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Warum wir anders ticken, als die Makroökonomen glauben

Makroökonomen sind schlechte Menschenkenner. Sie scheitern in schöner Regelmäßigkeit als Konjunkturforscher und als Konjunkturpolitiker. Ich bin in meinen „Ich-sag-mal-Gegenprognosen“ zu den staatlich alimentierten Frühjahrs- und Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute in den vergangenen Jahren regelmäßig auf die empirischen Mängel der Glaskugel-Ökonomen eingegangen. Erinnert sei an meine Wachstumsprognose für 2012: 2,5 Prozent! Und ein kleiner Exkurs über VWL-Wetterfrösche.

Ich kann daher den Finanzblogger des Jahres Dirk Elsner gut verstehen, wenn er genervt auf die so genannte Austeritätsdebatte reagiert. Mit Austerität ist eine Staatstätigkeit gemeint, die in der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik Einsparungen bei staatlichen Leistungen und/oder zusätzliche Abgabenlasten verordnet.

„Im Kern steht ein von Uwe Jean Heuser in der ZEIT gut zusammengefasster ‘Glaubenskrieg’ um die Frage, wie man die aktuelle Wirtschaftskrise überwinden kann: mit noch mehr Geld oder mit konsequentem Sparen. Die Kritik an Deutschlands “Spardiktat” fällt dagegen vergleichsweise undifferenziert aus“, erläutert Blick Log-Blogger Elsner.

Meist würden die Experten einfach nur erhöhte Staatsausgaben über Konjunkturprogramme und fiskalische Impulse sowie eine expansive und inflationsfördernde Geldpolitik fordern – wie in den 1970er Jahren. Ob diese Maßnahmen wirklich zum Erfolg führen, bleibe offen. Von den Argumenten der Austeritätsgegner wie Krugman oder Tilford ist Elsner nicht überzeugt:

„So hat die Bundesregierung Anfang 2009 das Konjunkturprogramm 2 beschlossen. Es sollte in der durch die Finanzkrise verursachten Wirtschaftskrise die Nachfrage stimulieren. Das Programm lief in der Umsetzung sehr schleppend an, entfaltete geringere Wirkungen als erwartet und wirkte dann eher in einer Zeit, als die Wirtschaft ohnehin auch aus anderen Gründen angesprungen ist. Ich kenne einige Unternehmen, die sich damals für Mittel aus diesem Programm interessiert haben. Sie haben schnell abgewunken: Zu bürokratisch, zu langwierig, zu selektiv. Mag sein, dass Volkswirte solche praktischen Fragen der Umsetzung für nicht relevant halten, weil es sich nur um ‚operative Probleme‘ handelt und es letztlich nur auf die ‚richtige‘ Umsetzung ankommt. Ich halte sie für sehr relevant.“

Wirtschaftswunder durch unsolide Haushaltspolitik?

In der Makrodebatte werde immer noch so getan, als wirke die Geldpolitik wie im Lehrbuch. Man kann natürlich auch weiter auf Wirtschaftswunder hoffen, wie der FTD-Autor Thomas Fricke André Kühnlenz in seiner Replik auf Elsner:

„Eigentlich dürften Regierungen in den Randstaaten jetzt eben überhaupt nicht sparen. Sie müssen es viel später tun.“ Was der Euro-Raum jetzt brauche, sind keine Wachstumspakete mit Kleckerbeträgen oder irgendwelchen Projektbonds, sondern eine Streckung der Sparziele. „Dafür brauchen wir jedoch entweder Gemeinschaftsanleihen und höchstwahrscheinlich die EZB als Kreditgeberin der letzten Instanz für Staaten, um die Kapitalflucht zu stoppen.“

Fricke Kühnlenz könnte mit dieser Forderung auch der Glaubenskongregation des Vatikans beitreten. Vielleicht sollten Länder wie Griechenland anfangen, etwas genauer die Ursachen der hausgemachten Wirtschaftskrise zu untersuchen. Wer mit den Stinkefinger auf andere Staaten zeigt, lenkt von der eigenen Verantwortung ab. Mit einer Politik des weichen Geldes entstehen weder Innovationen noch Prosperität. Das gibt es keinen Automatismus. Ob nun der Staat sinnvoll oder weniger sinnvoll Steuergelder ausgibt, kann niemand wissen – nicht ich und auch nicht Herr Fricke. Es kann alles verplempert werden und sogar zu einer Verschärfung der Wirtschaftskrise beitragen.

