Big Data-Navigatoren: Neue Königsdisziplin auf dem IT-Arbeitsmarkt? Universell qualifizierte Analysten nur schwer zu finden

Das Netz

Ein Ende der Zukunft bescheren die Big Data-Systeme nicht. Die Verheißungen von der Berechenbarkeit der Welt sind wohl eher ein „Big Irrtum“:

„Menschliche Empfehlungen schlagen jeden Algorithmus“, so das Credo von Etsy-Managerin Kruti Patel Goyal.

Dennoch entfaltet sich mit der Datenwissenschaft eine neue Disziplin, um Navigatoren auszubilden, die mit der Flut von Bits und Bytes umgehen können. Es geht dabei nicht um Betätigungsfelder für Schnüffel-Programme und Geheimdienste, sondern um Anwendungsfelder in Medien, Verbänden und Unternehmen.

Bei freiberuflichen Big Data-Spezialisten ist die Nachfrage in Deutschland noch überschaubar, so die Erfahrung des Personalexperten Maximilian Nobis vom IT-Beratungshaus Harvey Nash.

„In den vergangenen Monaten hatten wir eine einzige Anfrage.“

Wenn man die einzelnen Themen betrachtet, die sich hinter dem Hype um Big Data verbergen, sieht es auf dem Kandidatenmarkt anders aus. Stichworte sind Data Warehouse, Business Intelligence, Dokumenten-Management oder soziale Netzwerke.

„Bei der Auswertung von großen Datenmengen steigt die Nachfrage auf dem Personalmarkt schon seit einigen Jahren. Es geht um Analysten für Geschäftsführung, Vertrieb, Marketing, Kundenservice, Kommunikation oder Finanzen. Hier sind wir dauerhaft auf der Suche nach qualifizierten Kandidaten“, bestätigt Nobis.

Denn es sei schwierig, die technische Expertise mit den fachlichen Anforderungen zu kombinieren:

„Zudem ist ein Typus gefragt, der die Ergebnisse auch gut präsentieren kann.“

Daten-Analysten müssten sich darüber hinaus mit den Produkten der Anbieter auskennen – also mit den Programmen von Firmen wie Microsoft, Oracle oder SAP.

„Eine große Herausforderung für die Fachkräfte ist der Umgang mit richtig großen Datenmengen, die weit über die Datenbanken von Organisationen hinausgehen“, erläutert Nobis.

Den universell ausgerichteten Big Data-Analysten werde man wohl auch in den nächsten Jahren nicht finden. Es gehe eher um Fähigkeiten, in interdisziplinären Teams arbeiten zu können und sich auszutauschen.

„Alles andere ist utopisch. Eine Person wird niemals alle geforderten Qualifikationen mitbringen können“, resümiert der Harvey Nash-Manager.

Big Data ist also wohl eher eine Klammer für unterschiedliche Einsätze. Die Marktforscher von Gartner erwarten in diesem Umfeld bis zum Jahr 2015 weltweit rund vier Millionen neue offene Stellen. Nur rund ein Drittel könne mit qualifizierten Kandidaten besetzt werden. Für den Big Data-Nachwuchs eine höchst erfreuliche Botschaft.

Big Data will ich weiter im Auge behalten. Wer seine Expertise in einem Hangout-Interview zum Ausdruck bringen möchte, ist herzlich eingeladen. Einfach eine Mail schicken an: gunnareriksohn@gmail.com

Offshore-Leaks: Wer sind die Hintermänner der Firmenjäger?

Steueroasen

Kein Angst. Ich will nicht auf die Tränendrüse drücken und irgendwelche Briefkastenfirmen in Schutz nehmen. Das Gegenteil ist der Fall. Kürzlich beschäftigte ich mich zum wiederholten Mal mit den Praktiken der so genannten “Schattenbanken” – vor allem Hedgefonds und die firmenfressenden Private Equity-Schmarotzer. Und die sind bislang in der Öffentlichkeit bislang relativ ungeschoren davon gekommen. Dabei könnte man das Heuschreckentum relativ gut recherchieren und an die Öffentlichkeit bringen. Wäre eine schöne Aufgabe für die Datenjournalisten, die jetzt auf das Offshore-Leaks-Material zugreifen können.

Hier noch einmal Erläuterungen zu den Geschäftspraktiken der Firmenjäger.

