
Wenn es um Zukunftsprognosen geht, versagen vor allem Wissenschaftler in schöner Regelmäßigkeit. Beispielsweise die Konjunkturforschenden bei der Analyse der Inflationstendenzen im Herbst des vergangenen Jahres.
Da war der BWLer und Logistikprofessor Peter Holm deutlich besser:
Professor Holm und der Hidden-Champion-Forscher Hermann Simon werden das in ihren Sessions auf der Digital X am 13. und 14. September vertiefen:
Verworren sieht auch die Prognostik bei der Beschäftigungswirkung von KI und Automatisierung aus.
Fast die Hälfte aller Arbeitsplätze sei durch den technischen Wandel gefährdet. Wir kennen diese verkürzte Darstellung unterschiedlicher Studien, die in den vergangenen Jahren öffentlich präsentiert wurden. Etwa die viel zitierte Studie von Osborne und Frey (2013). So sollen 47 Prozent der im Jahr 2010 in den USA ausgeübten Berufe in den nächsten zehn bis 20 Jahren von der Ersetzung durch Maschinen bedroht sein. Die Forscher bewerteten 702 Berufe nach ihrer Automatisierungswahrscheinlichkeit. Seit Veröffentlichung der Studie vor knapp zehn Jahren hat sich dieses Szenario nicht bewahrheitet.
Brzeski und Burg (2015) berechneten ebenfalls die Automatisierungswahrscheinlichkeit ganzer Berufszweige. Sie schlussfolgerten aufgrund ihrer Befunde, dass 59 Prozent der Beschäftigten in Deutschland in den kommenden zehn Jahren durch moderne Technologien ersetzt werden könnten. Analysen von Bonin, Gregory und Zierahn (2015) zeigen unter Verwendung eines berufsbasierten Ansatzes, dass 42 Prozent der aktuell ausgeübten Berufe einer hohen Automatisierungswahrscheinlichkeit von mehr als 70 Prozent unterliegen. So könnte man die “Prognosen”, die in den vergangenen Jahren vorgestellt wurden, endlos fortsetzen.
Mal abgesehen von der Unfähigkeit der Forscher, wirklich belastbare Aussagen über die Zukunft über einen Zeitraum von 12 Monaten vorzulegen, sind alle Protagonisten von der Überlegung beseelt, dass es ausschließlich um die Steigerung der Produktivität und um die Senkung von (Lohn)-Kosten geht – selbst das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Vielleicht sollten die “Forscher” mal darüber nachdenken, was erfolgreiche Unternehmer in der Vergangenheit ausmachte und Szenarien darstellen, wie es auch anders laufen könnte.
VWL-Professor Holger Bonin geht in einem Gastbeitrag für die FAZ differenzierter ran.
So gibt es die Vorstellung, dass die moderne Technik die Menschen vom Joch der Arbeit befreien wird, so dass sie mehr Zeit für Tätigkeiten aus purer Neigung oder auch Müßiggang verwenden können.
„Schon John Maynard Keynes schrieb in der Zwischenkriegszeit über die ‚ökonomischen Möglichkeiten unserer Enkelkinder‘, dass sie ihre Wochenarbeitszeit auf wenige Stunden verringern könnten – die Arbeit übernähmen die Maschinen. Der Hoffnung, dass mit der Digitalisierung eine Art Schlaraffenland entstehen könnte, stehen andererseits düstere Prognosen von einem Ende der Erwerbsarbeit gegenüber, von baldiger Massenarbeitslosigkeit und Prekarisierung großer Teile der Bevölkerung. Damit verbunden sind auch Kassandrarufe von einem Ende des traditionellen Sozialstaats, dessen Sicherungsversprechen und Finanzierung vor allem an die auf dem Markt erzielten Erwerbseinkommen anknüpfen. Ein genauer Blick auf vorhandene Daten und Erfahrungen führt jedoch eher zu der Botschaft: Wir werden auch in Zukunft arbeiten können – und müssen.“
Die Betrachtung von Frey und Osborne gehe von der Automatisierbarkeit ganzer Berufe aus. Dieser Ansatz würde aber übersehen, dass Erwerbtätige immer Bündel von unterschiedlichen Tätigkeiten ausführen, die jede für sich unterschiedlich gut automatisierbar sind. „Die Tätigkeitsprofile, die einen Beruf ausmachen, entwickeln sich mit den technologischen Möglichkeiten weiter. So ändern sich die Anforderungen an die Beschäftigten, ihr Beruf aber überlebt“, schreibt Bonin.
