Götterliebling Hofmannsthal: „Lassen Sie mich gehen, ich halte das Opium nicht länger aus“

Hofmannsthal und Dichterfreund Borchardt
Hofmannsthal und Dichterfreund Borchardt

Das Referat meines Sohnes über Hugo von Hofmannsthal, vor ein paar Jahren für den Deutsch-Leistungskurs verfasst, ist vielleicht immer noch recht interessant – nicht nur wegen des Interviews mit dem Sohn von Rudolf Borchardt, einem nicht ganz unwichtigen Weggefährten des Wiener Dichters:

Hofmannsthal betrat die Literaten-Szene 1891 mit knapp achtzehn Jahren und wurde fast augenblicklich berühmt. Auf einer Landpartie trug der Primaner den namhaften Schriftstellern Wiens sein erstes Versdrama vor. „Wortlos“, so wurde später über den Ausgang dieser Lesung berichtet, „saßen Arthur Schnitzler und die anderen aus der Stadt Gekommenen, Männer der sicheren Feder und anhebende Meister ihres Handwerks, vor dem Knaben, der seine Blätter zusammennahm“.

„Wissen, Klarheit, Künstlerschaft“, notiert Arthur Schnitzler im März 1891 in seinem Tagebuch, „es ist unerhört in dem Alter.“ Noch im gleichen Jahr verbreitete sich der Ruhm des Knaben über Wien hinaus. In Kopenhagen staunte Georg Brandes über die Magie dieser Verse, in München machte sich Stefan George reisefertig, um dem „Zwillingsbruder“ den Dichterbund anzutragen, und in Berlin überlegte der spätere Dichterfreund Rudolf Borchardt, sein Studium abzubrechen, um einer wie Hofmannsthal zu werden. „Meine ganze Last schien mir abgenommen“, schilderte er später den Eindruck, den schon wenige Zeilen des jungen Dichters auf ihn gemacht hatten, und noch nach Jahrzehnten gestand er die „Erschütterung“ ein, die ihn seitdem nie wieder verlassen habe.

„Das Jahr der Wunder, der drei Tragödien und welcher Gedichte!“ – mit diesen Worten charakterisierte Borchardt das Jahr 1897, als der dreiundzwanzigjährige Hofmannsthal auf die Höhe seines Ruhms gelangte. Gerade war in den „Blättern für die Kunst“ eines der schönsten Gedichte Hofmannsthals erschienen, in dem sich die berühmten Zeilen finden: „Ganz vergessener Völker Müdigkeiten / Kann ich nicht abtun von meinen Lidern“. Gedicht „Terzinen über Vergänglichkeit“.

Allerdings war das Echo auf Hofmannsthal nicht nur positiv, wie Borchardt nach einem von ihm in Bonn organisierten Rezitationsabend im Jahr 1898 erfahren musste. Das Bonner Publikum lachte, murrte und drohte laut zu werden. Der Kunsthistoriker Justis Riesenleib erhob sich gar von seinem Sitzplatz und verließ lautstark die Veranstaltung mit den Worten:

„Lassen Sie mich gehen, ich halte das Opium nicht länger aus.“

Worauf sich der halbe Saal zum Gehen entschloss (nachzulesen in der Bonner Zeitung vom 24. Mai 1898 – das war einer der Hauptgründe, warum Borchardt die Uni Bonn ohne Abschluss verließ, aber dazu werde ich noch gesondert etwas schreiben, gs).

Chandos-Brief: Epochales Werk und persönliches Krisendokument

Mit fünfundzwanzig Jahren war Hofmannsthal schon zur europäischen Legende geworden, und in einem sonderbaren Übertragungsprozess erblickten manche in ihm die jugendliche Entsprechungsfigur zum gleichfalls in die Legende entrückten siebzigjährigen Kaiser.

Chandos Brief

„Fünfundzwanzig Jahre später war Hugo von Hofmannsthal ein verfallener, unglücklicher und fast vergessener Mann, ein Relikt aus unvordenklichen Zeiten und so gründlich vergangen wie die Gesellschaft, deren Wunderkind er gewesen war. Kaum noch jemand las seine Gedichte, kein Theater spielte seine Stücke, und einzig durch den Salzburger ‚Jedermann‘ haftete später sein Name noch im Gedächtnis“, so der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher.

Hofmannsthal habe nach seinem sechsundzwanzigsten Lebensjahr keine Gedichte mehr geschrieben. Der Chandos-Brief von 1902 kann also als epochales Werk für die literarische Moderne gesehen werden. So bezeichnete der Kritiker Gustav Landauer den Brief 1903 als Manifest einer neuen Dichtergeneration, die sich vom Glauben an das Wort abwende und zum „Rhythmus, zum Unsagbaren“ tendiere.

