In der Financial Times Deutschland macht sich der Redakteur Thomas Fricke Gedanken über die Krisenverweigerung der Deutschen. Nach Monaten täglich neuer Schicksalsschläge für die Wirtschaft würden sich neuerdings die guten Nachrichten häufen. “Aber ist wirklich eine Besserung in Sicht”, fragt besorgt der FTD-Autor. “Oder lässt in Deutschland nur die mentale Bereitschaft nach, Horrormeldungen entgegenzunehmen?” Lieber Herr Fricke, die Deutschen haben von Anfang an relativ stoisch auf Horrormeldungen reagiert, die in der FTD und anderswo täglich geboten werden. Die medialen Krisenticker-Orgien gehen an den Erfahrungswelten der Menschen vorbei, wie man aus Allensbach-Umfragen ableiten kann.
Inmitten der düsteren Szenarien bleibt die Verbraucherstimmung resistent, die Bevölkerung gelassen – sie reagiert teilweise sogar unwillig auf die Dauerkonfrontation mit Kassandrarufen und Untergangsszenarien. Die, die sich täglich mit dem Krisenmanagement beschäftigen, vermitteln den Eindruck, die Bevölkerung begreife das Ausmaß der Krise nicht oder verweigere sich der Realität. So könnte man den FTD-Bericht interpretieren. Ist dem wirklich so?
“Die Gelassenheit der großen Mehrheit geht auf die Kluft zwischen der Nachrichtenlage über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und den eigenen Erfahrungen zurück. Nach wie vor können die meisten Erwerbstätigen in ihrem Unternehmen keine Anzeichen der Krise erkennen. 31 Prozent sehen in ihrem Unternehmen Auswirkungen; dieser Anteil hat sich in den letzten zwei Monaten nicht verändert. Eine Analyse nach Branchen zeigt, wie unterschiedlich einzelne Wirtschaftszweige betroffen sind. Während sich die Automobilindustrie und ihre Zulieferer im Auge des Taifuns befinden und auch der Maschinenbau mittlerweile stark betroffen ist, erleben die Beschäftigten der Bauwirtschaft, im Handel oder des Gesundheitswesens die Krise überwiegend über die Medien“, schreibt Allensbach-Chefin Renate Köcher in der Wirtschaftswoche. Bingo. Das ist die eigentliche Sensation, wo wir doch sonst ein Volk der Angsthasen und eine leichte Beute für Panikmacher sind. Wir sind nicht Papst geworden, sondern Merkel, die sich wohltuend von den aufgeregten und gackernden Meinungsmachern abhebt. Das hat nichts mit Ignoranz, sondern mit Lebenskunst zu tun und ist der Schlüssel, um aus einer Krise wieder herauszukommen. Das hat Harvey Nash-Chef Udo Nadolski in einem Blog-Beitrag über die empirischen Erkenntnisse des legendären Informatik-Professor Karl Steinbuch sehr richtig erkannt:
“Die wirtschaftliche Dynamik ist nicht nur abhängig von äußeren Faktoren wie Steuerlast oder Arbeitsgesetzen, sondern in hohem Maß auch von Psychologie. Für die Konjunkturentwicklung ist es relevant, wie es zu gleichgerichteten Verhaltensweisen der Bevölkerung bei jenen Faktoren kommt, die Expansion und Rezession beeinflussen; denn erst der Gleichschritt erzeugt die Durchschlagskraft, verstärkt die Wirkung so sehr, dass der Konjunkturverlauf einen schicksalhaften Rang erhält. Als Ursache ist ein sozialpsychologischer Faktor herausgearbeitet worden – Ansteckung. Sie wird ausgelöst durch übereinstimmende Motive der Wirtschaftsakteure, gemeinsame, unter bestimmten Umständen erweckte Vorstellungen, Nachahmung, Übertragung von Gefühlen und überspringende Stimmung”. Und nun verhalten wir uns anders und hier liegt die Basis für den Konjunkturaufschwung. Werden wir wie Merkel, der noch ein wenig Obama fehlt, oder Seneca: “Das meiste Unglück gebiert die falsche Meinung, dass Unglück sein müsse…Würde sich jeder erziehen, nur vom Gutem, Beglückendem zu sprechen – alle würden glücklicher werden! Denn wir ziehen herbei, was wir vorwiegend denken und aussprechen. Durch das richtige Denken können wir Leid und Missgeschicke so gut von uns fernhalten wie Miss-Stimmung und Krankheit.” Auf unvorhergesehene Streiche müsse man gefasst sein und unerschütterlich fest stehen.
Die Krise ist doch gar nicht so schlimm – je nachdem auf welcher Seite man steht. Steht man auf der Seite derjenigen, die von Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und – bei Selbstständigen – Kundenerosion betroffen sind, hilft Stoismus vielleicht, den Tag zu überstehen, ernährt aber weder die KInder, noch fügt es der Altersvorsorge etwas hinzu. Es ist doch eher so, dass es uns Bürgern geht, wie dem berühmten Frosch im Kochtopf: Wir merken gar nicht, wie Finanzkrise, Staatsverschuldung, Überalterung der Gesellschaft und ab Herbst auch wieder steigende Inflation unser wirtschaftliches Auskommen und damit unsere Würde in der Zukunft bedrohen. (Siehe auch das Buch “Achtung, Geld in Gefahr” von Dr. Martin Hüfner, Ex- Chefvolkswirt der Hypovereinsbank und Heiner Sieger)
Die Medien – auch die ehrenwerte FTD sagt es den Leuten nicht. Dazu sind alle zu sehr auf alltägliches – genannt aktuelles – eingeschworen. Doch hinter dem Tellerrand geht es weiter.
Sicher zieht es irgendwann, ab Herbst vielleicht, wieder allmählich aufwärts. Doch inzwischen haben wieder viele Menschen ein Stück Wohlstand und Auskommen verloren. Und wir werden nie mehr Wachstumraten erleben, die das was jetzt verloren wurde, wieder ausgleichen. Es ist wichtig, sich mit dieser Realität vertraut zu machen. Sie ist die Voraussetzung dafür, dennoch mit positiver Einstellung ans Werk zu gehen, und zu versuchen, die Krise mit frischen Gedanken, Ideen und Taten schnell zu überwinden.
Vergleiche: Kommentar von ZEW-Präsident Professor Wolfgang Franz, neuer Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: “Nach den Einschätzungen der Finanzmarktexperten geht die Talfahrt der Konjunktur allmählich zu Ende und die Talsohle dürfte im Sommer dieses Jahres erreicht sein. Die Lage ist außerordentlich schlecht, aber es gibt erste Lichtblicke. Sie sollten jetzt nicht kaputt geredet werden.” Siehe: http://www.avaris-konzept.de/doch-nicht-alles-krise-6.html
Diese verhältnismäßig unaufgeregte und im Grundton positive Haltung ist angebracht – allerdings sollte Sie besser kommuniziert und transportiert werden – vielleicht hören dann auch mehr Menschen hin und lassen sich anstecken.