
Mit digitalen Labs, Inkubatoren und viel Risikokapital versuchen deutsche Konzerne und Mittelständler einen eigenen Weg in die Zukunft zu finden. Häufig in Berlin – ist ja so hipp. “Die Zwischenbilanz der Innovationseinheiten ist niederschmetternd“, schreibt Christina Kyriasoglou im Manager Magazin.
Sie erinnert an die coolen Auftritte des ehemaligen Daimler-Chefs Dieter Zetsche, der im Berliner Tempodrom oder in Austin seine Auftritte inszenierte, um darzulegen, wie der Konzern die digitale Revolution anführen wolle. Man werde sich vom Autohersteller zum Mobilitätsanbieter wandeln; er nennt Angebote wie das Carsharing mit Car2Go, die Mobilitätsapp Moovel oder den Chauffeurservice Blacklane. Daimler sprach gar von der “globalen Innovationsmaschine” und erschuf bedeutungsschwer das “Lab1886”, benannt nach dem Geburtsjahr des Autos.
Mittlerweile hat sich Ernüchterung breit gemacht. Es seien vorwiegend dieselben beiden Projekte, die die Macher heute als Arbeitsnachweis bemühen: das Investment in das Flugtaxi-Start-up Volocopter und der digitale Helfer Mercedes me.
Unter der Sparägide des neuen Daimler-Chefs Ola Källenius (50) scheint das Schicksal von Lab1886 besiegelt, wie auch das von vielen anderen Projekten jenseits des Kerngeschäfts: “Lab1886 soll demnächst geschlossen und verriegelt werden. Der Konzern wollte sich dazu zunächst nicht äußern. Nach Erscheinen dieses Artikels stellte Daimler klar, man befinde sich aktuell in Gesprächen mit externen Partnern für Lab1886 und wolle die Einheit zu einem ‘offenen Inkubator’ umbauen. Nach Informationen des manager magazins wäre das ein Ausweg, um die komplette Schließung zu vermeiden”, schreibt Kyriasoglou.
Ernüchterung sei vor allem in der Lab-Welt eingekehrt, dem vorherrschenden Innovationsmodell. Mit einem Digitallabor werde Modernität nur vorgetäuscht. Auf dem Golfplatz erzählen sich dann die Vorstandschefs tolle Geschichten über die Digitalisierung, schließlich habe man ja ein Lab in Berlin.

Der in dem Bericht skizzierte Status quo entspricht ja meinem Beitrag für das Schumpeter-Buch:
Wir sollten uns mit der Frage auseinandersetzen, ob wir in Deutschland mit der Digitalisierung wirklich nur Effizienz können und bei Innovationen versagen, wie es Detecon-Analyst Marc Wagner ausdrückt:
„Beim Aufsetzen von Effizienzprogrammen und bei inkrementellen Verbesserungen sind wir in Deutschland total gut. Darauf sind wir konditioniert. Da werden die letzten fünf Prozent an Effizienz herausgeschwitzt. Was Unternehmer wie Robert Bosch gut konnten, das haben wir verlernt.“ (Sohn/ Wagner 2017)
Als aktionistische Ausweichaktion gründet so ziemlich jedes Unternehmen etwas und dem Stichwort ‚Lab‘ oder ‚Garage‘. Davor steht dann meistens ‚Digital‘. Beheimatet sind die Zukäufe oder Neugründungen meistens in San Francisco, Tel Aviv oder Berlin. „Man erhofft sich in einem fancy Umfeld tolle radikale Innovationen. Ausgestattet mit einem dicken Budget soll der Anschluss an Unternehmen in den USA, in Asien und Israel gelingen. Es geht aber in diesen Labs primär nur um den Anfang von Innovationen. Es geht um die Frage, mit welchen Ideen die Firmen antreten könnten. Die Umsetzung ist häufig ausgeklammert“, bemerkt Wagner. (Sohn und Wagner 2017)
Das sei abhängig vom ‚Rest‘ der Organisation, und die beäugt das Lab-Spektakel kritisch. Im Brot-und-Butter-Geschäft werden Gehälter gekürzt, Konstrukte zur Kostensenkung in Gang gesetzt und Rationalisierung im
Kundenservice durchgesetzt. „In den Labs ballert man das Geld raus, pumpt den Kollegen die Finanzmittel in den Hintern, scheut keine Kosten und Mühen, wenn es um die Gestaltung des Arbeitsumfeldes und in der Stamm-Organisation geht, sitzen alle wie die Hühner auf der Stange. Solche Diskrepanzen motivieren nicht zur Umsetzung neuer Ideen.“ (Sohn und Wagner, 2017)
Einen weiteren Grund für die mangelhafte Innovationskultur sieht Wagner im klassischen Management, die er vor allen Dingen in Konzernen feststellt. Da werde viel von Innovationen und visionären Ideen gesprochen.
In Wirklichkeit gehe es um eine gnadenlose Kapitalmarktorientierung und
kurzfristige Optimierungen von Key Performance Indicators (KPI) – also Leistungskennzahlen, mit denen Mitarbeiter gegängelt werden. Da sei kein Platz für innovative Ideen.
Die Hipster in den Labs sind eher Feigenblatt-Einheiten, die beim nächsten Vorstandswechsel wieder rausfliegen (äh, ich bin nicht nach Delphi gepilgert – also zum Orakel).
Irgendwann schlägt der Chef-Controller zu und macht die digitalen Ableger dicht. In deutschen Unternehmen gibt es extrem viele Manager, die dafür exzellent ausgebildet sind. Wir finden viele Controller, Finanzexperten und Juristen, die mit dem Kapitalmarkt umgehen können und die am Reißbrett von einer Restrukturierung zur nächsten jagen. Unternehmerischer Sachverstand ist im Top-Management aber Mangelware (Wagner und Sohn 2017). Auch das entspricht der wirtschaftssoziologischen Prognose von Schumpeter, die der Soziologe Eisermann in seiner Bonner Antrittsvorlesung in den Vordergrund stellte. Der Kapitalismus zerstöre die soziale Grundlage seines Funktionierens:
„Weil das Erfinden speziell zur Routinesache und der technische Fortschritt generell, entpersönlicht und automatisiert, in zunehmendem Maße zur Sache geschulter Spezialistengruppen geworden seien, so dass
die neuen Kombinationen in den Händen angestellter Manager und nicht mehr selber wagender und das Risiko tragender selbständiger Unternehmer lägen, verliert die soziale Funktion des Unternehmers, infolge des ‚Veraltens der Unternehmerfunktion‘, zunehmend an Bedeutung.“ (Eisermann 1968, S. 70)
Ohne Neugründungen werden wir wohl nicht auskommen.
Update:
Ist ja einiges los im Netz zu diesem Beitrag 🙂
Ich sag nur: Cargo Kult…