„Hofmannstahl verhalf einem Epochengefühl zum Ausdruck, das noch immer andauert. Das inhaltsleere Gerede einer kulissenhaften Öffentlichkeit, der zerfahrene, konzentrationsschwache Geisteszustand, den wir als Signum unserer Epoche betrachten, das unbehagliche Gefühl, die Welt verflüchtige sich vor unseren Augen und ließe uns mit Worten zurück, die keine Bedeutung mehr haben – all dies hat Hofmannsthal bereits vor hundert Jahren heraufziehen sehen“, erklärt der FAZ-Literaturchef Hubert Spiegel im Jahr 2002.

Der Chandos-Brief ist allerdings auch eine Wegmarke für die persönliche Befindlichkeit Hofmannsthals. Er dokumentiert die nie mehr überwundene Sprach- und Schaffenskrise; danach schreibt er Dramen, Prosastücke, einen fragmentarischen Roman, aber nie wieder Lyrik im strengen Sinne. Der Erfolg seiner Opern im Zusammenwirken mit dem Komponisten Richard Strauß und seiner Theaterstücke stellte sich erst nach dem Tod des Schriftstellers ein und wirkt bis heute.

„Zwar hat er, zählt man die nachgelassenen Verse hinzu, fast hundert Gedichte verfasst, aber zu Lebzeiten nur siebzehn – ausnahmslos bis 1900 entstandene – für überliefernswert gehalten. Die frühreife, dann plötzlich stockende und vom Leben überholte Produktivität hat Hofmannsthal über die literarische Wirkung hinaus zum wirklichen Protagonisten der zerfallenen Monarchie gemacht“, so die These von Frank Schirrmacher.

Borchardt hat den Chandos-Brief als Weggabelung zum Schlechten gewertet – zu Lebzeiten seines Dichterfreundes. Mit den dramatischen Arbeiten, die seit 1902 entstanden, konnte er sich nicht anfreunden. Borchardt sah den Brief als Krisendokument und versuchte, seinen Freund zum einstweiligen Verzicht auf jede literarische Betätigung zu überreden. Das bestätigte mir vorgestern Cornelius Borchardt, der in München lebende Sohn von Rudolf Borchardt, in einem Telefonat:

Aktualität des Chandos-Briefes

Hubert Spiegel machte deutlich, dass der Brief, den der junge Hugo von Hofmannsthal in den Briefkasten der Weltliteratur warf, seine Empfänger auch heute noch erreicht und berührt. Gilt das wirklich nur heute? An vier Zitaten möchte ich das deutlich machen, die aus unterschiedlichen Jahrhunderten stammen.

Jetzt ist die Klasse gefordert, Zeit und Autor des jeweiligen Zitates zu erraten (für die Leser ist die Auflösung in Klammern nachzulesen):

„Ich bin ein Wörterbuch von Künsten und Wissenschaften. Ein trockener Gelehrter, ein totes, künstliches System von Wissensbeständen.“ (J.G. Herder, Journal meiner Reise im Jahr 1769)

„Wir glauben etwas von den Dingen selbst zu wissen, wenn wir von Bäumen, Farben, Schnee und Blumen reden, und besitzen doch nichts als Metaphern der Dinge, die den ursprünglichen Wesenheiten ganz und gar nicht entsprechen.“ (Friedrich Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn, 1873)

„Mein Kopf kommt nicht mehr mit. Was mich angeht, so muss ich bekennen, dass ich den geistigen Anforderungen unserer Zeit nicht mehr gewachsen bin.“ (Frank Schirrmacher, Payback: Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen, 2009)

„Diese Szenarien der Wirklichkeitserfassung durch ein pathologisches Bewusstsein sind in besonderem Maße gekennzeichnet durch das Phänomen der Plötzlichkeit; in Verbindung mit der ästhetischen Kategorie des Hässlichen dient es der Intensivierung der Schrecken und ermöglicht die Darstellung epiphanieartigen (Epiphanie: Erscheinen einer Gottheit, Constantin Sohn) Aufblitzens der Wahnvorstellung allseitiger Bedrohung durch die dämonischen Kräfte des Unbewussten.“ (Thomas Delfmann, Ernst Weiß: Existenzialistisches Heldentum und Mythos des Unabwendbaren, 1989 – die Doktorarbeit des Deutschlehrers….)

Mehr Literatur gibt es am Freitag in der Bonner Südstadt, um 19:30 Uhr. Vielleicht habt Ihr ja Lust, meine Livestreaming-Lesung live zu erleben: Thomas Mann, Bertolt Brecht und die SocialTV-Bewegung. Citypension Bonn, Goethestraße 33, 53113 Bonn.

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