VATM-Studie: Zur Lage der TK-Dinosaurier – Warum Apple und Google besser sind

Gesamtumsatz der TK-Dienste bleibt stabil – Wettbewerber tätigen mehr als die Hälfte der Investitionen – Deutsche telefonieren und simsen so viel wie nie zuvor – Datenübertragungsmenge im Mobilfunk steigt um ein Drittel – Mobiles Internet treibt Non-Voice-Umsätze – Nur geringes Wachstum bei Glasfaseranschlüssen – 28,1 Millionen Breitbandanschlüsse. Mit dieser Kaskade an Superlativen bin ich heute auf der Pressekonferenz des Verbandes der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) – also fast alles was in der TK-Branche Rang und Namen hat und nicht Deutsche Telekom heißt. In einem einstündigen Vortrag (!) wurde von Professor Torsten J. Gerpott eine Studie von Dialog Consult präsentiert – sehr viel Zeit für die Fragen der Journalisten gab es nicht.

Also alles in Butter bei den TK-Anbietern? Weit gefehlt. Zieht man die semantische Rabulistik ab, stagnieren die Umsätze und in der Langzeitbetrachtung geht der TK-Markt deutlich nach unten. Man könnte auch sagen, dass die Hütte brennt.

In der Präsentation von Professor Gerpott heißt es aber, dass die Umsätze „nahezu stabil“ sind. Das gilt vielleicht im Vergleich zu 2011. Aber auch da gibt es eine negative Tendenz von 60,2 auf 60,1 Milliarden Euro. In den besten Zeiten erreichten die Telcos einen Gesamtumsatz von 68,8 Milliarden Euro. Das war in den Jahren 2005 und 2006. Scheinbar findet sich hier eine wohl nicht zufällige Parallelität zur Situation der Anbieter von Service-Rufnummern (Mehrwertdienste). Auch da geht es seit 2006 bergab. Bei der VATM-Veranstaltung wurde für die Service-Rufnummern aber nur die Umsatzprognose für 2012 vorgestellt und umjubelt.

Eine Zeitreihe wie beim TK-Gesamtumsatz ist nicht vorgestellt worden. Dann muss man eben zum Zahlenwerk des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK) in Bad Honnef greifen. Das WIK hat ja klar nachgewiesen, dass die Anbieter von Service-Rufnummern ihren Höhepunkt beim Anrufvolumen und bei den Umsätzen schon längst überschritten haben, obwohl das von vielen Experten der Call Center-Szene nach wie vor bestritten wird. Seit 2006 geht es bergab. Es gebe gravierende Veränderungen im Nutzerverhalten, die sich nachteilig für telefonische Dienste auswirken. Beim Smartphone sei das gut zu beobachten:

„Wenn die Leute ausgetestet haben, was sie damit machen können, dann kommt die Lust auf weitere Anwendungen. Das ist wie eine Spirale – es verstärkt sich immer weiter. Beim Online-Banking überprüfe ich vielleicht erst einmal nur meinen Kontostand. Wenig später folgen dann auch Überweisungen, die ich bequem über Apps vornehmen kann. So setzt sich das in anderen Anwendungsfeldern fort. Es gibt eine sehr steile Lern- und Erfahrungskurve. Der positive Effekt, wenn etwas wirklich bequem und einfach über das mobile Netz klappt, wirkt wie ein Katalysator“, so WIK-Abteilungsleiter Ralf Schäfer.

Die volle Wucht der mobilen Dienste sei noch gar nicht spürbar, weil man noch weit von einer Sättigung des Marktes mit Smartphones und Tablet-PCs entfernt sei.

„Wir befinden uns im ersten Drittel der Lebenszykluskurve. Hier werden die Verkaufszahlen in den nächsten Jahren gigantisch steigen. Schauen sie sich die Werbung von Elektronikmärkten an. Hier finden sie fast nur nach Smartphones und keine klassischen Handys mehr. Schauen sie sich die Werbung der Mobilfunk-Netzbetreiber an. Da spielt Telefonie gar keine Rolle mehr. Beispielsweise bei Vodafone. Da stehen nur noch Datentarife und Apps im Vordergrund. Das geht klar zu Lasten der Service-Rufnummern. Aber selbst die klassischen Websites geraten unter Druck, wenn ich unterwegs über Apps meine Dinge erledigen kann. Auch soziale Netzwerke lösen immer mehr die alten Kommunikationswege ab“, sagt Schäfer.

Über die App-Economy ist auf der VATM-Pressekonferenz so gut wie überhaupt nicht geredet worden. Entsprechend kritisch fielen meine Fragen aus an Dr. Christian Kühl, VATM-Präsidiumsmitglied und Chef von dtms, und Professor Gerpott.

Mit dem klassischen TK-Geschäft ist auf Dauer also kein Blumentopf zu gewinnen. Was wirklich passiert, hat Roman Friedrich von Booz &a Co. am Anfang des Jahres sehr viel klarer und deutlicher auf den Punkt gebracht. Ich verweise auf mein Blogpost „Die App-Economy wächst, aber nicht die Telefon-Dinosaurier“.

