Kein neues Wertstoffgesetz in den nächsten Jahren – Zeit nutzen, um Bürokratiemonster zu verhindern

Deutschland ist Recyclingland – doch im Dschungel der Bürokratien und Rechtsnovellen haben selbst Experten den Überblick verloren. Gemeinsame Stelle, haushaltsnahe oder gewerbliche Anfallstelle, Schnittstelle, zentrale Stelle, Stellen für die Branchenrücknahme, Stellen für die Eigenrücknahme oder doch nur semantische Leerstellen? Darüber diskutierten wieder Abfallexperten auf der Tagung der Beratungsfirma Ascon im Kinosaal des Bonner Landesmuseums. Thema: Wertstoffkreisläufe schließen.

Seit dem Start der Gelben Tonnen und Säcke singt man das Klagelied über die umweltpolitischen Schwarzfahrer. Da gibt es Firmen, die noch nie einen Cent für die Entsorgung ihrer Verpackungen bezahlt haben und das in Zukunft wohl auch nicht tun werden.

Dass die Totalverweigerer – gerade aus dem Ausland – seit dem Start von Gelben Tonnen und Säcken am besten fahren, liegt vor allem an der fehlenden Registrierung. Diese Registrierung könnte über den Barcode erfolgen, den fast jedes Produkt und jede Verpackung trägt. Eine Kontrolle könnten bestehende staatliche Stellen übernehmen, die in anderen Anwendungsfeldern über ausreichende Erfahrungen verfügen. Beispielsweise bei der Vergabe der Steuer-ID-Nummer. Branchenkenner empfehlen mehr Geduld beim Vollzug der bestehenden Verpackungsverordnung. Selbst die kühnsten Optimisten rechnen in der laufenden Legislaturperiode des Bundestages nicht mehr mit einem neuen Wertstoffgesetz, um das bestehende Sammelsystem neu zu organisieren und auch stoffgleiche Nichtverpackungen zu erfassen.

Das bestätigte Dr. Dirk Grünhoff vom Umweltministerium in Rheinland-Pfalz. Bundesumweltminister Peter Altmaier werde wohl das Wertstoffgesetz nach dem Scheitern der Konsensgespräche in der vergangenen Woche weiter vorantreiben, aber nicht mehr mit erster Priorität. Es gebe ein Stillhalteabkommen im Bundestag wegen der Wahl im Herbst. „Ab März werden keine Gesetzesvorhaben mehr vorangetrieben, weil man der neuen Regierung nach der Wahl die Chance geben will, ihre eigenen Interessen in dieses Gesetz zu schreiben“, sagte Grünhoff auf der Ascon-Tagung in Bonn (Siehe die Audioaufzeichnung ab Sendeminute 9:17).

Wenn das in diesem Zeitraum nicht mehr auf die Tagesordnung komme, gewinnt man die nötige Zeit, um in Ruhe darüber über ein neues Wertstoffgesetz nachzudenken. Ein Bürokratiemonster mit schlechteren Regeln im Vergleich zur bestehenden Verpackungsverordnung müsse verhindert werden. Bei so sensiblen Themen sei nicht davon auszugehen, dass man es unter zwei Jahren schafft. Ascon-Geschäftsführer Sascha Schuh hält das sogar für eine optimistische Schätzung. Die neue Bundesregierung habe innenpolitisch sicherlich noch ein paar andere Felder zu beackern. Drei bis vier Jahre für ein neues Wertstoffgesetz seien realistisch.

Ein Teilnehmer aus dem Auditorium kritisierte die Motivation der Kommunen beim Vorantreiben des Wertstoffgesetzes. Es gehe der öffentlichen Hand wohl nur darum, an dem mittlerweile lukrativen Sekundärrohstoffmarkt zu partizipieren. Dieser Markt sei aber in erster Linie durch das Engagement der privaten Entsorgungswirtschaft zustande gekommen. Der Dauerstreit um Altpapier würde das belegen.

Siehe auch die Einleitung meiner heutigen The European-Kolumne: Kundendienst als Foltermethode.

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