
Arbeiten in den eigenen vier Wänden
Dezentrale Arbeit ist in Deutschland immer noch die Ausnahme. Insgesamt arbeiteten im Jahr 2012 nach Erkenntnissen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) rund zwölf Prozent oder 4,7 Millionen der Erwerbstätigen überwiegend oder gelegentlich in den eigenen vier Wänden – etwa 800.000 weniger als noch vier Jahre zuvor, als die Zahl der Heimarbeiter ihren Höhepunkt erreichte.
“Viele Arbeitnehmer wollen gerne häufiger zu Hause arbeiten, dürfen das aber nicht. Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland deshalb bei der Heimarbeit hinterher”, berichtet die SZ über eine neue Studie, die das DIW vorgelegt hat.
In andere europäischen Ländern geht der Zug genau in die entgegen gesetzte Richtung – besonders in den skandinavischen Staaten sowie in Frankreich, Großbritannien und in den mitteleuropäischen Ländern (Schweiz, Österreich, Belgien und Luxemburg). Überdies hat in Europa der Anteil der Heimarbeiter an allen Arbeitnehmern stetig zugenommen, während er in Deutschland abgenommen hat.
„Zwar gibt es in Deutschland viele Arbeitsplätze in der Industrie, die sich für Heimarbeit nicht eignen, doch insgesamt dürfte sich die Berufsstruktur nur wenig von Ländern wie der Schweiz oder Schweden unterscheiden”, sagt DIW-Arbeitsmarktexperte Karl Brenke.
Die Politik spreche von einem Anwesenheitswahn in Deutschland. So ganz falsche liege sie damit nicht, meint Brenke.
Kadavergehorsam
In der öffentlichen Verwaltung und auch in Unternehmen gebe es wohl noch recht knochige Bürokraten, die meinen, dass man Leistung nach der aufgewendeten Zeit und nicht an den Ergebnissen messen muss. Hier liegt der Knackpunkt einer recht eigentümlichen Führungskultur in deutschen Organisationen. Da war der Militärstratege Helmuth Moltke im 19. Jahrhundert schon sehr viel weiter, wie Robert Fieten in einer FAZ-Rezension des Buches von Hans H. Hinterhuber “Führen mit strategischer Teilhabe” schreibt: Der über ein universelles Weltbild verfügende Moltke revolutionierte die militärische Führung, indem er die bis dato vorherrschende Führung nach dem ehernen Prinzip Befehl und Gehorsam (Kadavergehorsam, Anmerkung des Rezensenten) durch eine „Führung mit Direktiven“ ersetzte.
“Direktiven der militärischen Führung haben eine andere Qualität als Befehle an die nachgeordneten Führungsebenen”, so Fieten.
Es seien laut Moltke nur „leitende Gesichtspunkte“, heute würde man von Aufträgen sprechen, die als Richtschnur für die von den Mitarbeitern eigenständig zu treffenden taktischen und operativen Entscheidungen dienen:
“Getreu seinem Motto ‘Erst wägen, dann wagen’ bedeutete Strategie für von Moltke nicht mehr als die Anwendung des gesunden Menschenverstandes mit dem Ziel, stets vorbereitet zu sein. Er erkannte ganz im Gegensatz zu Napoleon Bonaparte als Erster die Grenzen der zentralen Führung von oben, die im Übrigen ein gerüttelt Maß an Misstrauen gegenüber den Unterführern beinhalte. In dem chaotischen Umfeld einer kriegerischen Auseinandersetzung sei bei einer solchen Führung der Weg in die Niederlage vorprogrammiert – eine Erfahrung, die auch der berühmte Korse machen musste”, so Fieten.
Bei mobilen und dezentralen Arbeitsplätzen geht es um eine Vertrauenskultur, die sich von Befehl-und-Gehorsam-Schleifen löst- Insofern sollten die Unternehmen ihre Grundsätze im Personalmanagement weniger an konventionellen Modellen orientieren. Mit der Standort-Unabhängigkeit erschließt man Talente, auf die man mit stationären Organisations-Konzepten bislang keinen Zugriff hatte. Mit räumlich verteilter Arbeit steigt die Attraktivität des Arbeitgebers. Gerade wenn es um die Rekrutierung von jungen Talenten geht, dominieren vielfach Wünsche nach selbstbestimmter Arbeit in virtuellen Teams.
Es gibt nach Ansicht des Buchautors Hinterhuber zahlreiche Gründe, warum in den meisten Unternehmen eine Lücke zwischen Umsetzung und angestrebten Ergebnissen besteht – und das gilt für zentrale und dezentrale Organisationsformen: Der Handlungsspielraum der Mitarbeiter werde durch Vorschriften, Regelungen und Genehmigungen so eingeschränkt, dass sie an Ort und Stelle wenig bewegen können.
“Will das Unternehmen anpassungsfähig und innovativ sein, brauchen die Mitarbeiter Freiheitsspielräume…”
Je komplexer Organisationen werden, desto weniger eignen sich Anordnungen und Kontrollen von “oben”. Führung gelingt nur über die Kunst des Teilens, resümiert Hinterhuber. Mitarbeiter, die unabhängig von ihrem Standort in der Computerwolke arbeiten können, sind in Deutschland leider noch eine Minderheit. Der mangelhafte Breitbandausbau kommt als technologische Hürde zum veralteten Denken der Arbeitgeber hinzu.
Hat dies auf Netzstrategien für die Wirtschaft rebloggt.