Eine empirische Untersuchung von Forschern des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), an der auch Bonin mitwirkte, kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland nur 12 Prozent der Jobs ein Tätigkeitsprofil mit hoher Wahrscheinlichkeit der Automatisierung aufweisen.
Dass die Automatisierung mehr neue Jobs schaffen könne als sie zerstört, zeigen die Ergebnisse einer noch unveröffentlichten Studie, an der Terry Gregory vom Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) mitwirkt. „Demnach hat der Einsatz von arbeitsparenden Maschinen in Europa in den Jahren 1999 bis 2010 alles in allem etwa 1,6 Millionen Jobs vernichtet, viele davon in der Produktion. Im gleichen Zeitraum sind jedoch durch die Automatisierung fast zweimal so viele Arbeitsplätze neu entstanden. Unter dem Strich hat Europa also durch den technologischen Fortschritt rund 1,5 Millionen Arbeitsplätze dazu gewonnen, viele davon im Bereich der Dienstleistungen. Darunter sind nicht nur einfache Jobs, wie sie etwa der Internethandel in Vertrieb und Logistik schafft. Auch anspruchsvolle Betätigungsfelder wachsen – so die Bereiche Software, Marketing und Medien“, erläutert Bonin.
Eine große Herausforderung sei es, über Weiterbildung qualifikatorische Ungleichgewichte abzubauen. Dabei werde es nicht reichen, allein auf mehr höhere Bildung zu setzen. Die Bildungsinhalte müssten stetig aktualisiert werden, damit möglichst viele Menschen neue Technik schöpferisch gestalten oder zumindest anwenden können.
Insgesamt geht es also nicht um digitalen Taylorismus. Es geht um einen grundlegenden Paradigmenwechsel im Zusammenspiel von Mensch und Maschine. Wie wird sich das Verhältnis von Mensch und Maschine neu ausbalancieren? Welche Entscheidungsbefugnisse gliedern wir an Maschinen aus und wo sind die Grenzen?
“Gerade weil Diskussionen über Zukunftsszenarien allzu oft ahistorisch geführt werden, rutschen sie nicht selten, ohne sich dessen bewusst zu werden, in überkommene Denkmuster hinein. Vielleicht besteht der beste Gewinn des Rückblicks auf die vielen Fehlprognosen der Vergangenheit darin, das Neue der Gegenwart schärfer ins Visier zu nehmen und sich von eingefahrenen Gewohnheiten der Zukunftsschau zu befreien. Dazu gehört auch, über technische Innovationen möglichst konkret zu reden”, fordert der Historiker Professor Joachim Radkau in seinem Opus “Geschichte der Zukunft”, erschienen im Hanser Verlag.
Was man aus der Science-Fiction-Literatur ableiten kann für die Entwicklung der Zukunft, diskutiere ich mit Thomas Franke, Schauspieler und Kenner der phantastischen Literatur, am Dienstag, 13. September im Brandhouse Schubkraft, Aachener Str. 21 im belgischen Viertel in Kölle.
Einen Vorgeschmack bieten wir in einem #SchubkraftTV-Talk am Mittwoch, um 11 Uhr.
Die systematische Analyse der Literatur zur Erkundung möglicher Zukunftsszenarien empfinde ich als wesentlich unterhaltsamer als die dämliche Begriffshuberei der Trendforscher, die eine Wissenschaftlichkeit imitieren, die nicht einmal in Ansätzen vorhanden ist. In Wahrheit sind diese Protagonisten nur angeberische Kompetenzsimulanten.
Siehe auch:
Projekt Cassandra – Krisenfrüherkennung durch Literaturauswertung