Statt sich in Verschwörungstheorien zu ergehen, sollten Vertreter der angeschlagenen Euro-Länder mal nach Cupertino fahren und sich von Apple erklären lassen, wie man Rekordgewinne selbst in der schlimmsten Finanzkrise der Nachkriegszeit einfährt.

Das ist auch das Credo meiner morgigen The European-Kolumne: Die Glaubenskongregation der Makroökonomie: Fahrt nach Cupertino, um Innovationen zu lernen

Update – Kleine Twitter-Disputation:

Die Peinlichkeits-Rhetoren verstehen wohl nicht die metaphorische Polemik mit Apple. Die Liebwerteste Gichtlinge-Kolumne ist eine Glosse, werte Herren der aggregierten VWL-Weisheiten.

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

26 Kommentare zu "Warum wir anders ticken, als die Makroökonomen glauben"

  1. Genau. Doofe Lehrbücher… was wissen die schon? Seufz.

  2. André Kühnlenz | 28. Mai 2012 um 11:35 Uhr |

    Ich habe folgenden Vorschlag für das Credo der Kolumne: Fahrt nach Cupertino, um Innovationen zu lernen, lasst Millionen Chinesen für Euch arbeiten und Serrano räuchern. Millionen Spanier werden es Euch danken, denn sie können schon bald jeden Morgen ein Iphone zum halben Preis verfrühstücken…

    Im Ernst, kommen wir zunächst zur puren Logik, dann können wir uns Glaubensfragen zuwenden (beides lässt sich übrigens in Lehrbüchern und in der Realität finden). Stellen wir uns folgende Situation vor oder schauen wir uns als Beispiel einfach Spanien an:

    Privathaushalte fangen an, weniger auszugeben, als sie verdienen (weil sie plötzlich nicht mehr so viel Kredit von ihren Banken bekommen) und das nach Jahren, in denen sie mehr ausgegeben haben als sie verdient haben. Unternehmen horten auf einmal Cash, vielleicht weil gerade Wirtschaftkrise ist oder aus einem anderen Grund. Was MUSS dann passieren?

    Die Steuereinnahmen brechen weg und die Ausgaben für Arbeitslosenhilfe steigen. Was folgt daraus zwingend? Der Staat hat weniger Einnahmen und Ausgaben als früher, kommt es ganz schlimm, liegen die Ausgaben unter den Einnahmen. Das nennt man Defizit des Staates. Das fängt in der Krise an zu steigen. Es muss steigen.

    Der Staat versucht jetzt aber, ein Budget abzuliefern, in dem seine Einnahmen über den Ausgaben liegen, weil alle, die was zu sagen haben, sagen, er muss das jetzt tun, weil die Märkte ihn dazu zwingen. Dann brechen jedoch die Einnahmen der Haushalte und Unternehmen weg, es sei denn, Ausländer kaufen mit einem Mal mehr Güter aus dem Land als früher.

    Wenn nicht, verdienen die Privathaushalte und Unternehmen weniger. Die Arbeitslosigkeit steigt weiter, sie MUSS steigen. Was passiert dann? Die Ausgaben des Staates für Arbeitslosenhilfe steigen nochmals und die Steuereinnahmen brechen nochmals weg. Das Defizit steigt nochmals…

    So weit zur Logik, kommen wir nun zu Glaubensfragen, ob dieser Teufelskreislauf überhaupt durchbrochen werden muss/sollte oder ob das alles vielleicht doch dazu beiträgt, dass das Land irgendwie gesund wird.

    Womit wir beim Anfang des Kommentars und bei der Frage für die morgige Kolumne wären. Was kann die Produktionsweise von Apple dabei leisten, dass der Teufelskreislauf in Spanien durchbrochen wird. Ich glaube, ich kenne die Antwort. Weil die Spanier jetzt alle soviel Zeit haben in der Krise (sie produzieren ja weniger), soll doch jeder in die leerstehenden Häuser einziehen und eine Entwicklergarage gründen, ein Iphone oder einen ISerrano entwickeln, der wird dann in China von Millionen Kinderhänden geräuchert, der wird wiederum in die ganze Welt exportiert. Und nie wieder braucht ein Spanier arbeiten zu gehen.

