
“Ist der Ruf erst ruiniert, wird man irgendwann gar nicht mehr ernst genommen. In Sachen Digitalisierung ist diese Entwicklung schon seit Längerem zu beobachten: Dass Deutschland bei Online-Dienstleistungen der Verwaltung nur wenig zu bieten hat, ist offensichtlich. Seit Dezember hat das Versagen auch einen Namen: ‘Onlinezugangsgesetz’ ist sein sperriger Titel. Mit dem OZG verbindet sich das Scheitern des Staates, die deutsche Verwaltung schnell, digital und effizient zu machen. 575 Dienstleistungen sollten den Bürgern bis Ende 2022 online zur Verfügung stehen. Das Ziel wurde weiträumig verfehlt. Seitdem macht sich der Eindruck breit, die Verwaltung klebe so fest am Faxgerät wie Klimaaktivisten am Asphalt”, kommentiert FAZ-Redakteurin Corinna Budras.
Nicht nur das Faxgerät ist ein Symbol der Bräsigkeit des Staates bei der Digitalisierung. Auch mein eigener Briefkasten könnte noch Erwähnung finden. Denn der meiste Behördenkram – vom Finanzamt bis zur Rentenversicherung – läuft via Brief. Da wäre die Nutzung von Dosentelefonen schon eine gigantische Erleichterung. Intern und extern wird das nichts mit dem Digitalen Staat.
“Nachdem der Bund in den vergangenen Jahren vor allem während der Corona-Pandemie drei Milliarden Euro in die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) investiert hat, bleiben nach der derzeitigen Haushaltsplanung im Bundesinnenministerium für 2024 nur noch drei Millionen Euro übrig. Geld ist bei der Digitalisierung längst nicht alles, aber ohne Geld ist die Digitalisierung nichts”, so Budras in einem weiteren Kommentar. Sie schreibt von Zuständigkeitsproblemen, die ich vor Ewigkeiten im Tagesspiegel beschrieben habe mit der Forderung nach einem Digitalministerium. “Bundesinnenministerin Nancy Faeser, offiziell zuständig für ebenjene Verwaltungsdigitalisierung, ist vollauf mit Deutschlands Sicherheit beschäftigt, noch dazu hat sie einen milliardenschweren Tarifabschluss im öffentlichen Dienst in ihrem Haushalt zu verkraften. Sollte die SPD-Politikerin eine Leidenschaft für das digitale Amt haben, trägt sie diese jedenfalls nicht offen zur Schau”, moniert Budras. Zudem ist Faeser Spitzenkandidatin der SPD in Hessen. Da fehlt die Zeit für Wesentliches.
Der Chef des Digitalressorts, Volker Wissing, sei im Hauptberuf Verkehrsminister und hat gerade alle Hände voll zu tun, die Deutsche Bahn in einen verlässlichen Verkehrsträger zu verwandeln. “Da bleibt wenig Zeit, den Ministerkollegen auf die Finger zu hauen, wobei das ohnehin nicht seine Art ist. Der Smartphone-‘Heavyuser’ Christian Lindner, Bundesfinanzminister und zugleich Chef der Digitalpartei FDP, lässt sich gerne in konzentrierter Pose mit dem Slogan abbilden: „Digitalisierung first, Bedenken second.’ Nur Extrageld gibt es dafür nicht”, so Budras.
Wir wollen, wir werden, es gilt, es muss, wir möchten, es soll. Die Inflation der Unverbindlichkeiten in der Politik der Bundesregierung zur digitalen Agenda unter unterschiedlichen Koalitionen bewegt sich seit über 20 Jahren auf Wackelpudding-Niveau.Mangels zentraler Zuständigkeit und politischem Nachdruck wird die Digitalisierung in den verschiedensten Ministerien nur mit minimaler Sauerstoffzufuhr versorgt. Im Tagesgeschäft blockiert man sich mit Ressort-Eitelkeiten. Jeder kocht sein eigenes Süppchen. Wird sich das ändern? Nein. Und der Bundeshaushalt 2024 spricht eine deutliche Sprache: Die Relevanz von politischen Themen lässt sich abmessen an den Finanzgrößen im Haushaltsplan der Bundesregierung. Mit Etats wird Politik gemacht. Man muss die Digitalisierung gleichberechtigt an den Kabinettstisch bekommen und alle Zuständigkeiten in einem Digitalministerium bündeln, vom Bundes-CIO bis zur digitalen Infrastruktur.
Wie wenig sich ändert, sieht man bei der Bundestagsdebatte 2019 über den Haushaltsentwurf 2020. Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch hat das klarsichtig zur Sprache gebracht:
Angesichts der wirtschaftlichen Stagnation sollten wir die Schuldenbremse fünf Jahre außer Kraft setzen, wie es der Regierende Bürgermeister Kai Wegener in Berlin gefordert hat, und kräftig in Zukunftsthemen investieren.

Lesenswert dazu das Buch “Public Management im Wandel”:
Im Hinblick auf die Kompetenzen einer digitalen Verwaltung verzeichnet man zur Zeit eine doppelte Kompetenzlücke.
Zum einen fokussieren aktuelle Kompetenzmodelle für E-Government auf IT-Rollen als die für eine IT-gestützte Verwaltungsmodernisierung zuständigen Spezialisten. Unter der Bezeichnung E-Kompetenzen werden hierbei primär spezielle technikzentrierte Kenntnisse und Fähigkeiten betrachtet, wobei Methoden- und Sozialkompetenzen zur Entwicklung und Einführung technischer Lösungen inkludiert werden. Wenig Berücksichtigung finden allerdings digitale Kompetenzen, die auf Fachseite von Verwaltungsbehörden dringend benötigt werden, um unter Betonung von Innovations-, Kollaborations- und Agilitätsaspekten aktiv am fortwährenden digitalen Wandel teilzuhaben und die Digitalisierung der Verwaltung über alle Ebenen und in der gesamten Breite voranzutreiben.Zur Schließung dieser Lücke schlagen die Autoren dieses Kapitels ein erweitertes Kompetenzmodell für die digitale Verwaltung vor, welches sich als Weiterentwicklung bisheriger E-Government-Kompetenzmodelle unter Integration spezifischer Digitalisierungsaspekte versteht.
Zum anderen lässt sich in den Ergebnissen der Stellenanzeigenanalyse erkennen, dass diese digitalen Kompetenzen in aktuellen Stellenanzeigen für fachliches Verwaltungspersonal mit einer relativen Häufigkeit von unter einem Prozent so gut wie gar nicht nachgefragt werden.
Dies könnte im besten Fall mit der Verwendung ungeeigneter Fachbegriffe bei der Datenanalyse begründet sein, nach anderer Lesart aber auch darauf hindeuten, dass bei der Personalgewinnung für die öffentliche Verwaltung digitalen Kompetenzen wenig oder keine Relevanz für die Durchführung fachlicher Verwaltungsaufgaben beigemessen werden.