Zunächst gründen die „Käufer“ eine neue Gesellschaft. Die nimmt ein Darlehen auf und erwirbt damit ein bislang rentabel arbeitendes Unternehmen. Anschließend werden beide Gesellschaften miteinander verschmolzen. Die Darlehensschulden liegen nun beim aufgekauften Unternehmen. Dann wird das ganze Konglomerat in eine GmbH umgewandelt – wegen der geringeren Veröffentlichungspflichten.

Kleines Beispiel aus Deutschland mit dem amerikanischen Private Equity-Giganten KKR und dem Grünen Punkt als Hauptakteure: Der Kauf des Grünen Punktes war nach Berichten des Manager Magazins vor rund acht Jahren für KKR ein echtes Schnäppchen:

„Von den 260 Millionen Euro Kaufpreis stammen nur rund 100 Millionen tatsächlich aus dem Geld von KKR-Investoren. Bei den übrigen 160 Millionen handelt es sich um Bankkredite, die KKR über eine Tochter namens Deutsche Umwelt Investment AG (DUI) aufgenommen hat. Rückwirkend zum 1. Januar 2005 hat KKR die Deutsche Umwelt Investment AG mit der DSD AG verschmolzen. Auf diese Weise erbt das DSD die 160 Millionen Euro Bankschulden und KKR entledigt sich eine Großteils seines Investitionsrisikos – ein beliebter Kniff in der Private-Equity-Branche.“

Eine Tochterfirma der KKR, die Deutsche Umwelt Investment AG (DUI) habe nämlich Bankkredite über 160 Millionen Euro des Kaufpreises von 260 Millionen aufgenommen. Mit der Verschmelzung von DSD und DUI habe das DSD die 160 Millionen Bankschulden dann geerbt. Und Substanz war aber beim Grünen Punkt reichlich vorhanden: Der Müllsammler wies für das Geschäftsjahr 2003 einen Umsatz von 1,696 Milliarden Euro aus. Die Bilanzsumme betrug 1,146 Milliarden Euro. Auf der Aktiv-Seite standen finanzielle Mittel, Wertpapiere des Anlagevermögens, sonstige Wertpapiere, Kassenbestand und Guthaben bei Banken in Höhe von insgesamt 836 Millionen Euro.

Soweit der KKR-DSD-Deal. In der Regel wird beim Geschäft der Firmenjäger das liquide Vermögen bis zur Grenze des rechtlich Zulässigen an die neuen Gesellschafter ausgezahlt – so etwas nennt man in Branchenkreise “Recap”. Das übernommene Unternehmen wird also nach dem Wieselprinzip wie ein Ei ausgesaugt und danach an einen weiteren Finanzinvestor weitergereicht, der die Reste aufsammelt und verscherbelt. Neudeutsch bezeichnet man das als “secondary buyout”.

Und jetzt sollte die Recherche in der Offshore-Leaks-Datenbank beginnen.

Private Equity-Gesellschaften wie KKR beschaffen sich für die Firmenjagd Kapital von institutionellen Investoren, immer häufiger aber von sogenannten HNWI (High Net Worth Individuals), also vermögenden Individuen – Firmeninhaber, Firmenerben, Vermögensverwalter, Topmanager, Anwaltskanzleien mit verfügbaren Anlagesummen ab fünf Millionen US-Dollar aufwärts. Nach Auffassung des Kölner Journalisten Werner Rügemer brauche das radikale Vorgehen von KKR Verbündete innerhalb des übernommenen Unternehmens – oder im Umkreis. Die „Anleger“ sind also entweder Einzelpersonen – teilweise aus dem Dunstkreis des übernommenen Unternehmens – oder Institutionen.

Und die zeichnen die Private Equity-Fonds sehr häufig auf den Cayman Islands.

Für diese halbseidenen Geschäfte müssen die “Investoren” weniger Formulare ausfüllen als bei der Führerscheinprüfung in Deutschland. Die Namen der Aas-Geier werden natürlich nicht preisgegeben. Mit den Offshore-Leaks-Daten könnte sich das jetzt ändern 🙂

„Es darf nicht sein, dass Fonds, die auf den Cayman-Inseln registriert sind und so gut wie keine Informationen über ihre Eigentümer oder ihre Geschäftspraktiken herausrücken, zentralen Einfluss darauf nehmen können, wie große und größte Unternehmungen in Deutschland und in anderen Industriestaaten geführt werden”, kritisiert der ehemalige Deutsche-Börse-Chef Werner Seifert.

Am Beispiel des KKR-DSD-Deals endeten meine Recherchen in Luxemburg – auf den Cayman-Inseln hätte ich wohl nur an verschlossenen Türen der Fondsgesellschaften mit schönen Fantasie-Namen rütteln können. Mit den folgenden Informationen könnte man aber weitere Recherchen vornehmen.

Die KKR-Tochter Deutsche Umwelt Investment AG in Düsseldorf hatte zwar formal die Übernahme des DSD vollzogen. Hinter der DUI stand wiederum eine Beteiligungsgesellschaft, die sämtliche Aktien übernommen hatte: die Blade Lux Holding Two S. mit Sitz in Luxemburg. Dahinter befand sich wiederum die Blade MEP Beteiligungs GmbH. Geschäftszweck:

„Gegenstand des Unternehmens: Erwerb, Halten und Verwalten sowie Veräußerung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, an denen die Blade Lux Holding One S. .r.l mit Sitz in Luxemburg, und/oder die Blade Lux Holding Two S. .r.l, mit Sitz in Luxemburg, unmittelbar oder mittelbar beteiligt sind, sowie an Personengesellschaften, die Beteiligungen an solchen Kapitalgesellschaften halten im Zusammenhang mit der Beteiligung von Organmitgliedern, Führungskräften und Mitarbeitern verschiedener Unternehmen der Blade-Gruppe an solchen Gesellschaften; die Blade-Gruppe umfasst die Gesellschaften, die unmittelbar oder mittelbar von der Blade Lux Holding One S. .r.l mit Sitz in Luxemburg, abhängig sind. Die Gesellschaft betreibt keine Geschäfte, für die eine gesetzliche Erlaubnispflicht besteht“, so lautete der Eintrag im Handelsregister.

Ganz so prominente Namen wie Gunter Sachs werden bei der Datenbank-Suche vielleicht nicht auftauchen. Aber man könnte ja mal Namen eingeben aus dem Umfeld des mittlerweile verstorbenen Metro-Gründers. Und mir würden noch ein paar Personen einfallen…..

Oder einfach mal diesen ARD-Filmausschnitt so ab der fünften Minute anschauen:

Siehe auch:

Zwar keine Firmenjäger, aber auch recht prominent: Apple, Google & Co: Die Offshore-Tricks der Online-Giganten.

Wie Computer-Forensik das Offshore-System entschlüsselte.

Scheiße im Blogger-Vorgarten, Lecks in Leakingsystemen, fleißige Social Media-Aktivisten und die Chancen des Datenjournalismus #djv_bo

http://twitter.com/#!/homofaber/status/114976991538720768

Hier meine kompakte Rückschau auf den Besser Online-Kongress des DJV in Bonn. Es war in der Tat so, dass man einige Twitter-Follower sofort erkannt hat. Die politisch brisanteste Diskussionsrunde lief nach der Mittagspause mit Daniel Domscheit-Berg, David Schraven von „Der Westen“ und Albrecht Ude. Thema „Wikileaks“. Behandelt wurden die spannenden Fragen, wie sicher die Leaktingsysteme sind, wie man die Anonymität der Informanten sicherstellt, welche technischen Systeme sich durchsetzen werden und warum es bei Wikileaks zum Daten-Leck kam. Hier ein paar Videoausschnitte:

Die Blogger-Runde zum Thema „Selbstvermarktung und Social Media“: Don Dahlmann (dondahlmann.de), Richard Gutjahr (gutjahr.biz), Heike Scholz (mobile-zeitgeist.com), Peter Jebsen (Moderator), Kixka Nebraska (profilagentin.com) und Christian Jakubetz (jokblog.de) sprachen über ihre Erfahrungen zur Gewinnung von Popularität im Netz. Wichtige Faktoren für Aufmerksamkeit: Content, technische Fertigkeiten, Ballhöhe in Fragen der Social Media-Tools, Bereitschaft zur „Rampensau-Inszenierung“, Timing, Schnelligkeit, Frequenz der Blogpostings (Heike Scholz hält mindestens drei Postings pro Woche für erforderlich), Netzwerkeffekte auslösen, in Vorlage treten ohne direkte Gegenrechnungen aufzumachen und ein paar andere Dinge.