    Gut, vielleicht liege ich falsch… Dann bin ich echt gespannt, ehrlich…

  3. Nun, das Beispiel Apple sollten Sie metaphorisch verstehen. Ihre Rezeptur: Weniger Sparen. Punkt. Dann sollten Sie doch mal konkret sagen, woher die Akteure des Staates jetzt die Weisheiten hernehmen sollen, wieder für Wachstum zu sorgen. Weitere Bananen-Plantagen, mehr Olivenöl produzieren? In Infrastruktur investieren? Das wird doch in Ihren Ausführungen nicht deutlich. Geldausgaben allein bringen die Wirtschaft nicht in Schwung. Trotzdem wird immer wieder die alte Platte aus den 70er Jahren aufgelegt. So ist der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman immer noch von der Wirksamkeit makroökonomischer Lenkungsmechanismen überzeugt. Die Politik müsse nur an den richtigen Stellschrauben drehen, um die Konjunktur wieder flott zu kriegen. So sieht die Geisteswelt der VWL-Mechaniker immer noch aus. Man schaut nach dem defekten Einspritzer oder einer kaputten Kurbelwelle und schon kann der kapitalistische Reparaturbetrieb zur Geltung kommen.

    Ganz anders positionieren sich die Ökonomieprofessoren George Akerlof und Robert Shiller in ihrem Opus “Animal Spirits – Wie Wirtschaft wirklich funktioniert”. Sie grenzen sich vom simplen Machbarkeitsglauben eines Paul Krugman ab, der sicherlich bei den staatsgläubigen Lenkern und Denkern Hochkonjunktur hat. Unternehmer und Verbraucher sind eben keine emotionslos kalkulierenden Roboter, wenn sie sich von Moden, Gruppendruck und Massenhysterie beeinflussen lassen. Deshalb kann das ständige Auf und Ab der Wirtschaftskonjunktur nur ungenügend durch makroökonomische Maßnahmen gesteuert werden. „Wer weiß schon, wie sich eine Herde wilder Pferde im nächsten Moment verhalten wird”, schreibt der Zeit-Rezensent Wolfgang Uchatus. Wird sie wirklich friedlich grasen oder durch die Gegend springen? Kann die staatliche Zentralbank mit einer Senkung der Leitzinsen die unternehmerischen Investitionen ankurbeln, wie Alan Greenspan jahrelang glaubte, oder sorgt sie eher für eine Spekulationsblase an den Finanzmärkten, wie es tatsächlich der Fall war?

    „Die Finanzkrise hat nicht nur die Wirtschaft schwer gebeutelt, sondern auch die bislang herrschenden wirtschaftswissenschaftlichen Paradigmen rationaler Erwartungen und effizienter Finanzmärkte, die in den vergangenen drei Jahrzehnten die Arbeitsgrundlage für die Wirtschaftspolitik und die Geschäfte im Finanzsektor bildeten, stark beschädigt“, schreibt Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, in einem Namensbeitrag für die FAZ.

    Wenn Wirtschaftspolitiker jetzt wieder auf die Rezepte von John Maynard Keynes zurückgreifen und glauben, eine schuldenfinanzierte Materialschlacht könne automatisch die Konjunktur wieder ankurbeln, fallen sie wieder zurück in den Machbarkeitsglauben einer simplifizierten Interpretation des Keynesianismus. „Diejenigen, die Keynes’ Allgemeines Theorie nach ihrem Erscheinen weiterentwickelten, entfernten daraus fast gänzlichen die ‚Aninmal Spirits’ – die nichtökonomischen Motive und die irrationalen Verhaltensmuster des Menschen -, die den Kern von Keynes’ Erklärung der Großen Depression bildeten“, so Akerlof und Shiller. Gehe man auf den wahren Kern von Keynes zurück, werde man mehr Wert auf psychologische Kriegsführung legen, also auf die Stärkung der „animalischen Kräfte“, führt Mayer aus:

