
“Wenn die Automobilindustrie hustet, bekommt Deutschland Fieber. Deshalb ist es durchaus von politischer Brisanz, was sich derzeit in unseren Autofabriken und deren Zulieferfirmen tut. Die deutsche Schlüsselindustrie erlebt eine multiple Krise, weil sie Digitalisierung und Elektrifizierung unter den Bedingungen einer weltweiten Pandemie vorantreiben muss”, schreibt Gabor Steingart in seinem Morning Briefing und skizziert mit Zahlen die Schwierigkeiten der PKW-Branche in Deutschland bis hin zum Autozulieferer Continental AG, bei dem ist auch nicht gerade rund läuft. Umfassende Schließungspläne sind die Folge.
Ich möchte die Krise der Automobilindustrie gar nicht in Frage stellen. Das war hier auf ichsagmal.com ständig Thema – vom schlingernden VW-Riesen bis zum massiven Kostendruck auf mittelständische Zulieferer. Die Frage ist nur, ob der Spruch mit dem Husten und dem Fieber für Deutschland noch stimmt oder doch eher ein Märchen der Auto-Lobby ist.
Das liegt vor allem an der De-Industrialisierung, die von den Autokonzernen selbst eingeleitet wurde. Neumodisch nennt sich das „Global Sourcing“ und „Target Cost Squeeze”: „Lieferanten bei neuen Aufträgen werden nur berücksichtigt, wenn wir osteuropäische Löhne als Kalkulationsbasis zu Grunde legen. Zusätzlich fordern Firmen wie VW sogenannte Quick Savings, das sind sofort fällige Preisreduzierungen auf das bestehende Geschäft in Höhe von fünf Prozent als Gegenleistung für den Erhalt eines neuen Auftrages. Häufig ist es dann so, dass das Bestandsgeschäft noch in Deutschland produziert wird und hier der Nachlass gegeben wird, auch wenn die Produktion später in einem Low Cost Standort erfolgt. Bei jedem neuen Auftrag sinkt die Umsatzrendite im Altstandort immer weiter. Des Weiteren müssen vier Jahre lang je fünf Prozent an Preisreduktion zugesichert werden”, erläutert Automotive-Experte Thomas Meichsner.
Dieser Preisnachlass lasse sich durch Produktivitätssteigerungen nur noch in den Low Cost-Standorten darstellen, da in Deutschland die meisten Abläufe bereits automatisiert wurden. Aufgrund des hohen Kostendrucks werden zusätzlich ganze Entwicklungsaufträge in Niedriglohnstandorte verlegt.
“In Indien arbeitet ein CAD-Entwicklungsingenieur für rund fünf Prozent des deutschen Gehaltsniveaus und zusätzlich ohne Arbeitszeitbegrenzung. Darüber hinaus erfolgt die Produktion der meisten Werkzeuge und Maschinen ohnehin schon in Asien“, weiß Meichsner. Als Folge hat die Fertigungstiefe in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch abgenommen – auch die Zahl der industriellen Arbeitsplätze ist seit Ewigkeiten rückläufig.
Dennoch wird immer wieder das Husten-Fieber-Märchen hinausgeblasen. Die weit verbreitete Behauptung, jeder siebte Arbeitsplatz hänge von der Autobranche ab, beruht auf einem simplen Rechentrick des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Das kann man in der Zeitschrift Capital nachlesen. Der VDA geht dabei davon aus, dass ohne Auto-Industrie in Deutschland niemand mehr Auto fahren würde – weder deutsche Wagen, noch ausländische. Damit würden alle Jobs wegfallen, die irgendwie durch das Auto bedingt sind – vom Straßenbauarbeiter bis zum Parkhaus-Pförtner. Mit der Wirtschaftsrealität hat das nichts zu tun. Nur jeder 20. Arbeitsplatz hängt von der Auto-Nachfrage ab.
Ohne einen radikalen Ökonomieansatz zu vertreten, kann man schon mal festhalten, dass sich unsere Automobilindustrie sich wenig marktwirtschaftlich verhält. Technologieentwicklung und Marktveränderung war lange absehbar auch ohne wundermächtige Kristallkugel. Wer die totale Cash Cow Strategie fährt, weiß, dass er irgendwann ausgemolken hat, sagt selbst banale Wirtschaftslehre. Hier die Beschäftigten als “Geiseln” vorzuführen, ist unverschämt. Versagen zu subventionieren, führt jedenfalls nicht zu einer gesünderen Unternehmensbasis. Gegen Husten hilft nicht die nächste Zigarette. Dies ist für die Beschäftigten erst mal bitter aber man muss dann auch fragen, wie lange die sich denn noch vera… lassen wollen?