„Datenkrake“ Google mit dem Rundfunkstaatsvertrag bändigen?

Christoph Kappes von der Agentur Fructus hat sich heute in einem FAZ-Gastbeitrag (natürlich im Feuilleton von Herrn Schirrmacher) kritisch mit der Datengier von Google auseinandergesetzt. Dabei demontiert er die irrige Vorstellung (die bei mir nie existierte), dass der Mountain View-Konzern eine Suchmaschine mit ein paar Gratisdiensten wäre. Das Geschäftsmodell von Google beruhe darauf, dass Nutzer seine Produkte akzeptieren, die entweder Werbeplätze sind oder die Effizienz der Werbung steigern. „Der Erfolg beruht dabei auf den Werbesystemen AdWords und AdSense. Mit ihnen erlöst das Unternehmen 97 Prozent seines Jahresumsatzes von knapp 24 Milliarden Dollar, indem es Anzeigen zu zwei Dritteln auf eigenen Produkten und zu einem Drittel auf Fremdprodukten plaziert: Die Suchmaschine wird erweitert (etwa um die Funktion Street View), um den Markt der lokalen Anzeigen zu erschließen. Bücher erhöhen die Abrufzahlen der Suchmaschine. Das Mobiltelefon Nexus soll zusammen mit dem Betriebssystem Android den stark wachsenden Werbemarkt auf webbasierten Smartphones erschließen, bislang die Domäne von Apples iPhone“, schreibt Kappes. Kritisch sei die Datensammlung für Nutzer eines Google-Kontos, bei dem eine Registrierung mit expliziten Daten wie Klarname und Adresse erfolgt.

Google besitze danach nicht nur diese Daten, sondern nutze sie auch, um Werbung individuell zu optimieren, indem von Nutzern erstellte Inhalte wie etwa Mails maschinell nach Indizien für Interessen durchsucht werden. Ja und? Wenn ich Textwerbung erhalte, die sich an meinen Suchabfragen oder an meinen persönlichen Interessen orientiert, ist das immer noch besser, als die dümmliche Pauschalberieselungswerbung, die mir täglich über klassische Medien an den Kopf geballert wird. In beiden Fällen sind mir diese Reklameorgien in der Regel wurscht. Wenn ich zufällig nach einer Waschmaschine oder Sportartikel suche, kann es sogar passieren, dass ich auf eine Textanzeige klicke und mir das Angebot anschaue. Wird die Google-Werbung jetzt noch intelligenter und präsentiert mir Angebote, die mich wirklich begeistern, könnte das häufiger vorkommen. Von 100 Fällen neige ich dann vielleicht ein einziges Mal dazu, einen Kauf des Angebotes in Erwägung zu ziehen.

In der Einkaufsstraße meines Wohnortes funktioniert die personalisierte Werbung nicht anders. Dort kennen einige Verkäufer meinen Namen, wissen wo ich wohne, merken sich meine Kaufgewohnheiten, greifen automatisch zu meiner bevorzugten Zigarettenmarke, packen mir ohne Rücksprache fünf Brötchen in die Tüte, weisen mich auf Sonderangebote hin, erkundigen sich nach dem Wohlergehen meiner Familie, plaudern über Urlaubserlebnisse, geben mir Produktproben und drücken mir einen Prospekt in die Hand. So etwas nennt man in der realen Wirtschaftwelt Kundenservice oder auch etwas hochgestochen One-to-One-Marketing. Als Stammkunde erwartet man ja auch einen freundlichen, vorausschauenden und perfekten Kundendienst. Sobald er über Algorithmen und intelligente Maschinen abläuft, brennen in Deutschland die Sicherungen durch.

FAZ-Gastautor Kappes befürchtet, dass die kommerziellen Interessen von Google die Unabhängigkeit der Suchmaschine in Frage stellen könnten. Eigenen Content bietet Google in der Regel ja nicht an. Der Weg zu einen redaktionellen Online-Angebot führe in bis zu dreißig Prozent der Fälle über eine Suchmaschine. „Daher sollte schon heute politisch diskutiert werden, eine neutrale und diskriminierungsfreie Suche auch medienrechtlich zu verankern“, fordert Kappes und bringt allen Ernstes den Rundfunkstaatsvertrag ins Spiel. Das Gesetz würde ja schließlich auch eine Plattformregulierung für Set-Top-Boxen und elektronische Programmführer beinhalten. „Warum also sollte man nicht auch Aggregatoren wie Google auf eine unmanipulierte Auswahl von Internetinhalten verpflichten und ihnen nur unter Auflagen erlauben, selbst im Inhaltegeschäft tätig zu werden“, fragt sich Kappes. Glaubt der Autor wirklich, dass die politischen Spielchen der Landesmedienanstalten als Hüter des Rundfunkstaatsvertrages neutral und diskriminierungsfrei ablaufen?

Hat er sich mal mit den Personen und Karrieren dieser Behördenmitarbeiter beschäftigt? Bei der Lizenzierung privater Hörfunk- und TV-Veranstalter und der Vergabe der entsprechenden Frequenzen und Kabelkapazitäten wird kräftig nach parteipolitischen Gesichtspunkten geschachert. So konnte manch ein altgedienter Parteifunktionär mit einer Hörfunk- oder TV-Lizenz eine nette zweite Karriere starten. Selbst in den Landesmedienanstalten wimmelt es von Apparatschicks, die für treue Parteidienste in öffentliche Ämter gehoben wurden (beliebt sind ja auch die staatlichen Lotterien, Verkehrsbetriebe, Wasserwerke, kommunale Wohnungsbaugesellschaften etc.). Da wird dann in der Ständigen Vertretung in Berlin beim zehnten Bier herzhaft gelacht über Gerhard oder Helmut, die man immer wieder gerne auf Parteitagen trifft und auf die Schulter klopft für die personalpolitischen Klüngeldienste.

Ich brauche diese medienpolitischen Hausmeister nicht, um zu entscheiden, was mich gut oder schlecht ist. Da zitiere ich mit großem Entzücken immer wieder den Soziologen Wolgang Sofsky: „Der Staat ist weder ein Hort der Sittlichkeit noch eine moralische Anstalt. Er hütet kein Gemeinwohl und ist auch keine Quelle väterlicher Geborgenheit. Der Staat ist eine Einrichtung zur Beherrschung der Bürger“. Die Textanzeigen von Google sind kein paternalistisches Instrument. Die Kontrollwut staatlicher Einrichtungen schränkt die Meinungsfreiheit ein, nicht Google oder Facebook. Deshalb sind die angeblichen Datenschutzsorgen der CSU-Politikerin und Ministerin Ilse Aigner so unfassbar heuchlerisch. Als Repräsentantin einer Partei des starken Staates sollte sie erst einmal vor der eigenen Türe kehren.

Am Ende seines Artikels stellt Kappes eine sehr interessante Frage: Es sei an der Zeit, nach den Ursachen zu fragen, warum heute drei Viertel der Internettechnologie aus den Vereinigten Staaten kommen, obwohl der erste programmierbare Computer von Konrad Zuse gebaute wurde. Die Antwort sollte er bei Frank Schirrmacher suchen…..

Als Moderator (nicht als Veranstalter!) der Kölner AdWords Days werde ich die Einwände von Kappes gerne aufgreifen und mit den Experten diskutieren.

Siehe auch:

Wider die Hausmeister des öffentlichen Diskurses – Zur Zeit-Debatte über das Internet.

Exkurs zur Glühbirne – Gutgemeinte Verbote und die Gefahr eines paternalistischen Staates.

Foucault, der Blogger.