„Es gibt einen weiteren Druck auf die Umsätze. Das zeichnet sich seit einigen Jahren ab“, so Friedrich.

Die Netzbetreiber müssen schleunigst auf ihre Kunden hören, ansonsten verschwinden die Dinosaurier der Telekommunikation. Denn wer zu spät kommt, den bestrafen Apple und Google. Und bei Apple, Herr Professor Gerpott, ist es nicht nur das Hardware-Geschäft (siehe den Audio-Mitschnitt meiner Fragen). Schauen Sie sich an, wer im App-Geschäft am meisten Umsätze macht? Da finden Sie wohl fast kein VATM-Mitglied. Es sind Apple und Google.

Die TK-Konzerne selbst wollen ihre Hausaufgaben machen, um mit dem Preisdruck fertigzuwerden. Es werden mehr Dienste angeboten und trotzdem gehen die Preise zurück. Gut für die Verbraucher, schlecht für die Netzbetreiber. Kompensieren will man diese Gemengelage durch strukturelle Programme zur Kostensenkung. Gespart werden soll beim Netzbetrieb, durch das gemeinsame Betreiben von Netzen (Network-Sharing), durch Lean Management, Outsourcing und Synergien über Ländergrenzen hinweg – was bis zu Zusammenschlüssen auf internationaler Ebene geht, wie das Beispiel VimpelCom-Orascom beweist.

Wachsen wollen die Netzbetreiber in Angeboten für Geschäftskunden, in der besseren Pflege der Kundenbasis und in der Ausweitung des Portfolios, wie es sich Telefonica auf die Fahne geschrieben hat. Zudem soll es Dividenden-Versprechen statt Kurspflege geben. Ob das Ganze aufgeht, darf bezweifelt werden. Um die Gewinne vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (EBITDA) zu verbessern, wird mehr auf der Kostenseite gearbeitet und weniger an der Steigerung der Umsätze. Eine andere Option haben die TK-Dinos wohl nicht.

Wer macht die Musik im zukunftsträchtigen Mobil-Geschäft? Die Taktgeber sind auch hier Apple und Google. Von den verstaubten Telefonie-Läden ist wenig zu sehen. Das kann man jährlich auf der Mobile World erleben. Es reicht eben nicht aus, eine Digitaleinheit zu gründen, um an der Expansion der Netz-Ökonomie zu partizipieren.

Von den Netzbetreibern wird man wohl wenig sehen an Innovationen, die die Digitalisierung der Wirtschaft vorantreiben. Das ist das klassische Dilemma von Unternehmen, die ein einziges Produkt in den Markt getragen haben, um Profite einzufahren – Telefonie via Sprache. Werden die Anforderungen komplexer, wie bei der digitalen Heimvernetzung, scheitern die Telefonkonzerne. Um Neugeschäfte zu generieren, müssten diese Firmen in eine höhere Liga aufsteigen. Die Bereitschaft bei den Kunden ist da, für vernetzte Services zu bezahlen.

„Die Pläne und Erkenntnisse gibt es auch bei den Anbietern. Das bekommt man aber nicht von heute auf morgen umgesetzt“, erläutert Unternehmensberater Friedrich.

Dafür benötigt die Branche neue Köpfe und ein neues Denken. Wer zögert, wird von Apple und Google überrollt.

Auf der VATM-Veranstaltung wurde dann noch auf eine höchst bedenklich Zahl hingewiesen, die man völlig unverständlich mit der Nachfrage nach schnelleren Breitband-Anschlüssen erklärte.

Knapp 70 Prozent der DSL-Anschlüsse haben eine maximale Empfangsgeschwindigkeit von bis zu 6 Mbit pro Sekunde. Vom Ziel der Bundesregierung, bis 2014 in der Fläche auf Anschlüsse mit über 50 Mbit pro Sekunde zu kommen, sind wir meilenweit entfernt. Bislang liegt man bei 0,8 Prozent.

Gerpott betonte dann noch, dass sicherlich das Angebot eine entsprechende Nachfrage generieren würde. Richtig. Ohne Ausbau der Breitband-Infrastruktur werden sich keine neuen Geschäftsmodelle entfalten. Hier ist Industriepolitik gefragt. Das hat Friedrich auch besser auf den Punkt gebracht:

„Es gibt eine ganz starke Korrelation zwischen der Infrastruktur-Ausstattung eines Landes und dem Sozialprodukt. Hier fallen wir zurück. Im weltweiten Maßstab sinken unsere Investitionen für Festnetz, Mobilfunk und Breitbandkommunikation. Wir verschenken damit Wachstum. Das ist leider ein Ergebnis der Regulierung.“

Hier noch der rund einstündige Vortrag von Professor Gerpott als Audioaufzeichnung: