mit mehreren Personen kann man getrost vergessen.

Bei zu viel Chat-Kommunikation ist kaum mehr ein sinnvolles Bild zu erkennen – zumindest bei Periscope, wo noch die dämlichen Herzchen die Übertragung stören.

Pallenberg Chat

“Die Bildqualität ist bislang viel zu schlecht. 480p ist Mindestanforderung für Miniplayer/Smartphone Bildschirme. 720p für professionelle Maßstäbe”, meint Kai Rüsberg.

Kai bringt auch positive Argumente:

“Spontane Livestreams eignen sich für Peer-Groups. Das hat bei #GNTM vor allem über Snapshat gut funktioniert, wo sich die Jugendlichen selbst ihre Freunde oder Bekannten als Berichterstatter gesucht haben. Das ist dann sehr authentisch. Als Instrument der direkten Kommunikation mit hoher Interaktion sind die neuen Dienste sinnvoll.”

Generell bewegt sich einiges beim Thema Livestreaming jenseits von aufwändigen Technik-Equipments und schwerfälligen Ü-Wagen.

“So sind neue Redaktionsdienste für Live-TV der großen Sender im Kommen: Reporter senden per Tagesschau-App oder Agenturen wie AP haben Dienste wie IRIS entwickelt, die zu mehreren Reportern schalten und per Intercom mit ihnen verbunden sind. Die Deutsche Welle steht vor der Einführung des Dienstes”, sagt Rüsberg.

Sein Fazit:

“Gut gemachtes Video-Livestreaming wird das große Ding in den nächsten Monaten, wenn es gut gemacht ist. Wer attraktive Streams anbietet, ist in der Lage Content auf die eigene Seite zu stellen, den kein anderer hat und der nicht so schnell kopiert werden kann. Er muß aber eine Weile abrufbar bleiben.”

Wer jetzt lamentiert, dass Livestreaming nicht funktioniert, hat die Power von gutem Live-Content nicht verstanden. Wir gehen auf Sendung.

Etwa am 7. Juni bei unserem Livestreaming-Workshop in Herne. Es gibt noch ein paar Karten.

Im Live-Hangout haben wir erläutert, was Euch erwartet.

Man hört, sieht und streamt sich 🙂

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

5 Kommentare zu "Power von Live-Content nicht unterschätzen – Nekrologe liegen falsch @ruhrnalist @netzpiloten"

  1. Hier gibt es die Karten für den Workshop am 7. Juni: http://de.amiando.com/OIAHYYE.html

  2. Das sind interessante Gegenargumente, aber den Gegenbeweis bleibt dieser Artikel auch noch schuldig. Denn 300-400 Zuschauer finde ich ohne Medien-Tech-Brille nicht sehr beeindruckend, auch wenn das für Streaming-Formate sehr gut ist (bei dem Berliner Hinterhofgesprächen auf Google+ schwanken wir live zwischen 15 und 70 Zuschauern). Das ist aber einfach keine relevante Masse. An einem Straßenmusiker in der Münchner Kaufingerstraße gehen an einem Samstag rund 100.000 Menschen pro Stunde vorbei.

    Zum anderen fehlt es meiner Meinung nach an dem guten Content (dies gilt aber oft auch für die Kaufingerstraße). Es mag an meiner persönlichen Bubble auf Twitter liegen, aber ich sehe nur ständig Jörgen Camrath irgendwo lang gehen, etwas meiner Meinung nach so banales wie Berliner BVG-Fähren erkunden, oder irgendwo rumstehen. Das mögen Experimente sein, aber die scheinen nicht zu enden. Dies ist der einzige Livestreaming-Content, der es in meine Timeline geschafft hat und die ist eigentlich voll von vermeintlichen Medien-Experten. Wo bleiben die Streams aus Pressekonferenzen? Und wenn sie kommen, werden Journalisten nicht nur zu Kamerapersonal, denn selten haben sie die Möglichkeit, bei bestimmten Events selber zu kommentieren?

    Neulich saß ich bei dem Google+ Hangout von Politik-Digital.de mit Markus Söder und zwei fränkische Lokaljournalisten wollten dann wirklich diese Streaming-Situation an sich mit Periscope streamen. Dies scheiterte zum Glück am fehlenden WiFi. Ihr schreibt nach den positiven Bewertungen immer “wenn es”, aber das ist das Problem. Es fehlt einfach an dem guten Content und dann sollte dieser aber mehr Zuschauer erreichen als ein Tweet auf einer Liveveranstaltung, der oft auch noch Leute auf meiner Seite zieht, wenn ich den dort vorhandenen guten Content mithilfe von Hashtags einspeise.

  3. Den Gegen-Gegenbeweis hast Du jetzt aber auch nicht geliefert, Tobias. Wie viele Passanten bleiben denn vor dem Straßenmusiker stehen im Laufe seiner Darbietung? Fünf, zehn oder zwanzig Zuschauer? Es wäre doch vermessen, bei jedem Livestream ein Massenpublikum zu erwarten – auch wenn es technisch möglich wäre. Wie viele Teilnehmer kommen denn so durchschnittlich zu Barcamps oder Fachkonferenzen: 100 bis 200? Die beiden populären Apps haben in kurzer Zeit mehr bewegt als Google in drei Jahren mit Hangout. Hürden für den Einstieg wurden gesenkt, einfaches Nutzer-Design, relativ gute Ton- und Bildqualität via Smartphone (da bin ich anderer Meinung als Kai), Netzwerk-Effekte via Twitter, viel mehr Zuschauer als bei Hangout, viele Einsatzmöglichkeiten, sehr viele neue Ideen und auch professionelle Anwendungen wie bei Mashable oder HuffPost. Folge mal Kai Rüsberg auf Twitter unter @ruhrnalist. Er experimentiert als WDR-Fernsehjournalist mit Diensten wie Bambuser. Kein Nischenphänomen, sondern der Weg zu Jedermann-Live-TV – da bin ich mir sicher. Wenn Google die Hangout-App auf Vordermann bringen würde, wäre noch mehr Dynamik bei Livestreams. Mit der Tagesschau-Livestream-App, mit der Weiterentwicklung des Bambuser-Ablegers IRIS und mit der Verbesserung der mobilen Einsetzbarkeit von Livestream-Apps werden wir in den nächsten Monaten einiges erleben, was weit über die Möglichkeiten der klassischen TV-Einsätze hinausgeht. Wir könnten ja mit Dir, Daniel, Kai und mir mal eine Live-Hangout-Runde auf die Beine stellen – mit Co-Livestreaming über Meerkat, Bambuser und Periscope. Hättest Du Lust?

  4. Da bin ich gerne dabei, Gunnar. Und von der Technologie bin ich auch überzeugt, ebenso vom Potenzial. Ich sehe es nur nicht abgerufen werden und ich habe meine Zweifel, dass dies auch noch in einer signifikanten Größenordnung passieren wird.

    Die Formate aus den USA überzeugen mich noch nicht, was Inhalt und Wirkung angeht. Und diesen Stand können wir, bei all deinen Bemühungen für das hiesige Streaming, wohl auch erst wieder in ein paar Jahren hier erwarten.

    Anders aber als zum Beispiel bei Twitter, glaube ich nicht, dass wenige Multiplikatoren mit Relevanz als Daseinsberechtigung für so viele Dienste ausreichen. Die Masse konsumiert nun einmal eher als selbst zu produzieren.

    Wie Blogs nicht die Printmedien abgelöst haben, YouTube nicht das Fernsehen, werden auch Livestreams nur auf einer Sparflamme ihrer Möglichkeiten existieren. Selbst wenn Google mal Hangout pushen würde.

  5. Nun ja. Streaming-Dienste wie Netflix pulverisieren aber so langsam das Konzept Fernsehsender – also das lineare Programm. Ablösung ist ja ein relativer Begriff. Aber man sollte auch die Jedermann-TV-Bewegung nicht unterschätzen. Der Möglichkeitsraum für guten Content ohne große Produktionskosten und aufwändigen Equipment-Einsatz wird jedenfalls größer. Bei Prognosen halte ich mich zurück. Da ist im Netz die Halbwertzeit ohnehin sehr kurz.

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