    „Staatliche Eingriffe sind kein Selbstzweck, sondern dienen dazu, überzogenen Pessimismus zu bekämpfen und verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen“. Mehr kann nicht erreicht werden. Die Idee einer exakten Wirtschaftswissenschaft mit der Präzision der Physik oder Chemie war von Anfang an eine Illusion gewesen. Aber vielleicht haben Sie noch Weisheiten in Ihrem Rucksack, lieber André Kühnlenz, die Sie der Öffentlichkeit bislang vorenthalten haben und zumindest die Regierungskrise in Griechenland lösen könnten. Also ab nach Athen und sich in der wirtschaftspolitischen Staatskunst üben. Bin gespannt, welches Konjunkturpaket Sie vorschlagen werden. Ein Abstecher nach Cupertino lohnt sich schon aus touristischen Aspekten.

  4. Hier übrigens noch der Link zur heutigen Kolumne: http://www.theeuropean.de/gunnar-sohn/11200-psychologie-und-makrooekonomie

  5. André Kühnlenz | 28. Mai 2012 um 13:04 Uhr |

    Ich habe nicht “weniger Sparen” gesagt. Sondern nur angemerkt, dass es vernünftiger wäre, die Sparprogramme für Länder wie Spanien etwas zu strecken. Noch sollten die Akteure des Staates mit “ihrer Weisheit” Wachstum generieren. Das kann man in der Tat bezweifeln. Umgekehrt führt jedoch zu starkes Sparen dazu, dass die Länder in eine Abwärtsspirale rutschten. Die Folge ist, dass alle ihre Leistungsbilanzdefizite in kürzester Zeit zusammenschrumpfen und wenn es weiter so geht, haben alle Überschüsse, außer die Deutschen. Das ist das Ergebnis der Makrologik, die nichts mit Glauben zu tun hat.

    Die Frage ist nun, wie können “Animal Spirits” und Innovation, diese Abwärtsspirale durchbrechen?

  6. Dann doch etwas konkreter werden. Was meinst Du mit “Sparziele strecken”? Das heißt haushaltspolitisch doch nichts anderes, als die Neuverschuldung zu erhöhen? Und wie können die Volkswirtschaften mit Deinen (bin zum Du übergegangen, wenn es recht ist) Vorschlägen wieder gesunden?

  7. André Kühnlenz | 28. Mai 2012 um 13:53 Uhr |

    Nicht unbedingt Neuverschuldung erhöhen, sondern einfach nur, nicht so stark senken, wie es jetzt beplant ist… Gesunden werden die Volkswirtschaften, wenn sie wieder anfangen zu wachsen, die Haushalte aufhören zu sparen und sich sogar wieder leicht verschulden können (aber in Grenzen, wir wollen ja keinen neue Kreditexzess…). Dann kommen auch die Steuereinnahmen zurück, was es dem Staat auch wieder erlaubt, tatsächlich zu sparen…

    Das Problem ist nur, dass in der aktueller Konstruktion der Euro-Zone und der anhaltend fragilen Lage auf den Finanzmärkten, es allein Deutschland erlaubt wird, dass es seine Verschuldung noch steigen darf, obwohl es da am wenigsten nötig hätte…

  8. Aber wie können die Volkswirtschaften wieder wachsen? Da wird es doch dann spannend.

  9. André Kühnlenz | 28. Mai 2012 um 14:24 Uhr |

    Achso, ein Betrag wird nicht dadurch zur Glosse, dass man komplett falsche Zusammenhänge konstruiert, sondern indem eine Tatsache oder Geschehenes ins Absurde übersteigert wird. Das ist hier gründlich daneben gegangen… Absurd ist es schon etwas…

  10. André Kühnlenz | 28. Mai 2012 um 14:26 Uhr |

    Volkswirtschaften wachsen, wenn Haushalte und Unternehmen mehr ausgeben und mehr einnehmen als zuvor…

  11. @gsohn
    Die Vorstellung, dass die Regierung (oder wir) einen Masterplan braucht, damit die Wirtschaft wieder wächst, ist doch genau einer der von Dir oben kritisierten “Lenkungsmechanismen”. Die Wirtschaft braucht keine Hilfe, es reicht, dass sich keiner einmischt.

