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Horst Köhler und die Kunst der freien Rede

Der Rücktritt von Horst Köhler vom Amt des Bundespräsidenten ist bezeichnend für die mittelmäßige Eloquenz des politischen Führungspersonals. In der Regel wird bei öffentlichen Auftritten kaum noch die Kunst der freien Rede praktiziert. Bundestagsdebatten, Jahrestage oder Interviews mit Printmedien laufen ritualisiert ab. Rhetoren sind rar gesät. Im Bundestagsplenum gibt es keine spannenden Redeschlachten mehr, wie man sie zwischen Helmut Schmidt, Rainer Barzel, Herbert Wehner oder Franz-Josef Strauß erlebt hat. Da werden vorbereitete Manuskripte runtergestottert. Interviews mit Zeitungen oder Zeitschriften werden nachträglich “autorisiert” – also glattgebügelt bis nur noch ein aseptisches Funktionärs-Geblubber übrig bleibt (am schlimmsten sind allerdings die Powerpoint-Reden der “Wirtschaftselite”).

Bei elektronischen Medien funktioniert das häufig nicht. Und genau da ist Köhler ausgerutscht, weil er nicht das sagte was er eigentlich meinte. Kriegseinsätze zur Wahrung der deutschen Wirtschaftsinteressen hat er in dem Radiointerview nicht gemeint – das konnten wir ja nicht ahnen. Wenn es um kritische Themen geht, sind Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft wohl nicht mehr in der Lage, sich in Live-Situationen klar und verständlich auszudrücken – da steht eben kein Team von Redenschreibern und Pressereferenten zur Verfügung, um wieder auf das Phrasen-Niveau von Aussagen zu kommen wie “zum Friedenseinsatz gibt es keine Alternative” oder “in Afghanistan stehen wir an der Seite unserer Soldaten” oder “für den Weltfrieden ist internationale Solidarität gefragt” oder “es darf keine Alleingänge geben” oder “wir werden das mit unseren NATO-Partnern ausführlich abstimmen” oder “es ist jetzt nicht die Zeit, diesen Militäreinsatz in Frage zu stellen” oder, oder, oder…..

Der Rücktritt von Köhler ist schwach. Seine Rechtfertigung noch schwächer. Seine abgelesenen Reden als Bundespräsident – nicht der Rede wert.

Siehe auch:
PowerPoint-Schaumschläger und die Qualen der Zuhörer.

Köhler, Sie Horst!

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

5 Kommentare zu "Horst Köhler und die Kunst der freien Rede"

  1. In der WDR-2-Sendung Arena http://www.wdr.de/radio/wdr2/arena/560441.phtml haben Heribert Schwan, Autor und Publizist, sowie Dr. Gerd Depenbrock, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, meine Thesen zur mangelnden Wortmächtigkeit des Ex-Bundespräsidenten bestätigt. Selbst seine kurze Rücktrittsrede konnte er nicht frei vortragen, wo es doch um eine persönlich höchst gravierende Entscheidung ging. Mit Köhler verlässt ein Teleprompter-Präsident sein Amt, der nicht in der Lage war, die wenigen Mittel eines Bundespräsidenten effektvoll einzusetzen.

  2. Da hat einer in einem kaum nachvollziehbaren Bandwurmsatz etwas gesagt. Etwas, was man auch nach 3 x Lesen (geschweige denn einmal Zuhören) nicht 100% verstehen muss. Und fühlt sich dann persönlich angegriffen, wenn der Eine oder Andere sich ein eigenes Bild seiner Aussage macht. Ob zutreffend oder nicht interpretiert wurde, ist da erst mal nebensächlich. Was man nicht versteht, interpretiert man eben.
    Es gibt ja den alten Satz “Wer die Hitze nicht verträgt..”. Das unsere obersten Politiker nun so empfindlich werden, ist schon merkwürdig. Da gibt’s in Berlin ja noch ein paar herausragende Beispiele.

  3. Das hast Du wirklich treffend formuliert, Holger!!!!!

  4. Im Kontext von Horst Köhlers — zu Recht — umstrittenem Rücktritt die Themenfront „mangelnde Rhetorik” aufzumachen finde ich (vorsichtig formuliert) etwas am Thema vorbei.

    Um das zu verdeutlichen ein kurzer Exkurs zum Original.Zitat seines umstrittenen Interviews —> http://snipurl.com/wyqcy:

    „… Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern. Alles das soll diskutiert werden, und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg. …”

    Noch mal für die Schnellleser, die diesen Satz nicht kapieren: “ZUM BEISPIEL freie Handelswege … ZUM BEISPIEL ganze regionale Instabilitäten … Alles das SOLL DISKUTIERT werden …”

    Was bitte schön gibt es hieran misszuverstehen?

    Warum bekommt Horst Köhler von idealismusfreien Berufspolitikern — die, die Rhetorikkurse besucht haben und Horst Köhler nach 6 Jahren immer noch hinter der Hand als “Sparkassendirektor” bezeichnet — hierfür in Kollaboration mit pseudokritischen “Qualitätsredakteuren” Schelte?

    Und warum forderst du, lieber Gunner, jetzt bei einem der wenigen Idealisten in der Politik mehr „Rhetorik” ein? Bei einem Mann der niemals Berufspolitiker war, genau wegen dieser menschlichen Unsicherheit in seinen Reden vom Volk geschätzt wurde und der im Moment seines sicherlich FALSCHEN Rücktritts vom Blatt abgelesen hat?

    Wäre die folgenden Frage nicht die besseren gewesen?

    • Warum entlarven Profijournalisten mit exakten Recherchen nicht viel häufiger und viel konsequenter die populistische Dummschwätzerei Deutscher BERUFS-Politiker?

    • Warum fordert man von einem Idealisten die gleiche aalglatte Polit-Rhetorik ein, die wir alle sonst kritisieren?

    • Und was läufst im Berliner News- und Politikbetrieb schief, wenn die immer wiederkehrenden, VERSTECKTEN Sticheleien nach 6 Jahren offensichtlich bei einem allseits geschätzten Präsidenten so unter die Gürtellinie gehen, dass ein solcher, bislang besonnener Idealist aus dem Amt gegrault wird?

    Grüße

    Andreas

  5. doch, die mangelhafte Rhetorik Köhlers ist letztlich die Ursache für seinen vermeintlichen Ausrutscher. Der Teleprompter-Präsident konnte sich in freier Rede nicht richtig ausdrücken.

    Rhetorik hat ja nichts mit dem aalglatten Politikergeschwätz zu tun – ganz im Gegenteil. Das habe ich doch klar zum Ausdruck gebracht mit den Beispielen Brandt, Wehner, Strauß. Für haben auf der politischen Bühne keine sehr gute Debattenkultur – alles aseptisch.

    Vielleicht sollten wir mehr Debattenclubs aufmachen, wie es in England zur guten Sitte gehört an Universitäten gehört.

    Und es ist ja nun mal so, dass ein Bundespräsident nur über seine Reden politisch wirken kann – dazu war er aber nicht in der Lage. Im Gegensatz zu Roman Herzog oder Richard von Weizsäcker.

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