Obermann und der Manager-Kapitalismus

War Obermann ein Telekom-Kapitän?

Der Telekom-Kapitän Rene Obermann verlässt sein Schiff seinen recht unbeweglichen Tanker. Das ist nicht weiter wild. Er kann ja machen, was er möchte. Bemerkenswert ist nur seine Begründung für den Rücktritt:

Nach 16 Jahren Tätigkeit für die Deutsche Telekom, davon elf Jahre im Vorstand, möchte Obermann wieder „stärker unternehmerisch geprägte Aufgaben“ übernehmen.

„Ich will wieder mehr Zeit für Kunden, Produktentwicklung und Technik haben.“

Was hat er eigentlich in den sechs Jahren als Boss des Bonner TK-Konzerns gemacht? Es zeigt sich an dieser Aussage das ganze Dilemma von Konzernen, die nach der so genannten Shareholder Value-Doktrin geführt werden. Vor einigen Jahren hat das Malik Managementzentrum in St. Gallen interessante Befunde zu diesem Phänomen geliefert. Die leitenden Angestellten wie Obermann, denn nichts anderes ist er als Vorstandschef, pflegen nur selten Kontakt zu ihren Kunden.

Nur 15 Prozent der befragten Manager haben direkten Kundenkontakt. 85 Prozent dagegen kennen den Kunden nur vom Hörensagen. „Er hat so den Charakter eines Fabelwesens im Märchenwald“, moniert Fredmund Malik. Der Schweizer Managementberater erkennt keinen Grund, warum Top-Manager im zwölften Stock ihres Firmensitzes residieren. Warum nicht im Erdgeschoss? Da sei man viel näher dran am Kunden. Hoch oben gehe der visionäre Blick hin zum Horizont. Aber die Kunden seien ganz klein da unten. Die Gründe für das Fiasko bei Unternehmen wie Karstadt sieht Malik in einer kollektiven Irreführung des Managements, die sich ausschließlich vom Shareholder-Value leiten lasse.

„Durch die Lehre vom Shareholder-Value wurde die exklusive Hinwendung zum Aktionärsinteresse legitimiert und damit de facto die Abkehr vom Kunden und vom Kundennutzen“, führt Malik aus.

Es zählt ausschließlich die Steigerung des Aktienkurses und nicht die langfristige Weiterentwicklung des Konzerns. Was man früher als Spekulantentum bezeichnete, entwickelte sich zur Richtschnur für unternehmerisches Handeln. In der modernen Strategielehre sei es nicht mehr entscheidend, Kunden erfolgreicher zu bedienen als die Konkurrenz.

„Nun bestand Strategie darin, Deals zu machen sowie die Erwartungen des Börsenpublikums, der Analysten und Medien zu befriedigen“, kritisiert Malik.

Man verwechselte Gewinn mit wirtschaftlich-unternehmerischer Leistung. Die Tätigkeit des Wirtschaftens sei zwar komplex; die Logik des Wirtschaftens sei letztlich einfach:

„Wer Kunden hat, wird immer auch Kapital bekommen, ob von der Börse oder aus anderen Quellen, ist nicht entscheidend. Aber auch mit noch so viel Kapital lässt sich nicht wirtschaften, wenn man keine Kunden findet. Dass eine Idee Börsenkapital anzuziehen vermag, ist keinerlei Hinweis auf ihre Tauglichkeit für Kunden“, so Malik.

Problematisch wird es, wenn die Begriffe Manager und Unternehmer nicht mehr sauber getrennt werden. Das Wesen eines Managers ist das eines Angestellten, da er kein eigenkapitalbasiertes Risiko trägt. Die Abfindungen sind bereits vertraglich festgeschrieben, so dass kein Super-Star am Ende vor dem finanziellen Ruin steht. Im Fall von Obermann, dessen Vertrag noch bis 2016, sieht es wohl anders aus. Durch die frühzeitige Auflösung der Vereinbarung fällt angeblich keine Abfindung an. Das sollte noch genauer untersucht werden.

Beim Shareholder Value kommt noch ein weiteres Problem hinzu. Sie sind nur noch selten Aktionäre im Sinne des unternehmerischen Eigentümers:

„Sie kaufen Aktien nicht als Anleger, um sie wegen des Unternehmens und seiner Leistungsfähigkeit zu halten. An den Unternehmen selbst ist diese Art von Aktionär im Grunde nicht interessiert, sondern an der schnellen Perfomance für die Fonds-Manager und die Zertifikat-Besitzer“, bemängelt Malik.

Die 100 größten Money Manager Amerikas verwalten fast 60 Prozent der US-Aktien und da gehe es in erster Linie um die Turnover-Rate, also um Aktienumschichtungen und weniger um unternehmerische Belange, sonst würden diese Manager die Papiere länger halten. Bei der Telekom ist dieses Phänomen mit den institutionellen Anlegern zwar nicht so ausgeprägt (so liegt der Aktien-Steubesitz bei rund 61 Prozent), aber in den Grundzügen auch vorhanden. Zudem hinterlässt Obermann mit seinen 49 Lenzen eine Vielzahl von Baustellen. Er macht sich aus dem Staub. Die Bilanz des scheidenden Telekom-Chefs sieht bescheiden aus, so das Handelsblatt: Der Umbau des verlustreichen US-Geschäfts ist immer noch nicht abgeschlossen – zuletzt musste die Telekom 7,4 Milliarden Euro (!!!!) auf T-Mobile USA abschreiben. In Deutschland verliert der Konzern scharenweise Festnetzkunden – allein in den ersten neun Monaten 2012 waren es 800.000 In wichtigen Schwellenländern wie China ist die Telekom immer noch nicht aktiv.“ Und so richtig eingefunden in das mobile Geschäft und die App-Economy hat sich der Magenta-Laden immer noch nicht. Auch der Breitbandausbau verläuft bislang kläglich.

Siehe auch: VATM-Studie: Zur Lage der TK-Dinosaurier – Warum Apple und Google besser sind.

Steve Jobs hasste solche Leute, die sich selbst als „Unternehmer“ bezeichnen, aber nicht bereit sind, die Arbeit auf sich zu nehmen, die für den Aufbau einer echten Firma notwendig ist. Dies ist die schwerste Aufgabe, die es im Geschäftsleben gibt. Auf diese Weise trägt man wirklich etwas bei und fügt dem Vermächtnis derer, die vor einem da waren, etwas hinzu.

Aber Obermann ist ja kein Unternehmer.

Telekom im Kreuzfeuer: Aufgabe der Netzneutralität erschwert Innovationen

Die Deutsche Telekom hat sich Ansicht Peter Piksa keinen Gefallen getan. „Im Manager Magazin gab der Telekom-Chef René Obermann nun ein Interview, in dem er sich ganz offen gegen das Prinzip der Netzneutralität aussprach und damit mal eben eine spontane Protestwelle auslöste, die so wohl niemand erwartete. Anschließend versuchte man die Wogen zu glätten, was die Sache jedoch nur noch schlimmer machte“, schreibt Piksa in seinem Blog.

Google und Apple seien laut Telekom zwei Aushängeschilder für Unternehmen, welche mit ihrem Terrabyte-großem Content die Leitungen der Telekom verstopfen. Google betreibe schließlich YouTube und Apple beliefet seine Kunden mit Musikdownloads und das alles geht halt so sehr auf die Kapazitäten, dass es jetzt halt an der Zeit ist, die Netzneutralität einzureißen und das Internet in seiner vollen Bandbreite nur noch jenen zur Verfügung zu stellen, die es sich leisten können. „Da spielt es dann auch keine Rolle mehr, dass die Telekom bereits von dem Konsumenten Geld für den Internetzugang bezieht, nein. Jetzt will man sich auch noch von Contentanbieter dafür bezahlen lassen, dass man sie mit den Usern verbindet“, so Piksa. Mark Nierwetberg von der Telekom sieht nicht die Freiheit des Internets im Zentrum der Diskussion, sondern die Frage, wie man in Zukunft Investitionen ins Netz refinanzieren könne: „Das ist die Frage, die wir uns stellen. Und wir diskutieren die. Sie bevölkern, wie sie schreiben, das Internet. Gut, das soll auch so bleiben. Andere machen im Internet Geschäfte, dabei wird Geld verdient. Wie wird in Zukunft dieses Geld verteilt, wenn immer mehr Dienste mit immer größerem Hunger auf Bandbreite ins Netz wandern? Entstehen vielleicht Geschäftsmodelle, die gesicherte Qualität – so war Sicherheit gement – verlangen? Als TV Sender zahle ich eine Einspeisegebühr für das Kabel, Netzbetreiber könnten in Zukunft eine gesicherte Qualität für TV Dienste im Netz anbieten – dürfen die dann diesen eindeutig kommerziellen Dienst bepreisen? Darf man als Netzbetreiber die Frage stellen? Wer trägt die Investitionen für den Ausbau der Netze“, fragt sich der Telekom-Mann.

Schon vor einigen Jahren startete der frühere Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke einen ähnlichen Angriff auf Google und Co.: „Diese Unternehmen sind künftig darauf angewiesen, dass wir ihnen für ihre neuen Anwendungen die erforderliche Netzqualität garantieren. Es kann nicht sein, dass nur der Kunde über das monatliche Grundentgelt für diese schöne neue Welt bezahlt. Auch alle Web-Unternehmen, die Infrastrukturen für ihr Geschäft nutzen, sollten dann ihren Beitrag leisten.“

Traditionell war das Geschäftsmodell der Telcos vertikal integriert: Von der untersten Schicht – dem Kupfer- oder Glasfaserkabel – bis hinauf zu den oberen Schichten oder Protokollebenen – der eigentlichen Übertragung von Sprach- und Datensignalen – hatten die Netzbetreiber die Kontrolle über alle technischen Ebenen der Netze und Anwendungen. Mit dem Siegeszug des Internet-Protokolls hat sich das gewandelt, da Internet-Applikationen nicht im Zentrum der Netze entstehen, sondern an deren Rändern, und auf einer höheren Schicht transportiert werden.

Experten warnen zurecht vor einer Fragmentierung des Internets durch die Eigeninteressen der Telcos. In einem offenen Netz könne jeder ein Innovator sein und die Kontrolle über die Entwicklung seiner Innovationen sein. In einem Netz, das nicht dem Ende-zu-Ende-Prinzip folge, obliegen Innovation und Kontrolle dem Netzbetreiber; damit verschlechtern sich die ökonomischen Bedingungen für Innovationen.

Wer die Netzneutralität aufgibt, opfert die Prinzipien, die das Internet erfolgreich gemacht haben. Wer sich an die Unvereinbarkeit proprietärer Netze wie dem BTX-Dienst der Deutschen Telekom erinnert, wird eine Ahnung davon haben, was uns bevorsteht, wenn sich kurzfristige Shareholder-Interessen durchsetzen sollten. Dem übergeordneten Ziel, in Deutschland mit der Förderung des breitbandigen Internets Impulse für mehr Innovation zu setzen, wäre mit einem diskriminierenden Netz jedenfalls nicht gedient.

Michael Seemann hat zu diesem Thema einen sehr interessanten Vortrag gehalten.