    Die Eurozone ist in einer Liquiditätsfalle. D.h. das der Wert von Bargeld steigt. Klingt gut, ist aber fatal, weil dies bedeutet dass alle mit Schulden zum Sparen gezwungen werden. Problematischerweise bedeutet dies, dass die Geldmenge sinkt (weil Schulden zurückgezahlt werden) und somit der Wert von Bargeld weiter steigt. Ein Kreislauf der ebenso zu unterbrechen ist, wie der gallopierender Preise. Denn er führt nicht nur zu fallenden Preisen, sondern auch zu eingeschränkter ökonomischer Aktivität, weil die Unternehmen nicht frei agieren/investieren können.

    Man kann zurecht darauf verweisen, dass der eigentliche Fehler die massiven Kredite waren, die nun zurückgeführt werden wollen. Stimmt, hilft uns aber in der aktuellen Situation nicht weiter.

    Anreizgerecht wäre es, NICHT zu sparen, sondern schlicht den Schuldendienst einzustellen/zu kürzen, wenn absehbar ist, dass er sowieso nicht geleistet werden kann. Dies würde zwar Banken in Deutschland und Frankreich hart treffen, aber die würden dann in der Zukunft mehr Augenmerk auf die Bonität ihrer Kreditnehmer werfen. Warum Länder wie Spanien sich zu Tode sparen sollten, entzieht sich mir. Sie habe keinen Vorteil und kaum zu übersehende Nachteile. Griechenland, hingegen, ist eine andere Nummer. Die haben ein Primärdefizit und werden das Sparen nicht vermeiden können. Mit Spardiktat oder ohne. Aber selbst in diesem Fall wäre es aus politischer Sicht klüger kein Spardiktat an das Land zu richten und so den Radikalen Auftrieb zu geben. Lasst es die Griechen unter sich ausmachen. Das nennt man Demokratie.

    Das war alles schon vor mehr als 2 Jahre sonnenklar. Getan wurde freilich nichts. Siehe auch:
    http://verlorenegeneration.de/2010/04/25/griechenland-pleite-kommt/

  12. @André Kühnlenz: Oh je. Ich sage ja, Du siehst die Bäume vor lauter Wald nicht. Es gibt in den Euro-Ländern, die sich in einer Krisenlage befinden, höchst unterschiedliche Ursachen und Du versuchst es mit einer einzigen Stellschraube zu reparieren. Das ist ein bisserl wenig. Zudem ändert das nichts an den ordnungspolitischen Webfehlern des Maastricht-Vertrages. Wo bleiben die Visionen für eine Vertiefung der Politischen Union? Wenn die Wirtschaftspolitiken weiter so auseinanderdriften, wird das nichts. Und ob ich etwas konstruiere oder falsch darstelle, liegt wohl auch in der konstruierten Realität des jeweiligen Betrachters.

  13. André Kühnlenz | 28. Mai 2012 um 14:43 Uhr |

    Falsch, nicht ich versuche zu reparieren, sondern die, die sagen muss nur noch sparen. Das ist die EINE Stellschraube, an der gerade überall gedreht wird… Genau wie Du schreibst: “Es gibt in den Euro-Ländern, die sich in einer Krisenlage befinden, höchst unterschiedliche Ursachen…” Eben.

    Du schreibst: “Wo bleiben die Visionen für eine Vertiefung der Politischen Union?” Genau, die Frage stelle ich mir auch. Nur auf Sparprogramme zu setzen, das gehört nicht zu den Visionen. Das ist hier der Punkt!

  14. Genau. Entweder vertiefen wir die politische Union jetzt oder wir gehen bald wieder getrennte Wege.

  15. @ ketzerisch: genauso ist es!

    Lesen, verstehen, Stammtischparolen einstellen:

    http://www.sfm.vwl.uni-muenchen.de/aktuelles/diskussion_eurokrise/diskussion_eurokrise.pdf

  16. Was hast Du gegen Stammtische? Glaubst Du etwa noch an das Expertentum? http://ichsagmal.com/2010/10/25/sind-wir-nicht-alle-idioten-vom-niedergang-der-experten-deutungsmacht/

  17. ich habe nichts gegen Stammtische – nur gegen populistische Parolen und die werden auffällig häufig an Stammtischen gereicht: da die Guten (wir) – und dort die Bösen, die alles falsch machen (Griechen, Spanier, Italiener, Iren etc.).

