
Seit Ewigkeiten beschäftige ich mich mit dem demografischen Wandel und die Konsequenzen für die Volkswirtschaft: Einer meiner VWL-Professoren an der FU-Berlin war Winfried Schmähl. Zu meiner Studienzeit war er Vorsitzender des Sozialbeirates der Bundesregierung. Insofern debattierte wir in seinen Vorlesungen und Seminaren kräftig über die Alterspyramide und die Auswirkungen auf die Rentenversicherung, die ja über das so genannte Umlageverfahren mehr oder weniger finanziert wird. Problem: Das Verhältnis von Erwerbstätigen und Rentenbeziehern wird immer problematischer.
Zur Erinnerung: Für die Dauerkrise der gesetzlichen Rentenversicherung ist die Reform von 1957 verantwortlich. Damals musste die Politik berücksichtigen, dass die Generation, die in den 50er und 60er Jahren ins Rentenalter kam, kaum Gelegenheit hatte, während ihres Erwerbslebens individuell für ihr Alter vorzusorgen. Zwei Kriege und ihre Nachwirkungen hatten das Vermögen der meisten Privathaushalte vernichtet und neues Vermögen nicht entstehen lassen. Das Geldvermögen aller privaten Haushalte lag nur bei rund 10 Milliarden Euro, was einem Betrag von 500 Euro pro Haushalt entsprach. Ähnlich gering war die Versorgung mit mobilen und immobilen Gütern. Auch die Spartätigkeit stand erst am Anfang. Der Durchschnittshaushalt sparte damals jährlich 80 Euro, das waren drei Prozent des verfügbaren Jahreseinkommens. Das waren die Hauptmotive für die Einführung des Umlageverfahrens und des dynamischen Rentensystems, um auch den Rentenempfänger am wirtschaftlichen Aufschwung zu beteiligen. Statt Rücklagen zu bilden, wurden von den Zwangsmitgliedern der gesetzlichen Rentenversicherung anfangs 15 Prozent des Bruttolohnes abgeführt und sofort für Rentenzahlungen verwendet.
Das führte zu einer drastischen Rentenerhöhung und ermöglichte es, die Rentenhöhe fortan dynamisch an die Bruttolohnentwicklung zu koppeln. Freilich hatte es den Nachteil, dass seither keinerlei Rücklagen mehr gebildet wurden – jede Generation finanziert faktisch mit ihren Beiträgen nicht ihre eigene Altersversorgung, sondern die der eigenen Eltern und Großeltern. Die Reform beruhte maßgeblich auf einer höchst umstrittenen Studie des Kölner Wirtschaftswissenschaftlers Wilfried Schreiber, dessen Konzept allerdings nur unvollständig umgesetzt wurde. Schreiber hatte vorgesehen, die für den Fortbestand des Systems unabdingbare Förderung der Geburtenrate in das System einzubeziehen, unter anderem durch eine Kinderrente und eine Beitragsverdoppelung für Kinderlose. Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer entschied sich gegen solche Komponenten und lag damit im Widerspruch zu seinem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard. Deshalb sind Rentenreformen seit Jahrzehnten ein Dauerbrenner und stehen auch Aufgabenliste des Kronberger Kreises, die in einem FAS-Gastbeitrag dargelegt wurde:
“Noch ist Deutschland mit der Bewältigung der Corona-Pandemie beschäftigt. Angesichts eines fortschreitenden Anteils Geimpfter und Genesener an der Bevölkerung ist aber ein Ende absehbar. Umso mehr kann sich die neue Bundesregierung jenen Aufgaben widmen, die Deutschland auch nach der Pandemie beschäftigen werden: demographischer Wandel, Klimaschutz und Digitalisierung. Keines dieser Themen ist neu. Die damit verbundenen Herausforderungen dürften aber schon bald deutlich spürbarer werden als bisher. Die Zeit, in der die Politik diesen Themen mit mangelnder Konsequenz und Konsistenz begegnen konnte, geht zu Ende.”
Dass die Politik Antworten auf den demographischen Wandel finden müsse, insbesondere auf die Alterung der Gesellschaft, ist im Grunde schon seit dem drastischen Rückgang der Geburten in den 1970er-Jahren bekannt. Man braucht sich nur die Berichte zur Bevölkerungsentwicklung und die Prognosen zur Entwicklung des Beitrages zur Rentenversicherung seit dieser Zeit anschauen.
“Bislang hat der demographische Wandel aber gesamtgesellschaftlich und insbesondere finanzpolitisch eher zu einer Entlastung als zu einer Belastung geführt. Während die geburtenstarken Jahrgänge im Erwerbsleben standen und zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte beitrugen, war die Anzahl der noch nicht oder nicht mehr erwerbstätigen Personen vergleichsweise gering. Mit dem anstehenden Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand und mit dem Nachrücken geburtenschwacher Jahrgänge ins Erwerbsleben wird sich diese Relation in den nächsten Jahren dramatisch verschieben. In Zukunft werden deutlich weniger erwerbstätige Steuer- und Beitragszahler einer deutlich höheren Anzahl von Empfängern öffentlicher Leistungen gegenüberstehen. Verstärkt wird diese Entwicklung durch eine – durchaus erfreuliche – Zunahme der Lebenserwartung”, so der Kronberger Kreis.
Das ist aber nur ein Teil des Problems. Auch die Unternehmen und der Arbeitsmarkt stehen vor einer immensen Herausforderung. Da die geburtenstarken Jahrgänge in den nächsten Jahren in Rente gehen, verschärft sich der Arbeitskräftemangel und kann zu erheblichen Wohlstandsverlusten beitragen.
Dieser Teil der Überalterung wird im Wahlkampf und von den politischen Parteien überhaupt nicht thematisiert.
Siehe auch das Interview mit Professor Karlheinz Schwuchow auf der Zukunft Personal Reconnect in Köln: