Die halbierte Ökopolitik in Deutschland – Wenn das gute Gewissen den Stromverbrauch nach oben treibt

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Die Internalisierung externer Effekte, wie man im Ökonomendeutsch so schön sagt, ist die Essenz der Umweltökonomie – von der Verpackungsverordung (jetzt Verpackungsgesetz und bald wieder eine EU-Verordnung) bis zur Reduktion der CO2-Emissionen. Ob das jetzt um Atommüll oder um das fossile Energiesystem geht – es werden Gewinne privatisiert und Umweltkosten auf die Allgemeinheit abgewälzt. Dieser Fehlal­lo­ka­ti­on kann deshalb nur durch eine konse­quen­te Stra­te­gie der Kosten­in­ter­na­li­sie­rung wie der CO2-Beprei­sung begeg­net werden. Fragt man nach den richtigen Instrumenten, trennen sich die Wege der Wissenschaftler.

Beim Klimaschutz besteht die Gefahr, zu einseitig auf E-Mobiltät zu setzen und andere Konzepte zu vernachlässigen. Anspruchs­vol­ler Klima­schutz im eige­nen Land sei aber nur dann sinn­voll, wenn alle Staa­ten der Welt in glei­cher oder ähnli­cher Weise tätig würden, weil es ansons­ten zu Wett­be­werbs­ver­zer­run­gen, Inef­fi­zi­en­zen und Tritt­brett­fah­rer-Verhal­ten komme.

Das Problem liege in der einsei­ti­gen Begrün­dungs­struk­tur dieser Chan­cen-Erzäh­lungen, moniert der Nachhaltigkeitswissenschaftler Rein­hard Loske. „Sie klam­mert zu vieles aus, etwa die Tatsa­che, dass die allum­fas­sen­de ökono­mi­sche Stei­ge­rungs­lo­gik und der Konsu­mis­mus die tech­ni­schen Effi­zi­enz­ge­win­ne samt und sonders wieder auffres­sen (‚Rebound-Effekt‘), weshalb es insge­samt nicht zu einer rele­van­ten Redu­zie­rung der Umwelt­pro­ble­me kommt. Auch auf Fragen der Gerech­tig­keit und der demo­kra­ti­schen Kontrol­le wirt­schaft­li­cher Macht gibt das Konzept der ‚grünen Märkte‘ keine Antwor­ten. Es springt vor dem Hinter­grund der sozial-ökolo­gi­schen Heraus­for­de­run­gen und ihrer gewal­ti­gen Dimen­si­on einfach zu kurz und kann besten­falls als halbier­te Ökolo­gie­po­li­tik beschrie­ben werden.“

Beim Glühbirnen-Verbot freute sich zu erst einmal die Industrie über höhere Margen beim Verkauf der Energiesparlampen. Der Effekt von Energiesparlampen hat schon bei der Einführung der Glühbirne nicht geklappt. Vor über hundert Jahren wurde die Glühbirne mit Wolframfäden als Wunder der Effizienz gefeiert. Die neuen Glühbirnen verbrauchten nur ein Viertel so viel Strom für dieselbe Leuchtkraft wie die alten Birnen mit Kohlenstoff-Fäden. Zwischen 1920 und 2000 stieg die Effizienz der Straßenlaternen um das Zwanzigfache – von 10 auf 200 Lumen pro Watt. Die Beleuchtungsdichte (Lumen pro Straßenkilometer) nahm aber um mehr als das Vierhundertfache zu. Pro Kilometer Straße wird heute zwanzigmal mehr Strom verbraucht. Verhaltenseffekt: „Ich habe ja eine Energiesparlampe – also kann ich sie länger brennen lassen”. Das wäre ein direkter Rebound-Effekt. Der indirekte Rebound. Der Energieverbrauch sinkt tatsächlich – ich spare Geld.

Aber dieses Geld gebe ich wieder für etwas anderes aus, das ebenfalls Energie verbraucht. Wer dank besserer Isolation seines Hauses tausend Euro im Jahr spart, fliegt mit der gesparten Kohle häufiger in die Ferien. Oder: Was ich an Energie spare, was also zu sinkender Nachfrage und sinkenden Preisen führt, verbraucht ein anderer.

Gleiches wird mit E-Autos geschehen, die im gleichen Stau wie die Verbrenner stehen. An den Pendlerströmen ändert sich nichts. Wer mit gutem Öko-Gewissen durch die Gegend kutschiert, wird eher ein Sahnehäubchen drauf packen. Wie wäre es mit einer Tesla-Fahrt ans Nordkap? Oder neben den drei Fahrzeugen, die mit Verbrenner fahren, einfach ein kleines schnuckliges E-Autolein dazu kaufen für Wege unter 5 Kilometer. Beispielsweise zum Biosupermarkt. Immer sehr spannend, sich den Parkplatz dieser Tempel für den guten Konsum anzuschauen.

Arbeit dezentral zu organisieren, um die Pendlerströme radikal zu reduzieren, steht nach wie vor nicht oben auf der Agenda von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.

Wie kann man die unerwünschten Nebeneffekte von politischen Maßnahmen reduzieren? Auf die Trittbrettfahrer-Problematik beim Grünen Punkt gehe ich hier nicht mehr ein, dat könnt Ihr auf ichsagmal.com hoch und runter lesen. Also das Free-Rider-Problem.