    Die Frage, ob ich noch an das Expertentum glaube, kann ich nicht pauschal beantworten. Das kommt wohl immer auf den einzelnen Fall an. Ich glaube jedoch schon, dass in vielen Fachbereichen und Fällen das Wissen und die Erfahrung der Experten jene des “Laienschwarms” übersteigt. Ebenso mag es jedoch auch Fälle geben, in denen die Hochmut der Experten selbige zu falschen Schlüssen führt. Ich bezweifle jedoch, dass die Crowd generell die besseren Ergebnisse liefert. Eine Hotelbewertung ist etwas anderes als eine komplexe Problemstellung zu verstehen und dafür Lösungen zu entwickeln. Mag sein, dass ich mir selbst oder mit Hilfe einer Health-Community meinen Heuschnupfen diagnostizieren kann. Wenn es aber um komplexe Operationen und Eingriffe am Körper geht, versagt das Laienwesen (Wissen und Praxis). Ich halte es deshalb für gefährlich, aufgrund der aktuell beliebten Schwarmintelligenztheorien einen Abgesang auf das Expertentum anzustimmen. Mag sein, dass sie in bestimmten Fällen anwendbar ist (wie z.B. Bewertungen von Produkten etc.) Viele Zusammenhänge versteht der Laie bzw. der Schwarm jedoch nicht, weil weder das nötige theoretische Wissen noch die praktische Erfahrung vorhanden sind (siehe meinen vorherigen Link betr. der Euro-Krise). Ich behaupte nicht, dass jeder Experte automatisch Recht hat aber die Wahrscheinlichkeit, dass ein Experte in komplexen Problemstellungen die richtige Diagnose stellt und dementsprechend die passende Lösung entwickeln kann, halte ich für wesentlich größer.

    Man braucht sich bloß das Wahlverhalten der Bürger anzusehen: obwohl Schröder damals die richtigen strukturellen Reformen (Agenda 2010) angepackt hat (von denen wir heute profitieren) machte er sich damit unbeliebt und wurde abgewählt. Warum? Weil das Wählervolk die Reformen nicht verstanden und die resultierende langfristige Wirkung nicht abschätzen konnte. Daraus resultiert ja das bekannte Phänomen, dass Politiker ihre Wählern ständig Honig ums Maul schmieren, weil die Effekte kurzfristiger, schmerzhafter aber langfristig positiver Maßnahmen vom Wähler bzw. der Crowd nicht goutiert werden.

  18. Ich habe überhaupt nicht von den Guten und Bösen gesprochen. Es wäre nur vonnöten, in jedem betroffenen Land die Ursachen genau zu benennen und keine Sündenbocktheorien in die Welt zu setzen. Zudem wussten jeder, auf was er sich vertraglich bei der Euro-Einführung einlässt. Nun diese Verpflichtungen in Abrede zu stellen und einer Vergemeinschaftung der hausgemachten Schuldenpolitik das Wort zu reden, ist auch nichts weiter als dumpfe Propaganda.

  19. @gsohn
    Schlechte Regeln werden nicht besser, wenn man sie einhält. Es hat kaum ein Euroland die 3% überhaupt eingehalten. Schon gar nicht Deutschland. Spontan fallen mir nur Irland und Spanien als Musterschüler ein, aber die haben nun auch Probleme. Ergo, wir haben es mir viel zu tun, aber nicht mit einer Staatsschuldenkrise. Zu einer Staatsschuldenkrise ist es erst geworden, als die Bankenschulden auf die Staatskasse umgebucht wurden. Davon hab jedoch alle Staaten gleichermaßen profitiert. Das einzige Land, dass wirklich ein Problem mit den Ausgaben und Steuereinnahmen hat ist Griechenland.

  20. @ ketzerisch: So sehe ich das auch!

    @ gsohn: ich habe Ihnen gar nicht unterstellt von Guten oder Bösen zu sprechen. Nur fliegt mir diese Darstellung jeden Tag im Gespräch mit dem – pardon – gemeinen Bürger (oder “Stammtischen”) nahezu jeden Tag um die Ohren: “wir haben alles richtig gemacht, die anderen wirtschaften einfach nur unsolide und müssen deshalb sparen was das Zeug hält.”

    und noch etwas bezogen auf Ihre folgende Aussage:

    “Die Peinlichkeits-Rhetoren verstehen wohl nicht die metaphorische Polemik mit Apple. Die Liebwerteste Gichtlinge-Kolumne ist eine Glosse, werte Herren der aggregierten VWL-Weisheiten.”

    Das ist doch auch nichts anderes als der Versuch, sich mit blumenreichen Journalisten-Experten-Termini, entschuldigung, arrogant aus der Affäre zu reden. Sie bedienen sich also der gleichen Mittel, deren Einsatz Sie bei anderen Experten kritisieren. Zudem macht diese Verklausulierung Ihre Ausführungen nicht sinnbehafteter.

  21. Nein, ich zeige nicht mit dem Finger auf andere. Es wäre nur gut, wenn jedes Euro-Krisenland mal ehrlich einen Kassensturz machen und die hausgemachten Fehler richtig analysieren würde. Auf dieser Grundlage sollten man dann in der Euro-Zone sachlich nach Problemlösungen suchen. Anti-Merkel-Fotos in den Medien sind ja höchst amüsant anzuschauen – aber auch das ist eine Sündenbocktheorie.

  22. Ich sage nur, dass Sie sich der gleichen Mittel bedienen, die Sie bei den Experten kritisieren (Experten-Arroganz, Fachgeschwafel etc.).

    Grundsätzlich stimme ich Ihnen in Ihrer Aussage ja zu, dass die Hintergründe der Krise genauer und differenzierter und länderspezifisch als auch Euro-systeminhärent betrachtet werden müssen (siehe meine Ausführungen). Was ich anzweifle, ist Ihre Behauptung, dass die Allgemeinheit bzw. die “Laien” die Situation ebenso differenziert bewerten bzw. besser einschätzen als die “Experten”. Ich kann das in meinem Umfeld (bzw. auch auf den Sites auf denen ich mich bewege) jedenfalls nicht feststellen. Da sehe ich im Gegenteil häufig die Sündenbock-Zuweisung gut/schlecht (sowohl aus deutscher als auch externer z.B. griechischer Perspektive). Insofern widerspreche ich konkret Ihrer These, dass die Experten “ausgedient” hätten und die Meinungsbildung der “Crowd” zum richtigen Ergebnis führt.

  23. Das ist doch ihr gutes Recht. Fühlen Sie sich als Experte? Ist nicht jeder Experte auch ein Nicht-Experte? Also ich sehe mich als Beobachter – not more.

  24. Nun ja – Sie haben in Ihrem Artikel den Begriff des Experten verwendet, die Definition dafür siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Experte 😉 Nun – Experte, Beobachter (der beobachtet nur und sagt nichts sonst wäre er ein Kommentator ?) oder Laie, da kann man wohl Wortklauberei betreiben und es gibt auch sicher fliessende Übergänge. Aber um es neutral aber vielleicht auch ein wenig umständlich auszudrücken (wir wollen ja keine Titulierung ;): ich glaube, dass die Meinung von Personen, die der Definition (s.o.) betreffend eines bestimmten Bereichs entsprechen bei komplexen Fragestellungen (in diesem Bereich) mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zutreffender und stichhaltiger ist, als jene von Personen, die der Definition nicht oder in einem (wesentlich) geringeren Maße entsprechen. Ergo wird meiner Meinung nach das Expertentum nach obiger Def. nicht breitflächig durch das internet’sche Schwarmwissen ersetzt werden können.

    Und ob ich mich als Experte bezeichne? Nun das ist sicher auch relativ zu sehen. Ich habe mich jedoch viel mit dem Themengebiet sowohl von der Ausbildung her als auch in praktischer Hinsicht auseinandergesetzt. Allerdings bezweifle ich auch nicht, dass es Menschen gibt, die fachlich deutlich mehr Ahnung bzw. Erfahrung haben als ich. Ich behaupte aber mal, dass ich in dieser Materie mehr theoretisches als auch praktisches Wissen habe als der “Durchschnittsbürger” (nicht abwertend gemeint).

  25. Man sollte Durchschnittsbürger nicht unterschätzen. Bauchgefühl ist manchmal wichtiger – auch in komplizierten Debatten wie der Euro-Krise.

  26. Sicher nicht – aber nur auf sein Bauchgefühl und Emotionen zu hören kann mitunter sehr gefährlich werden.

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