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Die Schule in der Kreidezeit: Null Blog, keine Internetpeilung und der “Medienkompetenzführerschein”

Der Spiegel-Artikel und die merkwürdig kurzsichtigen Ausführungen von NRW-Ministerin Schwall-Düren zum “Medienkompetenzführerschein” (was für ein fürchterliches Wortungetüm) sind Anlass genug, um die Frage der Internetfähigkeiten der jungen Generation zu thematisieren. Einen sehr schönen Beitrag hat netzwertig-Blogger Martin Weigert geschrieben.

Hier wird vor allen Dingen der merkwürdige Führerschein für Schüler aufgegriffen: “Das Vorhaben soll primär den Umgang mit Facebook lehren, ein Blick auf die Argumentation von NRW-Ministerin für Europaangelegenheiten und Medien Angelica Schwall-Düren lässt jedoch befürchten, dass es weniger um Kompetenz sondern eher um die einseitige Verbreitung von Platitüden geht: Schwall-Düren wies darauf hin, dass unvorsichtig preisgegebene persönliche Daten zu Mobbing missbraucht werden und auch bei beruflichen und sozialen Karrieren hinderlich sein’ können”, schreibt Weigert.

Ein gekonnter Umgang mit partizipativen Medien, mit dem Echtzeitweb und mit der Informationsflut sei essentiell, um als Individuum sowie als Gesellschaft in größtem Maße vom digitalen Wandel profitieren zu können. Und das gilt bei weitem nicht nur für Schüler, sondern auch für Lehrer, Eltern, und natürlich (erst recht) für Politiker: Wer wie Medienministerin Schwall-Düren auf die Frage nach Twitter nur folgende zwei Sätze zu sagen habe, wirkt selbst noch recht unbeschlagen, was die Kenntnis über das Web betrifft: “Ich twittere nicht. Diese Schnell-Nachrichten enthalten oft Banalitäten, so dass ich keine Notwendigkeit sehe, das mitzumachen.”

“Angenommen, Schwall-Düren wäre die erste Testperson für den geplanten Medienkompetenzführerschein, welche Aspekte müssten ihr (und den Schülern in NRW sowie ganz Deutschland) vermittelt werden”, fragt Weigert und sammelt Vorschläge. Diese Steilvorlage greife ich doch gerne auf. Schwall-Düren sollte sich mit der Internet-Inkompetenz der Lehrer, Lehrpläne und Lehrerausbildung beschäftigen. Vor meiner Abreise nach Perinaldo führte ich ein erfrischendes Interview mit dem 83jährigen Professor Herbert W. Franke, Senior Fellow des Berliner Zuse-Instituts und Science Fiction-Autor. In dem Interview ging es um Technologien zur Visualisierung von Wissen. Natürlich drehte sich das Gespräch auch um das Bildungswesen.

Die Lehrer seien in keiner Weise darüber unterrichtet worden, welche Mittel außer Sprache und Formeln, im Unterricht eingesetzt werden können. Sie müssten eine Menge darüber lernen, wie man sich mit Bildern ausdrückt, welche Möglichkeiten es gibt. Das sind nicht nur Abbildungen, das wäre viel zu wenig. Visuelle Sprache könne mehr. Sie könne beispielsweise sehr gut verwendet werden, um Kreisfunktional-Prozesse zu verdeutlichen und verständlich zu machen. Der IBM-Cheftechnologe Gunter Dueck spricht davon, dass die Schule sich noch in der Kreidezeit befindet. Professor Franke schlägt vor ein Lernen in automatisierten Schulen vor. “Die Methoden in Schulen sind vielfach antiquiert und man macht es den Schülern wirklich viel zu schwer, diese Dinge zu verstehen, die sie eigentlich alle verstehen sollten. “Von der automatisierten Schule war schon vor 30 oder 40 Jahren die Rede und das hat die Leute, die davon gehört haben, natürlich eher abgeschreckt. Statt einem Lehrer jetzt da eine Art Roboter vor sich zu haben, das ist eine Situation, die man sehr negativ beurteilt. Also das menschliche Verständnis und das Eingehen auf die Besonderheiten einzelner Schüler etwa, das wird man von einem Roboter nicht unbedingt erwarten, obwohl es in der Zukunft mehr und mehr möglich sein wird”, so Franke.

Man könnte mit den Automaten die Kenntnisse jedes einzelnen Schülers recht gut beurteilen, viel besser als das ein Lehrer aufgrund seiner Übersicht macht, die er sich verschafft während des Unterrichts und da kann man sich Methoden ausdenken, die durchaus auf eine interessante Weise dann auch den Unterricht beleben würden. Man könne mithilfe der Erkenntnisse, die man auf diese Weise errungen hat, einen Unterrichtsstoff bereitlegen, der auf den Kenntnisstand und die Fähigkeiten einzelner Schüler eingeht. Mit Lernautomaten könnten Lehrer besser auf die Fähigkeiten der einzelnen Schüler eingehen.