Winfried Felser hält es für eine Illusion, dass der Mensch deterministisch auf Basis von Kontrakten und Gesetzen perfekt funktioniert. Er verweist auf eine „Ökonomie als Wissenschaft der leidenschaftlichen Interessen“, die von Bruno Latour und Vincent Antonin Lépinay mit Bezugnahme auf den Kriminologen, Soziologen und Sozialpsychologen Gabriel Tarde beschrieben wird. Vielleicht seien es ja gar nicht der Unterbau und die Produktionsverhältnisse, die die Ökonomie und die Gesellschaft bestimmen, sondern die Ideen, der „Überbau“  – wie es der Suhrkamp-Verlag in der Vorstellung des Buches auf der eigenen Website formuliert.

Nichts sei in dieser Ökonomie objektiv, alles ist subjektiv. „Die Ideen und die Leidenschaft für Ideen oder auch der schöpferisch neu entstehende Sinn regieren die Welt. Mit Tarde stellen Bruno Latour und Vincent Antonin Lépinay natürlich Karl Marx, aber auch Feuerbach und die ‚Materialisten‘ und ‚Rationalisten‘ in den Schulen des Ökonomischen von den Füßen auf den Kopf. Dass der verstorbene Soziologe und Philosoph Latour der Begründer der Akteurs- Netzwerk-Theorie ist, ist ebenso wenig verwunderlich wie sein Engagement für die Erforschung der kreativen Wissenschaft. Beides gehört als Erklärungsansatz und Anwendungsbereich in diesen Kontext einer neuen Logik, die auch Leidenschaften kennt“, so Felser in einem Beitrag für das New-Management-Format des Haufe-Verlags.

Der unermüdliche Netzwerker Felser bringt den Deloitte-Vordenker John Hagel ins Spiel, der den narrativen Faktor für die Ökonomie betont: Erzählungen liefern den Kontext und das gemeinsame Ziel, das andere in die Bewegung hineinzieht und sie motiviert sowie konzentriert hält, während sie mit den unzähligen unerwarteten Hindernissen umgehen, die einer Veränderung im Weg stehen.

Über all das sollte debattiert werden ohne aktivistische Note: Möchte man neue Themen aufspüren oder lieber missionarischen Eifer an den Tag legen? Das untersuchte vor 35 Jahren die Wissenschaftlerin Renate Köcher in ihrer Dissertation an der Uni München unter dem Titel „Spürhund und Missionar“. Es geht dabei um eine vergleichende Untersuchung über die Berufsethik und das Aufgabenverständnis im britischen und deutschen Journalismus. Ableitungen sind aber auch für Wissenschaft, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft in unseren Tagen sehr interessant. In öffentlichen Auseinandersetzungen ging und geht es in Deutschland nicht in erster Linie um ein Pro-und-Contra-Theater mit einem Überschuss an Aburteilungen: Es dominiert die Parteinahme. Schon direkt nach Aufhebung der staatlichen Zensurbestimmungen 1848 entwickelte sich die deutsche Presse zu einer auf die Beeinflussung und Lenkung der allgemeinen Urteilsbildung bedachten Meinungsmaschinerie.

Die publizistischen Organe verstanden sich nicht in erster Linie als Informationsübermittler, sondern als engagierte Verfechter politischer und weltanschaulicher Positionen. Das Selbstverständnis als Bannerträger politischer Positionen ließ Bemühungen um Objektivität und zurückhaltenden Skeptizismus kaum zu. Die reine Meinungsäußerung stand im Vordergrund und nicht so sehr die Mitteilung von Tatsachen. Die Konsequenzen sind heute im Social Web jeden Tag zu beobachten: Die nüchterne oder
sachliche Nachricht wird wenig geschätzt. Sie werden von den Algorithmen von Twitter und Co. auch nicht belohnt. Differenzierte Recherchen und die Untermauerung von Argumenten durch Fakten genießen weniger Anerkennung als Gesinnungsgesänge. Die Folgen sind gravierend: Fakten stören eher den missionarischen Eifer. Die Versuchung ist also groß, nicht nur die Recherche und Faktenvermittlung zu vernachlässigen, sondern sie nur selektiv zur Unterstützung der eigenen Linie einzusetzen.

Klagen über verzerrende Berichterstattung, die die Nachricht bewusst nur zur Stützung des eigenen Standpunktes einsetzt, sind seit dem 19. Jahrhundert ein Dauerbrenner in der Öffentlichkeit.

„In Deutschland wird die Nachricht in ungeheuer vielen Fällen nur veröffentlicht, um ein Urteil zu stützen; sie wird für einen politischen Zweck ausgespielt und zu diesem Zweck sehr häufig vergewaltigt“, klagte Wilhelm Schwedler, Chefredakteur der Nachrichtenagentur Transocean im Jahr 1927.

Die Schwelle zu Fake News überschreitet man da sehr schnell. In England stand ein anderes Ideal im Vordergrund. Man baute auf die Urteilskraft des Individuums. Jeder sollte sein eigenes Urteil bilden können durch freie Zugangschancen zu allen Informationen und Meinungen. Die Werke „Areopagitica“ von John Milton und „On Liberty“ von John Stuart Mill seien eindrucksvolle Deklarationen wider jede geistige Bevormundung; „ihre Überzeugung, dass für die Meinungsbildung der Gegensatz der Standpunkte wichtig, die falscheste und minderwertigste Ansicht zu kennen genauso notwendig sei wie die zutreffendste, wertvollste Einschätzung, entzieht einem einseitig selektierenden Journalismus die Begründung“, schreibt Köcher in ihrer Dissertation. Gesinnungsbekundungen vertiefen die Gräben und stärken die radikalen politischen Kräfte. Mehr Gelassenheit im Geiste von Milton und Mill in der Netzkommunikation wäre wünschbar.

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