
Klimakrise, Corona-Pandemie und Digitalisierung erhöhen aus unterschiedlichen Richtungen den transformativen Druck auf die Gesellschaft: Einerseits wächst das Erfordernis, sich auf neue Spielregeln in Wirtschaft und Gesellschaft einzulassen. Andererseits werden ungeahnte Möglichkeiten geschaffen, neue Welten zu entdecken und die Spielregeln dafür eigens neu zu schreiben.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie wir uns auf Zukünfte vorbereiten können, die niemand kennt. Konkret heißt das in unserem Fall: Kann man Innovation lernen? Kann man sie managen? Kann man Führung lernen? Wie deuten sich Transformationen an? Wie kann man das Mögliche entdecken und beurteilen? Wie wirkt sich Nicht-Wissen auf Entscheidungen und Handeln in Bezug auf mögliche Zukünfte aus?
Kurzum geht es um die Befähigung, die Verantwortung für das eigene Lernen und die eigenen Entscheidungen mit Wirkung auf eigene Zukünfte übernehmen zu können. Das Einmaleins der modellgetriebenen Wirtschaftswissenschaften hilft dabei nur bedingt weiter. Denn gefragt sind Fähig- und Fertigkeiten, mit komplexen und unbekannten Situationen in Wirtschaft und Gesellschaft umzugehen: Perspektivwechsel, analytische und methodische Kompetenzen, Umgang mit Wissen und Nichtwissen, mit Uneindeutigkeit und Zufall, mit der Legitimität widersprüchlicher Auffassungen, Kommunikationskompetenz und die Fähigkeit, in Netzwerken zu agieren.
Wie können solche Kompetenzen und Befähigungen gebildet – nicht: ausgebildet – werden? Wie können wir junge Menschen befähigen, in gesellschaftlichen Organisationen – Unternehmen, NGOs oder Ad-hoc-Gruppen – Verantwortung zu übernehmen, damit ihre kleine und die Welt damit im großen Ganzen ein wenig besser wird? Weder der wirtschaftswissenschaftliche Kanon noch die traditionellen Formen der Wissensvermittlung liefern nennenswerte Antworten.
Statt blind auf vorgefertigte Welterklärungen oder einfache Modellwelten zu vertrauen, geht es für economists4future in einer sich abrupt wandelnden Welt darum, Möglichkeitsräume zu öffnen und zu erschließen. Das Internet ist ein solcher Möglichkeitsraum. Andere Möglichkeitsräume werden durch die Denkform der Utopie aufgestoßen. Utopien liefern Anregungen und Hinweise zum Umgang mit möglichen Zukünften und einer Didaktik im Spiegel der Möglichkeitswissenschaften, was Lars Hochmann ausführlich behandelt. Das erfordert – anders als bislang – eine partizipative Lehre, die nicht einseitig frontal vermeintliche Gewissheiten behauptet, sondern Lernende einbindet und im gemeinsamen Austausch Wissen schafft.
Lernen durch Lehren
Solch eine Didaktik der Möglichkeitsräume haben wir über fünf Jahre entwickelt und erprobt: 2015 fand in Bonn erstmals die Konferenz Next Economy Open statt. Es handelte sich um ein stationäres Format angesiedelt zwischen Barcamp und traditioneller Konferenz. 2016 wurde die Konferenz erstmals als mehrdimensionales digitales Format weiterentwickelt. Im Rahmen einer virtuellen Konferenz konnten digitale Streams verfolgt werden, flankiert von regionalen und stationären Konferenz-Satelliten. Unter dem Dach der #NEO16 war die gesamte Konferenz im gleichen Jahr live im Netz zu verfolgen. Netzszene und Wirtschaft bilden ein enorm kreatives Paar, wenn es darum geht, Brücken zu bauen für neue Ideen, neue Kombinationen mit überraschenden Verbindungen und Erkenntnissen, fortlaufende Gespräche sowie offene Begegnungen. Studierende stellen ihre Forschungen und Analysen, ihre Konzepte und Szenarien einer breiten Netzöffentlichkeit zur Diskussion.
Solche live gestreamten Workshops sind angelehnt an das Konzept “Lernen durch Lehren” von Jean-Pol Martin, an das “Flow Team”, das auf Martin Gerber und Heinz Gruner zurückgeht sowie an das “Visual Process Management”, das Sonali Wavhal beschreibt. Tatsächlich haben sich diese digitalen Format in der akademischen Lehre bewährt.
Ziel der Next Economy Open ist, bewusst die Haltung utopischen Denkens einzunehmen und dadurch Möglichkeitsräume zu eröffnen beziehungsweise diese über öffentliche Debatten im Social Web zu erschließen. Dazu haben die Studierenden eigenverantwortlich das Format der Lehrkonferenz entwickelt, geplant und umgesetzt. Im Fluchtpunkt dieses Moduls steht das Ziel, Verantwortungs-, Führungs- und Gruppendynamiken zu erfahren und das eigene Tun selbstwirksam zu reflektieren. Der Erfahrungsschatz wurde schließlich anhand von Theorieimpulsen auf der Veranstaltung reflektiert.
Die Ergebnisse unserer digitalen Lehr-Lern-Konferenzen zeigen: Wir brauchen in der ökonomischen “Bildung for future” neue Formate mit mehr Partizipation. Das nachfolgende Gespräch reflektiert diesen Gedankengang und ist selbst der Versuch, von einem Ort in der Zukunft her den Grundstein zur Notwendigkeit der partizipativen Lehre legen. Ein Dialog, der ernst machen will mit dem Brückenbau zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.
Ausführlich nachzulesen im Band “economists4future”, erschienen im Murmann Verlag, 34 Euro.