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Der Spiegel in Weltuntergangsstimmung – Analogien zu 1929 sind eine Frechheit

Der Spiegel-Titel mit den Analogien zur Weltwirtschaftskrise 1929 ist wohl der Tief- oder Höhepunkt in der Krisenberichterstattung der vergangenen Monate. Den Status quo mit dem Untergang der Titanic zu vergleichen und mit der Überschrift “Rette sich, wer kann – Wie der Untergang der Weltwirtschaft verhindert werden soll” zu dramatisieren, geht nun völlig an der Realität vorbei. Besonders fragwürdig ist die wohl bewusst gewählte Analogie zur Weltwirtschaftskrise 1929, in der nicht nur Massenarbeitslosigkeit herrschte, sondern Hunger, Armut, Obdachlosigkeit und soziale Verelendung. Davon kann nun in der westlichen Welt aktuell überhaupt nicht gesprochen werden.

Wohltuend sachlich ist dagegen die April-Ausgabe der Zeitschrift Cicero. Die Gastautoren Richard Gaul und Christiane Goetz haben die grassierende Schwarzmalerei auf den Punkt gebracht. Der kollektive Krisenrausch suche zwar nach Parallelen mit 1929. Nur dieser Vergleich sei schief. “Verglichen werden nämlich Wachstumsraten und nicht Substanzniveaus. Wenn unsere Wachstumsraten 2009 auf minus 2,25 (Prognose der Bundesregierun) oder gar 4 Prozent (Deutsche Bank) abrutschen sollten, dann wird das eine schwere Rezession, keine Frage. Und doch sagt der prozentuale Rekordeinbruch nur allzu wenig über die realen Effekte”, so Gaul und Goetz. Enscheidend bleibe der Bezugswert und wir schrumpfen eben auf einem sehr hohem Niveau. Vom höchsten, das uns die Weltgeschichte je beschert habe. Wenn also ein reiches Land drei Prozent seines Vermögens verliert, bleibe es trotzdem ein reiches Land. Verlieren wir diesen Wert, erreichen wir die Wirtschaftsleistung von 2006 – ein Jahr, das wir als ein opulentes Jahr des Aufschwungs in Erinnerung haben. “Das Wohlstandsniveau liegt um ein Zigfaches über dem vor 80 Jahren”, schreiben die beiden Cicero-Autoren. Es ist auch eine Beleidigung für die vielen Menschen, die damals wirklich schlimmes durchgemacht haben. Deutschland kann im Gegensatz zur Weimarer Republik nicht nur eine gefestigte und intakte Demokratie vorweisen, sonst auch sehr stabile soziale Sicherungssysteme – bei allen strukturellen Defiziten, die man ändern muss.

Was immer man vergleicht – die Lebenserwartung, die Qualität des Essens, das Bildungsniveau, die Wohnsituation, der industrielle Kapitalstock – wir leben so dramatisch viel reicher als die Generation von 1929, dass wir schon eine Rezession von 90 Prozent Niveaurückgang erleiden müssten, um in eine Welt aus Suppenküchen und Tuberkulose-Epidemien zurückzufallen.

Auffällig ist vor allem das Wehklagen von Journalisten in Zeitungen und Zeitschriften, die kaum noch positive Nachrichten durchlassen. Die Printmedien werden ja auch überdurchschnittlich vom Abschwung gebeutelt. Und das schon seit einigen Jahren. Begonnen hatte es mit dem Crash des Neuen Marktes vor neun Jahren. “Seitdem ist für die Medien – und da vor allem für die gedruckten Medien – nichts mehr wie es war. Auch der Aufschwung der vergangenen Jahre fand in den Medien selbst kaum einen Niederschlag”, erklären Gaul und Goetz. Der Werbekuchen wandert immer stärker ins Internet ab und wird auch nicht mehr zurückkommen. Die gefühlte Krise dauert also für Printjournalisten schon sehr viel länger. Entsprechend ist das Glas eben immer nur halb leer und nicht halb voll. So rechnen einige zum Beispiel mit einem irreversiblen Niedergang der Druckindustrie. Nur wer druckt denn nur Zeitungen?