Die endlosen Bildungsdebatten über Strukturreformen, von der Ganztagsschule bis zum Turboabitur, würden am Kern des Bildungsproblems vorbeigehen. An der Qualität des Unterrichts habe sich nichts geändert. Schule und Uni seien immer noch langweilig.

“Es sind also gerade im Unterricht Dinge gemacht und durchgesetzt worden, die eher schädlich sind als nützlich. Da gab es vor mehreren Jahrzehnten eine Theorie der Vermittlung von Mathematik beispielsweise, die auf einer Grundlage beruht, die nicht haltbar war. Man hat einige Jahre die Schüler gequält, indem man ihnen Eingang zu mathematischen Kenntnissen verschaffen wollte, die eher die Sache schwieriger gemacht haben, als das vorher war. Das war etwas, was äußerlich vielleicht sogar bisschen Ähnlichkeit hat zu jenem, was ich verbinde mit Visualisierung. Aber in einer Weise, die für Kinder nicht vorstellbar war, beispielsweise der Zahlenbegriff muss nicht unbedingt gleich visualisiert werden. Wir können Zahlen recht gut zu verstehen. Das ist sogar im Tierreich nachweisbar gewesen und der Mensch hat diese Fähigkeit in viel größerer Weise. Also man muss zum Beispiel ein bisschen genauer informiert sein darüber, was der Mensch zunächst einmal überhaupt mit seinem Denken vollbringen kann. Und das ist auf der einen Seite mehr, als man denkt und auf der anderen Seite ist es natürlich auch weniger. Man muss den Unterricht so gestalten, dass er ein Vergnügen wird. Und nicht ein Zwang oder eine Qual. Ich erinnere mich an meine eigene Schulzeit. Ich muss sagen da waren 80 Prozent von dem, was man uns beibringen wollte, unerträglich. Ich bin unglaublich ungern in die Schule gegangen”, erklärt Franke.

Jeder Schüler sollte daher einen Computer an seinem Arbeitsplatz haben. Mit ausgeklügelten Lernsystemen könnten Lehrer den Wissensstand jedes Schüler genauer analysieren. Nach der Unterrichtsstunde könne sich der Lehrer informieren, welche Gruppe von Schülern schon so weit ist, dass er den Unterricht fortsetzen kann oder welche Schüler eine Hilfestellung brauchen, eine Wiederholung des Stoffs, einen anderen Aspekt, der ihnen das vielleicht klarer macht. Und dabei könne man dann eingehen auf die Schwächen der Schüler, aber auch auf ihre Fähigkeiten.

Zudem müssten die Lehrpläne entrümpelt werden. “Das Auswendiglernen ist etwas, was schon völlig antiquiert ist. Wir haben Systeme, die ein Gedächtnis haben, die speichert der Computer und diese Systeme sind so, dass man die notwendigen Informationen sehr schnell abrufen kann. Also dieses Auswendiglernen, noch dazu von Formeln, was ich noch erlebt habe, das ist eine völlig falsche Methode. Ich glaube, dass in naher Zukunft das Auswendiglernen von Sprachen, besser gesagt der Sprachen-Unterricht völlig überflüssig ist. Dabei sind die Sprachen wie griechisch oder lateinisch besonders bedenklich”, kritisiert Franke. Und dann müsse der angehende Lehrer auf die neue Technik vorbereitet sein, was ja heute – so viel wie ich weiß – überhaupt nicht geschieht. „Wie setzt man Computer vernünftig ein? Welche Vorteile hat man? Wie geht man mit dem Computer um?. Diese Fragen müssten in der Bildungspolitik jetzt beantwortet werden. “Und schließlich muss der Lehrer einiges davon verstehen, worüber wir uns ja schon unterhalten haben. Was wichtig ist zu wissen, auf welche Weise man diesen Stoff vermittelt kann. Da komme ich auf die Visualisierung zurück. Das ist aber nicht die einzige Methode, da gibt es natürlich noch andere Möglichkeiten. Man muss etwas mehr wissen über die Art und Weise, wie der Mensch Wissen aufnimmt, über die Organisation unseres Gedächtnisses, über die Möglichkeiten, Erkenntnisse in besserer Weise zu verschlüsseln”, fordert Franke.

Hier noch einmal die komplette Audioaufzeichnung des Interviews mit Professor Franke.

Siehe auch den Carta-Beitrag.

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

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