Das beste Panel hätte ich beinahe überhaupt nicht mitbekommen. Parallel lief ein Workshop über Online-Publishing, der sich leider dann nicht als Workshop erwies. Da wurde eher über Verlagsstrategien für Apps etc. gesprochen.

Nach einer halben Stunde bin ich dann zum Panel „Datenjournalismus“ übergelaufen: Mit Christina Elmer (dpa.com), Johannes Gernert (taz), Lorenz Matzat (datenjournalist.de), Matthias Spielkamp (iRights.info) und dem Moderator Peter Welchering Oliver Havlat.

http://twitter.com/#!/gsohn/status/115016169093730304

Die Experten vermittelten eine Menge Tipps, beleuchteten die Schwächen der Journalistenausbildung im Umgang mit Daten und stellten dar, welche Chancen im Datenjournalismus stecken für Primär-Recherchen und Storys, mit denen man sich von der Konkurrenz abheben kann. Audio-Mitschnitt leider unvollständig, da ich die ersten 30 Minuten nicht da war.

Im Abschlussplenum traf wohl Stefan Plöchinger von sueddeutsche.de den Nerv der Netzgemeinde.

http://twitter.com/#!/gsohn/status/115096344665931776

Das musste ich direkt in meiner The European-Montagskolumne aufgreifen:

Warum man auf Blogger nicht scheißen sollte: Wenn Twitter im Alltag der Journalisten unbekannt ist, dann nehmen sie die Wirklichkeit nicht mehr wahr. Zeit für die Medien, sich selbst weniger wichtig zu nehmen und das Internet zu verstehen….

„Junge Leute, die zur Journalistenschule kommen, sind nicht per se bei Twitter oder Facebook. Ich wundere mich, wie wenig die sozialen Netzwerke in den Arbeitsalltag integriert werden. Das gilt vor allem für Twitter. Als journalistisches Medium ist es unbekannt. Facebook ist für alle selbstverständlich – aber eher für die private Nutzung“, erklärte Matthias Spielkamp von iRights.info im Abschlussplenum von „Besser Online“. Der deutsche Journalismus im Umgang mit den neuen Medien sei noch sehr unterentwickelt, kritisierte Stefan Plöchinger von sueddeutsche.de. Das Selbstbildnis vom allwissenden Journalisten habe sich durch die Social-Media-Ausdrucksformen in angelsächsischen Ländern schon sehr gut reduziert. Hier gebe es sehr interessante und kluge Ansätze für einen kuratierenden und moderierenden Charakter des Journalismus. „Es ist erstaunlich, dass wir das im Jahr 2011 in Deutschland noch nicht entdeckt haben. Wir reden über neue Kulturtechniken, die Journalisten erlernen müssen. Wir befinden uns in einem Ökosystem, das sich permanent ändert. Ich bekomme einen kalten Schauer, wenn ich in der Klasse einer Journalistenschule stehe und nach den Berufswünschen frage“, so Plöchinger. Die Hälfte wolle nicht digital arbeiten, sondern eher das berühmte Stück auf Seite drei schreiben. „Die haben aber noch 40 Jahre vor sich. Das wird nicht mehr passieren. Man wird digital arbeiten. Man wird sich damit auseinandersetzen müssen.“

Als Einstieg in das Abschlussplenum gab es eine kleine Liveschaltung zu Jeff Jarvis:

Fotos vom Besser Online-Kongress auf Facebook.

Hoffe, ich war fleißig genug in meiner Doku über den DJV-Kongress.

