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Digitaler Revierstress am Arbeitsplatz #msw14

Wünsche fürs Arbeitsleben

Wünsche fürs Arbeitsleben

Viele Menschen brauchen die Onlineverbindung zur Welt und zur Nachrichtenlage mittlerweile als tägliches Rüstzeug.

„Bei nicht wenigen Menschen läuft während des gesamten Arbeitstages das Internet im Hintergrund – jederzeit bereit, auf Wissen zuzugreifen, Auskunft zu geben, Zerstreuung zu bieten und Kontakte herzustellen. Das Internet ist ein beruflicher und sozialer Interaktionsraum“, schreibt Sabria David im Fehlzeiten-Report 2013.

Das Ganze eineindeutig mit Internet-Sucht gleichzusetzen, wie es der liebwerteste Neuro-Gichtling Manfred Spitzer bei jeder sich bietenden Gelegenheit zelebriert, greift dabei zu kurz.

Der digitale Alarmismus schadet dem Verständnis für digitales Leben und digitale Arbeit. Den Hauptimpuls des Netzgeschehens sieht David in der Möglichkeit, Distanzen zu überwinden. Der Medientheoretiker Marshall McLuhan prägte mit einem Ausflug zum Philosophen und Wissenschaftstheoretiker Karl Popper den Begriff der Retribalisierung. Nach dem Gutenberg-Zeitalter der distanzierten Schriftkultur erleben wir nun die tribalen Elemente einer oralen Kultur, die das unmittelbare Miteinandersein wiederbelebt. Also unser berühmtes Netz-Lagerfeuer, was wir etwa in Bloggercamp.tv kultivieren. Es gibt aber auch Schattenseiten. David spricht vom Revierstress und der Revier-Verteidigung. Das spielt sich vor allem im beruflichen Umfeld und in Unternehmen ab, die noch eine ausgeprägte Präsenzkultur von ihren Mitarbeitern verlangen.

Arbeitnehmer überwachen ihr Interaktionsfeld

Arbeitnehmer sind konditioniert, ihr Interaktionsfeld zu bewachen, die Kollegen im Auge zu behalten, die Nähe zu Vorgesetzten zu suchen und möglichst spät das Büro zu verlassen. Anwesenheit wird gleichgesetzt mit Engagement und Einsatzbereitschaft. Überträgt man eine solche Präsenzkultur in das digitale Zeitalter, steigt nach Erkenntnissen von David der Druck exponentiell.

„Während bisher selbe nach langen Überstunden irgendwann einmal das Revier bestellt war, hat sich das berufliche Revier nun mittels digitaler Möglichkeiten in ungeahntem Maße ausgedehnt: zeitlich auf 24 Stunden an sieben Tage der Woche. Diese Kombination aus Präsenzkultur und digitaler Verfügbarkeit ist eine für Arbeitnehmer höchst riskante und belastende Konstellation“, erläutert David.

Es fehlen im Büro-Alltag die natürlichen Rückzugsräume und Filter, um Beruf und Privatleben voneinander zu trennen. Sich entziehen zu können und verpassen zu lernen sind nach Ansicht von David die zentralen Lektionen, die es im Umgang mit digitalen Medien zu erlernen gilt. Aber das reicht bei weitem nicht aus. Gefordert ist vor allem das Personalmanagement, den digitalen Revierstress zu minimieren und die Personalentwicklung an die technologischen Entwicklungen anzupassen. Mitarbeiter dürfen sich medial nicht verausgaben und müssen in der Lage sein, fokussiert zu arbeiten.

Keine Konzepte gegen digitalen Stress am Arbeitsplatz

In der Arbeitsorganisation von Unternehmen und Behörden passiert bislang allerdings wenig: In Deutschland kann man die Rückständigkeit als vernetzte Ökonomie an der Kompetenz von Personalmanagern festmacht. relativ simpel überprüfen. Alle großen Institutionen sind in irgendeiner Weise im Netz aktiv.

„Aber 64 Prozent der deutschen Mitarbeiter in Personalabteilungen schauen nicht ins Internet“, sagt Professor Peter Wippermann vom Hamburger Trendbüro. Den Lippenbekenntnissen nach außen folgen keine Taten nach innen. Ein Befund, den ich in meinen Kontakten zur Wirtschaft fast täglich erlebe. Technisch sei die Reise relativ klar vorgezeichnet, sagt Wippermann. Es gebe in den Organisationen große Widerstände, die allerdings öffentlich nicht zugegeben werden: „Man verteidigt ein System der arbeitsteiligen Industriekultur mit einer Kommunikation, die Top-Down verteilt wird und nicht interaktiv ist. So lange wir noch von Neuen Medien und den Herausforderungen des Internets sprechen, wird es noch weitere 20 Jahre dauern, bis sich unsere Kultur umgestellt hat.”

Zwei Jahrzehnte darf es allerdings nicht mehr dauern, um den Revierstress im digitalen Arbeitsleben abzubauen. Schon in den vergangenen zehn Jahren verzeichnete die AOK einen Anstieg der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen um zwei Drittel.

Slow Media-Ausstellung auf der MS-Wissenschaft

Slow Media-Ausstellung auf der MS-Wissenschaft

Slow Media-TÜV

Umso löblicher ist eine Initiative von TÜV-Rheinland und dem Bonner Slow Media-Institut, die neue Bewertungsverfahren für digitalen Arbeitsschutz entwickelt haben und die ich in meiner The European-Mittwochskolumne ausführlich darstelle.

Wer das Slow Media-Konzept selbst in Augenschein nehmen möchte, sollte an Bord der MS-Wissenschaft gehen.

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

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