
Als Bundesinnenminister hat mich bekanntlich de Maizière nicht immer überzeugt. Seine sachliche Art war und ist vorbildlich. Entsprechend gespannt bin ich auf seinen Auftritt in der Domstadt. In zwei aktuellen Büchern hat sich der CDU-Politiker mit den Prinzipien des Regierens beschäftigt. All jenen zu empfehlen, die stets schnelle Lösungen verlangen, aber wenig Ahnung von der nötigen Umsetzungskompetenz im politischen System der Bundesrepublik Deutschland haben: “Die Kunst guten Führens: Macht in Wirtschaft und Politik”, gemeinsam geschrieben mit dem Manager Karl-Ludwig Kley, erschienen im Herder Verlag. Und “Regieren: Innenansichten der Politik”, ebenfalls im Herder-Verlag herausgekommen.
Über die Umsetzungskompetenz in politischen Diskursen sollte jeder stärker nachdenken, von der Klima- bis zur Netzpolitik. Generell gilt nach Ansicht von de Maizière:
„Fachkenntnisse muss man am wenigsten mitbringen, wenn man ein Spitzenamt in der Politik erreichen will. Das klingt erstaunlich, hat sich aber bewährt. Immer mal wieder werden Expertenregierungen gelobt, so zuletzt in Österreich im zweiten Halbjahr 2019. Sie werden aber letztlich immer nur als Übergangsmodell angesehen. Und das ist auch richtig so.”
Politik sei mehr als Fachverstand. „Meine Erfahrung ist, dass reine Fachleute zur Führung einer großen Organisation wie etwa eines Ministeriums nicht genügend Distanz mitbringen. Gute Lehrer, Rechtsanwälte, Ärzte oder Unternehmer sind nicht automatisch die besten Kultus-, Justiz-, Gesundheits- oder Wirtschaftsminister. Und Virologen wären in einer Pandemie, wie wir sie 2020 durch das Coronavirus erlebt haben, auch nicht unbedingt die besten politischen Krisenmanager.“
Ministerinnen und Minister, die glauben, sie seien in allen Themen die besten Sachbearbeiter, machen häufig keine gute Figur: Die Mitarbeitenden in einem solchen Ministerium würden die eigene gedankliche Arbeit schnell einstellen. Fachkenntnis müsse man also nicht mitbringen in ein Ministerium, wohl aber die Bereitschaft, sich in die Sachmaterien des Ressorts gründlich einzuarbeiten. Das gilt für die Grundzüge ebenso wie für wichtige Details. Für einen neuen Amtsträger sei darüber hinaus das Erwartungsmanagement wichtig. Wer zu viel auf den Putz haut und den allwissenden Strategen heraushängt, scheitert schnell an dem Unvorhersehbaren.
Viele Bedingungen für Erfolge oder Misserfolge sind schlichtweg nicht beeinflussbar. Auch nicht Flutkatastrophen. Kluge Kommentare hört man dann immer nur im Nachhinein. „Politische Führung bedeutet, selbstgeweckte Erwartungen zu übertreffen und nicht erfüllbare Erwartungen zu vermeiden“, rät de Maizière. Man sollte gar nicht erst den Eindruck erwecken, als könne man alle Erwartungen erfüllen.
„Die Bewertung und der Erfolg von politischer Führung werden in Zukunft mehr denn je von einem gelingenden kollektiven Führungsverhalten abhängen“, betont der CDU-Politiker.
Hinter jeder Idee, hinter jeder Vision oder schnell artikulierten Reformforderung muss ein praktikabler Plan zur Umsetzung stehen. Mit Plan meint de Maizière eine Art grobes Drehbuch: ein strategisches Ziel, wichtige Unterziele, Schrittfolgen zur politischen Beschlussfassung über diese Ziele und die Betrachtung der Ressourcen und Möglichkeiten zur Umsetzung. Vielfach wird das in politischen Debatten schlichtweg beiseite geschoben. Ob bei Lobbyisten, Beratern, Wissenschaftlern oder Medien. Man braucht Umsetzungskompetenz. Fundamentalkritiker verdrängen diese Notwendigkeit: Selbst eine gesetzgeberische Mehrheit in Bundestag und Bundesrat genügt oft nicht, um eine strategische Reform durchsetzen zu können.
„Gesetze allein verändern immer weniger die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit. Hierzu bedarf es auch einer Verwaltung, die bereit und in der Lage ist, den gesetzgeberischen Willen umzusetzen. Es bedarf entsprechender Haushaltsmittel, ohne die das Ziel der Reform nicht gelingen wird. Immer mehr bedarf es einer Umsetzung durch Informationstechniken (IT), deren Bedeutung für den Erfolg bei der Umsetzung einer solchen strategischen Reform zumeist unterschätzt wird.“ Nachzulesen in dem Opus „Die Kunst guten Führens”. Nach der Lektüre sollten die Ungeduldigen auf Twitter und Co. ein wenig mehr über die Sinnlosigkeit von Ich-weiß-wie-es-geht-Diskurse nachdenken: Von Klimapolitik bis Katastrophenschutz.