Der Verpackungsdruck boomt weiterhin, der Anteil von Verpackungen für Konsumgüter ist krisenfest. Dann gibt es noch Kunstdruck oder Veredelungen, die überhaupt nichts mit dem Zeitungsdruck zu tun haben, der sich scheinbar im freien Fall befindet. Pech für Unternehmen, die ausschließlich auf diese Karte gesetzt haben. Scheinbar bewahrheitet sich hier der Philosophenspruch, dass nicht die Tatsachen die Handlungen der Menschen bestimmen, sondern die Meinungen über die Tatsachen.

Allerdings sind die Printmedien nicht mehr ganz so entscheidend für die öffentliche Meinung. Fallen Bevölkerungsmeinung und Medienmeinung auseinander, spricht Allensbach-Gründerin Noelle-Neumann von einem doppelten Meinungsklima. So ist es bei der aktuellen Krisenwahrnehmung, wie ich an anderer Stelle schon ausführte: “Die Gelassenheit der großen Mehrheit geht auf die Kluft zwischen der Nachrichtenlage über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und den eigenen Erfahrungen zurück. Nach wie vor können die meisten Erwerbstätigen in ihrem Unternehmen keine Anzeichen der Krise erkennen. 31 Prozent sehen in ihrem Unternehmen Auswirkungen; dieser Anteil hat sich in den letzten zwei Monaten nicht verändert. Eine Analyse nach Branchen zeigt, wie unterschiedlich einzelne Wirtschaftszweige betroffen sind. Während sich die Automobilindustrie und ihre Zulieferer im Auge des Taifuns befinden und auch der Maschinenbau mittlerweile stark betroffen ist, erleben die Beschäftigten der Bauwirtschaft, im Handel oder des Gesundheitswesens die Krise überwiegend über die Medien“, schrieb vor wenigen Wochen die Allensbach-Chefin Renate Köcher in der Wirtschaftswoche. Das hat nichts mit Ignoranz, sondern mit Lebenskunst zu tun und ist der Schlüssel, um aus einer Krise wieder herauszukommen.

Das hat Harvey Nash-Chef Udo Nadolski in einem Blog-Beitrag über die empirischen Erkenntnisse des legendären Informatik-Professor Karl Steinbuch sehr richtig erkannt: “Die wirtschaftliche Dynamik ist nicht nur abhängig von äußeren Faktoren wie Steuerlast oder Arbeitsgesetzen, sondern in hohem Maß auch von Psychologie. Für die Konjunkturentwicklung ist es relevant, wie es zu gleichgerichteten Verhaltensweisen der Bevölkerung bei jenen Faktoren kommt, die Expansion und Rezession beeinflussen; denn erst der Gleichschritt erzeugt die Durchschlagskraft, verstärkt die Wirkung so sehr, dass der Konjunkturverlauf einen schicksalhaften Rang erhält. Als Ursache ist ein sozialpsychologischer Faktor herausgearbeitet worden – Ansteckung. Sie wird ausgelöst durch übereinstimmende Motive der Wirtschaftsakteure, gemeinsame, unter bestimmten Umständen erweckte Vorstellungen, Nachahmung, Übertragung von Gefühlen und überspringende Stimmung”. Und nun verhalten wir uns anders und hier liegt die Basis für den Konjunkturaufschwung. Vielleicht sollten die Printjournalisten und vor allen Dingen die Spiegel-Redakteure mehr Seneca lesen: “Das meiste Unglück gebiert die falsche Meinung, dass Unglück sein müsse…Würde sich jeder erziehen, nur vom Gutem, Beglückendem zu sprechen – alle würden glücklicher werden! Denn wir ziehen herbei, was wir vorwiegend denken und aussprechen. Durch das richtige Denken können wir Leid und Missgeschicke so gut von uns fernhalten wie Miss-Stimmung und Krankheit.” Auf unvorhergesehene Streiche müsse man gefasst sein und unerschütterlich fest stehen.

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

2 Kommentare zu "Der Spiegel in Weltuntergangsstimmung – Analogien zu 1929 sind eine Frechheit"

  1. Das Seneca-Zitat ist schön, erinnert mich an einen Spruch von Sartre, den wir gerne in Schulzeiten zitiert haben: 90 Prozent aller Ängste rühren von unnötigen Sorgen oder so ähnlich

  2. Die Aussagen zum Wohlstand muss man quantitativ und qualitativ betrachten. Von daher sind Vergleiche mit 1929 völliger Schwachsinn – auch wenn wir jetzt ein paar Federn lassen müssen.

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