Unheilige Allianz gegen einen neuen Journalismus

In einem lesenswerten Gastbeitrag erläutert Andrea Kamphuis, warum sie nach der Verabschiedung des Urheberrechtspositionspapiers aus ver.di ausgetreten ist:

„Jeder Schöpfer nutzt die Werke anderer, und insofern schadet jede Ausgestaltung des Urheberrechts oder der aus diesem abgeleiteten Schutzrechte, die den Zugriff auf Werke über das notwendige Mindestmaß hinaus beschneidet, potenziell der Erschaffung neuer Werke und dem Dialog zwischen den Werken bzw. ihren Autoren, gemeinhin Kultur genannt. Mir fällt auf, dass der Ausdruck ‚copy and paste’ fast immer negativ besetzt ist – auch im Positionspapier-Entwurf … Dabei ist ‚copy and paste’ auch ein unentbehrliches Werkzeug zur Qualitätssicherung/Fehlervermeidung, ohne das ich meine Übersetzungen und Lektorate nicht im Sinne meiner Auftraggeber erledigen könnte … Ein Urheber, der in diesem Sinne kopiert, trägt nicht zum Untergang des Abendlandes bei und bringt weder seine Geringschätzung anderer Urheber noch eine Freibiermentalität zum Ausdruck, er verrät auch nicht die Werte der Aufklärung, sondern nimmt seinen – auch gesellschaftlichen – Auftrag ernst.“

Dirk von Gehlen hatte vorher in der Süddeutschen Zeitung Verdi demontiert:

Im Positionspapier werde angeregt, „Instrumente zu finden, die es ermöglichen, dass beim Aufruf einer Seite mit illegalen Angeboten ohne Registrierung der Nutzer/innen-IP auf dem Monitor eine – von dazu legitimierten Institutionen vorgeschaltete – Information über die Rechtswidrigkeit des Angebots und dessen Nutzung erscheint.“

Das klinge vor allem wegen seiner einschränkenden Sprache vorsichtig abwägend, birgt aber große politische Sprengkraft. „Denn vergleichbare Warnschilder tauchten zuletzt in der sogenannten Zensursula-Debatte auf, als die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen, mittels einer Sperrtechnologie gegen Kinderpornographie vorgehen wollte. Kritiker hielten ihr damals vor, damit mindestens billigend eine Infrastruktur aufzubauen, die geeignet ist, Zensur- und Überwachung auch in anderen Fällen zu befördern. Unter dem Slogan ‚Löschen statt Sperren‘ setzte sich die digitale Zivilgesellschaft im Jahr 2009 stattdessen dafür ein, konsequente Löschungen zu forcieren und dafür die demokratischen Grundlagen des Internet nicht in Frage zu stellen“, schreibt von Gehlen.

Allein die Tatsache, dass Verdi den Verstoß gegen Urheberrechte in einen Kontext mit der Debatte um Kinderpornographie bringe, verhöhnt die Opfer und wirft ein fragwürdiges Licht auf die Gewerkschaft. Bei der gesamten höchst fragwürdigen Debatte müsse man anerkennen, dass das digitale Kopieren für viele Menschen zu einem selbstverständlichen Bestandteil ihres Alltags geworden ist, der sich kaum vom Hören eines Lieds im Radio unterscheidet. Dabei habe niemand das Gefühl, einen Raub oder Diebstahl zu begehen.

Der Schriftsteller Walter Kempowski hätte mit dem Leistungsschutzrecht sein Collage-Opus „Echolot“ nie erstellen können. Diese unheilige Allianz aus Verdi, Döpfner und Co. steht nach meiner Ansicht auch einer neuen Form des Journalismus entgegen. Marcus Bösch hat die notwendige Überwindung des tradierten Journalismus sehr gut beschrieben: „Disruptive Storytelling plus 6 neue W“.

Innovation entstehe nicht durch das Kopieren oder Verbessern bereits vorhandener Ansätze. Daraus leiten sich die sechs neuen journalistischen W’s ab:
Wer – hat dazu bereits Sinnvolles gesagt, gesammelt, gefilmt oder geschrieben?
Wie – kann ich aus der Flut der Daten Sinn und Bedeutung extrahieren?
Was – ist der Mehrwert meiner Geschichte?
Wann – wird mein Nutzer das Stück lesen, hören, sehen? Auf welchem Gerät und in welchem Nutzungsszenario?
Wo – in meinem Werk ist der SLAT (Shit look at that) – Moment der meinen Nutzer fesselt?
Warum – sollte irgendjemand da draussen im Netz mein journalistisches Werk beachten?

Wenn man das über einen neuen Abmahn-Terror erstickt, ähnlich wie es „erfolglos“ die Musikindustrie praktizierte und immer noch praktiziert, werden wir im digitalen Journalismus in Deutschland zurückfallen im Vergleich zu Ländern, die wesentlich liberaler mit dem so genannten geistigen Eigentum umgehen.