
Die Französische Revolution habe Europas Geschichte geprägt wie kaum ein anderes Ereignis. Das schreiben Winfried Felser und Thomas Sattelberger in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt. “Heute stehen wir an einem ähnlichen Punkt wie damals: vor dem Übergang zu einer postindustriellen Ordnung. Auch unsere Gesellschaft weist verblüffende Parallelen zur damaligen feudalen Ständegesellschaft auf. Emmanuel Joseph Sieyès, einer der Haupttheoretiker der Französischen Revolution, hat 1789 gefragt: ‘Was ist der dritte Stand?’ Zu Sieyès’ Hoffnungsträgern zählten damals vom Großbürgertum über Handwerkerschaft und Bauernstand bis zu den städtischen Unterschichten alle, die nicht zu den ersten beiden Ständen gehörten, also rund 98 Prozent der Bevölkerung. 500.000 Klerikern und Aristokraten standen 25 Millionen Drittständler gegenüber”, so die Autoren. Und sie schreiben weiter:
“Ins Wanken geriet die vorrevolutionäre Ständeherrschaft, weil ihr die Teilhabe- und Zukunftsfähigkeit fehlte, sie Privilegien und Besitzstand frönte und Koalitionen mit Teilen des dritten Stands kaum aufblühten. Ähnlich wie heute. Die Eliten der Republik spüren zwar den transformatorischen Druck, angeheizt durch Klimawandel, Pandemie und die russische Zerstörung der europäischen Friedensordnung.”
Drei Stände verorten Felser und Sattelberger auch heute: Die Abschöpfenden, die Verwaltenden und die Bedeutungslosen.
“Im Unterschied zum Ständekampf der Französischen Revolution und zum Klassenkampf sozialistischer Revolutionen könnten heute “Bedeutungslose” und Fortschrittliche der beiden anderen Stände miteinander koalieren und gemeinsam quasi den vierten Stand der Ko-Kreativen bilden. Dazu braucht es neuartige Bündnisse: Bisher abschöpfende Multimillionäre, erst recht Milliardäre, müssen sich in unternehmerischen Verantwortungsallianzen mit der neuen Gründergeneration und zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammenfinden. Statt industrielles Vermögen zu vermehren oder Fonds- und Immobilienvermögen verwalterisch zu kumulieren, müssen sie – wie in vielen Valleys dieser Welt üblich – immer wieder Neu-Investoren werden.”
Ich möchte dem Auftritt der beiden Revolutionsdenker auf der Zukunft Personal Europe am 13. September nicht vorgreifen.
Zum Thema Machteliten-Hacking und dergleichen habe ich ja einiges geschrieben. Da besteht überhaupt kein Widerspruch. Nur die geschichtliche Analogie zur französischen Revolution finde ich ein wenig schräg.
Was mit dem Sturm auf die Bastille begann, endete im Terrorregime der Jakobiner und führte letztlich zur Machtergreifung von Napoleon mit den bekannten kriegerischen Folgen für Europa. Letztlich offenbarte der napoleonische Expansionswille auch die Schwachstellen des europäischen Staatensystems. Und hier spielte dann eben in Preußen die Musik mit den Stein-Hardenbergschen Reformen und den wirtschaftspolitischen Akzente, die beispielsweise zum Technologie-Boom in Berlin führten. Stichwort Heinrich von Stephan.
Die wirtschaftspolitische Bilanz in Folge der Bastille-Erstürmung ist mager, wenn man sich die Entwicklung im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts anschaut. So lag die Arbeitslosigkeit zwischen 1871 und 1914 in Deutschland bei 1 bis 2 Prozent. In Frankreich bei 6 bis 10 Prozent. Das Volksvermögen 1912 betrug in Deutschland 290 Milliarden Goldmark, Frankreich kam auf 240 Milliarden Goldmark. Die Zahl der Telephone lag in Deutschland 1910 bei 1.076.000, in Frankreich bei 14.616. Hier war Berlin das Silicon Valley der Telekommunikation. Auf ichsagmal.com einfach den Suchbegriff “Heinrich von Stephan” eingeben. Steuerbelastung pro Kopf: Deutschland 35 Mark, Frankreich 66 Mark.
Ähnlich sieht es bei der Erzeugung von Roheisen und Eisenerzen aus, beim Außenhandel, in der Spielwarenindustrie, bei Sparguthaben, bei der Erzeugung von Elektrizität und dergleichen.
Entscheidend war dabei die Rolle des Staates: Etwa bei der Reform der Verwaltung, des Finanzwesens und der Gewerbeordnung, die in Preußen in Gang gesetzt wurden.
Generell sei die staatliche Wirtschaftsförderung wichtig gewesen, so Philipp Robinson Rössner in seinen Opus “Wirtschaftsgeschichte neu denken”: Etwa bei der Gewerbe- und Industrieförderung, der Qualitätssicherung von Industrie- und Gewerbeprodukten, der Bereitstellung öffentlicher Güter und Infrastruktur bis hin zur gezielten Importsubstitution und infant industry protection, die bis heute in weniger entwickelten und Schwellenländern bisweilen erfolgreich angewandt wird. “Das im 9. Kapitel bereits geschilderte Beispiel Englands im 18. Jahrhundert ist ebenso ein Exempel positiver Staatsintervention wie die Industrialisierung Preußens und vieler anderer deutscher Staaten im 19. Jahrhundert, wo der Staat und die Regierungen vor allem im Eisenbahnwesen (öffentliche Infrastruktur), bei der chemischen und Hochindustrie oder im Bankenwesen durch kontrollierte Eingriffe z. B. bei der Zollpolitik oder im Handels- und Bankenrecht (Bürgerliches Gesetzbuch) ohne Zweifel positive, d. h. in der Zielsetzung wie auch im Resultat wirtschaftsfördernde Akzente setzten.”

Das wird dem Schubkraft-Team der Telekom sehr gefallen und sicherlich die Diskussion auf der Zukunft Personal am 13. September in der Executive Lounge beflügeln.
